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Wie funktioniert das Betriebliche Eingliederungsmanagement? BEM – Basics

7 Minuten Lesezeit

Gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX hat der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung (Betriebsrat) iSd § 176 SGB IX, bei (schwer-)behinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, sowie mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Ziel ist eine dauerhafte Sicherung des Arbeitsplatzes.

Zwei Kollegen unterhalten sich über das BEM

1. Was ist ein BEM-Verfahren und warum ist es durchzuführen?

Seit 2004 ist das Betriebliche Eingliederungsmanagement (nachfolgend kurz: BEM oder BEM-Verfahren) in § 167 Abs. 2 SGB IX verankert und somit besteht in Unternehmen die Pflicht, dieses anzubieten. Das BEM-Verfahren ist ein Teil des Betrieblichen Eingliederungsmanagement und bezieht sich auf Arbeitnehmer, die länger als sechs Wochen am Stück oder wiederholt (§ 167 Abs. 2 SGB IX) in den vergangenen zwölf Monaten (nicht Kalenderjahr) arbeitsunfähig waren.

Es zielt darauf ab, die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach mehr als sechs Wochen (42 Tagen bei einer fünf (5) Tage Woche) Arbeitsunfähigkeit zu erleichtern. Außerdem können individuelle Anpassungen vorgenommen werden, wenn die gesundheitlichen Bedürfnisse dies erfordern. Insgesamt soll weiteren Arbeitsunfähigkeitstagen vorgebeugt werden und der Arbeitsplatz erhalten bleiben.

Mit der Durchführung eines BEM-Verfahrens soll festgestellt werden, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen, es zu den Ausfallzeiten beim Arbeitnehmer gekommen ist. Zudem soll ermittelt werden, ob Möglichkeiten bestehen, diese Ausfallzeiten durch bestimmte Veränderungen am Arbeitsplatz zu verringern, um somit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermeiden zu können (Gesundheitsprävention).

Möchte der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis, wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers, personenbedingt kündigen hat er positiv darzulegen, dass keine zumutbare Möglichkeit (milderes Mittel) bestand, die personenbedingte Kündigung zu vermeiden. Das BEM-Verfahren selbst ist aber kein ausreichendes milderes Mittel und daher auch keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sondern es kommt auf das Ergebnis des durchgeführten BEM-Verfahrens an.

Sind die Voraussetzungen des § 167 SGB IX gegeben, hat der Arbeitgeber die Initiativlast, ein BEM-Verfahren durchzuführen. Für den Arbeitnehmer ist das BEM-Verfahren ein freiwilliges Verfahren, da eine individuell angepasste Lösung gefunden werden soll. Auf die Freiwilligkeit ist der Arbeitnehmer ausdrücklich hinzuweisen. Diese Freiwilligkeit bedeutet aber auch, dass der Arbeitnehmer keinen rechtlichen durchsetzbaren Anspruch auf das BEM-Verfahren hat (BAG, Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/29).

Wird der Arbeitgeber seiner Initiativlast bei der Durchführung eines BEM-Verfahrens nicht gerecht und ist der Arbeitnehmer deshalb nicht in der Lage, Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen, kann sich der Arbeitgeber zur Abwehr des Beschäftigungsverlangens nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten und es gäbe auch keine Arbeitsplätze, die dieser mit seinem Leistungsvermögen ausfüllen könne.

2. Mit wem soll das BEM-Verfahren durchführt werden und wann?

Ein BEM-Verfahren ist allen Arbeitnehmern, d.h. auch befristet oder Teilzeit-Beschäftigten, Auszubildenden und leitenden Angestellten anzubieten, sofern das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate besteht und eine Arbeitsunfähigkeit mehr als 6 Wochen innerhalb von 12 Monaten andauert. Das gilt auch dann, wenn der länger als 6 Wochen Erkrankte kürzer als ein Jahr beschäftigt ist.

Innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist ein BEM-Verfahren hingegen nicht erforderlich, weil der Arbeitgeber die Möglichkeit der Erprobung des Arbeitnehmers auf den für ihn vorgesehenen Arbeitsplatz haben soll.

Die Vorschrift des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gilt auch in Kleinbetrieben und in Betrieben ohne Betriebsrat.

3. Gibt es eine konkrete Ausgestaltung des BEM-Verfahrens und Vorgehensweise?

Für das BEM-Verfahren gibt es keinen standardisierten Ablauf. Wichtig ist, dass individuell auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten des Arbeitnehmers eingegangen wird.

Ein konkreter Fahrplan könnte wie folgt aussehen, dieser kann jedoch abweichen:

Das BEM-Verfahren einleiten

  • Der Arbeitgeber oder BEM-Beauftragte entscheidet, wann mit dem BEM-Verfahren begonnen wird
  • Den Arbeitnehmer informieren
    • Über die Verarbeitung der Daten (nach Art und Umfang)
    • Aufklärung über die Schweigepflichtsentbindungserklärung, ob der Arbeitnehmer den Betriebsarzt oder seinen Hausarzt von der Schweigepflicht entbindet
    • Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung durch das BEM-Team
  • Den Arbeitnehmer über die Ziele des BEM-Verfahrens informieren
  • Der Arbeitnehmer soll sich angstfrei auf das BEM-Verfahren einlassen können
  • Antwort des Arbeitnehmers abwarten
  • Nach kurzer Bedenkzeit soll der Arbeitnehmer entscheiden, ob er ein BEM-Verfahren (Freiwilligkeit) in Anspruch nimmt

