Mehrere Betriebe können einen Betrieb nach dem Kündigungsschutzgesetz darstellen

ArbG Gera Az. 2 Ca 329/20 vom 16. Dez. 2021

Leitsatz

Betriebsteile und Nebenbetriebe werden als Einheit mit dem Hauptbetrieb angesehen, soweit sie arbeitstechnisch nur Teilfunktionen wahrnehmen und über keinen eigenen Leitungsapparat verfügen.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 14.08.2020 nicht beendet wurde.

2. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 3.040,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob eine arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis beendet hat.

Die Klägerin, geboren 1964 und ledig, ist bei Beklagten beschäftigt seit 02.05.2019 als Reinigungskraft zu einem Stundenlohn von zuletzt 9,50 €, 80h im Monat Beschäftigungsumfang, entsprechend einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 760 €. Die Tätigkeit der Klägerin erstreckte sich nach dem Arbeitsvertrag auf Reinigungstätigkeiten auf den vom Beklagten betriebenen Campingplätzen N. und S. sowie weitere zumutbare Tätigkeiten nach Weisung.

Der Beklagte betreibt die beiden benannten Campingplätze sowie ein Elektroinstallationsunternehmen, letzteres unter der Firma E. Als Unternehmenssitz ist auf den entsprechenden Internetseiten jeweils A.-Weg 10 in 07318 S. angegeben. Hier betreibt der Beklagte das Büro, von dem aus die entsprechenden Unternehmen koordiniert werden und von wo aus insbesondere auch die zentrale personelle Leitung erfolgt, insbesondere auch Einstellungen und Entlassungen, Lohnabrechnung, Urlaubseinteilung, Krankenstand-serfassung, Einsatzplanung usw. In den Unternehmen des Beklagten beschäftigt dieser zusammen regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Zwischen dem Beklagten und der Klägerin kam es im Vorfeld der Kündigung zu Unstimmigkeiten, da der Beklagte mit Leistung und Verhalten der Klägerin unzufrieden war. Dies führte zum Ausspruch einer Abmahnung vom 29.07.2020 durch den Beklagten. Hierin wurde der Klägerin unzureichende Sauberkeit im Sanitärgebäude, das Entwenden von Betriebsmaterial sowie "ehrabschneidende Äußerungen" gegenüber anderen Mitarbeitern vorgehalten. Ab dem 01.08.2020 war die Klägerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig, nachdem sie am 31.07.2020 bei einem Sturz auf dem Rückweg von der Arbeit das linke Handgelenk gebrochen hatte. An einem nicht genau bestimmbaren Datum im August 2020 sowie am 14.08.2020 kam es zu mindestens zwei Gesprächen zwischen dem Beklagten persönlich und der Klägerin persönlich, deren genauer Inhalt streitig ist. Unstreitig ist, dass der Beklagte der Klägerin bei dem zweiten Gespräch am 14.08.2020 die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses antrug, worauf aber die Klägerin nicht einging. Daraufhin verfasste der Beklagte die nunmehr streitgegenständliche Kündigung vom 14.08.2020 "fristgemäß zum 12.09.2020" (Anlage K3 - Bl. 9 der Akte) und übersandte diese mittels Boten oder per Post an die Klägerin.

Mit am 03.09.2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

Die Klägerin meint, die Kündigung sei bereits wegen Verstoßes gegen § 612a BGB unwirksam, da der Beklagte ihre Krankmeldung durch die Kündigung in unzulässiger Weise habe sanktionieren wollen. Im Übrigen sei ein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG nicht einmal in einlassungsfähiger Weise dargelegt. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, da die Unternehmen des Beklagten ersichtlich als gemeinsamer Betrieb mit zentraler Leitung geführt würden.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 14.08.2020 nicht beendet wurde,

2. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte hat zuletzt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, da die Campingplätze von dem Elektrounternehmen getrennt seien, auch steuerrechtlich. Im Übrigen behauptet der Beklagte, die Klägerin habe ihre Arbeit auf dem Campingplatz N. verweigert, sodass man eine weitere Arbeitskraft habe einstellen müssen. Bezüglich dieser habe die Klägerin gegenüber Gästen und Mitarbeitern rassistische Äußerungen getätigt, etwa, dass sie "mit Polacken nicht zusammenarbeite". Auch habe die Klägerin gegenüber Mitarbeitern geäußert, wenn er, der Beklagte, die Abmahnung nicht zurücknehme, lasse sie sich krankschreiben. Noch mit Schriftsatz vom 11.08.2021 behauptete der Beklagte zudem, es habe ein Gespräch am 31.07.2020 mit der Klägerin gegeben. Bei diesem sei eine Festigung des ausländerfeindlichen Standpunktes zu erkennen gewesen und überdies die Aussage getätigt worden, die Klägerin werde sich krankschreiben lassen, sollte die Abmahnung vom 29.07.2020 nicht zurückgenommen werden.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und insbesondere die Sitzungsprotokolle vom 19.10.2020 und 16.12.2021 ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg, denn sie ist zulässig und begründet. Die Kündigung des Beklagten vom 14.08.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet, da sie sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte konnte nicht darlegen, dass für die Kündigung ein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG vorlag.

Zunächst ist die durch den Beklagten ausgesprochene Kündigung nach Ansicht der Kammer keine verbotene Maßregelung der Klägerin wegen ihrer Krankmeldung im Sinne des § 612a BGB. Insoweit ist die Klägerseite darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen einer Maßregelung (BeckOK ArbR/Joussen, 62. Ed. 1.12.2021, BGB § 612a Rn. 24). Die Klägerseite hätte also darlegen und beweisen müssen, dass der Beklagte die Kündigung aussprach, um die Klägerin in unzulässiger Weise dafür zu sanktionieren, dass die Klägerin ihr Recht wahrnimmt, sich arbeitsunfähig zu melden. Dieser Nachweis ist der Klägerseite nicht gelungen. Zwar mögen die Äußerungen des Beklagten zu Protokoll in der Güteverhandlung vom 19.10.2020 in diese Richtung interpretierbar sein. Den schriftsätzlichen Einlassungen des Beklagten lässt sich dieser Schluss hingegen kaum entnehmen, auch wenn diese in der Angabe der Kündigungsgründe ständig wechselnden Tatsachenvortrag aufweisen. Die Kammer hat jedoch durch die persönliche Anhörung des Beklagten die Überzeugung gewonnen, dass dieser die Kündigung jedenfalls nicht maßgeblich darauf gestützt hat, dass die Klägerin ihr Recht wahrnahm, sich aufgrund der gebrochenen Hand arbeitsunfähig zu melden. Vielmehr ist die Kammer überzeugt, dass der Beklagte die Kündigung maßgeblich aufgrund der verschiedenen Vorwürfe gegenüber der Klägerin hinsichtlich Arbeitsleistung und Verhalten stützte.

Allerdings findet auf das Arbeitsverhältnis, anders als der Beklagte meint, das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Gemäß § 23 Abs. 1 KSchG kommt es nicht entscheidend darauf an, ob unterschiedliche Unternehmen vorliegen, ggf. auch steuerrechtlich getrennte. Vielmehr betrachtet § 23 Abs. 1 KSchG den Betrieb als ausschlaggebend. In Anlehnung an den Betriebsbegriff des BetrVG ist nach gefestigter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur unter einem Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln zu verstehen, mit deren Hilfe jemand in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern einen oder mehrere arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpfen (BVerfG 27.1.1998, NZA 1998, 470 ff.; BAG 24.2.1976, DB 1983, 1498; ErfK/Ascheid Rn. 4). Diese Definition steht für den einheitlichen kündigungs- und betriebsverfassungsrechtlichen Begriff des Betriebes. Betriebsteile und Nebenbetriebe werden i.S.v. § 23 KSchG nicht gesondert betrachtet, sondern als Einheit mit dem Hauptbetrieb angesehen, soweit sie arbeitstechnisch nur Teilfunktionen wahrnehmen und über keinen eigenen Leitungsapparat verfügen (KR/Weigand Rn. 25). Die Bestimmungen des § 4 BetrVG greifen im Kündigungsrecht nicht (ErfK/Ascheid Rn. 4).

