Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses - Meinungsfreiheit

LAG 5 Sa 251/16 vom 2. März 2017

In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B., B-Straße, B-Stadt
gegen
RAe. C, C-Straße, C-Stadt
- Beklagte und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D., D-Straße, D-Stadt
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2017 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Vonderau als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter Birk und Hamm als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 16.03.2016, Az. 1 Ca 1345/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.


2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand


Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses.

Die beiden Beklagten betreiben in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Rechtsanwaltskanzlei. Die 1983 in Kasachstan geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie nahm bei den Beklagten zum 01.08.2014 eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten auf. Die Ausbildungszeit sollte zum 31.07.2017 enden. Im ersten Jahr war eine Ausbildungsvergütung von 420 EUR, im zweiten Jahr von 500 EUR und im dritten Jahr von 550 EUR vereinbart.

Die Klägerin verfügte bei ihrer Einstellung bereits über eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung zur Fachkraft für Systemgastronomie. Nach dem Vortrag der Beklagten war sie im ersten Ausbildungsjahr an 77 Tagen erkrankt, in der Berufsschule fehlte sie 18 Tage. Mit Schreiben vom 14.07.2015 boten die Beklagten der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 31.07.2015 an. In dem Schreiben heißt es ua.:

"Sehr geehrte Frau A., vorab darf ich Ihnen von Allen gute Besserung wünschen. Ich nehme sodann Bezug auf das gemeinsame Gespräch zwischen Ihnen, dem Kollegen E. und mir, bei welchem wir übereinkamen uns Gedanken über die weitere Gestaltung des Ausbildungsverhältnisses zu machen, insbesondere, weil hier im Hause die Vermutung bestand, dass sie durch die Ausbildung und die damit einhergehenden Anforderungen insbesondere im praktischen Bereich doch so stark belastet sind, dass dies sogar Auswirkungen auf Ihre Gesundheit hat, was durch Ihre massiven Fehltage auch belegt wird. Des Weiteren sind sowohl die Kollegen E. und I., als auch ich selbst der Ansicht, dass Sie den Anforderungen im praktischen Bereich, vor allem wegen der sprachlichen und grammatikalischen Schwierigkeiten nicht gewachsen sind und sich hier nur quälen. Ich übersende Ihnen deshalb beiliegend einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag, welchen Sie sich bitte eingehend durchlesen sollten und darüber nachdenken ob es in nicht auch in Ihrem Sinne ist den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen und gegebenenfalls eine andere Ausbildung zu versuchen. Gerne können wir uns nach Ihrer Genesung auch noch einmal zusammensetzen und Ihnen unsere Ansicht noch einmal erläutern. Bitte geben Sie uns bis zum 20.07.2015 Bescheid wie sie sich entscheiden wollen. ..."


Die Klägerin lehnte das Angebot mit Schreiben vom 20.07.2015 ab. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

