Corona-Erkrankung nach Urlaub ist nicht selbst verschuldet

ArbG Kiel Az. 5 Ca 229 f/22 vom 27. Juni 2022

Der Fall: 

Die Arbeitnehmerin reiste im Frühjahr 2022 in die Dominikanische Republik. Diese war vom Robert-Koch-Institut zu jener Zeit mit einer Inzidenz von 377,7 als Hochrisikogebiet ausgewiesen worden. In Deutschland lag die Inzidenz seinerseits bei 878,9. Die Arbeitnehmerin war dreimal gegen Covid-19 geimpft. Rund eine Woche nach Beendigung der Reise war die Inzidenz in der Dominikanischen Republik auf 72,5 gefallen und in Deutschland auf 1.465,4 gestiegen.

Im direkten Anschluss an die Reise wurde die Arbeitnehmerin positiv auf Corona getestet. Sie legte dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die der Arbeitgeber allerdings nicht anerkannte. Er behauptete, die Arbeitnehmerin sei mangels Symptomen nicht arbeitsunfähig gewesen und habe zudem die Erkrankung durch ihren Reiseantritt schuldhaft herbeigeführt. Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Klage.

Die Entscheidung des Gerichts: 

Mit ihrer Klage setzte die Arbeitnehmerin erfolgreich die Entgeltfortzahlung durch. Das Arbeitsgericht Kiel führte aus, dass ein Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig sei, wenn er symptomlos Corona-positiv getestet ist und nicht im Home-Office tätig sein kann. Im Übrigen ließe die Mitteilung der Klägerin, dass es ihr „ganz gut gehe“, den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entfallen.

Schließlich habe die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit auch nicht im Sinne von § 3 Abs. 1 S.1 EntgFG verschuldet. Denn dies setzt einen groben Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen voraus. Einen solchen Verstoß verneinte das Gericht aber bei der dreifach geimpften Klägerin. Auch die Wertung des § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG finde keine Anwendung. Danach entfällt ein Entschädigungsanspruch, wenn jemand die Erkrankung oder Quarantäne „durch Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet“ hätte vermeiden können. Denn nach Auffassung des Gerichts kommt diese Vorschrift immer dann nicht zum Tragen, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet nicht deutlich über den Inzidenzwerten des Wohn- und Arbeitsortes beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland liegen.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: 

§ 56 Abs. 1 S. 4 IfSG ist immer im Verhältnis zu sehen: Entsprechen die Inzidenzwerte des Reiselandes denen in Deutschland oder liegen sogar darunter, geht die Reise in dieses Land selbst dann nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus, wenn dieses als Risikogebiet eingestuft wurde.