Kündigung bei privater Nutzung der betrieblichen Computeranlage
KSchG §§ 1, 9, 10
Fehlt eine klare betriebliche Regelung über die private Nutzung der betrieblichen Computeranlage, so bedarf eine Kündigung regelmäßig der vorherigen Abmahnung, auch wenn innerhalb der Arbeitszeit in nicht unwesentlichem Umfang private E-Mails geschrieben werden. Auch wenn diese E-Mails sich beleidigend über den unmittelbaren Vorgesetzten (Geschäftsführer) äußern, aber nicht für dessen Kenntnisnahme bestimmt waren, liegt hierin in der Regel kein Kündigungsgrund, wenn das betriebliche Arbeitsverhalten ansonsten nicht beanstandet wird. Die Kenntnisnahme von Äußerungen gegenüber Dritten, die den Arbeitgeber als unfähig und dumm kennzeichnen, kann den arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag rechtfertigen. Die Vergabe von Passworten dient nicht der Einrichtung eines vor dem Arbeitgeber geschützten Geheimbereichs, sondern dient in erster Linie der sicheren Zuordnung einzelner Vorgänge am Computer zum jeweiligen Urheber. Das Recht, Zugriffsberechtigungen auf höherer Ebene festzulegen, obliegt dem Arbeitgeber.
LAG Köln, Urteil vom 15. 12. 2003 - 2 Sa 816/03 (ArbG Aachen, Urteil vom 22. 5. 2003 - 3 Ca 4348/02) Zum Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung vom 27. 8. 2002 sowie um die Begründetheit eines durch die Arbeitgeberin gestellten Auflösungsantrags. Die Kl. war bei der Bekl. seit dem 1. 7. 2001 als Chefsekretärin zu einer Bruttovergütung von 2300,81 Euro tätig. In der Zeit vom 6. 7. 2002 bis zum 20. 8. 2002 war die Kl. arbeitsunfähig erkrankt. Während dieser Arbeitsunfähigkeit war es der Bekl. nicht möglich, betriebliche E-Mails und Computerfaxe, die an die Computeradresse der Kl. im Betrieb gerichtet waren, zu lesen, da die Kl. ihren Computerarbeitsplatz mit einem Passwort gesichert hatte, welches sie - selbst nach Aufforderung durch die Bekl. - nicht bereit war, bekannt zu geben. Die Bekl. ließ deshalb durch den externen Netzwerkadministrator das Passwort der Kl. ändern, um Zugriff auf die Dateien der Kl. nehmen zu können. Diese Änderung war erforderlich geworden, weil entgegen der bei Einrichtung des Computersystems festgelegten Nutzungsweise der Zugriff auf die Dateien der Kl. für den Netzwerkadministrator eingeschränkt worden war. Bei der Auswertung der Dateien stellte die Bekl. fest, dass die Kl. in den Monaten Juni und Juli 2002 während der Arbeitszeit über den Mailserver der Bekl. E-Mails mit privatem Inhalt an Dritte versandt hat und diese E-Mails auf dem Server der Bekl. gespeichert hat. Der Inhalt sowie die Tatsache, dass die Kl. die Verfasserin der Texte ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Bekl. begründet die Kündigung damit, dass die Kl. durch das private E-Mail-Schreiben mehrere Stunden Arbeitszeit vergeudet habe. Sie habe in dieser Zeit nach Außen das Bild einer arbeitenden Mitarbeiterin gemacht, während sie ihren privaten Interessen nachgegangen sei. Zudem sei der Inhalt der E-Mails beleidigend. Die Kl. bringe zum Ausdruck, dass sie den Geschäftsführer der Bekl. für dumm und unfähig halte. Weiterhin ergebe sich, dass die Kl. beabsichtige, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln. Auch bestehe der Verdacht, dass die Kl. eine CD, die so genannte ZWorkshop-CD, kopiert habe. Das ArbG hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Bekl. blieb mit dem Hauptantrag erfolglos, auf den Hilfsantrag war das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.
