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»Auf Biegen und Brechen«
Arbeitsrichter wirft widerständigen Betriebsrat aus dem Amt
Von Susann Witt-Stahl
Ein Aushang zur Personalpolitik seines Arbeitgebers am Schwarzen Brett wurde dem Betriebsrat von Acciona Airport Services Hamburg zum Verhängnis. Das Arbeitsgericht löste die Arbeitnehmervertretung kurzerhand auf. Die Betroffenen sprechen von einem »Skandalurteil«.
Das Verhältnis des siebenköpfigen Betriebsrats der 171 Beschäftigten des spanischen Bodendienstleistungsunternehmens am Standort Hamburg Airport zur Geschäftsleitung ist seit Langem angespannt: »Für die Zeit, in der wir an BR-Schulungen teilnahmen, hat der Arbeitgeber einfach unsere Löhne einbehalten«, nennt der Vorsitzende Ergün Sert ein Beispiel für die rüden Methoden des Arbeitgebers.
Der Clinch zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber – der 22 Prozent des Services am Flughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel bestreitet und dessen Hauptkunde Air Berlin ist –, hatte bereits 2008 begonnen, als aufgrund von Personalmangel immer häufiger kurzfristige Änderungen der Einsatzpläne vorgenommen wurden. Die Anweisung »Komm mal heute Abend zwei Stunden früher«, berichtet Sert, gehörte für viele seiner Kollegen zum Normalfall.
Wie von der Arbeitnehmervertretung gefordert, wäre eine Erhöhung der Stundenzahlen für die Teilzeitbeschäftigten (darunter nicht wenige, in deren Arbeitsverträgen lediglich 65 Stunden monatlich vereinbart sind) nötig gewesen – nicht zuletzt, argumentiert der BR, weil diese Arbeitnehmer außerstande sind, von dem kargen Einkommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Stattdessen verlangte das Management aber lieber vom Betriebsrat, Neueinstellungen auch von Leiharbeitern abzunicken. Das Gremium jedoch stellte sich quer und verweigerte seine Zustimmung.
An den Haaren herbeigezogen ...
Acciona reagierte mit dem Holzhammer und reichte beim Arbeitsgericht Hamburg einen Antrag auf Auflösung des Betriebsrats ein. Dieser habe in grober Weise gegen seine Pflichten verstoßen, so die Begründung der Geschäftsleitung. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht Barbara Ede, die ihn vertritt, ist fassungslos: »Fast alle Versuche des Betriebsrates, seine Mitbestimmungsrechte auszuüben, wurden vom Arbeitgeber als Auflösungsgründe an den Haaren herbeigezogen.«
Der Betriebsrat konterte mit einem Aushang am Schwarzen Brett, wies die Vorwürfe der Geschäftsleitung zurück und kritisierte deren »rabiate und verantwortungslose Personalpolitik«. Sie habe sogar gedroht, prangerten die Arbeitnehmervertreter an, »so weit zu gehen, dass die Einstellungen der Leiharbeiter gegen den Willen des BR getätigt werden. Das heißt also auf Biegen und Brechen.«
Während der ersten Verhandlung vor dem Arbeitsgericht äußerte der zuständige Richter H... zunächst erhebliche Bedenken, den Acciona-Betriebsrat wegen der vom Arbeitgeber angeführten Gründe des Amtes zu entheben. Der Arbeitgeber jedoch blieb hart und schob den Aushang des BR als neuen Auflösungsgrund nach.
Es kam zu einer weiteren Hauptverhandlung, in der, zur Überraschung des Beklagten und seiner Anwältin, gar nicht die vom Arbeitgeber angeführten angeblichen groben Pflichtverstöße des BR Thema waren, sondern nur noch sein Aushang am Schwarzen Brett.
Obwohl Richter H... nach ausgiebiger Prüfung eingeräumt hatte, dass die betriebsöffentliche Verlautbarung des BR keine Falschbehauptungen enthalten hatte, gab er dem Antrag des Arbeitgebers schließlich statt. Die BR-Auflösung sei beschlossen worden, argumentierte Richter H... in seiner mündlichen Begründung, weil die Arbeitnehmervertreter sich mit Formulierungen wie »auf Biegen und Brechen« in einer unangemessenen Weise geäußert hätten.
»Die Entscheidung ist völlig absurd«, lautet der Kommentar von BR-Anwältin Ede. Die Betroffenen sind wütend: »Wenn Betriebsräte der Freiheit beraubt werden, die Wahrheit am Schwarzen Brett zu veröffentlichen, dann brauchen die Arbeitnehmer in diesem Land keine Vertretung mehr.« Während die Kollegen von einem »Skandalurteil« sprechen, übt sich die zuständige Gewerkschaft ver.di in Zurückhaltung: »Wir müssen erst mal abwarten, bis die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt«, mahnt Sekretär Ingo B. zur Geduld. Eine Reaktion, die für die Arbeitnehmervertreter wenig hilfreich ist. Denn ihnen läuft die Zeit davon: Ihr Betrieb wird zum Jahresende stillgelegt – Air Berlin hat den Vertrag mit Acciona gekündigt.
Solch einen Fall gab's vorher noch nicht
Ob es zur Verhandlung über die Beschwerde, die der BR beim Landesarbeitsgericht Hamburg einlegen will, überhaupt noch kommen wird, ist somit fraglich. Zwar bleiben die Arbeitnehmervertreter im Amt, bis die Entscheidung rechtskräftig wird. Aber die Chance, sich noch während ihrer Amtszeit zu rehabilitieren, ist ihnen verwehrt.
Einen vergleichbaren Fall habe es in der 29-jährigen Geschichte der Kanzlei Bertelsmann und Gäbert, in der sie beschäftigt ist und die bundesweit Arbeitnehmer und Betriebsräte vertritt, nicht gegeben, berichtet Anwältin Barbara Ede. »Sollte diese Rechtsprechung Schule machen«, warnt die Juristin vor gravierenden Folgen, »dann können Betriebsräte künftig weder ihren vom Betriebsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Pflichten nachkommen noch ihre Rechte wahrnehmen.«
Gruß Brazzo