Treuwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung - Weiterbildungsverpflichtung des Arbeitnehmers

LAG 3 Sa 153/09 vom 9. Sep. 2009

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 19.03.2009 - 2 Ca 3196/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Treuwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Beklagte betreibt eine Ford-Vertretung mit Reparaturbetrieb. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte er drei Arbeitnehmer einschließlich des Klägers.

Der Kläger, am ...1954 geboren, ist seit dem 01.08.1969 bei dem Beklagten tätig. Er ist verheiratet und hat eine 21-jährige Tochter, die bei ihm lebt. Er erhielt zuletzt eine durchschnittliche Vergütung von 2.256,94 EUR brutto monatlich.

Der Kläger war stets in der Werkstatt eingesetzt. Er hat keinen Ausbildungsberuf erlernt, hat eine Lese- und Rechtschreibschwäche und kann u.a. deshalb keinen PC bedienen. Er besitzt auch keinen Führerschein.

Der Beklagte beschäftigt neben dem Kläger zwei ausgebildete Kfz-Mechaniker, davon einen als Werkstattleiter, der in Abwesenheitszeiten von dem anderen Kfz-Mechaniker vertreten wird.

Am 18.11.2008 erhielt der Kläger die fristgemäße Kündigung zum 30.06.2009. Der Beklagte stützt sich auf wirtschaftliche Hintergründe, die eine Personalkostenreduzierung erforderlich machten. Angesichts zunehmender Elektronisierung der Kraftfahrzeuge sowie der Tatsache, dass der Kläger wegen seiner Lese- und Rechtschreibschwäche unstreitig weder den PC noch elektronische Messgeräte einsetzen kann und auch mangels Führerscheins nicht in der Lage ist, zumindest Probefahrten durchzuführen, hat sich der Beklagte für eine Entlassung des Klägers entschieden.

Gegen die Kündigung vom 18.11.2008 hat der Kläger rechtzeitig mit Datum vom 04.12.2008 Klage erhoben. Das Arbeitsgericht hat sie abgewiesen. Es hat unter Berücksichtigung der unstreitigen Einschränkungen des Klägers keinen Verstoß gegen § 242 BGB angenommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 19.03.2009 verwiesen.

Gegen diese dem Kläger am 06.04.2009 zugestellte Entscheidung hat er am 29.04.2009 Berufung eingelegt, die nach Fristverlängerung bis zum 08.07.2009 innerhalb der Frist begründet wurde.

Der Kläger ergänzt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist der Ansicht, der Beklagte habe das Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme nicht beachtet. Der Kläger habe unter Berücksichtigung seiner persönlichen Einschränkungen keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. Er habe die längste Betriebszugehörigkeit, das höchste Lebensalter und sei der sozial schwächste Arbeitnehmer. Das habe der Beklagte unberücksichtigt gelassen. Der Kläger sei durchaus in der Lage, mit Hilfestellungen seiner Kollegen auch der zunehmenden Technisierung bei Ausübung seiner Tätigkeit Rechnung zu tragen. Zudem habe der Beklagte im Rahmen seiner Fürsorgepflicht den Kläger auf die zunehmende Technisierung vorbereiten und entsprechend aus- und fortbilden müssen. Jedenfalls habe er ihn rechtzeitig auffordern müssen, sich ggf. selbst zu qualifizieren. Letztendlich bestreitet der Kläger die behaupteten wirtschaftlichen Gründe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 19.03.2009 - 2 Ca 3196/08 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 18.11.2008, zugegangen am 18.11.2008, mit Ablauf des 30.06.2009 beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Bei einem Umsatzeinbruch von 70 % habe er personelle Konsequenzen ziehen müssen. Für das Nichtvorliegen dieser wirtschaftlichen Hintergründe sei der Kläger darlegungs- und beweisbelastet, weil das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege bei der getroffenen Auswahlentscheidung nicht vor, da der Kläger aufgrund seiner persönlichen Einschränkungen am wenigsten einsetzbar sei. Die beiden anderen beschäftigten Mitarbeiter seien auch nicht austauschbar. Im Übrigen liege selbst bei fiktiver Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes kein Auswahlfehler vor. Der Kläger sei nicht vergleichbar mit den anderen beiden Arbeitnehmern.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dabei insbesondere darauf abgestellt, dass dem Beklagten im Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung kein Verstoß gegen Treu und Glauben anzulasten sei. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auch auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:

1. Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und die Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb in der Regel nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1KSchG nicht erfasst sind (BAG vom 28.08.2003, 2 AZR 333/02 - zitiert nach Juris Rz. 16). Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, z. B. vor Diskriminierungen im Sinne von Artikel 3Abs. 3 GG. Schließlich darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben (BAG vom 21.02.2001 - 2 AZR 579/99 - BAGE 97, 141; BAG vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - BAGE 97, 92). Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 - Rz. 17 m. w. N.). Die gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der Betriebszugehörigkeit "einleuchten" muss (BAG a. a. O., Rz. 18).

