Individuelle Arbeitszeit und Betriebsvereinbarung

BAG Erfurt Az. 1 AZR 57/92 vom 23. Juni 1992

Leitsatz

Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien bei Abschluß des Arbeitsvertrages die zu diesem Zeitpunkt im Betrieb geltende Regelung über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage, liegt darin keine individuelle Arbeitszeitvereinbarung, die gegenüber einer späteren Veränderung der betrieblichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung Bestand hat. Der Arbeitnehmer, der aus persönlichen Gründen an einer bestimmten, von der betriebsüblichen Arbeitszeit unabhängigen Lage der Arbeitszeit Interesse hat, muß diese Unabhängigkeit mit dem Arbeitgeber auch dann vereinbaren, wenn die zur Zeit des Abschlusses des Arbeitsvertrages geltende betriebliche Arbeitszeit seinen Interessen entspricht.

Tatbestand

Die Kläger sind seit 1982 bei der Beklagten als Packer beschäftigt. Schriftliche Arbeitsverträge wurden nicht abgeschlossen. Auf die Arbeitsverhältnisse findet der Rahmen-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Ernährungsindustrie in Baden-Württemberg, gültig ab 1. Juli 1979, Anwendung, dessen § 1 Nr. 2 a vorsieht, daß Bestimmungen über die Arbeitszeit einschließlich der Zuschläge und Zulagen in Zusatzverträgen für die einzelnen Wirtschaftszweige oder Firmen getrennt ausgehandelt werden.

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Die Kläger arbeiteten seit ihrer Einstellung bis zum Januar 1990 an den Tagen Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Seit Januar 1990 arbeiteten sie zunächst im dreiwöchentlichen Wechsel mit einem Arbeitsbeginn um 6.00 Uhr, 7.00 Uhr und 9.00 Uhr. In einer Betriebsvereinbarung vom 6./7. Juli 1990 über "Wechselschichtzuschläge" wurde unter Ziffer 2 vereinbart, daß "die Einführung von Schichtarbeit und die Arbeitszeiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat den betrieblichen Erfordernissen entsprechend jeweils in einer gesonderten Vereinbarung geregelt werden". Gemäß einer Erklärung vom 28. November 1990 bestätigte der Betriebsrat, daß er den im Packraum versetzten Arbeitszeiten mit Beginn um 6.00 Uhr, 7.00 Uhr und 9.00 Uhr zugestimmt habe. Grundlage hierfür sei ein Beschluß des Betriebsrats vom 7. September 1990.

Ab Januar 1991 arbeiteten die Kläger in dreiwöchentlichem Wechsel von 6.00 Uhr bis 15.00 Uhr, 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr und 13.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Am 1. März 1991 schlossen Betriebsrat und Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung "zur Ergänzung der Betriebsvereinbarung über Wechselschichtzuschläge", die rückwirkend zum 1. Januar 1991 gelten sollte.

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Mit ihren Klagen wenden sich die Kläger gegen die Änderung ihrer Arbeitszeiten. Nach ihrer Darstellung ist bei ihrer Einstellung eine Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr vereinbart worden. Darüber hinaus, so meinen die Kläger, sei die Regelung durch tatsächliche, jahrelange Ausübung als betriebliche Übung Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden, der von der Beklagten nicht einseitig habe geändert werden können. Eine Änderung der Arbeitszeiten sei auch nicht durch die zustimmende Erklärung des Betriebsrats vom November 1990 herbeigeführt worden, da der Zusatztarifvertrag eine Festlegung der Arbeitszeiten nur durch förmliche Betriebsvereinbarung zulasse. Zwar hätten Betriebsrat und Geschäftsleitung am 1. März 1990 eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Wechselschichten abgeschlossen. Diese Betriebsvereinbarung sei jedoch wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, wie auch deswegen unwirksam, weil die getroffene Regelung im Vergleich zu der arbeitsvertraglichen Arbeitszeitregelung insgesamt ungünstiger sei.

Die Kläger haben beantragt:

1. festzustellen, daß die geänderten Arbeitszeiten der Kläger ab 1. September 1990 unwirksam sind,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr) weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, zwischen den Parteien sei mangels besonderer Festlegung die jeweils betriebsübliche Arbeitszeit im Bereich der Packerei vereinbart gewesen. Bereits im September 1990 sei in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 2 Nr. 2 des Zusatztarifvertrages die Arbeitszeitänderung mit dem Betriebsrat vereinbart worden. Damit sei die tägliche Arbeitszeit zunächst durch Regelungsabrede und dann durch förmliche Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 rückwirkend ab 1. Januar 1991 auch für die Kläger festgelegt worden. Insgesamt könne die in der Betriebsvereinbarung geregelte Arbeitszeit auch nicht als ungünstiger gegenüber früheren Regelungen angesehen werden.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstreben die Kläger Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, von der Beklagten nur in der Zeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr beschäftigt zu werden.

