Arbeitszeit darf nicht durch Betriebsvereinbarung verlängert werden

ArbG Frankfurt/Main Az. 4 Ca 5146/00 vom 16. Okt. 2001

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.508,91 (i.W.: Eintausendfünfhundertundacht 91/100 Deutsche Mark) brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2000 aus DM 1.110,40 brutto sowie 5% über dem Basiszinssatz seit dem 06.02.2001 aus DM 398.51 brutto sowie DM 442,27 (i.W.: Vierhundertzweiundvierzig 27/100 Deutsche Mark) brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz aus dem DM 442,27 brutto entsprechenden Nettobetrag seit dem 20.03.2001 sowie DM 641,72 (i.W.: Sechshunderteinundvierzig 72/100 Deutsche Mark) brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.05.2001 zu zahlen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 2.592,90 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.

Der am X geborene Kläger ist mit Arbeitsvertrag vom 14. Dezember 1987 seit dem 01.08.1988 bei der Beklagten als Werkzeugmacher zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von zuletzt DM 4.523.– beschäftigt. Im Arbeitsvertrag, wegen dessen Inhalt auf BI. 16 und wegen der durch die Beklagte zunächst gerügten fehlenden Unterschrift auf das unterschriebene Exemplar BI. 64 d. A. Bezug genommen wird, heißt es unter Ziff. 7:

“Im Übrigen gelten die Tarifbestimmungen der Hess. Metallindustrie.”

Seit dem 01.04.1993 sieht der gemeinsame Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustriedes Landes Hessen eine wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden und seit dem 01.10.1995 eine wöchentliche Arbeitszeit von 35. Stunden vor (vgl. § 2 GMTV). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GMTV ist Mehrarbeit bei Vollzeitbeschäftigung die über die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 2 Ziff. 1) in der Woche hinausgehende Arbeitszeit. Bis April 1999 arbeitete der Kläger im Betrieb der Beklagten 37,5 Stunden pro Woche.

Mit Betriebsvereinbarung vom 21. April 1999, wegen deren Inhalt auf BI. 39 – 40 d. A. Bezug genommen wird, vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat ab dem 01.05.1999 eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich. Diese Betriebsvereinbarung wurde durch die Betriebsvereinbarung vom 24.02.2000, wegen deren Inhalt auf BI. 41 – 42 d. A. Bezug genommen wird, mit insoweit inhaltsgleicher Regelung abgelöst. Der Kläger arbeitete ab dem 01.05.99 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich. Am 02.03.2000 erhob der Kläger Einspruch gegen diese Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich; wegen des Inhalts dieses Schreibens wird auf BI. 7 d. A. Bezug genommen. In der Folgezeit arbeitete der Kläger ab dem Monat April 2000 jeweils täglich eine halbe Stunde länger als 37,5 Stunden pro Woche und erbrachte somit eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden. Die Vergütungsdifferenz zwischen der 37,5-Stunden-Woche zur 40-StundenWoche einschließlich eines 25 %igen Überstundenzuschlages für die über 37,5 Stunden pro Woche hinaus geleistete Arbeitszeit beträgt für die Monate April 2000 bis Oktober 2000 rechnerisch unstreitig DM 1.508,91, für die Monate November und Dezember 2000 rechnerisch unstreitig DM 442,27 und für Januar 2001 bis März 2001 rechnerisch unstreitig DM 641,72.

Mit Schreiben vom 28.04.2000 teilte der Prozessvertreter des Klägers der Beklagten u. a. folgendes mit (vgl. BI. 5 d. A.):

“… Die Betriebsvereinbarung vom 24.02.00 ist unwirksam. … Eine einzelarbeitsvertragliche Regelung mit Herrn X liegt nicht vor, so dass wir Sie auffordern, entweder die 2,5 Stunden, die über die 37,5 Stunden pro Woche hinausgehen ab sofort zu vergüten oder die arbeitsvertraglich vereinbarte 37,5-Stunden-Woche ab sofort einzuhalten.