Aus den Gründen:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht durch die Kündigung vom 27. 8. 2002 zum 30. 9. 2002 geendet, da Kündigungsgründe i.S. des § 1 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes nicht vorliegen.
Ein solcher Kündigungsgrund ist insbesondere nicht wegen des Verdachts des Kopierens der so genannten ZWorkshop-CD gegeben. Insoweit wäre es Sache der Bekl. gewesen darzustellen, dass die CD, deren „Brennen“ die Kl. in einem der Mails in Aussicht stellt, eine CD mit geheimen Daten und nicht die unstreitig vorhandene Foto-CD ist. Der Bekl. ist es nicht einmal gelungen darzustellen, dass überhaupt verschiedene CD´s, also insbesondere eine CD mit geheimen betrieblichen Daten im Umlauf waren und der Kl. zugänglich waren. Demgegenüber ist unstreitig, dass eine Foto-CD existierte und der Kl. von der Firma Z ausgehändigt worden ist. Es ist nicht ersichtlich, dass das Kopieren von Erinnerungsfotos betriebliche Interessen beeinträchtigen würde.
Die Kündigung ist auch nicht dadurch begründet, dass die Kl. während der Arbeitszeit teilweise erhebliche Zeit aufgewendet hat, um private E-Mails zu schreiben. Insoweit folgt auch das BerGer. der Wertung der ersten Instanz, dass es Organisationsaufgabe des Arbeitgebers ist, die Nutzung des betrieblichen Computersystems klar zu definieren und den Arbeitnehmern im Einzelnen vor Augen zu führen, welche Tatbestände verboten und welche erlaubt sind. Im Betrieb der Bekl. gab es eine solche ausgearbeitete Anweisung hinsichtlich der Computeranlage nicht. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Kl. erst eingestellt wurde, nachdem die Computeranlage in Betrieb genommen worden war. Der Bekl. ist es nicht gelungen darzustellen, welche konkrete Einweisung die Kl. in diese Computeranlage erhalten hat und inwieweit es klare betriebliche Regelungen über die Nutzung dieser Anlage gab. Wie sich gerade aus der vielfältigen Literatur zur Bedeutung des Missbrauchs der arbeitgeberseitigen Computeranlage ergibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei Arbeitnehmern allgemein ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein besteht, wenn sie die arbeitgeberseitige Computeranlage zu privaten Zwecken auch in der Dienstzeit nutzen. Vielmehr ist es von Arbeitgeber zu Arbeitgeber unterschiedlich geregelt, inwieweit den Arbeitnehmern (geringfügig oder außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit) die private Nutzung der Computeranlage erlaubt ist. Zudem kann auch von einem allgemeinen Unrechtsbewusstsein deshalb nicht ausgegangen werden, weil vielen Arbeitnehmern mit Vertrauensarbeitszeit die ehrliche Angabe ihrer Arbeitszeit zugetraut wird, so dass die private E-Mailnutzung zu allen Tageszeiten rechtens sein kann, wenn der Arbeitnehmer dies bei der Zeitaufstellung berücksichtigt. Die Tatsache, dass manche Arbeitnehmer jederzeit die betriebliche Computeranlage privat nutzen können, mag in Betrieben, in denen keine ausdrückliche Regelung zur Nutzung der Computeranlage getroffen worden ist, die Einstellung fördern, dass das private E-Mailschreiben während der Arbeitszeit nichts Unrechtmäßiges ist. Hiervon ausgehend kann nicht gesagt werden, dass die Kl. nicht in der Lage oder willens gewesen wäre, ihr Verhalten nach Erteilung einer Abmahnung abzustellen. Zudem ergibt sich aus den Inhalten der E-Mails, dass die Kl. an Tagen mit hoher Arbeitsbelastung nur kurze Nachrichten versandt hat und dies jeweils so zum Ausdruck gebracht hat. Dann kann angenommen werden, dass die Kl. jedenfalls ihre betrieblichen Aufgaben vorrangig erledigt hat und nur in Zeiten geringerer Arbeitsbelastung längere E-Mails verfasst hat. Da zudem auch viele der E-Mails morgens früh abgesendet wurden, fehlt es an einer Konkretisierung, wie viel Arbeitszeit der Kl. tatsächlich der Bekl. vorenthalten wurde. Dies wäre aber erforderlich, um den Rückschluss zu rechtfertigen, die Kl. habe der Bekl. hartnäckig die Erledigung betrieblicher Aufgaben vorgespielt.
