Übertragung von Führungsaufgaben - Mitarbeiter eines anderen Betriebs - Einstellung - Eingliederung in den Betrieb

LAG 17 TaBV 277/15 vom 17. Juni 2015

1. Bereits die Übertragung der Personalverantwortung auf einen Mitarbeiter kann für sich genommen zur Eingliederung des Mitarbeiters in dem Betrieb führen, deren Belegschaft er führen soll.
(Leitsatz)
 
(2.) Eine mitbestimmungspflichtige Einstellung (§ 99 BetrVG) liegt vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist, für den der Betriebsrat zuständig ist. Eine Eingliederung ist jedenfalls gegeben, wenn ein Arbeitsverhältnis des einzustellenden Arbeitnehmers zum Betriebsinhaber besteht und der Arbeitnehmer innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringt, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs zu dienen bestimmt sind.
 
(3.) Die Eingliederung in die betriebliche Organisation hängt nicht davon ab, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb, d.h. auf dem Betriebsgrundstück bzw. in den Betriebsräumen, verrichtet. Zum Betrieb gehören vielmehr auch diejenigen Arbeitnehmer, die zur Erreichung des Betriebszwecks außerhalb des Betriebs eingesetzt werden; dies kann zur Folge haben, dass ein Arbeitnehmer in mehrere Betriebe des Arbeitgebers eingegliedert ist.
(Orientierungssätze)

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. November 2014 – 37 BV 3559/14 – geändert:

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Einstellung des Herrn R. aufzuheben.

II. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer personellen Einzelmaßnahme.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2.), ein Unternehmen des A. Konzerns, beschäftigt in Deutschland ca. 4.000 Mitarbeiter. Sie unterhält in Berlin den „Betrieb 2“, in dem der Betriebsrat (Beteiligter zu 1.) gebildet ist.

Die Arbeitgeberin organisiert die Personalführung auf der Grundlage einer so genannten „Matrixstruktur“. Dies hat zur Folge, dass die Mitarbeiter des Betriebs 2 fachlich und disziplinarisch durch einen Mitarbeiter geführt werden, der nicht in dem Betrieb beschäftigt ist und auch in einem anderen Konzernunternehmen tätig sein kann.

Nachdem bis zum 28.02.2014 Herr B. – Mitarbeiter eines Schwesterunternehmens der Arbeitgeberin – die Personalführung des Betriebs 2 innehatte, übertrug die Arbeitgeberin ab dem 01.03.2014 diese Aufgabe Herrn R., ohne den Betriebsrat hierzu zu beteiligen. Herr R. ist bei der Arbeitgeberin tätig und wird in Hamburg beschäftigt. Er führt von dort insgesamt 45 Mitarbeiter (ohne Leiharbeitnehmer) an fünf Standorten, hauptsächlich mittels Telefon, E-Mail und Internet.

Mit seinem Antrag hat der Betriebsrat die Aufhebung einer Einstellung des Herrn R. beantragt. Die Arbeitgeberin ist dem Antrag mit der Auffassung entgegengetreten, eine Einstellung des Herrn R. liege nicht vor; dieser gehöre weiterhin dem Betrieb Hamburg an.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats durch einen am 05.11.2014 verkündeten Beschluss zurückgewiesen. Die Übertragung der Führungsaufgaben an Herrn R. stelle keine personelle Einzelmaßnahme i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG dar. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Herrn R. liege in Hamburg; er sei in den Hamburger Betrieb und nicht in den Betrieb 2 eingegliedert. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Gegen diesen ihm am 30.01.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18.02.2015 eingelegte Beschwerde des Betriebsrats, die er mit einem am 30.03.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Der Betriebsrat ist weiterhin der Auffassung, die Übertragung der Personalführungsaufgaben an Herrn R. stelle eine Einstellung in den Betrieb 2 dar, zu der er – der Betriebsrat – hätte beteiligt werden müssen.

Der Betriebsrat beantragt,

der Arbeitgeberin unter Änderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.11.2014 – 37 BV 3559/14 – aufzugeben, die Einstellung des Herrn R. aufzuheben.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass Herr R. dem Betrieb 2 nicht angehöre. Herr R. sei in den Hamburger Betrieb eingegliedert, weil er von dort aus seine Tätigkeit verrichte; er nehme an der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs 2, die in der Betreuung des Polizeipräsidenten in Berlin liege, nicht teil und habe auch sonst keinen Bezug zu diesem Betrieb.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 30.03, 21.05. und 10.06.2015 Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO) ist begründet.

Die Arbeitgeberin war unter Änderung des angefochtenen Beschlusses aufzugeben, die ohne Zustimmung des Betriebsrats erfolgte Einstellung des Herrn R. aufzuheben, § 101 Satz 1 BetrVG.