Sehr geehrter Herr X., vorab bedanke ich mich beim gesamten Team für die Genesungswünsche. Ihre Wortwahl, ich zitiere: "stark belastet durch die Ausbildung und die damit einhergehenden Anforderungen", "massiven Fehltage", "den Anforderungen wegen der sprachlichen und grammatikalischen Schwierigkeiten nicht gewachsen" und "sich nur quälen", trafen mich ganz arg. Vor allem wenn ich bedenke, dass diese Aussagen von meinem Ausbilder kommen, der eigentlich eine lernprozessbegleitende und -unterstützende Rolle hat. Sie wussten von meinen sprachlichen Schwierigkeiten von Anfang an Bescheid und gaben mir dennoch die Chance, in Ihrem Haus die Ausbildung zu machen. Jetzt unterstellen Sie mir, ich wäre den Anforderungen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht gewachsen?! An dieser Stelle möchte ich kurz ein Beispiel von meiner Freundin aufführen, die ebenfalls in einer Kanzlei ihre Ausbildung absolviert und von der Nationalität her Deutsche ist: Sie wird von ihrem Chef erwartungsgemäß in allen nötigen Punkten unterstützt und wird mittags freigestellt, weil sie zusätzlich zur Berufsschule Sprachkurse besucht. In meinem Fall kann ich mich nicht daran erinnern, derartige Chance oder überhaupt unterstützende Maßnahmen von Ihnen erhalten zu haben. Es ist bedauerlich, dass Sie keinen Beitrag für die gesellschaftliche Integration sprachlich eingeschränkter Personen, wie ich es bin, leisten möchten. In meiner jetzigen Klasse sind etwa 50% der Auszubildenden ausländischer Herkunft und werden auch nicht für ihre Schwächen diskriminiert. Ihre Worte sind wirklich sehr verletzend, Herr X.. Ich für meinen Teil weiß, dass ich diese Ausbildung nicht aufgeben möchte. Daher würde ich gern Ihrem Vorschlag folgen und mich mit Ihnen, nach meinem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt, zusammensetzen wollen. Die Zusendung des Aufhebungsvertrags während meiner derzeitigen Krankmeldung ist für mich nicht nachvollziehbar. ..."


Mit Schreiben vom 21.07.2015 kündigten die Beklagten das Ausbildungsverhältnis fristlos. Das Schreiben, das nur von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist, hat ua. folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrte Frau A., hiermit kündige ich den mit Ihnen abgeschlossenen Ausbildungsvertrag vom 03.07.2014 aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung. Zur Begründung führe ich unter anderem an, dass sie das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht haben. Des Weiteren aber haben Sie das Vertrauensverhältnis zu mir als Ihrem Ausbilder durch Ihr Schreiben, uns zugegangen am 21.07.2015, insbesondere durch Ihre Vorwürfe ich würde keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration sprachlich eingeschränkter Personen leisten und sie sogar wegen Ihrer Schwächen diskriminieren, so nachhaltig gestört, dass ich an einer Fortführung der Ausbildung nicht festhalten kann. Verstärkt wird der Vertrauensbruch noch durch die Tatsache, dass sie obwohl ich danach gefragt habe verschwiegen haben, dass sie neben ihrer Ausbildung in der Gastronomie auch noch eine Ausbildung als Bürokauffrau begonnen, diese aber wieder abgebrochen haben. Auf meine Frage hin hatten sie lediglich mitgeteilt seit Ende Ihrer Ausbildung in der Gastronomie, dort gearbeitet zu haben und Ihnen diese Arbeit keine Freude bereitet. Von einer weiteren Ausbildung, die sie abbrachen, haben sie nicht berichtet, mich also bewusst getäuscht. ..."


Die Klägerin hat gegen die Kündigung am 23.07.2015 Klage erhoben und ua. gerügt, dass das Kündigungsschreiben nicht von beiden Gesellschaftern unterzeichnet worden sei. Das von ihr am 14.12.2016 beantragte Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss der Rechtsanwaltskammer Koblenz endete am 16.01.2017. Der Ausschuss stellte unter diesem Datum fest, dass das Verfahren unzulässig sei, weil nach § 1 Satz 2 der Verfahrensordnung der Streit über die Rechtmäßigkeit der Auflösung des Ausbildungsverhältnisses nicht zu seinen Aufgaben gehöre.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, 

festzustellen, dass die von den Beklagten mit Schreiben vom 21.07.2015 ausgesprochene fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses unwirksam ist.


Die Beklagten haben beantragt, 

die Klage abzuweisen.


Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 16.03.2016 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Kündigung der Beklagten halte einer Überprüfung an den Maßstäben des § 22 BBiG nicht stand. Der Vorwurf, die Klägerin habe das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung "bei weitem nicht erreicht", sei im Kündigungsschreiben nicht konkret beschrieben. Soweit die Kündigung darauf gestützt werde, die Klägerin habe bei ihrer Einstellung darüber getäuscht, dass sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau abgebrochen habe, sei dieser Vorwurf ausweislich der vorgelegten Unterlagen nicht berechtigt. Schließlich reiche der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 20.07.2015 nicht als Kündigungsgrund aus. Zu Gunsten der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass sie auf das Schreiben der Beklagten vom 14.07.2015 mit den dort enthaltenen Vorwürfen reagiert habe. Sie habe ihr Schreiben nicht anlasslos und in einer, auch durch die Sorge um den Ausbildungsplatz bestimmten, emotionalen Ausnahmesituation gefertigt. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 16.03.2016 Bezug genommen.

Die Beklagten haben gegen das am 11.05.2016 zugestellte Urteil mit am 07.06.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 12.08.2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 09.08.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie machen geltend, das Arbeitsgericht habe das Urteil vornehmlich damit begründet, dass zwar ein "unangemessenes und der Gesamtsituation nicht gerecht werdendes Verhalten" der Klägerin vorliege, dies aber nicht "anlasslos" und in einer "emotionalen Ausnahmesituation" erfolgt sei. Die Entscheidung sei überraschend, weil die Vorsitzende im Gütetermin erklärt habe, das Verhalten der Klägerin sei "schon ein dicker Hund". Im zweiten Termin habe sie ausgeführt, dass die im Schreiben der Klägerin vom 20.07.2015 enthaltenen Vorwürfe - mangelnde Integrationsarbeit und Diskriminierung - als Grund für eine fristlose Kündigung ausreichten. Nicht einmal die Klägerin habe sich auf einen emotionalen Ausnahmezustand berufen. Sie habe vielmehr darauf beharrt, dass ihr Schreiben vom 20.07.2015 keine Beleidigung oder ein sonst vorwerfbares Verhalten enthalte. Für ihr - auch richterlich festgestelltes - grobes Fehlverhalten habe sich die Klägerin nicht einmal entschuldigt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts reiche die - unterstellte - Sorge um den Ausbildungsplatz, dem die Klägerin krankheitsbedingt mehr als ein Drittel sämtlicher Arbeitstage ferngeblieben sei, obwohl sie während der Krankheit in einem Gastronomiebetrieb gearbeitet habe, nicht aus, um ihren Ausbildern ungestraft Diskriminierung und mangelnde Integrationstätigkeit vorwerfen zu dürfen. Auch die "Affekt-Annahme" des Arbeitsgerichts sei nicht haltbar. Die Klägerin sei im Juli 2015 bereits 31 Jahre alt gewesen und habe im Gegensatz zu minderjährigen Auszubildenden über Lebenserfahrung verfügt. Der Inhalt ihres Schreibens vom 14.07.2015 könne die Entgleisung der Klägerin nicht rechtfertigen. Zum einen sei zwischen dem Angebot der Vertragsaufhebung vom 14.07. und dem Schreiben der Klägerin vom 20.07.2015 einige Zeit vergangen. Zum anderen sei zwei Wochen vor Zusendung des Aufhebungsvertrages zwischen den Parteien ein intensives Mitarbeitergespräch geführt worden. Der Klägerin sei in diesem Gespräch in Aussicht gestellt worden, dass ein Aufhebungsvertrag vorbereitet und dann mit ihr besprochen werden solle. Weil die Klägerin erneut erkrankt sei, habe man ihr den Vertragstext am 14.07.2015 als Vorschlag nach Hause geschickt. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei fehlerhaft. Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Prozess nicht davor zurückgeschreckt sei, bewusst wahrheitswidrig zu behaupten, sie sei gemobbt worden, außerdem habe man ihr keine ausbildungsrelevanten Tätigkeiten zur Bearbeitung zugewiesen. Das Arbeitsgericht hätte auch den schriftlichen Bericht ihrer Kanzleimitarbeiterin Kuhl (Anlage B1) über das Verhalten der Klägerin würdigen müssen. Danach habe die Klägerin bspw. am 26.06.2015, einem Freitag, ohne Erlaubnis oder Information über eine Stunde vor Ende ihrer Arbeitszeit die Kanzlei verlassen. Außerdem habe sie in den Tagen nach dem Mitarbeitergespräch bis zur Kündigung während ihrer Arbeitszeit hauptsächlich private Dinge erledigt, anstatt sich um die ihr übertragenen Aufgaben zu kümmern. Darüber hinaus habe sie, trotz Aufforderung, das Berichtsheft über den 08.05.2015 hinaus nicht fortgeführt. In die Interessenabwägung hätte auch die nachgewiesene und unstreitige Täuschung der Klägerin über ihre Erkrankung einfließen müssen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin einfachste Ausbildungsziele nicht erreicht und Arbeitshilfen oder Organisationsanweisungen nicht befolgt habe. Aufgrund ihrer immer wiederkehrenden Erkrankungen habe man der Klägerin fast alle Arbeitsabläufe stets aufs Neue erklären müssen. Es sei auch zu würdigen, dass die Klägerin in ihrem Schreiben vom 20.07.2015 eine mangelnde gesellschaftliche Integration "sprachlich eingeschränkter Personen wie ich es bin" bemängelt, sich aber in der Klage absolut ausreichender Deutschkenntnisse berühmt habe. Die Sprachkenntnisse der Klägerin reichten für die hier fragliche Tätigkeit nicht aus. Ernstzunehmendes Engagement hieran etwas zu ändern, habe die Klägerin nicht gezeigt. Sie habe nachgefragt, ob die Bereitschaft bestehe, ihr einen Intensivsprachkurs zu finanzieren. Der Klägerin sei zwar keine Finanzierung, wohl aber die Freistellung zur Teilnahme an Sprachkursen zugesagt worden. Möglicherweise habe sie aus Verärgerung - in voller Kenntnis der Bedeutung ihrer Worte - die nicht hinnehmbaren Äußerungen der Diskriminierung gewählt. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin - mit dem Vorwurf der Diskriminierung und mangelnden gesellschaftlichen Integration - die Sprachbarriere sowie ihre ausländische Herkunft als Schutzschild vor sich her trage, sei eine negative Prognose gerechtfertigt. Dies umso mehr als die Klägerin, trotz wiederholter Aufforderungen, auch nach dem Mitarbeitergespräch keinerlei Maßnahmen ergriffen habe, an der Sprachbarriere zu arbeiten.

