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Ein Interview: Wenn Arbeitgeber vor der Betriebsratswahl tricksen

7 Minuten Lesezeit
03.12.2025

Die Betriebsratswahlen 2026 gehen in die heiße Phase. Jetzt ist der Moment, in dem manche Arbeitgeber versuchen, die Größe des künftigen Gremiums kleinzuhalten oder die Wahl zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Tobias Gerlach, Referent bei der W.A.F. und Spezialist für knifflige Wahlfragen, hat klare Antworten darauf, welche Szenarien Sie als Betriebsrat oder Wahlvorstand in der Wahlvorbereitung unbedingt im Blick haben sollten.

Porträt von Rechtsanwalt Tobias Gerlach

W.A.F.: Bei der künftigen Betriebsratsgröße prallen die Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat oft aufeinander. Grundsätzlich gilt: Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen hat, desto größer ist auch das Gremium. Für Arbeitgeber ist es daher attraktiv, die Mitarbeiterzahl möglichst klein aussehen zu lassen. Welche typischen Methoden begegnen dir dabei?

T.G.: Ein Klassiker ist die sogenannte Stichtagsbetrachtung, die das Gesetz aber nicht vorsieht. Der Arbeitgeber nutzt einen für sich günstigen Zeitpunkt, an dem das Unternehmen beispielsweise 197 Mitarbeiter hat, um unter der 200er-Grenze zu bleiben.
Entscheidend ist aber, wie viele Arbeitnehmer „in der Regel“ beschäftigt sind. Dafür schaut man sowohl etwas in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Die tatsächliche regelmäßige Beschäftigtenzahl kann also deutlich vom Stichtag abweichen. Das ist alles andere als ungewöhnlich.
Besonders zu beachten sind hier die Leiharbeitnehmer. Diese sind häufig mitzuzählen. Und: Offene Stellen werden ebenfalls berücksichtigt. Gerade bei Schwellenwerten kann das den entscheidenden Unterschied ausmachen.

W.A.F.: Was muss ich bei den Kollegen aus der Arbeitnehmerüberlassung konkret beachten? Wann können die Leiharbeiter mir bei der Mitarbeiterzahl helfen?

T.G.: Ich zähle sie dann mit, wenn sie regelmäßig mit einer bestimmten Anzahl bei mir im Unternehmen arbeiten. Wenn es also immer rund 30 Personen sind, die ausgeliehen werden, dann erhöht sich die Mitarbeiteranzahl auch um diese Zahl. Die Leiharbeitnehmer haben das aktive Wahlrecht, wenn sie über 16 Jahre alt sind und ihr Einsatz mindestens drei Monate dauern soll. Sie dürfen also wählen – aber nicht kandidieren.

W.A.F.: Und wie sieht es bei „Leitenden Angestellten“ aus?

T.G.: Auch hier wird vom Arbeitgeber gerne getrickst. Plötzlich sollen viele Mitarbeiter „Leitende Angestellte“ sein, damit sie aus der Wählerliste fallen. Tatsächlich erfüllen aber nur wenige Arbeitnehmer die gesetzlichen Kriterien. Ein Blick in § 5 Abs. 3 BetrVG zeigt ganz klar, wer wirklich dazugehört.

W.A.F.: Was kann ich als Betriebsrat denn gegen all diese Tricks des Arbeitgebers tun?

T.G.: Ganz einfach: Nur der Wahlvorstand legt die Mitarbeiterzahl fest – nicht der Arbeitgeber. Die Angaben des Arbeitgebers sind nicht bindend. Der Wahlvorstand hat einen Ermessensspielraum, muss aber natürlich die Realität berücksichtigen.

W.A.F.: Manche Arbeitgeber versuchen auch, den Kreis der Wahlberechtigten kleinzuhalten, indem sie behaupten, bestimmte Mitarbeiter dürften an einem bestimmten Standort nicht wählen. Welche Vorteile hätte das für den Arbeitgeber?

T.G.: Dabei geht es um die Frage, ob ein Standort ein eigenständiger Betriebsteil nach § 4 BetrVG ist und einen eigenen Betriebsrat wählt.
Der Arbeitgeber bestreitet dies möglicherweise. Zum Beispiel, weil der Standort nicht weit genug entfernt oder nicht eigenständig genug organisiert sei, um selbst einen Betriebsrat zu wählen. So versucht er, die Anzahl der Gremien gering zu halten.
Aber auch hier schützt das Gesetz die Wahlen: Die Voraussetzungen sind klar geregelt und im Zweifel bietet § 18 BetrVG die Möglichkeit, das gerichtlich klären zu lassen.

W.A.F.: Was empfiehlst du dem Wahlvorstand, wie er sich bei der Beantwortung dieser Frage verhalten soll? Was muss er bedenken?

T.G.: Der Wahlvorstand kann solche Fragen ohne gute Schulung meistens nicht sicher beantworten. Und selbst dann kann es passieren, dass man zusätzlich rechtlichen Beistand braucht – zum Beispiel durch ein Gutachten eines Rechtsanwalts. Gerade habe ich einen Fall, in dem der Arbeitgeber ein Gutachten erstellen hat lassen, die Gewerkschaft auch und ich selbst schreibe eines für den Wahlvorstand. Am Ende liegen also drei verschiedene Antworten vor. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass man die Frage nicht mehr rechtzeitig vor der Wahl klären kann. Daran sieht man: Zeit ist ein entscheidender Faktor. Der Wahlvorstand sollte früh genug starten, um solche Konflikte in Ruhe lösen zu können.

