Berufsausbildung - Kündigung während der Probezeit

BAG Erfurt Az. 6 AZR 127/04 vom 16. Dez. 2004

Leitsatz

1. Die Vereinbarung einer Probezeit von drei Monaten im Berufsausbildungsvertrag ist auch dann nach § 13 S. 2 BBiG zulässig, wenn sich das Ausbildungsverhältnis an ein Arbeitsverhältnis anschließt. Die in dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit ist nicht auf die Probezeit anzurechnen, soweit die gesetzliche Mindestfrist von einem Monat überschritten wird.

2. Die Regelung in § 15 I BBiG, wonach das Berufsausbildungsverhältnis während der Probezeit jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann und damit im Unterschied zur Probezeitkündigung eines Arbeitsverhältnisses eine Kündigungsfrist von zwei Wochen (§ 622 III BGB) nicht eingehalten werden muss, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG. (Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung. Der Kl. war ab dem 11. 2. 2002 im Einzelhandelsunternehmen der Bekl. als Hilfskraft im Verkauf beschäftigt. Am 2. 8. 2002 schlossen die Parteien einen Berufsausbildungsvertrag zur Ausbildung des Kl. als Verkäufer im Einzelhandel ab dem 15. 8. 2002. Sie vereinbarten unter anderem eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 570 Euro brutto für das erste Ausbildungsjahr und eine Probezeit von drei Monaten. Mit einem dem Kl. am 17. 10. 2002 zugegangenen Schreiben vom selben Tag kündigte die Bekl. das Ausbildungsverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist und zahlte dem Kl. für die Zeit vom 1. 10. bis zum 17. 10. 2002 Ausbildungsvergütung in Höhe von 312,58 Euro brutto. Der Kl. hat gemeint, die Bekl. schulde ihm für die Zeit vom 1. 10. bis zum 17. 10. 2002 weitere Ausbildungsvergütung in Höhe von 10,42 Euro brutto und für die Zeit vom 18. 10. bis zum 31. 10. 2002 Ausbildungsvergütung in Höhe von 247 Euro brutto. Das Berufsausbildungsverhältnis habe nicht am 17. 10. 2002 geendet. Die Bekl. habe dieses nach Ablauf der Probezeit gekündigt. Die im Berufsausbildungsvertrag getroffene Probezeitvereinbarung sei unwirksam. Auf Grund seiner Vorbeschäftigung als Hilfskraft im Verkauf sei nur die gesetzliche Mindestprobezeit von einem Monat zulässig gewesen. Das Berufsausbildungsverhältnis wäre aber auch bei einer dreimonatigen Probezeit durch die Kündigung der Bekl. vom 17. 10. 2002 nicht vor Ablauf der für ein Probearbeitsverhältnis geltenden Kündigungsfrist von zwei Wochen (§ 622 III BGB) beendet worden. Das Absehen von jeglicher Kündigungsfrist in § 15 I BBiG verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG). Der Kl. hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zuletzt beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an den Kl. 257,42 Euro brutto zu zahlen.

Das ArbG hat der Klage im Umfang des Anerkenntnisses der Bekl. stattgegeben, im Übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das LAG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. sein Klageziel weiter. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LAG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kl. steht weitere Ausbildungsvergütung nicht zu.

I. Die Revision ist mangels ordnungsgemäßer Begründung unzulässig, soweit der Kl. für die Zeit vom 1. 10. bis zum 17. 10. 2002 weitere Ausbildungsvergütung in Höhe von 10,42 Euro brutto beansprucht.

1. Zur Zulässigkeit der Revision gehört deren Begründung (§ 72 V ArbGG i.V. mit § 551 III Nr. 2 ZPO). Bei einer materiell-rechtlichen Rüge sind die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 III Nr. 2 lit. a ZPO). Die Angabe der verletzten Rechtsnorm wird - anders als in § 554 III Nr. 3 lit. a ZPO a.F. - nicht mehr verlangt. Es ist aber nach wie vor erforderlich, dass sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinander setzt (BAGE 105, 205 [207] = NZA 2003, 976; BAG, NZA 2004, 114 = AP ZPO 2002 § 551 Nr. 1 = EzA ArbGG 1979 § 74 Nr. 3 [zu I 2a]; BAGE 87, 41 = NJW 1998, 2470 = NZA 1998, 336). Diese muss den Rechtsfehler des LAG so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind (BAG, NJW 2004, 1683 = NZA 2004, 449 = AP ArbGG 1979 § 74 Nr. 11 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 1).

2. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung des Kl. nicht, soweit das LAG die Berufung des Kl. für unzulässig gehalten und angenommen hat, der Kl. sei in Höhe des ihm vom ArbG zuerkannten Betrags von 10,42 Euro brutto nicht beschwert. Die Revisionsbegründung setzt sich mit diesen Urteilsgründen nicht auseinander.

