Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen

BAG Erfurt Az. 9 AZR 367/21 vom 26. Apr. 2022

Der Fall: 

Der Arbeitnehmer war seit dem 01.06.1994 in Vollzeit beschäftigt. Dem Arbeitgeber war bekannt, dass dieser zwar einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte, der Antrag jedoch durch Bescheid vom 24.11.2017 abgelehnt worden war. Erst im März 2019 erfuhr er, dass der Arbeitnehmer gegen den ablehnenden Bescheid mit Erfolg geklagt hatte und ihm am 05.03.2019 rückwirkend zum 11.08.2017 die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 zuerkannt worden war. Der Arbeitnehmer verlangte daraufhin Anfang April 2019 die Gewährung von Zusatzurlaub für die Jahre 2017 und 2018. Der Arbeitgeber lehnte dies ab und verwies darauf, dass der Urlaub verfallen sei.

Die Entscheidung des Gerichts: 

Der Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen kann grundsätzlich nur dann gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen. Dies gilt im Übrigen auch für den Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX. Hat der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und ist diese nicht offenkundig, hat er keinen Anlass, vorsorglich auf einen Zusatzurlaub hinzuweisen und den Arbeitnehmer aufzufordern, diesen in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall verfällt der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG, ohne dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommt.

Dies gilt entsprechend, wenn der dem Arbeitgeber bekannte Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung zunächst durch behördlichen Bescheid zurückgewiesen und die Schwerbehinderung später aufgrund eines vom Arbeitnehmer eingelegten Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels rückwirkend festgestellt wird.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie: 

Das Bundesarbeitsgericht hatte mit dem Urteil vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16, entschieden, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann am Ende des Kalenderjahres beziehungsweise des zulässigen Übertragungszeitraums erlischt,

  • wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und
  • der Mitarbeiter den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht nimmt.

Der Arbeitgeber muss also

  • zwingend auf den Urlaubsanspruch hinweisen,
  • dazu auffordern, den Urlaub zu nehmen und
  • über den Verfall nicht genommenen Urlaubs aufklären.

Eine Ausnahme von diesen Regelungen stellt der hier entschiedene Fall dar.