W.A.F.: Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Jahr eine wichtige Entscheidung dazu getroffen. Dabei ging es um Besonderheiten bei Unternehmen mit Matrix-Strukturen. Was bedeutet das genau und was muss man bei der Betriebsratswahl beachten?

T.G.: Matrix-Strukturen sind kompliziert. In solchen Unternehmen gibt es nicht mehr den einen Chef, der sowohl fachlich als auch disziplinarisch führt. Stattdessen teilen sich mehrere Personen die Führung, zum Beispiel nach Regionen, Produkten oder Funktionen. In großen Konzernen kann es deshalb sein, dass jemand gleichzeitig Vorgesetzte in München, Peking und London hat, die alle für unterschiedliche Themen zuständig sind. Dadurch verschwimmen die Grenzen, was genau als „Betrieb“ gilt. Und genau das macht es schwierig zu bestimmen, wer wählen darf und von welchem Betriebsrat die Beschäftigten später vertreten werden. Für den Wahlvorstand ist es deshalb wichtig, diese Fragen genau zu klären, sonst kann es zu fehlerhaften Wahlergebnissen kommen.

W.A.F.: Es gibt auch noch kleinere Einzelfallmaßnahmen des Arbeitgebers, um die Beschäftigtenanzahl zu verringern – zum Beispiel durch viele BEM-Verfahren, Kündigungen oder verzögerte Einstellungen. Wie sollte ich als Betriebsrat damit umgehen?

T.G.: Hier lohnt es sich, Ruhe zu bewahren. Verzögerte Einstellungen bringen dem Arbeitgeber nichts, denn offene Stellen werden ja, wie bereits erwähnt, bei der Mitarbeiterzahl mitgezählt. Auch einzelne Kündigungen ändern meistens nichts, weil der Arbeitsplatz damit ja nicht wegfällt – besonders bei verhaltens- oder krankheitsbedingten Kündigungen im Zusammenhang mit BEM.
Anders sieht es aus, wenn ein Unternehmen dauerhaft umstrukturiert und Stellen wirklich wegfallen, wie aktuell in der Automobilbranche. Wenn viele Beschäftigte gehen müssen und die Stellen nicht nachbesetzt werden, sinkt die Mitarbeiterzahl tatsächlich. Grundsätzlich gilt aber: Verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen haben in der Regel keinen Einfluss auf die Berechnung.

W.A.F.: Das ist doch eine gute Nachricht. Jetzt haben wir mit deinen Antworten einen guten Überblick über die kniffligen Fragen bei der Wahlvorbereitung bekommen. Was mache ich aber, wenn bei der Wahl doch etwas schiefgelaufen ist?

T.G.: Zuerst denkt man natürlich an die Wahlanfechtung. Dafür hat man zwei Wochen Zeit, nachdem das Wahlergebnis bekanntgegeben wurde. Wenn aber der Arbeitgeber anfechten möchte, weil es angeblich Fehler in der Wählerliste gab, klappt das nicht – zumindest dann nicht, wenn er diese Fehler selbst verursacht hat. Er kann daraus keinen Vorteil ziehen.
Eine Wahl kann allerdings auch nichtig sein. Das sorgt manchmal für Verwirrung: Nach erfolgreicher Anfechtung wird die Wahl für unwirksam erklärt und alles, was ein Gremium bis dahin gemacht hat, hat auch Bestand. Wenn die Wahl hingegen für nichtig erklärt wird, ist es, als hätte es nie einen Betriebsrat gegeben. Das ist sehr drastisch. Deshalb kommt eine Nichtigkeit nur bei ganz schweren Fehlern vor – und das passiert zum Glück selten.

W.A.F: Welche kreativen Maßnahmen von Arbeitgebern fallen dir sonst noch ein, auf die ich mich als Wahlvorstand hier vorbereiten kann?

T.G.: Manche Arbeitgeber behaupten, der Wahlvorstand brauche keine Schulung, dabei ist gerade beim Thema Betriebsratswahl eine Schulung unbedingt notwendig. Andere versuchen, Einfluss auf die Kandidaten zu nehmen: Sie unterstützen Bewerber, die ihnen passen, oder versuchen unliebsame Kollegen von einer Kandidatur abzuhalten. Solche Eingriffe können strafbar sein. Arbeitgeber, die so vorgehen, riskieren sogar eine Freiheitsstrafe.

W.A.F.: Gibt es etwas, das du unseren Lesern noch mit auf den Weg geben möchtest vor der Wahl?

T.G.: Geht es an, habt keine Angst! Ja, das Wahlrecht ist anspruchsvoll und der Umgang mit dem Arbeitgeber kann anstrengend sein. Aber mit einer guten Schulung lässt sich die Wahl sicher und ordentlich durchführen und das Ergebnis ist jede Mühe wert. Ein Betriebsrat ist gerade in diesen Zeiten ein großer Gewinn für jeden Betrieb. Es braucht Mitbestimmung, es braucht Mitwirkung, es braucht starke Interessenvertreter, gerade jetzt!
Wer noch unsicher ist: Gib dir einen Ruck! Es wird dir viel Freude machen, Erfüllung bringen und du wirst Gutes für deine Kollegen erreichen.

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