Die Beklagten beantragen zweitinstanzlich, 

das am 16.03.2016 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Mainz, Az. 1 Ca 1345/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.


Die Klägerin beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


I. 

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II. 

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht ist im angefochtenen Urteil zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.07.2015 nicht aufgelöst worden ist.

1. Die Klage ist zulässig. Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Anrufung eines bestehenden Schlichtungsausschusses ist eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung für arbeitsgerichtliche Klagen in Ausbildungsstreitigkeiten. Nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG muss der Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Ausschuss vorangegangen sein. Der Mangel der Nichtanrufung des Schlichtungsausschusses kann jedoch nach Klageeinreichung noch geheilt werden, wenn das Schlichtungsverfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG nachgeholt wird. Die Klage wird dann nachträglich zulässig (vgl. BAG 12.02.2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 24).

Vorliegend hat sich der Schlichtungsausschuss der Rechtsanwaltskammer Koblenz mit Beschluss vom 16.01.2017 mit der Begründung für unzuständig erklärt, dass nach § 1 Satz 2 der Verfahrensordnung der Streit über die Rechtmäßigkeit der Auflösung des Ausbildungsverhältnisses nicht zu seinen Aufgaben gehöre. Der Prozessvoraussetzung des § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG ist damit Genüge getan.

2. Die Klage ist begründet. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.07.2015 ist unwirksam, weil ein wichtiger Grund nicht vorliegt. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

a) Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vom Ausbilder nur aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann. Das Verständnis des wichtigen Grundes iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspricht dem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 12.02.2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 38 mwN).