Auch hinsichtlich der in den E-Mails getätigten beleidigenden Äußerungen folgt die erkennende Kammer der Wertung des ArbG Aachen. Die Kl. hat die Äußerungen
gegenüber Dritten getätigt und nicht damit gerechnet, dass diese Äußerungen der Arbeitgeberin bekannt werden könnten. Es ist zwar nicht ersichtlich, warum die Kl. diese E-Mails gespeichert hat, anstatt sie sofort nach Absendung zu löschen. Es ist der Kl. aber nicht zu widerlegen, dass sie geglaubt hat, durch die Einrichtung des Passwortes hinreichenden Schutz vor Kenntnisnahme durch den Arbeitgeber eingerichtet zu haben. Anders als in der Entscheidung des BAG vom 10. 10. 2002 (NZA 2003, 1295 Os. = NJOZ 2003, 3169 = DB 2003, 1797) ist damit das Bekanntwerden ihrer negativen Äußerungen der Kl. jedenfalls nicht zurechenbar.
Auch die negative Einstellung der Kl. rechtfertigt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung nicht, da es der Kl. zumindest bis zum Kündigungsausspruch gelungen ist, ihre Arbeitshaltung und ihre Arbeitsleistung nicht durch diese negative Einstellung beeinträchtigen zu lassen. Denn auch insoweit liegen keine Abmahnungen und insbesondere kein konkreter Vortrag der Bekl. zu einer Verminderung der Arbeitsleistung der Kl. in Folge ihrer inneren Einstellung vor. Die Abmahnung vom 1. 8. 2002 befasst sich demgegenüber lediglich mit der rechtzeitigen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit, der fehlenden Übergabe der Schrankschlüssel sowie einer aus Sicht der Bekl. unangemessenen Anzahl von Ordnern mit nur ein oder zwei Blättern und einem unangemessen hohen Büromaterialvorrat. Damit ergibt sich insgesamt, dass die Kündigung daran scheitert, dass die Bekl. es an einer klaren eindeutigen und dokumentierten Nutzungsregelung hinsichtlich ihrer betrieblichen Computeranlage hat fehlen lassen und dass es deshalb nicht prognostiziert werden kann, dass die Kl. ihr Verhalten auch dann fortsetzen würde, wenn ihr die Unrechtmäßigkeit ihres Tuns mit Abmahnungsandrohung verdeutlicht worden wäre.
Auf den Auflösungsantrag war das Arbeitsverhältnis gem. § 9 I 2 KSchG aufzulösen. Die Arbeitgeberin kann nicht mehr mit einer vertrauensvollen und fruchtbaren Zusammenarbeit der Kl. rechnen, da ihr bekannt geworden ist, dass die Kl. insbesondere ihre unmittelbaren Vorgesetzten für dumm und unfähig hält, eine Firma sinnvoll zu führen. Von dieser Einstellung ist die Kl. auch im Laufe des Prozesses nicht abgerückt. Insbesondere hat sie sich zu keinem Zeitpunkt für ihre Äußerungen entschuldigt. Zudem hat sie über ihren Prozessbevollmächtigten noch bis zuletzt der Bekl. das Recht abgesprochen, den Umfang der Nutzung des Firmencomputers festzulegen und dieser strafbares Verhalten nach § 202a StGB vorgeworfen.
