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Fünf Tage mehr – was der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte wirklich bedeutet

5 Minuten Lesezeit
02.07.2025

Warum der Sonderurlaub nach § 208 SGB IX weit mehr als ein „netter Bonus“ ist – und worauf Beschäftigte und Schwerbehindertenvertretung achten müssen.

Erholungsurlaub ist ein zentrales Element gesunder Arbeitsverhältnisse. Für schwerbehinderte Beschäftigte hält das Gesetz mit § 208 SGB IX einen wichtigen Nachteilsausgleich bereit: fünf Tage bezahlter Zusatzurlaub pro Jahr – unabhängig vom individuellen Erholungsbedürfnis. Doch wie lässt sich dieser Anspruch konkret berechnen, wann verfällt er, und was passiert bei rückwirkender Anerkennung oder Herabstufung des Behinderungsgrades?

Wer hat Anspruch – und wann beginnt er?

Der Anspruch auf Zusatzurlaub steht ausschließlich anerkannt schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 zu. Gleichgestellte Beschäftigte (GdB 30–40) sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Anspruch entsteht mit dem Monat, in dem die Schwerbehinderteneigenschaft festgestellt wurde – nicht etwa erst mit dem Bescheid. Für jeden vollen Monat besteht ein Anspruch auf ein Zwölftel des Zusatzurlaubs. Das bedeutet: Wird die Schwerbehinderung beispielsweise ab Juli festgestellt, stehen für das laufende Jahr noch 5/12 des Zusatzurlaubs zu – aufgerundet, wenn ein halber Tag überschritten wird.

Beispiel: Wird im Mai ein GdB 50 rückwirkend ab Januar festgestellt, kann für das gesamte Jahr der volle Zusatzurlaub beansprucht werden – aber nur, wenn dieser auch rechtzeitig geltend gemacht wurde.

Rechtzeitig beantragen, sonst verfällt er!

Zwar handelt es sich beim Zusatzurlaub um einen gesetzlich festgelegten Anspruch, doch wird er nicht automatisch gutgeschrieben. Der oder die Beschäftigte muss den Zusatzurlaub unter Berufung auf die anerkannte Schwerbehinderung beim Arbeitgeber geltend machen – idealerweise schriftlich und innerhalb des betreffenden Urlaubsjahres. Wer diesen Schritt versäumt, riskiert den Verfall der zusätzlichen Urlaubstage.

Anders liegt der Fall, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung wusste oder diese offensichtlich war. In diesem Fall muss er aktiv darauf hinweisen, dass ein Anspruch auf Zusatzurlaub besteht – und ihn auch rechtzeitig zur Inanspruchnahme auffordern. Geschieht das nicht, haftet der Arbeitgeber unter Umständen auf Schadensersatz. Für die Praxis der Schwerbehindertenvertretung bedeutet das: aufmerksam sein, Kollegen und Kolleginnen rechtzeitig informieren – und bei Bedarf dokumentieren, dass über die Möglichkeit des Zusatzurlaubs gesprochen wurde.

Zusatzurlaub und Teilzeit – was gilt?

Auch Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf den vollen Zusatzurlaub – allerdings anteilig, abhängig von der Zahl der tatsächlichen Arbeitstage pro Woche. Wer regelmäßig nur an vier Tagen arbeitet, bekommt vier Tage Zusatzurlaub. Bei einer Sechs-Tage-Woche erhöht sich der Anspruch entsprechend auf sechs Tage. Die Regel: Die Zusatzurlaubstage orientieren sich an der betriebsüblichen Arbeitsverteilung.

Wichtig: Der Zusatzurlaub ist ein eigenständiger Anspruch – er kommt also zu etwaigen tariflichen oder betrieblichen Urlaubsregelungen obendrauf. Wer z. B. 30 Tage vertraglichen Urlaub und eine Fünf-Tage-Woche hat, landet mit dem Zusatzurlaub bei insgesamt 35 Tagen Urlaub im Jahr.

Langzeiterkrankung, rückwirkende Anerkennung – Sonderfälle im Blick

Ein weiterer praxisrelevanter Punkt: Zusatzurlaub geht nicht automatisch verloren, wenn jemand über längere Zeit krank ist. Die europäische und deutsche Rechtsprechung sieht vor, dass Urlaub – auch der Zusatzurlaub – bis zu 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres bestehen bleibt, wenn er wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Entscheidend ist allerdings auch hier: Die Schwerbehinderung muss dem Arbeitgeber bekannt gewesen sein.