Nach § 22 Abs. 3 BBiG muss die Kündigung schriftlich und in den Fällen des § 22 Abs. 2 BBiG unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Der Kündigende muss dabei die Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sind. Pauschale Schlagworte und bloße Werturteile genügen nicht. Der Ausbildende darf sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf Gründe stützen, die er im Kündigungsschreiben nicht genannt hat (vgl. BAG 12.02.2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 91 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben erweist sich die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.07.2015 als unwirksam.

aa) Soweit die Beklagten die Kündigung darauf stützen, dass die Klägerin "das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht" habe, hat das Arbeitsgericht diesen im Kündigungsschreiben enthaltenen Hinweis zutreffend als nicht ausreichende Mitteilung der Kündigungsgründe gewertet. Die Angabe genügt nicht den Anforderungen des § 22 Abs. 3 BBiG. Es handelt sich um keinen konkreten Kündigungsgrund, sondern um eine pauschale und inhaltsleere Behauptung.

Da den Beklagten verwehrt ist, Kündigungsgründe im Prozess nachzuschieben, die sie im Kündigungsschreiben nicht genannt haben, durfte das Arbeitsgericht den - nicht unterzeichneten - schriftlichen Bericht der Kanzleimitarbeiterin Kuhl (Anlage B1) über das Verhalten der Klägerin nicht berücksichtigen. Wegen des Formerfordernisses können die Beklagten die Kündigung nicht darauf stützen, dass die Klägerin am 26.06.2015 ohne Erlaubnis oder Information über eine Stunde vor Ende ihrer Arbeitszeit die Kanzlei verlassen oder das Berichtsheft über den 08.05.2015 hinaus nicht fortgeführt haben soll. Die Beklagten können auch nicht damit gehört werden, dass die Klägerin in den Tagen nach dem Mitarbeitergespräch ("seit ca. 16.06.2015") bis zur Kündigung während ihrer Arbeitszeit "hauptsächlich private Dinge" erledigt habe. Im Übrigen wären die von den Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen, selbst wenn sie im Rechtsstreit substantiiert dargelegt und im Kündigungsschreiben genannt worden wären, ohne Abmahnung nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zu rechtfertigen.

bb) Soweit die Beklagten im Kündigungsschreiben als Kündigungsgrund angegeben haben, die Klägerin habe ihnen bei ihrer Einstellung verschwiegen, dass sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau begonnen, diese aber wieder abgebrochen habe, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass sich dieser Vorwurf durch die Vorlage von Unterlagen im letzten Kammertermin als unbegründet erwiesen habe. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht. Es kann deshalb offen bleiben, ob eine Lüge im Einstellungsgespräch über eine abgebrochene Berufsausbildung geeignet wäre, einen wichtigen Kündigungsgrund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG abzugeben.

cc) Soweit die Beklagten die außerordentliche Kündigung vom 21.07.2015 im Rechtsstreit auch darauf stützen, dass die Klägerin während der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit in einem Gastronomiebetrieb gearbeitet habe, ist dieser Kündigungsgrund nicht andeutungsweise im Kündigungsschreiben angegeben. Mit diesem Grund sind die Beklagten - wie oben ausgeführt - wegen Verstoßes gegen § 22 Abs. 3 BBiG ausgeschlossen. Im Übrigen soll die Klägerin laut schriftlichem Bericht der Kanzleimitarbeiterin Kuhl (Anlage B1) am Pfingstmontag, d.h. am 25.05.2015, von einem der beklagten Rechtsanwälte bei ihrem Nebenjob gesehen worden sein. Damit hätten die Beklagten auch die Zwei-Wochen-Frist des § 22 Abs. 4 BBiG versäumt.

dd) Die außerordentliche Kündigung vom 21.07.2015 ist nicht aus krankheitsbedingten Gründen gerechtfertigt. Die Beklagten machen der Klägerin zum Vorwurf, dass sie im ersten Ausbildungsjahr an 77 Tagen krankheitsbedingt gefehlt habe. Durch die "immer wiederkehrenden Erkrankungen" müssten ihr alle Arbeitsabläufe "stets aufs Neue" erklärt werden, so dass die praktischen Ausbildungsziele nicht erreicht werden könnten.

