Mitbestimmung bei Schichtwechsel

BAG Erfurt Az. 1 ABR 33/88 vom 27. Juni 1989

Leitsatz

Wird in einem Betrieb im Schichtbetrieb gearbeitet, so unterliegt auch die Regelung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer von einer Schicht in die andere umgesetzt werden können, dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs 1 Nr 2 BetrVG.

Tatbestand

A. Der Arbeitgeber betreibt eine Glasfabrik. Er beschäftigt in seinem in A gelegenen Betrieb etwa 1.000 Arbeitnehmer. 800 von ihnen arbeiten im Schichtbetrieb, davon etwa 350 im vollkontinuierlichen Vier-Schicht-Betrieb, der Rest im Drei-Schicht-Betrieb. Der Schichtplan wird jeweils für längere Zeit im voraus aufgestellt. Im Betrieb bestehen kleinere Arbeitseinheiten, denen jeweils eine bestimmte Anzahl von Funktionen zugeteilt ist. Sind zum Beispiel für eine Arbeitseinheit acht Funktionen ausgewiesen, so gehören ihr zehn Mitarbeiter an, zwei von ihnen als Reserve. Jeder Mitarbeiter ist einer bestimmten Schicht zugeteilt.

Im Betrieb des Arbeitgebers ergibt sich - z.B. aufgrund von Krankheit oder Urlaub, aber auch, wenn ein Arbeitnehmer ausscheidet - immer wieder die Situation, daß eine Arbeitseinheit unterbesetzt ist, während eine andere keine Ausfälle hat und voll besetzt ist. In solchen Situationen nimmt der Arbeitgeber einen Mitarbeiter aus der vollbesetzten Arbeitseinheit heraus und weist ihm eine Tätigkeit in der unterbesetzten Arbeitseinheit zu. Dies geschieht auch dann, wenn es dadurch für den betroffenen Mitarbeiter vorübergehend oder auf Dauer zu einem Schichtwechsel kommt. Ein solcher Schichtwechsel ergibt sich nach Angaben des Arbeitgebers etwa zwei- bis viermal monatlich, nach Angaben des Betriebsrats häufiger, so 26mal in den letzten drei Monaten. Den Schichtwechsel nimmt der Arbeitgeber vor, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. Darin sieht dieser eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts.

Am 8. September 1986 übernahm der Arbeitgeber den Mitarbeiter W., der im vollkontinuierlichen Vier-Schicht-Betrieb arbeitete, von der Schicht 4-4, in der er bisher tätig war, in die Schicht 1-4. Dadurch ergab sich für W. eine andere Verteilung der Wochenarbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sowie eine Änderung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, beim Wechsel eines Arbeitnehmers von einer Schicht des Vier-Schicht-Betriebes in eine andere handele es sich um eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG, die nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtig sei. Ein Schichtwechsel führe zu einer den Arbeitnehmer berührenden Änderung der Umstände der Arbeitsleistung. Er müsse mit neuen Arbeitskollegen zusammenarbeiten, sei einem neuen Vorgesetzten unterstellt und müsse zugleich seine Arbeitsaufgabe innerhalb einer anderen Arbeitsorganisation erbringen.

Darüber hinaus bringe der vom Arbeitgeber veranlaßte Schichtwechsel sowohl eine Veränderung der Arbeitszeitverteilung auf die einzelnen Wochentage als auch eine vorübergehende Verkürzung bzw. vorübergehende Verlängerung der Wochenarbeitszeit für den jeweils betroffenen Arbeitnehmer mit sich. Der Schichtwechsel, den der Arbeitgeber im Fall W. vorgenommen habe, stelle einen kollektiven Tatbestand dar, weil Maßnahmen dieser Art Arbeitnehmer beträfen, die in einer völlig identischen Vertragssituation zum Arbeitgeber stünden. Es seien keine betrieblichen oder persönlichen Belange oder Besonderheiten ersichtlich, die den Arbeitgeber veranlaßt haben könnten, gerade W. und nicht etwa einen anderen Arbeitnehmer auszuwählen.