Was passiert bei einer Herabstufung des GdB unter 50? In diesem Fall endet der Anspruch auf Zusatzurlaub nicht sofort. Vielmehr besteht eine dreimonatige Schutzfrist nach Unanfechtbarkeit des Bescheids. In dieser Zeit kann Zusatzurlaub noch genommen werden – ein wichtiger Hinweis für alle, die auf Änderungen ihres Bescheids warten. Rückwirkend können Zusatzurlaubstage ebenfalls beansprucht werden, wenn ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung gestellt, aber erst verspätet entschieden wurde. Voraussetzung: Der Anspruch muss für den rückwirkenden Zeitraum ausdrücklich geltend gemacht werden – sonst verfällt er.

Mitbestimmung, Mitwirkung und gute Praxis

Auch für Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen ergeben sich beim Zusatzurlaub konkrete Mitbestimmungsrechte: etwa bei Urlaubsgrundsätzen, Urlaubslisten oder der zeitlichen Festlegung des Urlaubs. Wird ein Urlaubsplan aufgestellt, ist die Interessenvertretung zwingend zu beteiligen – ebenso bei Fragen zur Abgeltung nicht genommener Urlaubstage bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

In der Praxis zeigt sich: Der Zusatzurlaub wird oft unterschätzt – sowohl von Beschäftigten als auch von Arbeitgebern. Dabei ist er mehr als ein reiner Ausgleich: Er dient der gesundheitlichen Erholung und stärkt die langfristige Teilhabe schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Gerade in körperlich oder psychisch belastenden Tätigkeiten kann ein zusätzlicher Erholungspuffer entscheidend sein.

Praxistipp für die SBV

Führen Sie regelmäßig Gespräche mit neu anerkannten schwerbehinderten Kollegen und Kolleginnen – und verweisen Sie frühzeitig auf die Möglichkeit des Zusatzurlaubs. Empfehlen Sie, den Antrag schriftlich zu stellen, und achten Sie auf Fristen, insbesondere bei rückwirkenden Feststellungen. So verhindern Sie unnötige Verluste und sichern den vollen Anspruch der Betroffenen.

Fazit: Ein Anspruch, der Aufmerksamkeit verdient

Der gesetzliche Zusatzurlaub für schwerbehinderte Beschäftigte ist kein Luxus, sondern Ausdruck des Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe. Richtig angewendet, bietet er effektive Entlastung und ist ein wichtiger Baustein im Schutzsystem des SGB IX. Wer als Schwerbehindertenvertretung hier gut informiert ist, kann entscheidend dazu beitragen, dass niemand auf seinen Anspruch verzichten muss – weder aus Unkenntnis noch aus Formalitätsgründen.

Zusatzurlaub richtig berechnen

Beispiel 1:

Arbeitnehmerin A hat eine anerkannte Schwerbehinderung (GdB 50), arbeitet an fünf Tagen pro Woche und hat vertraglich 30 Tage Urlaub. Die volle Schwerbehinderteneigenschaft bestand während des gesamten Jahres.

  • Zusatzurlaub: 5 Tage
  • Gesamturlaub: 30 + 5 = 35 Urlaubstage

Beispiel 2:

Beschäftigter B arbeitet regelmäßig an vier Tagen pro Woche und ist schwerbehindert.

  • Zusatzurlaub: 4 Tage (angepasst an Wochenarbeitszeit)

Beispiel 3:

Arbeitnehmer C erhält die Schwerbehinderteneigenschaft ab 1. Juli.

  • Anspruch: 6/12 von 5 Tagen = 2,5 Tage → aufgerundet: 3 Tage Zusatzurlaub

Beispiel 4:

Beschäftigte D beantragt im September 2023 die Feststellung. Diese erfolgt im April 2024, rückwirkend ab 1. September 2023.

  • Anspruch 2023: 4/12 von 5 Tagen = 1,67 → 2 Tage Zusatzurlaub, wenn rechtzeitig beantragt wurde.
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