1. Die Arbeitgeberin hat Herrn R. in den Betrieb 2 eingestellt.

a) Eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG liegt vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist, für den der Betriebsrat zuständig ist. Eine Eingliederung ist jedenfalls gegeben, wenn ein Arbeitsverhältnis des einzustellenden Arbeitnehmers zum Betriebsinhaber besteht und der Arbeitnehmer innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringt, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs zu dienen bestimmt sind (BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 7 ABR 48/11 - AP Nr. 81 zu § 5 BetrVG 1972; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.2014 – BB 2014, 2298; Thüringer LAG, Beschluss vom 20.10.2011 – 6 TaBV 8/10 – juris; zur Eingliederung ohne Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vgl. BAG, Beschluss vom 13.05.2014 – 1 ABR 50/12 – NZA 2014, 1149). Die Eingliederung in die betriebliche Organisation hängt nicht davon ab, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb, d.h. auf dem Betriebsgrundstück bzw. in den Betriebsräumen, verrichtet. Zum Betrieb gehören vielmehr auch diejenigen Arbeitnehmer, die zur Erreichung des Betriebszwecks außerhalb des Betriebs eingesetzt werden; dies kann zur Folge haben, dass ein Arbeitnehmer in mehrere Betriebe des Arbeitgebers eingegliedert ist (Thüringer LAG, Beschluss vom 20.10.2011, a.a.O.; LAG Köln, Beschluss vom 22.10.2013 – 12 TaBV 64/13 – LAGE Nr. 7a zu § 78 BetrVG 2001).

b) Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat auf dieser Grundlage angenommen, dass bei unternehmensübergreifenden Matrixstrukturen allein die Bestellung eines Mitarbeiters zum Vorgesetzten zu seiner Eingliederung in den Betrieb der unterstellten Mitarbeiter und damit zu einem Beteiligungsrecht des in diesem Betrieb gebildeten Betriebsrats führen kann, wenn der Mitarbeiter zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs organisatorisch eingeplant werde. Dass die Tätigkeit nicht im Betrieb ausgeführt werde, sei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, dass der Mitarbeiter seinerseits Weisungen in einem anderen Betrieb erhalte (Beschluss vom 28.05.2014, a.a.O.).

c) Die Beschwerdekammer schließt sich der genannten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg an, wobei im vorliegenden Fall eine unternehmensübergreifende Maßnahme nicht zu beurteilen ist. Die Arbeitgeberin hat Herrn R., einen ihrer Arbeitnehmer, in den Betrieb 2 eingegliedert und damit eingestellt, indem sie ihm die Personalführung für die Beschäftigten dieses Betriebs übertrug. Herr R. erbringt diese Tätigkeit nach Vorgaben der Arbeitgeberin in persönlicher Abhängigkeit. Er trägt mit seiner Personalverantwortung zur Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs 2 bei; denn ohne eine fachliche und disziplinarische Führung des Personals können die dem Betrieb 2 obliegenden Arbeiten nicht sachgerecht verrichtet werden. Die Beklagte kann hiergegen nicht mit Erfolg geltend machen, Herr R. gehöre dem Betrieb Hamburg an. Zum einen kann ein Arbeitnehmer in mehrere Betriebe eingegliedert sein; zum anderen ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit in der Betriebsstätte verrichtet wird. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin spricht auch der Zweck des Mitwirkungsrechts nach § 99 BetrVG nicht gegen eine Eingliederung des Herrn R. in den Betrieb 2. Die Übertragung der Personalverantwortung kann vielmehr in mehrfacher Weise die Belange der Belegschaft des Betriebs 2 berühren und zu Zustimmungsverweigerungsrechten des Betriebsrats führen. So kann die Besorgnis bestehen, dass ein zuvor mit der Personalführung betrauter Beschäftigter infolge einer Neuzuweisung der Aufgaben gekündigt wird oder sonstige nicht gerechtfertigte Nachteile erleidet (§ 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG). Sollte im Hinblick auf einen neuen Personalverantwortlichen zu besorgen sein, er werde den Betriebsfrieden stören, kann ferner das Zustimmungs-verweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG in Betracht kommen. Wollte man bei dieser Sachlage eine Eingliederung des betreffenden Beschäftigten verneinen, könnte der Betriebsrat die ihm zum Schutz der Belegschaft übertragene Aufgabe, den Einsatz ggf. zu verhindern, nicht gerecht werden. Dass in Bezug auf Herrn R. die genannten Zustimmungsverweigerungsgründe nicht gegeben sind, ist dabei ohne Belang; denn der Betriebsrat ist nach § 99 Abs. 1 BetrVG vor jeder Einstellung zu beteiligen, auch wenn gegen die Maßnahme sprechende Gründe nicht vorliegen. Es ist schließlich auch ohne Bedeutung, dass es sich bei der Übertragung der Personalverantwortung für Herrn R. lediglich um eine arbeitsvertragliche Weisung handelt, der er in gleicher Weise wie andere ihm übertragene Aufgaben nachkommt. Denn für die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ist entscheidend, wie sich diese Weisung in Bezug auf den Betrieb 2 und seine Belegschaft darstellt, nämlich als Einstellung eines Beschäftigten mit herausgehobener Verantwortung.

2. Die Arbeitgeberin hat Herrn R. ohne die Zustimmung des Betriebsrats in den Betrieb 2 eingestellt. Sie ist deshalb nach § 101 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die Einstellung aufzuheben. Dass es sich bei Herrn R. um einen leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG handelt, was dem Aufhebungsantrag des Betriebsrats entgegenstehen würde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

III.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin war gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, wann eine Übertragung von Aufgaben eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG darstellt, hat grundsätzliche Bedeutung.