Unabhängig davon, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten und die dadurch bedingte Schwierigkeiten bei der Ausbildung im Kündigungsschreiben entgegen § 22 Abs. 3 BBiG nicht als Kündigungsgrund erwähnt sind, kann die Krankheit eines Auszubildenden nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn sie lang anhaltend und ein Ende im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht absehbar ist und dadurch die Verwirklichung des Ausbildungsziels in der Ausbildungszeit unmöglich gemacht wird. Dagegen scheidet bei häufigen Kurzerkrankungen eine fristlose Kündigung auch bei negativer Gesundheitsprognose aus, weil es dem Ausbildenden zumutbar ist, dem Auszubildenden auch bei häufigen Kurzerkrankungen die Möglichkeit zu geben, innerhalb der Ausbildungszeit das Ausbildungsziel zu erreichen (vgl. APS/Biebl BBiG 5. Aufl. § 22 Rn. 18 mwN).

ee) Auch der Vorwurf, die Klägerin verfüge nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, sie habe kein Engagement gezeigt, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und auch nach dem Mitarbeitergespräch (wohl vom 16.06.2015) keine Maßnahmen ergriffen, an der "Sprachbarriere" zu arbeiten, ist nicht geeignet, die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses vom 21.07.2015 zu rechtfertigen.

Die Beklagten wussten bei der Einstellung der Klägerin, dass sie in Kasachstan geboren ist und ausweislich des vorgelegten Lebenslaufs dort bis zum Jahr 2000 die Schule besucht hat. Laut Abschlusszeugnis der Berufsschule (im Ausbildungsberuf Fachfrau für Systemgastronomie) wurden die Leistungen der Klägerin im Pflichtfach Deutsch im Jahr 2010 mit "gut" bewertet. Die Beklagten hatten in der vereinbarten Probezeit von drei Monaten ausreichend Gelegenheit, zu prüfen, ob die deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin in Wort und Schrift genügten, um sie zur Rechtsanwaltsfachangestellten auszubilden. Mangelhafte oder unzureichende deutsche Sprachkenntnisse rechtfertigen unter diesen Umständen keine fristlose Kündigung. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätten die Beklagten im Übrigen zunächst versuchen müssen, der Klägerin die - aus ihrer Sicht - fehlenden Sprachkenntnisse zu vermitteln.

ff) Schließlich hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 20.07.2015 nicht geeignet ist, die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.07.2015 zu rechtfertigen.

Die Klägerin hat mit diesem Schreiben auf das Angebot der Beklagten vom 14.07.2015, das Ausbildungsverhältnis mit Ablauf des 31.07.2015 (unter Fortzahlung der Vergütung und Gewährung von restlichen 6,5 Tagen Urlaub) aufzulösen, reagiert. Sie brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie der Vorwurf, sie sei den sprachlichen Anforderungen des Ausbildungsberufs nicht gewachsen und müsse sich quälen, gekränkt habe. Außerdem beschwerte sie sich darüber, dass sie von den Beklagten - im Gegensatz zu anderen Auszubildenden sowohl deutscher als auch ausländischer Herkunft, die sie aus der Berufsschule kenne - nicht ausreichend unterstützt worden sei. Ein Sprachkurs oder andere lernbegleitende Maßnahmen, seien ihr von den Beklagten nicht angeboten worden. In diesem Kontext ist der Äußerungsteil: "Es ist bedauerlich, dass Sie keinen Beitrag für die gesellschaftliche Integration sprachlich eingeschränkter Personen, wie ich es bin, leisten möchten. In meiner jetzigen Klasse sind etwa 50% der Auszubildenden ausländischer Herkunft und werden auch nicht für ihre Schwächen diskriminiert", zu betrachten.