Da die innere Einstellung der Kl. zu ihrem Arbeitgeber unstreitig ist, kommt es letztlich auf die Frage, ob die Inhalte der E-Mails im Prozess verwertet werden können, nicht an. Denn ausschlaggebend für den Auflösungsantrag ist, dass sich an der inneren Einstellung der Kl. zu ihren Vorgesetzten auch bis zur Entscheidung über den Auflösungsantrag nichts geändert hat. Zudem ist die Ansicht der Kl. zur Nutzung der Computeranlage unzutreffend. Insoweit muss sich die Kl. die leichtfertige Bezichtigung der Bekl. mit strafbarem Verhalten nach § 202a StGB zurechnen lassen. Die Kl. verkennt, dass die Ausgabe eines Passworts durch den Arbeitgeber nicht dazu dient, der Arbeitnehmerin eine private „Ecke“ der arbeitgeberseitigen Computeranlage zur Verfügung zu stellen. Vielmehr sind Passworte erforderlich, um einzelne Eingaben den jeweiligen Sachbearbeitern mit Computerzugang zuordnen zu können. Gäbe es Passworte nicht, so könnten böswillige Arbeitnehmer unerkannt Daten ihrer Kollegen löschen, um diesen Schaden zuzufügen. Unsorgfältig oder langsam arbeitende Arbeitnehmer könnten behaupten, sie hätten die Daten bereits eingegeben gehabt, diese seien durch Dritte gelöscht worden. Passworte dienen damit der Zuordnung von Arbeitsergebnissen und der Sicherung von Arbeitsergebnissen. Allein zu diesem Zwecke, also zum Schutz der redlichen Arbeitnehmer müssen sie vergeben werden. Deshalb war im vorliegenden Fall auch eine Öffnungsmöglichkeit aller Dateien durch den externen Netzwerkadministrator vorgesehen. Diese Bestimmung trifft der Arbeitgeber, da er Verfügungsberechtigter über die Computeranlage ist. Da alle Arbeitnehmer bei Einrichtung der Computeranlage ihr persönliches Passwort dem Netzwerkadministrator bekannt geben mussten, war klargestellt, dass der Arbeitgeber sich über diese Ebene Zugang zur gesamten Computeranlage vorbehalten hatte. Der Zugriff auf diese Daten war deshalb nicht unberechtigt i.S. des § 202a StGB. Auch verkennt die Kl., dass die Strafvorschrift gerade nicht ein Verhalten schützen will, bei dem sich ein Nutzer einer Computeranlage über das ihm erlaubte Maß der Nutzung hinaus bewegt und entgegen dem Willen desjenigen, der den Nutzungsumfang festlegt, abweichende persönliche Sicherungen schafft.
Damit steht für die Kammer fest, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien jedenfalls wegen der fehlenden Loyalität der Kl. zu ihrer Arbeitgeberin nicht zu erwarten ist. Das Loyalitätsdefizit ist evident. Den Vorgesetzten, insbesondere dem Geschäftsführer ist es nicht zumutbar, die Geschäftspost von einer Mitarbeiterin erledigen zu lassen, die sich gegenüber Dritten völlig respektlos geäußert hat. Die Kl. hat durch ihre Einstellung zu den Fähigkeiten und Eigenschaften der Vorgesetzten das emotionale Klima derart beeinträchtigt, dass ein gedeihliches Miteinander nicht mehr möglich ist.
Die Höhe der Abfindung wurde auf ein halbes Bruttogehalt festgesetzt gem. § 10 KSchG. Maßgeblich in der Abwägung war dabei die kurze Beschäftigungszeit, die ein Jahr gerade überschritten hat und die Tatsache, dass es sich um ein Beschäftigungshindernis handelt, welches von der Kl. ausgelöst wurde. Da bei der Kl. keine Unterhaltspflichten bestehen und für ihren Beruf und ihr Lebensalter keine besonderen Beschäftigungshindernisse zu erwarten sind, erschien ein halbes Bruttomonatsgehalt angemessen, um den Verlust des sozialen Besitzstands auszugleichen.