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II. Soweit die Anträge zulässig sind, sind sie nicht begründet. 1.Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in der Packerei für die Zeit ab 1. Januar 1991 ist durch die Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 festgelegt worden. Ob dies mit Rückwirkung für die Monate Januar und Februar 1991 geschehen konnte, bedarf keiner Entscheidung. Die Kläger haben zu den so festgelegten Arbeitszeiten gearbeitet. Ob sie verpflichtet sind, zu diesen Arbeitszeiten zu arbeiten, ist nur für die Zukunft von Interesse. Auch zu den von den Klägern gewünschten Arbeitszeiten von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr kann die Beklagte die Kläger nur in der Zukunft beschäftigen.

Gegen die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 bestehen keine Bedenken. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Diese Festlegung ist hinsichtlich der Arbeitszeit der in der Packerei beschäftigten Arbeitnehmer durch die Betriebsvereinbarung erfolgt. Die tarifliche Vorgabe in § 2 Nr. 2 des Zusatztarifvertrages, daß die "Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche (Montag - Freitag = 5-Tage-Woche)" zu verteilen sei, hat die Betriebsvereinbarung beachtet.

Diese Betriebsvereinbarung wirkt nach § 77 Abs. 4 BetrVG normativ und zwingend auch für die Arbeitsverhältnisse der Kläger.

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Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß zu Beginn der Arbeitsverhältnisse der Kläger im Betrieb eine betriebsübliche Arbeitszeit an den Tagen Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr galt. Es hat weiter festgestellt, daß die Kläger nicht behauptet haben, mit der Beklagten eine Arbeitszeit vereinbart zu haben, die von der betriebsüblichen Arbeitszeit unabhängig sein sollte, und daß die Kläger sieben Jahre lang zu dieser betriebsüblichen Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr gearbeitet haben. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen hat die Revision eine begründete Rüge nicht erhoben.

Soweit die Revision geltend macht, bei der Einstellung der Kläger im Jahre 1982 sei eine Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr vereinbart worden, steht das den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entgegen.

Es liegt auf der Hand, daß bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses von den Parteien auch vereinbart wird, zu welchen Zeiten die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Das kann ausdrücklich oder auch konkludent erfolgen. Werden dabei keine anderen Zeiten vereinbart, hat diese Vereinbarung diejenigen Arbeitszeiten zum Inhalt, die zur Zeit des Abschlusses des Arbeitsvertrages im Betrieb gelten. Von daher trifft es auch zu, daß die Parteien bei Abschluß des Arbeitsvertrages eine Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr vereinbart haben.

Entgegen der Ansicht der Klägerin hat eine solche Vereinbarung jedoch nicht zum Inhalt, daß die so vereinbarten Arbeitszeiten dergestalt Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden, daß sie nur durch eine Änderung des Arbeitsvertrages - ggf. über eine Änderungskündigung - geändert werden können. Inhalt einer solchen Vereinbarung ist vielmehr lediglich, daß die vereinbarte Arbeitsleistung zu den jeweiligen wirksam bestimmten betrieblichen Arbeitszeiten zu erbringen ist. Der Arbeitgeber ist aufgrund seines Weisungsrechtes (Direktionsrechtes) berechtigt, einseitig die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers u.a. hinsichtlich der Arbeitszeit näher zu bestimmen. Dieses Weisungsrecht findet seine Grenzen in den Vorschriften der Gesetze, des Kollektiv- und des Einzelarbeitsvertragsrechtes. Dieses Weisungsrecht ist durch die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG eingeschränkt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ist durch die Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 gewahrt. Gesetzliche Vor schriften hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit stehen der in der Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 geregelten Arbeitszeit nicht entgegen. Die bei Abschluß des Arbeitsvertrages getroffene Vereinbarung, die Kläger sollten zu der damals im Betrieb geltenden Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr ihre Arbeitsleistung erbringen, stellt eine vertragliche Einschränkung dieses Direktionsrechtes des Arbeitgebers nicht dar.

