Selbstverteidigung mal anders – Wie Betriebsräte feindselige Arbeitgeber besiegen
Die Themen Bossing und Union Busting kommen einfach nicht aus der Mode. Immer wieder nehmen Arbeitgeber psychische und auch körperliche Schäden an ihren Mitarbeitern und Betriebsräten in Kauf. Und das nur, weil sie mit grob unsportlichen Mitteln ihre Interessen am Betriebsrat vorbei durchsetzen wollen. Erfahren Sie mehr über aktuelle Fälle und wie Sie reagieren können, falls auch Sie von der Geschäftsführung zum Feind erklärt werden.

Prominente Unterstützung
Die Geschäftsführung eines Heidelberger Dosierpumpenherstellers versucht derzeit mit fragwürdigen Mitteln, ihr Betriebsratsgremium von ihren Zukunftsplänen zu überzeugen. Dabei geht es um Ausgliederungen und Verlagerungen nach Tschechien und China.
Bereits seit längerem sind die Positionen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung verhärtet. Dabei geht es nicht nur um Einsparungen zulasten der Beschäftigten durch Verlagerung der Produktion ins Ausland. Es geht um die Basics des betrieblichen Miteinanders und wenn man so will, auch um den Kernbereich der Mitbestimmung.
Der Betriebsrat bemüht sich beispielsweise auch um eine gerechte Bezahlung. Denn es gibt dort Bereiche ohne Tarifvertrag, erhebliche Gehaltsunterschiede bei gleicher Arbeit und unbezahlte Überstunden. Außerdem achtet der BR auf die Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und kritisiert die zunehmende Arbeitsverdichtung. Der Betriebsrat wandte sich unter anderem an die Öffentlichkeit, weil Ende 2021 zahlreiche Beschäftigte im neuen Service-Center an Corona erkrankten. Der Arbeitgeber hatte sie in zu klein bemessenen gemeinsamen Büros arbeiten lassen.
Der Geschäftsführer ist meist anderer Auffassung als sein BR. Dieser brächte nichts voran und koste nur Geld, so lautet sein Vorwurf. 2022 eskalierte die Situation. Er forderte die Beschäftigten dazu auf, bei der Betriebsratswahl mit eigenen Listen gegen den Betriebsrat anzutreten, weil der Betriebsrat „an den wichtigen Zukunftsthemen“ nicht mitarbeite.
Fünf Betriebsräte schieden bereits aus. Drei von ihnen unterschrieben einen Abfindungsvertrag. Zwei weiteren wurde – unrechtmäßig – gekündigt, darunter der frühere Betriebsratsvorsitzende. Sein Nachfolger und dessen Stellvertreter traten nach zwei Monaten zurück. Zwei Monate später gab auch der nächste Betriebsratsvorsitzende auf.
Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff schreibt nun einen offenen Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Darin wendet er sich gegen die Verletzungen der Arbeitnehmerrechte und fordert eine härtere gesetzliche Ahndung von Betriebsratsmobbing, Union Busting und Bossing.
Bossing und Union Busting – Begriffe schnell erklärt
Der Begriff Betriebsratsmobbing sollte verständlich sein. Doch was bedeutet Union Busting und Bossing eigentlich genau?
„Union Busting“ beschreibt das Phänomen der systematischen Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Arbeitnehmervertretungen. Die Mittel sind vielfältig und können verschieden kombiniert werden. Beispielsweise werden Betriebsratswahlen verhindert. Es wird versucht, arbeitgebernahe Mitarbeiter zu Betriebsräten zu machen oder vorhandene Betriebsräte werden an ihrer Arbeit gehindert. Diese Behinderung hat mehrere Stufen und läuft häufig nach einem bestimmten Muster ab. Sie sorgt bei den Betroffenen für körperliche und seelische Schäden, ihre Familien werden in Mitleidenschaft gezogen und ihre Existenz bedroht.
Das Phänomen „Bossing“ meint hingegen klassisches Mobbing durch den Chef bzw. die Geschäftsführung.
So läuft es ab
Der erste Schritt ist die soziale Isolation. Durch Lügen und Unterstellungen werden die Betroffenen in ein schlechtes Licht gerückt und Kollegen zur Distanzierung gezwungen. Das belastet die Betroffenen sehr stark. Sie schaffen ihre eigentliche Arbeit nicht mehr und auch die Betriebsratsarbeit wird stark behindert. Manchmal wird der Umzug in einen anderen Raum erzwungen, um auch eine räumliche Isolierung herbeizuführen.
Als nächstes geht es um Zermürbung. Zuhause gehen Abmahnungen im Wochentakt ein, Zustellungen erfolgen am Wochenende, vor Feiertagen oder dem Urlaub und es hagelt Kündigungen. Stellungnahmefristen sind extrem kurz. So wird der Druck auf die Betriebsräte erhöht. Es geht um Schikane und Demütigung.
Die nächste Eskalationsstufe sind gerichtliche Klagen wie etwa auf Schadensersatz, weil die Betroffenen mit ihrem Verhalten das Unternehmen geschädigt hätten. Die dadurch entstehende Existenzangst nimmt auch die Familien mit und Entspannung wird unmöglich. Einige Arbeitgeber gehen soweit, ihren Mitarbeitern Fallen zu stellen und sie durch Detektive überwachen zu lassen.
Am Ende stehen die Aufhebung des Arbeitsvertrags und vertraglich vereinbartes Schweigen mit Regressandrohung.