Diese Definition zugrunde gelegt, führt der Beklagte seine Unternehmen als einen gemeinsamen Betrieb im Sinne des § 23 KSchG. Insbesondere ist unstreitig geblieben, dass zentrale unternehmenslenkende Entscheidungen für die Unternehmen des Beklagten einheitlich im zentralen Büro A.-Weg 10 in S. erfolgen und dass dort auch für diese Unternehmen die maßgeblichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten erfolgen (insbesondere Einstellungen und Entlassungen, Einsatz- und Urlaubsplanung). Das Büro A.-Weg 10 ist demnach als einheitlicher Leitungsapparat anzusehen, die Campingplätze sind - mangels qualifiziertem Vortrag zu einer jeweils eigenen Leitungsebene - nur dessen unselbständige Betriebsteile. In diesem gemeinsamen Betrieb beschäftigt der Beklagte unstreitig mehr als 10 Arbeitnehmer. Ausnahmen gem. § 23 Abs. 1 S. 4 KSchG sind weder vom Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG ist durch den Beklagten nicht dargetan. Erkennbar wollte der Beklagte das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen beenden, wobei der Vortrag zu den tatsächlich der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalten im Laufe des Verfahrens vielfach im Detail wechselte. Schon dieser stetig sich verändernde Vortrag hat es der Kammer erheblich erschwert, den Schriftsätzen des Beklagten den kündigungsbegründenden Sachverhalt zu entnehmen.

Soweit sich der Beklagte auf die unzureichende Arbeitsleistung der Klägerin sowie die angeblichen rassistischen Äußerungen stützt, ist dieser Kündigungsgrund - unabhängig davon, dass der diesbezügliche Sachvortrag viel zu unkonkret und weder mit Daten unterlegt noch mit Beweisangeboten versehen ist - jedenfalls bereits durch die ihrerseits ebenfalls äußerst unkonkrete Abmahnung vom 29.07.2020 verbraucht. Denn eine Abmahnung beinhaltet regelmäßig konkludent die Aussage, wegen der in ihr gerügten Vorfälle keine weitergehende arbeitsrechtliche Sanktion ergreifen zu wollen. Dass der Beklagte sich aber mit der Kündigung auf andere, zeitlich nachgelagerte Sachverhalte als die bereits Abgemahnten beziehen würde, ist insoweit nicht ersichtlich. Mithin bleibt nur noch der nicht abgemahnte Vorwurf im Raum, die Klägerin habe angekündigt, sich krankschreiben zu lassen, wenn der Beklagte die Abmahnung vom 29.07.2020 nicht zurücknehme. Eine solche Drohung mit einer Krankschreibung ist jedenfalls dann ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund, wenn eine Krankschreibung angekündigt wird, obwohl im Zeitpunkt der Ankündigung eine Krankheit weder tatsächlich vorliegt noch absehbar tatsächlich vorliegen wird und daher mit einer rechtswidrigen, weil tatsächlich nicht berechtigten Arbeitsunfähigkeitsmeldung gedroht wird. Die Kammer ist jedoch nicht überzeugt davon, dass es solche Äußerungen der Klägerin tatsächlich gegeben hat.

Beweisbelastet ist hierfür der Beklagte. Dieser konnte indes schon nicht nachvollziehbar darlegen, wann und gegenüber wem die Klägerin solche Äußerungen getätigt haben soll. Die Behauptung, dies sei gegenüber anderen Mitarbeitern erfolgt, lässt weder eine Angabe des Datums des angeblichen Vorfalls noch die Benennung eines konkreten Zeugen erkennen. Einzig die Behauptung des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 11.08.2021, es sei eine solche Äußerung der Klägerin am 31.07.2020 bei einem Gespräch gegenüber ihm persönlich erfolgt, ist insoweit hinreichend konkret. Jedoch hat der Beklagte selbst an dieser Behauptung in der Kammerverhandlung nicht festgehalten. Vielmehr hat er sich nun dahingehend eingelassen, dass das erste Gespräch mit der Klägerin zum Sachverhalt erst nach ihrer Krankschreibung, mithin nach dem 01.08.2020, erfolgt sei. Dies ändert den Sachverhalt erheblich, denn es ist wenig plausibel, dass die Klägerin, die in dem Zeitpunkt unstreitig bereits die Hand gebrochen hatte und mithin berechtigt arbeitsunfähig gemeldet war, ein "krankfeiern" gegenüber dem Kläger angekündigt haben soll. Überdies hat der Beklagte auch persönlich in der Verhandlung nichts mehr dahingehend geäußert, dass gegenüber ihm selbst seitens der Klägerin solche Äußerungen gefallen seien. Vielmehr hat er nur noch auf die Äußerungen gegenüber Dritten Bezug genommen, die ihm zugetragen worden seien.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

Der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert folgt aus § 42 Abs. 2 S. 1 GKG, wobei der Feststellungsantrag mit drei Bruttomonatsverdiensten von 760 € und der Weiterbeschäftigungsantrag mit einem weiteren Bruttomonatsverdienst bewertet wurde.