Stimmt der Arbeitnehmer einem BEM-Verfahren nicht zu, dann ist dies damit beendet. Stimmt er einem BEM-Verfahren zu, dann setzt es sich wie folgt fort:

  • Sammeln von Daten
  • Arbeitsunfähigkeitszeiten zusammenstellen
  • Hintergründe der Ausfallzeiten
  • Atteste und Leistungsbild
  • Zielsetzung
  • Meinung des (Haus-) Arztes
  • BEM-Gespräch führen
  • Ziel des Gesprächs erörtern
  • BEM-Ziele erörtern und festlegen
  • Werks- oder Betriebsarzt hinzuziehen (entweder schon in dem Gespräch oder ankündigen, dass ein separates Gespräch geführt werden soll)
  • Hinweis auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses durch die hohen Fehlzeiten ist zulässig, um zu verdeutlichen, dass das BEM-Verfahren im Interesse des Arbeitnehmers ist
  • Regelmäßige Kontrollgespräche, um die Ziele zu kontrollieren und ggf. Anpassungen vorzunehmen

Ende eines BEM-Verfahrens, wenn zum Beispiel

  • der Arbeitnehmer das Angebot zum BEM-Verfahren endgültig ablehnt,
  • der Arbeitnehmer das begonnene BEM-Verfahren durch Widerruf seiner Einwilligung ablehnt,
  • die Parteien des Verfahrens einig sind, oder der Arbeitnehmer einseitig erklärt, dass das BEM-Verfahren beendet ist, oder nicht weiter durchgeführt werden soll.

4. Wie oft muss das BEM-Verfahren durchgeführt werden?

Die Pflicht zur Durchführung eines BEM-Verfahrens besteht, sobald innerhalb eines Zeitraums von max. einem Jahr sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten werden, § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines BEM-Verfahrens erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, ist grundsätzlich ein neues BEM-Verfahren durchzuführen. Dieses hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 18.11.2021, Az. 2 AZR 138/21 bestätigt. Dies soll selbst dann gelten, wenn nach dem ersten BEM-Verfahren noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist und ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Denn Ziel des BEM-Verfahrens sei es, durch geeignete Gesundheitspräventionen das Arbeitsverhältnis dauerhaft zu sichern. Diesem Zweck widerspricht es, in das Gesetz eine Befristung von einem Jahr für ein bereits durchgeführtes BEM-Verfahren hineinzulesen. Vielmehr besteht ein Bedürfnis für die Durchführung eines weiteren BEM-Verfahrens, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten BEM-Verfahrens erneut innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig ist.

5. Datenschutz

Beim BEM-Verfahren sind personenbezogene Daten (höchstpersönlicher Natur) nach § 26 Abs. 1 BDSG und Daten besonderer Kategorien nach § 26 Abs. 3 BDSG und zugleich Gesundheitsdaten iSv Art. 9 Abs. 1 DSGVO (Art 4 Ziff. 1 DSGVO) erforderlich. Danach ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich untersagt, es sei denn, dass die betroffene Person in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich einwilligt, oder die Verarbeitung erforderlich ist. In Ergänzung ergibt sich die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. c Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Denn die Verarbeitung ist notwendig, um eine rechtliche Verpflichtung zu erfüllen, der der Verantwortliche unterliegt. Zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten gehören auch die Gesundheitsdaten.

Grundlage zur Erhebung der BEM-Daten ist die Einwilligung der beschäftigten Person. Sie lässt sich in der Regel durch § 26 Abs. 2 BDSG begründen. Tatsächlich müssen Unternehmen ab diesem Zeitpunkt zwei verschiedene Einwilligungen betrachten und ihren Nutzen abwägen:

  • Die „Einwilligung des Beschäftigten zur Teilnahme am BEM“, damit dieser jederzeit „Herr des Verfahrens“ bleibt und selbst darüber bestimmen kann, welche Maßnahmen das Unternehmen durchführt, wer in den Prozess eingebunden ist und wie die Abläufe gestaltet sind.
  • Die „Einwilligung in die Verarbeitung der personenbezogenen Daten“ bzw. der Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 DSGVO.

Die gesamten BEM-Unterlagen und darin eingeschlossen die zulässig verarbeiteten personenbezogenen Daten muss der Arbeitgeber in besonderer Weise aufbewahren (BAG, Urteil vom 12.9.2006 – 9 AZR 271/06). Dies folgt im Weiteren aus der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 und Art. 2 GG, § 75 Abs. 2 BetrVG). Die zur Personalakte genommenen Gesundheitsdaten sind vor unbefugter zufälliger Kenntnisnahme durch Einschränkung des Kreises der Informationsberechtigten zu schützen. Daher ist die BEM-Akte von der Personalakte getrennt aufzubewahren. Einen berechtigten Zugang zu den BEM-Daten hat nur das BEM-Team.

Das BEM-Team besteht in der Regel aus vier internen Partnern: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung. Als externe Partner können einzubeziehen sein:

  • eine Vertrauensperson eigener Wahl des Arbeitnehmers,
  • das Integrationsamt,
  • der Betriebsarzt,
  • der behandelnde Arzt und
  • der Rehabilitationsträger (z.B. Krankenkasse, Agentur für Arbeit, Rentenversicherung, Unfallversicherung)
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