Wir möchten Sie bitten, uns umgehend über Ihr weiteres Vorgehen Zu informieren, jedoch spätestens mit der Abrechnung zum 10. Mai 2000 die mehr geleisteten Stunden zu vergüten.”

Mit am 27. Juli 2000 bei Gericht eingegangener, der Beklagten am 04.08.2000 zugestellter Klageschrift hat der Kläger die Vergütungsdifferenz für die Monate April bis Juni 2000 geltendgemacht und darüber hinaus einen Beschäftigungsanspruch mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden eingeklagt. Mit am 24.11.2000 eingegangener Klageerweiterung hat der Kläger die Vergütungsdifferenz bis Oktober 2000 geltendgemacht und im Kammertermin am 06.02.2001 die Vergütungsdifferenz für den Zeitraum April 2000 bis Oktober 2000 mit DM 1.508.91 beziffert. Mit Klageerweiterung vom 21.03.2001, der Beklagten zugestellt am 20.03.01 hat der Kläger seine Klage um die Vergütungsdifferenz für November und Dezember 2000, mit Klageerweiterung vom 16.05.2001, der Beklagten zugestellt am 22.05.01 um die Vergütungsdifferenz für die Monate Januar 2001 bis März 2001 und mit Schriftsatz vom 11.06.2001, der Beklagten zum Zwecke der Zustellung im Termin am 12.06.2001 übergeben, um die Vergütungsdifferenz für den Monat April 2001 erweitert. Den Beschäftigungsantrag aus der Klageschrift hat der Kläger im Kammertermin am 12.06.2001 mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünde für die über 37,5 Stunden pro Woche hinaus geleisteten 2,5 Stunden pro Woche die Vergütung einschließlich des 25 %igen Mehrarbeitszuschlags gemäß dem Tarifvertrag zu. Die Betriebsvereinbarungen vom 21.04.99 und vom 24.02.2000 seien unwirksam, da sie gegen § 77 Abs 3 BetrVG verstießen. Bei den geleisteten 2,5 Stunden pro Woche handle es sich auch um Überstunden, da die 40-Stunden-Woche gemäß den Betriebsvereinbarungen von der Beklagten angeordnet worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.508.91 brutto nebst 5 Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung vom 23 November 2000 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 442,27 brutto nebst 5 Zinsen über dem Basiszinssatz aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 641,72 brutto nebst 5 Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen und

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere DM 190.78 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen.

Der Beklagtenvertreter erklärte, dass er sich auf den Klageantrag zu 4) aus dem Schriftsatz vom 11.06.2001 nicht einlasse und beantragte im Übrigen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe die neue Arbeitszeitregelung auf der Basis von 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich konkludent angenommen, da er ab Mai 2000 ohne Vorbehalt entsprechend tätig gewesen sei. Auch wenn dieser Ansicht nicht gefolgt werde, stünde dem Kläger jedenfalls kein Mehrarbeitszuschlag zu, da die Beklagte keine Mehrarbeit angeordnet habe.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise, nämlich bis auf die Klageerweiterung im Schriftsatz vom 11.06.2001, zur Entscheidung reif, weshalb gemäß § 301 ZPO Teilurteil ergehen kann.