Beispiele aus der Praxis
In Deutschland ließen sich bereits 2010 241 Betriebe mit Gewerkschaftsmitgliedern bzw. Betriebsräten finden, in denen das Organisieren der Belegschaft aktiv be- oder verhindert wurde. Die Gewerkschaftssekretäre nannten folgende Mittel:
- in 73 % der Fälle sind es Einschüchterungen,
- in 43 % der Betriebe wurde kein Wahlvorstand bestellt,
- in 24 % wurden Kündigungen für Kandidaten ausgesprochen,
- in 16 % wurden die Arbeitnehmer mit Geld von der Teilnahme an Wahlen abgehalten
- und in 12 % wurden notwendige Unterlagen und Materialien nicht bereitgestellt.
Juristisch kann der Arbeitgeber den Betriebsräten kaum etwas anhaben, da Betriebsräte durch das Betriebsverfassungsgesetz vor Kündigung oder Benachteiligung geschützt sind. Dennoch bombardieren Arbeitgeber und Anwälte die Betriebsräte mit Klagen und enthalten ihnen Lohn vor, um sie und ihre Familien zu zermürben. Aber es gibt auch Fälle, in denen sich die Betriebsräte zur Wehr gesetzt haben.
Erfolgreich mit § 119 BetrVG
Im Saarland wurde 2021 der Geschäftsführer eines Logistik-Dienstleisters wegen Behinderung des Betriebsrats nach § 119 BetrVG durch das Amtsgericht Lebach zur Zahlung einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Unter anderem erhielten drei Betriebsratsmitglieder die fristlose Kündigung. Außerdem hatte die Geschäftsführung die Kosten des Betriebsrats für Büroräume, Seminare und Sachverständige öffentlich im Betrieb ausgehängt und regelmäßig aktualisiert.
Das erfüllt den Straftatbestand des § 119 BetrVG: Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die Wahl oder die Tätigkeit des Betriebsrats beeinflusst, behindert oder stört. Hier bedarf es der Anzeige und eines Strafantrags durch die Betroffenen. Denn derzeit sind die Störung oder Behinderung des BR noch ein Antragsdelikt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft darf nicht von selbst tätig werden, sondern nur, wenn ein persönlich Betroffener die Bestrafung mit einer Strafanzeige beantragt. Im Koalitionsvertrag ist aber bereits das Vorhaben festgehalten, diese Straftat zum Offizialdelikt zu machen. So entfällt das Anzeigeerfordernis. Bislang erfolgte allerdings noch keine Umsetzung.
Keine Verurteilung bei Hagenbecks Tierpark
Anders lief es in diesem Sommer in Hamburg. Seit langem gibt es Streit zwischen dem Chef des Tierparks Hagenbeck und dem Betriebsrat, der seine Arbeit behindert sieht. Im Februar hatte die Staatsanwaltschaft dann Anklage gegen den Geschäftsführer erhoben: Ein Betriebsratsmitglied hätte im Dezember 2020 nicht aufgefordert werden dürfen, seinen Zugangsschlüssel zum Tierparkgelände abzugeben.
Das Hamburger Amtsgericht entschied den Fall am 21.06.2023. Das Verhalten des Geschäftsführers könne nicht als Behinderung oder Beeinflussung von Betriebsratsarbeit geahndet werden, weil er sich der Beratung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht bedient habe. Als rechtsunkundiger Angeschuldigter habe er auf die anwaltliche Einschätzung vertrauen dürfen.
Gezielte Gegenmaßnahmen
1. informieren – organisieren – planen – handeln
Wenn der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht mehr gelebt wird, geht es um geschlossenes Handeln. Der erste und wichtigste Schritt ist, die Belegschaft über die Angriffe auf einzelne Beschäftigte oder den Betriebsrat zu informieren, etwa bei einer Betriebsversammlung.
Es ist wichtig, dass die Beschäftigten hinter dem Betriebsrat stehen. Sich zu organisieren und zu mobilisieren sind die nächsten Schritte. Es geht darum, ein Muster hinter den Schikanen zu erkennen, es für andere durchschaubar zu machen und auch die betroffenen Personen nicht allein damit zu lassen. Dafür ist der regelmäßige Austausch mit allen wichtig.
2. Bündnisse bilden
Von Anfang an sollten Sie sich als betroffener Betriebsrat Partner suchen, auch außerhalb des eigenen Betriebs. Das stärkt, verteilt die Last auf mehrere Schultern und hat gleichzeitig den Effekt der Informationsverbreitung. Hier eignen sich Betriebsräte anderer Unternehmen, Gewerkschaften, Vertreter der Kirchen oder auch Sportvereine. Sobald klar ist, dass der Gegner die Phase der „sozialen Isolierung“ einleitet, braucht es breite Unterstützung.
Wenn sich der Konflikt verstärkt und es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einem Konsens zwischen den Konfliktparteien kommt, dann ist gezielte Öffentlichkeitsarbeit ein weiteres Mittel zur Verbesserung der eigenen Position. Denn kein Unternehmen möchte öffentlich als unmenschlich, skrupellos oder profitgierig wahrgenommen werden. Hier lässt sich auch die Aktion von Günter Wallraff einordnen.
3. Rechtliche Hilfe durch Gerichte und Einigungsstellen
Eskaliert die Situation weiter, begleiten rechtliche Maßnahmen die eigene Arbeit des Betriebsrats und der Belegschaft. Am besten lassen sich im Beschlussverfahren vor den Arbeitsgerichten Handlungen, Unterlassungen oder Duldungen gegenüber dem Arbeitgeber mit professioneller Unterstützung durchsetzen. Zwangs- und Ordnungsgelder gegen den Arbeitgeber stärken die Position des Betriebsrats.
Auch ein Verfahren vor der Einigungsstelle kann Meinungsverschiedenheiten schlichten.
Wenn klar wird, dass es keinen gemeinsamen Weg geben wird, ist schließlich eine Strafanzeige wegen der Behinderung oder Störung der Betriebsratsarbeit eine starke letzte Möglichkeit, den Arbeitgeber zu stoppen.