Der Betriebsrat hat in erster Instanz vom Arbeitgeber die Rückgängigmachung der Versetzung des Mitarbeiters W. aus Schicht 4 in Schicht 1 verlangt. In zweiter Instanz hat er beantragt festzustellen, daß der durch den Arbeitgeber am 8. September 1986 veranlaßte Schichtwechsel des Arbeitnehmers W. von Schicht 4 in Schicht 1 des vollkontinuerlichen 4-Schicht-Betriebes unter Verstoß gegen die §§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 sowie §§ 99100 BetrVG erfolgt ist.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Bei einem Schichtwechsel eines Arbeitnehmers liege keine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne vor. Dem Arbeitnehmer werde durch die Umsetzung kein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen, weil der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe und das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers sich nicht ändere. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ergebe sich auch nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Durch die Umsetzung eines Arbeitnehmers würden Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nicht verändert. Die mit dem Betriebsrat abgestimmten Schichtpläne blieben unverändert und würden eingehalten.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht unter Abweisung des Antrags im übrigen festgestellt, daß der durch den Arbeitgeber am 8. September 1986 veranlaßte Schichtwechsel des W. von Schicht 4 in Schicht 1 unter Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfolgt ist. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Arbeitgeber die Abweisung des Antrags in vollem Umfange, während der Betriebsrat um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.

Gründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet.

....

1. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht ergebe sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage.

Der Senat hat im Beschluß vom 28. Oktober 1986 entschieden, dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterfalle nicht nur die Frage, ob im Betrieb überhaupt in mehreren Schichten gearbeitet werden soll und wann die einzelnen Schichten beginnen und enden sollen. Es umfasse auch den Schicht- oder Dienstplan selbst. Damit unterliegt auch die nähere Ausgestaltung des jeweiligen Schichtsystems im Detail der Mitbestimmung bis hin zu Fragen, in wieviel Schichten die Belegschaft aufzuteilen ist und welche Arbeitnehmer den einzelnen Schichten persönlich zuzuordnen sind.

2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht für Schichtumsetzungen aus betrieblichem Anlaß das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands bejaht. Wie bei § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG wird dieser kollektive Tatbestand dadurch ausgewiesen, daß sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berührt.

a) Mit der Anordnung des Schichtwechsels von Arbeitnehmern aus betrieblichem Anlaß stellt sich eine solche Regelungsfrage, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berührt. Es ist die Frage zu regeln, wie bei aus bestimmten Anlässen erforderlich werdendem Schichtwechsel zu verfahren ist. Die Besetzung einer Schicht und damit auch das Auffüllen einer unvollständigen Schicht durch Hereinnahme eines Mitarbeiters aus einer anderen Schicht ist als durch betriebliche Belange bedingt anzusehen. Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, daß sich bei einem Schichtwechsel, durch den sich für den davon betroffenen Arbeitnehmer Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit und die Verteilung seiner Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ändert, stets die Frage stellt, wer von mehreren in Betracht kommenden Arbeitnehmern für den Schichtwechsel ausgewählt werden soll und welche Kriterien für die Auswahl maßgebend sein sollen. Bei einem für einen längeren Zeitraum erforderlichen Schichtwechsel ist weiter zu regeln, ob ein Arbeitnehmer oder mehrere Arbeitnehmer den gesamten Bedarfszeitraum abdecken; so kann z.B. die Anzahl zulässiger Schichtwechsel je Arbeitnehmer pro Monat und Jahr limitiert werden.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts besteht im Betrieb des Arbeitgebers insoweit ein Regelungsproblem unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Zu Unrecht macht der Arbeitgeber mit der Rechtsbeschwerde geltend, nur den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Umstände veranlaßten oder bestimmten die Anordnung eines Schichtwechsels. Bei einem aus bestimmten betrieblichen Anlässen erforderlich werdendem Schichtwechsel - wie Krankheit, Urlaub usw. - geht es gerade nicht um eine Einzelfallregelung.

b) Unbegründet ist auch der Einwand des Arbeitgebers, die betrieblichen Anlässe, die einen Schichtwechsel bedingen, seien so unterschiedlich, daß eine Regelung des gesamten Komplexes nicht möglich sei. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung eines Schichtwechsels hat in erster Linie die gemeinsame Regelung der Frage zum Inhalt, wie bei aus bestimmten Anlässen erforderlich werdendem Schichtwechsel zu verfahren ist; eine solche Regelung kann auch zum Inhalt haben, daß der Arbeitgeber bestimmte Schichtwechsel unter im einzelnen geregelten Voraussetzungen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats im Einzelfall anordnen darf (vgl. die entsprechenden Ausführungen des Senats zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Mehrarbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in den Beschlüssen vom 12. Januar 1988 und vom 22. November 1988. Eine solche Regelung kann dem "Regelungsbedürfnis" der betreffenden Angelegenheit Rechnung tragen, das nach der Rechtsprechung des Senats gerade das Merkmal dafür ist, daß diese Maßnahme - gegebenenfalls auch gegenüber einem einzigen Arbeitnehmer - einen "kollektiven Bezug" hat.