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer. Allerdings ist der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht zu gewährleisten. Deshalb gelten insoweit die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast (BAG vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - BAGE 97, 92; BAG a. a. O., Rz. 21). In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, der die Gründe, die zu seiner Kündigung geführt haben, oft nicht kennt, nur einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Das ist beispielsweise der Fall, wenn aus dem Vorbringen des Klägers auf den ersten Blick ein schwerer Auswahlfehler erkennbar ist (BAG vom 06.02.2003 - 2 AZR 672/01 - AP KSchG 1969, § 23 Nr. 30). Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO sodann qualifiziert auf den Vortrag des Arbeitnehmers einlassen, um ihn zu entkräften. Trägt der Arbeitgeber die betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vor, die den Vorwurf der Treuwidrigkeit ausschließen, so hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung dennoch ergeben soll, zu beweisen (BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 - zitiert nach Juris, Rz. 21 m. w. N.).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Annahme des Arbeitsgerichts, die Kündigung verstoße nicht gegen Treu und Glauben, nicht zu beanstanden. Eine lange Betriebszugehörigkeit, ein hohes Lebensalter sowie sonstige Tatsachen, die eine Person als sozial schwachen Arbeitnehmer ansehen lassen, sind nicht bereits an sich geeignet, eine Kündigung als unwirksam einzuordnen. Auch nach dem Kündigungsschutzgesetz kann einem Arbeitnehmer, der über eine äußerst lange Betriebszugehörigkeit verfügt, der älteste Arbeitnehmer im Betrieb ist und auch unter sonstigen persönlichen Gesichtspunkten besonders sozial schutzwürdig erscheint, gekündigt werden, wenn der Bedarf für seine Beschäftigung entfallen ist und andere Arbeitnehmer des Betriebes mit ihm nicht vergleichbar sind. Insoweit übersieht der Kläger, dass weder eine besonders lange Betriebszugehörigkeit, die zweifelsfrei in Person des Klägers mit einer 40-jährigen Beschäftigungsdauer vorliegt, noch ein Lebensalter von 55 Jahren dazu führt, dass diesem Arbeitnehmer nicht mehr gekündigt werden darf. Andernfalls würde allein durch Zeitablauf, noch dazu losgelöst von den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes, ein Arbeitnehmer über die Vorschrift des § 242 BGB - Treu und Glauben - in Unkündbarkeit hineinwächst. Eine derartige Rechtsfolge ist jedoch weder gesetzlich geregelt noch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben gewollt und geschützt. Eine gesetzliche Regelung, die ab einem bestimmten Lebensalter und einem bestimmten Zeitablauf gesetzliche Unkündbarkeit herbeiführt, existiert nicht. Ebenso wenig existiert ein solcher Rechtsgedanke, der über § 242 BGB zu schützen wäre. Vor diesem Hintergrund kann allein die besonders lange Betriebszugehörigkeit des Klägers sowie das Lebensalter von 55 Jahren nicht dazu führen, dass die Kündigung als willkürlich oder auf sachfremden Motiven beruhend einzuordnen ist.

3. Andere Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergeben könnte und die den Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts rechtfertigen könnten, hat der Kläger weder dargelegt noch bewiesen. Da der Kläger für sich selbst verantwortlich ist, war es nicht Aufgabe des Beklagten, ihn im Laufe der 40-jährigen Betriebszugehörigkeit auf die zunehmende Technisierung vorzubereiten und entsprechend aus- und fortzubilden. Der Kläger konnte auch bereits in den vergangenen Jahren erkennen, dass der Einsatz komplizierter technischer Geräte zunehmend auch bei seinem Arbeitgeber erforderlich wurde und von den beiden anderen Arbeitskollegen erfolgte. Er konnte sich daher nicht darauf verlassen, dass er von entsprechenden Anforderungen an seine Arbeitsleistung stets ausgenommen würde.

Abgesehen davon, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, wie eine Vorbereitung durch den Beklagten hätte aussehen sollen und vor welchem tatsächlichen Hintergrund eine Aus- und Fortbildung unter Berücksichtigung der unstreitig vorliegenden persönlichen Einschränkungen des Klägers auch nur ansatzweise erfolgreich gewesen wäre.

Hervorzuheben ist jedoch, dass für die fehlende (Weiter)-Qualifikation nicht der Beklagte verantwortlich gemacht werden kann. Das wäre die ureigene Aufgabe des Klägers selbst gewesen. Zumindest hätte er von dem Beklagten Weiterqualifizierungsmaßnahmen erbitten müssen. Das ist jedoch nicht geschehen, jedenfalls seitens des Klägers nicht vorgebracht worden.

4. Letztendlich übersieht der Kläger auch, dass selbst bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes seitens des Beklagten kein Auswahlfehler festzustellen wäre. Insoweit fehlt es bereits an einer Vergleichbarkeit des Klägers mit den verbleibenden weiteren zwei in der Werkstatt eingesetzten Arbeitnehmern. Der eine Kollege des Klägers ist Werkstattleiter, der andere sein Vertreter. Diese Funktion kann der Kläger unstreitig nicht ausüben. Zudem verfügen beide Arbeitskollegen über einen Führerschein und sind uneingeschränkt in der Lage, die neue Technik und den PC zu nutzen. Das kann der Kläger nicht. Daher fehlt jegliche Vergleichbarkeit des Klägers mit seinen Arbeitskollegen. Der "Kündigungsschutz" aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben im Sinne des § 242BGB kann jedoch nicht weiter gehen, als die im Kündigungsschutzgesetz normierten Voraussetzungen und Wirkungen. Letztendlich verlangt jedoch der Kläger dieses mit seinem Begehren.

5. Aus den genannten Gründen ist die Klage gegen die fristgemäße Kündigung des Beklagten vom 18.11.2008 zu Recht abgewiesen worden. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Es handelt sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.