II. Die weitergehende Revision des Kl. ist unbegründet. Der Kl. hat nach § 10 I 1 BBiG für die Zeit vom 18. 10. bis zum 31. 10. 2002 keinen Anspruch auf Ausbildungsvergütung. Das Berufsausbildungsverhältnis hat während der Probezeit auf Grund der Kündigung der Bekl. vom 17. 10. 2002 an diesem Tag geendet. Nach § 15 I BBiG kann das Berufsausbildungsverhältnis während der Probezeit jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Entgegen der Auffassung des Kl. ist die Probezeitvereinbarung wirksam.

1. Eine Probezeit von drei Monaten benachteiligt den Kl. nicht unangemessen i.S. von § 307 I 1 BGB. Nach § 307 III 1 BGB gelten die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Die Probezeitvereinbarung der Parteien weicht von der Regelung in § 13 S. 2 BBiG nicht ab, wonach die Probezeit mindestens einen Monat betragen muss und höchstens drei Monate betragen darf. Zu Unrecht meint der Kl. deshalb auch, die Probezeitvereinbarung verstoße gegen die guten Sitten und sei nach § 138 I BGB nichtig.

2. Die in dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit ist nicht auf die Probezeit anzurechnen, soweit diese die gesetzliche Mindestfrist von einem Monat überschreitet. Für eine Anrechnung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

a) Der Wortlaut des § 13 S. 2 BBiG enthält keine Angaben darüber, dass die Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses bei einer längeren Vorbeschäftigung des Auszubildenden in einem Arbeitsverhältnis die gesetzliche Mindestprobezeit verabreden müssen.

b) Ein solches Auslegungsergebnis gibt auch der Zweck der Probezeit nicht vor. § 13 BBiG will einerseits sicherstellen, dass der Ausbildende den Auszubildenden dahin gehend überprüfen kann, ob dieser für den zu erlernenden Beruf geeignet ist (vgl. BT-Dr V/4260, S. 10) und sich in das betriebliche Geschehen mit seinen Lernpflichten einordnen kann (BAG, NZA 1992, 506 = AP BBiG § 13 Nr. 2 = EzA BBiG § 13 Nr. 2 [zu B IV 3a]). Nach der Probezeit kann der Ausbildende das Berufsausbildungsverhältnis nach § 15 II Nr. 1 BBiG nur noch aus einem wichtigen Grund kündigen. Andererseits muss die Prüfung, ob der gewählte Beruf seinen Vorstellungen und Anlagen entspricht, auch dem Auszubildenden möglich sein. Diese Prüfungspflicht beider Parteien entfällt nicht auf Grund einer Vorbeschäftigung des Auszubildenden in einem Arbeitsverhältnis. Berufsausbildung und Arbeitsleistung sind nicht gleichzusetzen (BAG, NZA 2001, 150 = AP BBiG § 3 Nr. 7 = EzA BBiG § 16 Nr. 3 [zu 2e]). Dem stehen die ganz unterschiedlichen Pflichtenbindungen beider Vertragsverhältnisse entgegen (BAG, NZA 2004, 269 = AP MTA-O § 1 Nr. 1 [zu 2bb]). Während ein Arbeitnehmer nach § 611 I BGB die Leistung der versprochenen Dienste gegen Zahlung eines Entgelts schuldet, hat ein Auszubildender sich zu bemühen, die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die erforderlich sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen (§ 9 S. 1 BBiG). Verrichtungen hat er nach § 9 S. 2 Nr. 1 BBiG nur im Rahmen des Ausbildungszwecks auszuführen.

3. Das Absehen von jeglicher Kündigungsfrist in § 15 I BBiG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

a) Ohne Erfolg macht der Kl. geltend, § 15 I BBiG verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG). Dieses Prinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Bei der Erfüllung dieser Pflicht kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu (BVerfGE 97, 169 [185] = NJW 1998, 1475 = NZA 1998, 1381 m.w. Nachw.). Zu der Frage, ob und inwieweit ein Arbeitnehmern eingeräumter, zeitlich begrenzter Kündigungsschutz auch Auszubildenden gewährt werden muss, lässt sich dem Sozialstaatsprinzip nichts Näheres entnehmen. Insofern setzt der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG den konkreteren Maßstab.