Die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer eines Betriebes muß regelmäßig zu gleichen Zeiten erbracht werden. Schon das spricht gegen den Willen des Arbeitgebers, mit jedem Arbeitnehmer individuell eine unveränderliche Lage der Arbeitszeit zu vereinbaren. Die Lage der Arbeitszeit im Betrieb unterliegt aus unterschiedlichen Gründen einem beständigen Wechsel. Wirtschaftliche und technische Gründe können eine Änderung der Lage der Arbeitszeit ebenso erforderlich machen, wie Wünsche der Arbeitnehmer nach einem anderen Arbeitsbeginn oder Arbeitsende. Das Initiativrecht des Betriebsrates setzt diesen in die Lage, Interessen der Arbeitnehmer an einer anderen Lage der Arbeitszeit durchzusetzen. Auch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit macht regelmäßig eine Änderung der Lage der Arbeitszeit erforderlich. Diese Umstände sind allgemein bekannt. Von daher kann in der Vereinbarung der z. Z. des Abschlusses des Arbeitsvertrages im Betrieb geltenden Lage der Arbeitszeit nicht eine Vereinbarung des Inhaltes gesehen werden, daß diese derzeit geltende Arbeitszeit unabhängig von der jeweiligen betrieblichen Arbeitszeit unverändert für dieses Arbeitsverhältnis gelten soll. Der Arbeitnehmer, der aus persönlichen Gründen gleich welcher Art ein Interesse an einer bestimmten Lage seiner Arbeitszeit hat, muß daher mit dem Arbeitgeber vereinbaren, daß seine Arbeitszeit von der betriebsüblichen Arbeitszeit unabhängig sein und nur im gegenseitigen Einvernehmen soll geändert werden können. Das gilt auch dann, wenn die z. Z. des Abschlusses des Arbeitsvertrages geltende betriebsübliche Arbeitszeit den Wünschen und Vorstellungen des Arbeitnehmers entspricht.

An einer solchen individuell vereinbarten Lage der Arbeitszeit fehlt es im vorliegenden Falle. Sie wird auch von den Klägern nicht behauptet. Die Kläger sind lediglich der Ansicht, die Vereinbarung der z. Z. des Abschlusses der Arbeitsverträge geltenden betrieblichen Arbeitszeit mache diese ohne weiteres zu einer individuell vereinbarten Arbeitszeit, die gegenüber späteren Änderungen durch den Arbeitgeber oder durch eine Betriebsvereinbarung Bestand habe. Das aber trifft nach dem Gesagten nicht zu.

3. Auch der Umstand, daß die bei Abschluß des Arbeitsvertrages geltende und vereinbarte betriebliche Arbeitszeit über sieben Jahre hin beibehalten worden ist und die Kläger nur zu dieser Arbeitszeit gearbeitet haben, führt nicht dazu, daß gerade diese Arbeitszeit als individuell vereinbarte Arbeitszeit Inhalt der Arbeitsverträge der Kläger geworden ist. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, daß eine Konkretisierung der Lage der Arbeitszeit auf einen unveränderbaren Vertragsinhalt noch nicht dadurch eintritt, daß die Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hin stets zur selben Zeit gearbeitet haben. Zum reinen Zeitablauf müßten vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, daß künftig der Arbeitnehmer nur noch zu dieser Zeit zur Arbeit verpflichtet sein soll. Solche Umstände sind im vorliegenden Falle nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht behauptet worden. Die Tatsache, daß - wie die Kläger behaupten - der Beklagten ihre familiären Umstände bekannt waren, besagt nicht, daß die Beklagte gerade mit Rücksicht auf diese Umstände die Kläger über Jahre hinweg in der Zeit von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr beschäftigt hat. Vielmehr ist nur die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer des Betriebes und damit die betriebsübliche Arbeitszeit über lange Zeit unverändert geblieben. Die Kläger konnten daraus nicht den Schluß ziehen, die Beklagte werde sie mit Rücksicht auf ihre familiären Umstände künftig zu keiner anderen Arbeitszeit beschäftigen.

4. Der Umstand, daß im Betrieb über längere Zeit die Lage der Arbeitszeit unverändert bleibt, begründet schließlich keine betriebliche Übung, die Grundlage für einen Anspruch der Kläger sein könnte, nur noch von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr beschäftigt zu werden. Aus der Beibehaltung einer bestimmten Lage der Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum allein können die Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht auf den Willen des Arbeitgebers schließen, diese Arbeitszeit auch künftig unverändert beizubehalten.

Haben damit die Kläger keine individuelle Vereinbarung hinsichtlich der Lage ihrer Arbeitszeit getroffen, vielmehr lediglich die jeweilige betriebliche Arbeitszeit vereinbart, so konnte diese durch die Betriebsvereinbarung vom 1. März 1991 auch mit Wirkung für die Kläger geändert werden. Das Landesarbeitsgericht hat damit ihre Klage zu Recht abgewiesen, so daß die Revision der Kläger unbegründet ist.