Die Äußerungen der Klägerin fallen - was die Berufung übersieht - in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Die Klägerin hat mit ihrem Schreiben vom 20.07.2015 an dem Versuch der Beklagten, ihr Ausbildungsverhältnis mit Ablauf des ersten Jahres auflösen zu wollen, deutliche Kritik geübt.

Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Auf die Meinungsfreiheit kann sich auch ein Arbeitnehmer oder Auszubildender berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, ob die Meinungsäußerung rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BAG 18.12.2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 17 mwN).

Gemessen daran, ist der Vorwurf der Klägerin, sie sei von den Beklagten aufgrund ihres Migrationshintergrunds und ihrer sprachlichen Schwächen diskriminiert worden, keine unwahre Tatsachenbehauptung, sondern das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. In ihrem Schreiben vom 20.07.2015 stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten, sondern die Darstellung der Verhältnisse im Ausbildungsbetrieb aus Sicht der Klägerin im Vordergrund. Die Klägerin hat erkennbar auf das Schreiben der Beklagten vom 14.07.2015 und deren Versuch, das Ausbildungsverhältnis zum Ende des ersten Jahres zu beenden, mit starken Worten und Vorwürfen reagiert. Als Werturteil kommt die Meinung der Klägerin zum Ausdruck, dass sich die Beklagten nicht genügend um sie gekümmert und sie wegen ihres Migrationshintergrunds und ihrer Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache diskriminiert haben.

Da das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gewährleistet ist, hat eine Abwägung der Meinungsfreiheit der Klägerin und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der kritisierten Beklagten zu erfolgen (vgl. BAG 18.12.2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 18 mwN). Bei Vornahme dieser - verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung - müssen im Streitfall die Belange der Beklagten am Schutz ihrer persönlichen Ehre hinter der Meinungsfreiheit der Klägerin zurücktreten. Zu Gunsten der Klägerin fällt entscheidend ins Gewicht, dass sie mit ihrem Schreiben vom 20.07.2015 auf die teils polemischen Vorwürfe der Beklagten, die im Schreiben vom 14.07.2015 enthalten und von der Klägerin als kränkend erlebt worden sind, in unmittelbarer zeitlicher Nähe reagiert hat. Die Klägerin wollte um ihren Ausbildungsplatz kämpfen und bewertete das Verhalten der Beklagten subjektiv und emotionalisiert. Die Meinungsäußerung der Klägerin stellte unter Berücksichtigung dieser Umstände keine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses rechtfertigen könnte.

gg) Auch der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 23.07.2015 ausgeführt hat, das Schreiben vom 20.07.2015 enthalte "nach Auffassung der Klägerin keinerlei Beleidigungen oder unwahre Behauptungen oder sonst die Beklagten persönlich diskriminierenden Äußerungen", die Klägerin sei in der Kanzlei der Beklagten "gemobbt" worden, vermag die fristlose Kündigung vom 21.07.2015 nicht zu rechtfertigen.

Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung dienen. Eine ursprünglich unbegründete Kündigung darf durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend nicht zu einer begründeten werden. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes (vgl. BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53 mwN).

Danach ist das Prozessverhalten der Klägerin nicht geeignet, die Kündigung "mit rückwirkender Kraft" zu begründen. Es ist kündigungsrechtlich auch unerheblich, dass sich die Klägerin für den Inhalt ihres Schreibens vom 20.07.2015 nicht bei den Beklagten entschuldigt hat. Die Klägerin hat im Verlauf des Rechtsstreits ihren Standpunkt verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

Hinzu kommt, dass nach § 22 Abs. 3 BBiG die Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben angegeben werden müssen. Das schließt ein Nachschieben von dort nicht aufgeführten Kündigungsgründen aus (vgl. LAG Rheinland-Pfalz - 17.01.2008 - 10 Sa 845/06).

III. 

Die Beklagten haben gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Vonderau
Birk
Hamm