b) Der vom Kl. gerügte Verstoß gegen Art. 3 I GG liegt nicht vor. Die Ungleichbehandlung, dass ein Berufsausbildungsverhältnis nach § 15 I BBiG während der Probezeit auf Grund einer entfristeten ordentlichen Kündigung (BAG, NZA 1992, 506 = AP BBiG § 13 Nr. 2 = EzA BBiG § 13 Nr. 2 [zu B IV 3a aa]) beendet werden kann, während im Arbeitsverhältnis auch während der Probezeit nach § 622 III BGB eine Kündigungsfrist von zwei Wochen eingehalten werden muss, ist nicht gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber war durch Art. 3 I GG nicht daran gehindert, für Auszubildende und Arbeitnehmer unterschiedliche Regelungen zu treffen.

aa) Der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, soll in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG folgt allein aus der Ungleichbehandlung vergleichbarer Fallgruppen noch keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 I GG. Ein darauf bezogener Verstoß liegt erst vor, wenn die Ungleichbehandlung nicht in ausreichendem Maß gerechtfertigt werden kann. Hierfür stellt das BVerfG unterschiedliche Anforderungen (BVerfGE 90, 46 [56] = NZA 1994, 661; vgl. auch BAG, NZA 2004, 1399 = AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5 = EzA GG Art. 3 Nr. 101 [zu B II 3c cc] m.w. Nachw.). Diese bestimmen sich nach dem jeweiligen Regelungsgegenstand und den jeweiligen Differenzierungsmerkmalen und reichen vom bloßen Willkürverbot bis hin zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse.

Der strengere Prüfungsmaßstab gilt bei der hier gegebenen Ungleichbehandlung von Personengruppen (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 90, 46 [56] = NZA 1994, 661; BVerfGE 82, 126 [146] = NZA 1990, 721).

Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 90, 

46 [56] = NZA 1994, 661 m.w. Nachw.). Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 82, 126 [146] = NJW 1990, 2246 = NZA 1990, 721 m.w. Nachw.).

bb) Das Absehen von einer Kündigungsfrist in § 15 I BBiG im Unterschied zu der in § 622 III BGB für Arbeitnehmer getroffenen Regelung ist auf Grund der unterschiedlichen Pflichtenbindungen und Schutzbedürfnisse sachlich gerechtfertigt.

(1) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwingt den Arbeitnehmer in der Regel dazu, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen und sich auf neue Arbeitsbedingungen einzustellen. Ob er einen neuen Arbeitsplatz mit möglichst gleichem Verdienst und gleichwertigen Bedingungen findet, hängt bei typisierender Betrachtung auch davon ab, wieviel Zeit ihm für die Arbeitsplatzsuche zur Verfügung steht. Dem sollen die Kündigungsfristen Rechnung tragen und den Übergang zu einer neuen Stelle erleichtern (BVerfGE 82, 126 [147] = NJW 1990, 2246 = NZA 1990, 721). Der gekündigte Arbeitnehmer, der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf die vereinbarte Vergütung hat, kann schon vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle suchen und die erforderlichen Dispositionen im privaten Bereich treffen. Dieses Ziel verfolgt auch die in § 622 III BGB geregelte Kündigungsfrist von zwei Wochen.

Sie bewirkt einen zeitlich begrenzten Kündigungsschutz (ErfK/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 622 BGB Rdnr. 1 m.w. Nachw.). Die Mindestkündigungsfrist von zwei Wochen hat auch der Arbeitnehmer einzuhalten, wenn er das Arbeitsverhältnis während der Probezeit kündigt. § 622 III BGB schützt damit auch die Personalplanung des Arbeitgebers (ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rdnr. 1).

(2) Demgegenüber liegt ein zeitlich begrenzter Kündigungsschutz nach einer Kündigung während der Probezeit weder im Interesse des Ausbildenden noch im Interesse des Auszubildenden. Die Hauptpflicht des Ausbildenden besteht nach § 6 BBiG darin, dem Auszubildenden die für das Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Der Auszubildende schuldet im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung gegen Zahlung eines Entgelts, sondern hat sich nach § 9 S. 1 BBiG zu bemühen, die für das Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben. Besteht der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlussprüfung, endet das Berufsausbildungsverhältnis mit dem Bestehen der Abschlussprüfung (§ 14 II BBiG). Nach dem Erreichen des Ausbildungsziels besteht kein Grund mehr, den Ausbildenden und den Auszubildenden bis zum Ablauf der vereinbarten Ausbildungszeit an ihre Pflichten aus dem Ausbildungsverhältnis zu binden. Ebenso verhält es sich, wenn eine Kündigung während der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis beendet und das Ziel der Ausbildung damit nicht mehr erreicht werden kann. Eine fortbestehende Verpflichtung des Ausbildenden zur Ausbildung und des Auszubildenden, sich ausbilden zu lassen, ginge ebenso wie bei einer Fortsetzung der Ausbildung nach dem Erreichen des Ausbildungsziels ins Leere.