Dem Kläger steht die geltendgemachte Vergütungsdifferenz bis zum Monat März -01 in rechnerisch unstreitiger Höhe zu. Dieser Anspruch ergibt sich aus Ziff. 7 des Arbeitsvertrages i. V. m. dem einzelvertraglich in Bezug genommenen gemeinsamen Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metallund Elektroindustrie des Landes Hessen (im Folgenden GMTV). Auf Grund des einzelvertraglich in Bezug genommenen GMTV ist der Kläger gemäß § 2 Abs. 1 GMTV verpflichtet, ab dem 01. April 1993 36 Stunden und ab dem 01. Oktober 1995 35 Stunden pro Woche zu arbeiten. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger in dem fraglichen Zeitraum, für den er die Vergütungsdifferenz geltend macht, 40 Stunden pro Woche gearbeitet hat. Die 2,5 Stunden pro Woche, die der Kläger mithin über die von ihm akzeptierten 37,5 Stunden pro Woche hinaus gearbeitet hat. sind durch die vereinbarte monatliche Bruttovergütung nicht abgegolten. Die Beklagte ist vielmehr verpflichtet, diese 2,5 Stunden pro Woche zusätzlich zu vergüten. Aus § 4 Abs. 1 und aus § 6 Abs. 1 a GMTV ist zudem zu entnehmen. dass Mehrarbeit bei Vollzeitbeschäftigten die über die individuelle regelmäßige Arbeitszeit pro Woche hinausgehende Arbeitszeit ist und diese Mehrarbeit für die erste bis sechste Mehrarbeitsstunde pro Woche mit einem Zuschlag von 25 % zu bezahlen ist.

An diesem einzelvertraglichen Anspruch des Klägers vermögen die Betriebsvereinbarungen vom 21.04.99 und 24.02.2000 nichts zu ändern. Diese Betriebsvereinbarungen sind aus zwei Gründen unwirksam: Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Diese Vorschrift greift auch dann ein, wenn ein Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Von Tarifüblichkeit wird nämlich bereits dann gesprochen, wenn überhaupt für den räumlichen, betrieblichen und fachlichen Tätigkeitsbereich des Betriebes Tarifverträge über die jeweiligen Arbeitsbedingungen abgeschlossen zu werden pflegen. Der Begriff der Tarifüblichkeit im Sinn dieser Bestimmung ist weit auszulegen (BAG 16.09.1960 AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG 1953 Betriebsvereinbarung). Nach Ansicht des BAG muss der Tarifvertrag für die Branche repräsentativ sein,

d. h., die in tarifgebundenen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer müssen zahlenmäßig überwiegen. Davon ist beim GMTV auszugehen.

Die Betriebsvereinbarungen sind zudem auch deshalb unwirksam, da jedenfalls grundsätzlich (von der sog. verschlechternden Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit Gesamtzusagen abgesehen) durch eine Betriebsvereinbarung nicht in einzelvertraglich begründete Rechte eingegriffen werden darf und diese verschlechtert werden können.

Das Arbeitsverhältnis ist auch nicht etwa konkludent im Sinne des Inhalts der Be- triebsvereinbarungen abgeändert worden. Unstreitig hat sich der Kläger zunächst nicht gegen die Durchführung der Regelung der Betriebsvereinbarung vom 21.04.99 gewandt. Das stellt jedoch keine konkludente Abänderung des Arbeitsvertrages dar. Der Kläger muss als Werkzeugmacher nichts zum rechtlichen Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung sowie von Betriebsvereinbarung zum Arbeitsvertrag wissen. Soweit der Kläger sich zunächst an die von den Betriebsparteien geschlossene Betriebsvereinbarung hielt, konnte daraus auf Seiten der Beklagten kein Vertrauenstatbestand dahingehend entstehen, dass der Kläger die Regelung in der Betriebsvereinbarung auch dann akzeptiert, wenn er die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung kennt. Von daher ist der Kläger nicht gehindert, die Unwirksamkeit der zunächst hingenommenen Regelung geltendzumachen. Unabhängig von der Kenntnis des Klägers hinsichtlich der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung kann im Übrigen aus einer unwirksamen Betriebsvereinbarung auch keine betriebliche Übung erwachsen (vgl. BAG DB 1981, 274).

Der zugesprochene Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB; soweit der Zinsanspruch aus dem Bruttobetrag geltendgemacht wird, ist auch dieser Anspruch nach der neuen Rechtsprechung des BAG (BAG NZA 1999, 85) begründet.

Die Kostenentscheidung bleibt wegen der Einheitlichkeit dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.