Schwerbehindertenvertretung - Vertretung der Vertrauensperson bei Verhinderung - Heranziehung stellvertretender Mitglieder nach § 95 Abs.1 Satz 4 SGB IX

BAG 7 ABR 35/03 vom 7. Apr. 2004

In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen beschäftigt sind, werden nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben vertritt. In Betrieben oder Dienststellen mit in der Regel mehr als 200 schwerbehinderten Menschen kann die Vertrauensperson gemäß § 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX das mit der höchsten Stimmzahl gewählte stellvertretende Mitglied zu bestimmten Aufgaben heranziehen. Die Heranziehung weiterer stellvertretender Mitglieder zur Aufgabenerledigung ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Das gilt auch für den Fall der Verhinderung des nach § 178 Abs.1 Satz 4 SGB IX herangezogenen Mitglieds. Sind die Vertrauensperson und das stellvertretende Mitglied mit der höchsten Stimmenzahl durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben iSd. §94 Abs.1 SGB IX verhindert, sind die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung bei Erforderlichkeit nur für die Dauer des jeweiligen Einzelfalls von dem stellvertretenden Mitglied mit der nächst höheren Stimmenzahl wahrzunehmen. Für die Dauer dieser Tätigkeit ist das stellvertretende Mitglied nach § 179 Abs. 4 Satz 1 SGB IX von seiner beruflichen Tätigkeit befreit. Einer Zustimmung oder Freistellung durch den Arbeitgeber bedarf es dazu nicht. Das hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts in einem Streit zwischen einer Schwerbehindertenvertretung und einem Arbeitgeber entschieden, in dessen Dienststelle ca. 300 schwerbehinderte Menschen beschäftigt sind. Die Schwerbehindertenvertretung besteht aus der Vertrauensperson und sechs stellvertretenden Mitgliedern. Die Vertrauensperson ist nach § 179 Abs. 4 Satz 2 SGB IX von der beruflichen Tätigkeit freigestellt. Sie zieht das stellvertretende Mitglied mit der höchsten Stimmenzahl zur Erledigung bestimmter Aufgaben ständig nach § 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX heran. Der Arbeitgeber hat die Zustimmung zur Aufgabenwahrnehmung durch weitere stellvertretende Mitglieder bei der Verhinderung der Vertrauensperson und/oder des herangezogenen stellvertretenden Mitglieds nicht erteilt. Darin sieht die Schwerbehindertenvertretung eine unzulässige Behinderung ihrer Tätigkeit.

Die Vorinstanzen haben den auf Unterlassung und Feststellung gerichteten Anträgen der Schwerbehindertenvertretung zum Teil stattgegeben. Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Anträge zurückgewiesen. Auf die Heranziehung weiterer stellvertretender Mitglieder besteht kein Anspruch. Das weitere stellvertretende Mitglied mit der nächst höheren Stimmenzahl ist nur zur Vertretung der Vertrauensperson berufen. Die Vertretung setzt aber voraus, dass in der Zeit der Verhinderung der Vertrauensperson und des stellvertretenden Mitglieds mit der höchsten Stimmenzahl Tätigkeiten der Schwerbehindertenvertretung anfallen. Das hat die Schwerbehindertenvertretung im Streitfall nicht vorgetragen.

Die vormalige BAG-Rechtsprechung ist durch die erwähnte Rechtsänderung 2004 wg. "zunehmender Aufgabenbelastung" (Bundestags-Drucksache 15/2318 S. 22; ebenso Prof. Dr. Knittel, SGB IX professionell, § 95 Rn. 15) der SBV über die gesetzliche Erweiterung des Heranziehungsrechts auf den zweiten Stellvertreter durch die zum 01.05.2004 in Kraft getretene Novelle als hinfällig bzw. als obsolet anzusehen (vgl. dazu Prof. Düwell in LPK-SGB IX, § 95 Rn. 33).

Diese Rechtsprechung hatte bezüglich der zweiten Stellvertretung lediglich marginale zeitl. Bedeutung von weniger als 30 Tagen wg. des danach auslaufenden alten Rechts.