Es wird mangels akuter Probleme wohl erst in ein paar Jahren ein maßgebliches Urteil des BAG geben. Bis dahin muß man sich behelfen. Auch wenn juristisches Neuland betreten wird, muß sich der Wahlvorstand bemühen, den Vorschriften (wenn schon nicht zu 100 %) dann eben bestmöglichst nach Sinn und Wortlaut gerecht zu werden.
Im Wahlleitfaden von verdi wird dem Wahlvorstand bei diversen rechtlich nicht 100%ig eindeutig geregelten Fragen ein eigener Ermessensspielraum zugestanden, etwa bei der Ermittlung der Regelbelegschaftsstärke:
"Bestehen in Grenzfällen bei der Ermittlung der Regelbelegschaftsstärke Unklarheiten, steht dem Wahlvorstand ein Beurteilungsspielraum zu. Das bedeutet, dass er einen Entscheidungsspielraum hat, der vom Arbeitsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob er schwere Fehler bei der Aufklärung des Sachverhaltes gemacht oder sachfremde Erwägungen bei der Festlegung der Größe angestellt hat."
(Seite 31, Ausgabe Aug 2013 normales Wahlverfahren)
Von so einem Beurteilungsspielraum würde ich jetzt auch im Fall des Dritten Geschlechtes ausgehen.
Die Gleichstellung von Mann und Frau wegen eines BVerfG-Urteils ad acta zu legen, widerspricht dem Artikel 3 des Grundgesetzes und damit aller juristischen Vernunft.
Ein Anwalt auf EFAR darf eine Unkenntis des Grundgesetzes vorspiegeln, um den Arbeitgebern maximale Handhabe gegen Betriebsräte in die Hände zu spielen. Wir Betriebsräte sollten aber an die Normenpyramide denken und daran, daß alle Urteile selbstverständlich nur grundgesetzkonform ausgelegt werden können.
Man könnte jetzt theoretisch für alle drei Geschlechter die Teilzahlen (Anzahl der Kollegen eines Geschlechtes jeweils geteilt durch 1, geteilt durch 2, geteilt durch 3, usw.) ermitteln und dann gemäß der Höchstzahlen den beiden Minderheitsgeschlechtern eine Mindeststärke im BR zuerkennen. Zumindest bei kleinen und mittleren Betrieben würde das regelmäßig darauf hinauslaufen, daß dem Dritten Geschlecht kein BR-Sitz gesichert werden kann. Die ganze Rechnerei wäre damit überflüssig und absurd. Grund genug, sie nicht durchzuführen.
Den Interessen der Angehörigen des Dritten Geschlechtes kann da besser Rechnung getragen werden, wenn man sie fragt, welchem Geschlecht sie sich mehr zugehörig fühlen. Dem werden sie dann auch bei der Berechnung der Stärke des Minderheitengeschlechtes zugezählt. Dann gibt es zumindest eine minimale Chance, daß sich ihr Zugehörigkeitsgefühl auf das Ergebnis der Berechnung auswirkt.
Auch wenn der AG auf seiner Mitarbeiterliste tatsächlich Kollegen als intersexuell kennzeichnen sollte, würde ich das nicht einfach in die Wählerliste übernehmen sondern die Betreffenden erst fragen, ob das für sie ok ist bzw. wie sie es sich statt dessen wünschen.
Und wenn einer kompromißlos darauf besteht, rundum als Intersexueller behandelt zu werden: Warum nicht?!
Die unrichtige Angabe der Mindestsitze für das Geschlecht der Minderheit im Wahlausschreiben ist nach Fitting (§ 19 BetrVG Rn 21) zwar ein Anfechtungsgrund.
Das dort angeführte Urteil mit dem Aktenzeichen 7 ABR 49/03 handelt aber von einem Fall, wo der BR die Belegschaftsstärke um mehr als 100% zu hoch angesetzt hatte. (Zum Vergleich: Intersexuelle haben nach wiki lediglich einen Anteil von 0,1 bis 0,2 % an der Bevölkerung.)
In puncto Mindesstsitze führt das Gericht dann die Rechnung sowohl für die korrekte wie auch für die zu hohe Belegschaftsstärke an. Für beide Fälle lag die Angabe des BR im Wahlausschreiben daneben. Der WV hatte sich also mehrfach gründlich verrechnet, und das, obwohl es damals noch kein Problem mit dem Dritten Geschlecht gab.
Der Rechenfehler bei dem Mindestsitz für das Minderheitengeschlecht hätte im Anfechtungsverfahren berichtigt werden können, wenn nicht gleichzeitig viel zu vielen Arbeitnehmern die Wahlberechtigung vom WV zuerkannt worden wäre.
Im Erfurter Kommentar (§ 19 BetrVG Rn 7) heißt es:
"Stellt sich im Anfechtungsverfahren heraus, dass eine nachträgl. Berichtigung des Wahlmangels mögl. ist, muss das Gericht die Berichtigung im BeschlV vornehmen und darf die Wahl nicht für ungültig erklären"
Wenn ihr trotz aller Sorgfalt wirklich nur die Sitze des/der Minderheitengeschlechtes/-geschlechter geringfügig falsch und nicht nach den Vorstellungen des Richters berechnet haben solltet, dann kann und muß der tatsächliche oder vermeintliche Fehler vom Richter berichtigt werden, und der neue BR bleibt im Amt, ggf. mit geringfügig anderer Besetzung, aber es müssen keine Neuwahlen angesetzt werden.