Reisekosten eines Betriebsratsmitglieds

BAG 7 ABR 35/93 vom 10. Aug. 1994

Nicht amtlicher Leitsatz

Zur Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erstattung von Kosten, die durch Entsendung eines Betriebsratsmitglieds zu einer Besprechung mit Mitgliedern anderer Betriebsräte entstanden sind.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) zur Erstattung von Kosten, die durch die Entsendung eines Betriebsratsmitglieds zu einer Besprechung mit Mitgliedern anderer Betriebsräte entstanden sind.

Die Beteiligte zu 2 ist die Hamburger Niederlassung eines Großunternehmens, das mehr als 40 Betriebsstätten in der Bundesrepublik Deutschland unterhält. Der Beteiligte zu 1 ist der in der Niederlassung Hamburg gebildete Betriebsrat. Daneben besteht für das Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat.

Zwischen den Beteiligten bestand ein Konflikt über Mitbestimmungsrechte in bestimmten Fragen der Vergütung der Außendienstmitarbeiter und Vertriebsbeauftragten.

Für die Frage der Vorgabe der jeweiligen Vertriebsziele, die von dem Vertriebsbeauftragten zu erfüllen und damit für die Höhe der Vergütung von Bedeutung ist, beansprucht der Betriebsrat, aber auch Betriebsräte anderer Niederlassungen des Unternehmens, ein Mitbestimmungsrecht. Nach den Gesamtbetriebsvereinbarungen ist die Vorgabe der jeweiligen Vertriebsziele dem Arbeitgeber überlassen.

Außerdem bestanden zwischen dem Betriebsrat sowie den Betriebsräten anderer Niederlassungen und dem Gesamtbetriebsrat Meinungsverschiedenheiten über das Verhalten des Gesamtbetriebsrats in der Frage der Gesamtbetriebsvereinbarungen und über angebliche Eingriffe des Gesamtbetriebsrats in Zuständigkeiten der Betriebsräte der Niederlassungen. Die Frage der Zusammenarbeit der örtlichen Betriebsräte mit dem Gesamtbetriebsrat war außerdem Gegenstand eines eigenständigen Tagesordnungspunkts einer für den 14. - 16. Mai 1991 anberaumten Betriebsräteversammlung.

Der Betriebsrat beschloß am 30. April 1991 die Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden sowie des Mitglieds des Betriebsrats und Gesamtbetriebsrats von L zu einem für den 7. Mai 1991 in Bremen angesetzten Treffen mit Mitgliedern von Betriebsräten norddeutscher Niederlassungen des Unternehmens. Die an die Arbeitgeberin gerichtete Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden über den Betriebsratsbeschluß lautet wie folgt:

"...Subjekt: Vorbereitung der BRe-Versammlung und GBR-Problematik

Der Betriebsrat hat beschlossen, Herrn von L und mich zu obigen Themen am 7.5. nach Bremen zu entsenden."

Der Arbeitgeber lehnte die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an dem Treffen in Bremen ab. Für die gleichwohl durchgeführte Reise entstanden dem Betriebsratsmitglied von L Aufwendungen, die entsprechend der bei der Arbeitgeberin geltenden Reisekostenregelung 173,88 DM für Fahrtkosten (276 km 0,63 DM) und 21,00 DM für Spesen betragen und die der Betriebsrat im vorliegenden Verfahren geltend macht.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin habe die durch die Entsendung des Betriebsratsmitglieds von L nach Bremen entstandenen Kosten gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen. Die Entsendung von Mitgliedern des Betriebsrats zu dem Treffen in Bremen habe der örtlichen Betriebsratsarbeit gedient. Die Besprechung des Konflikts zwischen den Betriebsräten der einzelnen Niederlassungen und dem Gesamtbetriebsrat, insbesondere die zu beobachtende Nichtausübung von Mitbestimmungsrechten durch den Gesamtbetriebsrat, habe dazu gedient, Strategien zu entwickeln, den Gesamtbetriebsrat zu einer besseren Interessenwahrnehmung zu veranlassen. Auch habe das Gespräch den Sinn gehabt, zu prüfen, wie auf der bevorstehenden Betriebsräteversammlung ein gemeinsames Vorgehen zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Gesamtbetriebsrat erreicht werden könne. Schließlich sollte auch das Verhalten des Gesamtbetriebsrats in der "Quip-Angelegenheit" und dem angeblich darin liegenden Eingriff in die Zuständigkeit der Betriebsräte der einzelnen Niederlassungen besprochen werden. Dabei sei nicht nur die Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden, sondern auch die des Mitglieds des Betriebsrats von L erforderlich gewesen, da beide für unterschiedliche Sachfragen zuständig seien.

Der Betriebsrat hat beantragt, die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, an das Betriebsratsmitglied Walter von L. Reisekosten in Höhe von 173,88 DM und Spesen in Höhe von 21,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1991 zu zahlen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat im wesentlichen die Ansicht vertreten, die geltend gemachten Kosten seien nicht erstattungsfähig, da sie nicht durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstanden seien. Die für die Entsendung angegebenen Besprechungsinhalte seien zu pauschal und ließen nicht erkennen, um welche Streitpunkte es gegangen sein soll. Der Betriebsrat der einzelnen Niederlassungen habe nicht die Befugnis, zur Vorbereitung einer Betriebsräteversammlung Reisen zu unternehmen, die allein dem Zweck dienen sollen, andere Betriebsräte zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Für einen Informations- und Meinungsaustausch biete die Betriebsräteversammlung Gelegenheit.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde des Betriebsrats dem Antrag stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß die Arbeitgeberin gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG die der Höhe nach unstreitigen Reisekosten des Betriebsratsmitglieds von L für die Reise vom 7. Mai 1991 nach Bremen zu tragen hat.

I. Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß hierunter auch die erforderlichen Aufwendungen einzelner Betriebsratsmitglieder fallen, die ihnen bei der Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben entstehen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Entscheidungsfall hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler bejaht.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß das Betriebsratsmitglied von L mit seiner Reise nach Bremen gesetzliche Aufgaben des Betriebsrats wahrgenommen hat. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, eine Rechtsfrage, die allein nach objektiven Maßstäben zu beantworten ist.

a) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ging es dem Betriebsrat bei seinem Entsendungsbeschluß darum, seine Vorstellungen hinsichtlich der Vergütungsregelung für Außendienstmitarbeiter im Vorfeld der unmittelbar bevorstehenden Betriebsräteversammlung mit den in Bremen zusammengekommenen Betriebsratsmitgliedern aus anderen Betrieben der Arbeitgeberin abzustimmen und insbesondere einen insoweit bestehenden Zuständigkeitskonflikt zwischen dem Gesamtbetriebsrat und den einzelnen Betriebsräten zu erörtern. Damit gehörte der zu besprechende Fragenkreis zu den gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Die Verwirklichung seiner Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte aber zählt zu den gesetzlichen Hauptaufgaben des Betriebsrats.

b) Diese gesetzliche Aufgabenstellung des Betriebsrats entfiel im Entscheidungsfall nicht grundsätzlich deshalb, weil die Vergütung der Außendienstmitarbeiter durch Gesamtbetriebsvereinbarungen geregelt war.

Aber selbst wenn der Gesamtbetriebsrat allein zuständig gewesen sein sollte, nimmt dies dem einzelnen Betriebsrat nur das Recht, mit dem Arbeitgeber eine eigene Vereinbarung zu treffen oder zu versuchen, eine solche Vereinbarung über die Einigungsstelle durchzusetzen. Nicht gehindert ist er jedoch, wie das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Verfahren zutreffend erkannt hat, einen Versuch zu unternehmen, seine abweichenden Vorstellungen durch Einflußnahme auf die Willensbildung im Gesamtbetriebsrat durchzusetzen. Erst recht ist es Aufgabe des Betriebsrats, seine eigene Zuständigkeit bei einem Zuständigkeitskonflikt mit dem Gesamtbetriebsrat zu wahren. Jedenfalls solange diese Zuständigkeitsfrage noch nicht mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden ist, muß dem Betriebsrat an einer Klärung dieser Frage gelegen sein. Dem Landesarbeitsgericht ist in seiner Würdigung zu folgen, daß hierzu Gespräche mit anderen Betriebsräten des Unternehmens sinnvoller sein können als die sofortige Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens. In welchem Umfang der einzelne Betriebsrat hierbei Aktivitäten auf Kosten des Arbeitgebers entfalten darf, ist eine Frage der Erforderlichkeit, beeinflußt aber nicht die zutreffende Erkenntnis des Landesarbeitsgerichts, daß der Versuch der Wahrung der eigenen Mitbestimmungsrechte zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats gehört.

2. Rechtsfehlerfrei ist auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, daß die Reise des Betriebsratsmitglieds von L erforderlich war, um die soeben dargestellte Aufgabe des Betriebsrats wahrzunehmen.

Insbesondere hat das Landesarbeitsgericht seiner Würdigung der Erforderlichkeit die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt. Danach hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nur nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob rückblickend aus späterer Sicht die aufgewendeten Kosten im streng objektiven Sinn erforderlich waren. Die gerichtliche Kontrolle muß sich darauf beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter den im Zeitpunkt der Beschlußfassung geltenden Umständen ebenfalls eine derartige Entscheidung getroffen hätte.

c) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der Betriebsrat die Reise von zwei Betriebsratsmitgliedern nach Bremen angesichts der besonderen Verhältnisse im Unternehmen der Arbeitgeberin und der geringen Ausgabenhöhe für erforderlich halten durfte.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt, der Zweck der Reise des Betriebsratsmitglieds von L sei aus der schriftlichen Mitteilung des Betriebsrats an die Arbeitgeberin vom 30. April 1991 nicht zu entnehmen gewesen, sondern erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vom Betriebsrat "scheibchenweise nachgeschoben" worden.

2. Mit dieser Rüge verkennt die Rechtsbeschwerde bereits im Ansatz, daß der Betriebsrat und die Betriebsratsmitglieder bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben keiner Kontrolle durch den Arbeitgeber unterliegen. Insbesondere brauchen sie ihm über ihre derzeitige oder ihre geplante Betriebsratstätigkeit keine detaillierte Auskunft zu geben und erst recht nicht seine Zustimmung einzuholen. Sie müssen sich lediglich vor dem Verlassen ihres Arbeitsplatzes unter stichwortartiger Angabe der geplanten Tätigkeit rechtzeitig abmelden, um dem Arbeitgeber die Arbeitseinteilung zu ermöglichen; in gleicher Weise muß sich ein freigestelltes Betriebsratsmitglied abmelden, wenn es den Betrieb verläßt, weil es für Betriebsratsaufgaben erreichbar sein muß (BAG Urteil vom 31. Mai 1989 - 7 AZR 277/88 - AP Nr. 9 zu § 38 BetrVG 1972). Diesen Anforderungen genügte die Mitteilung des Betriebsrats an die Arbeitgeberin vom 30. April 1991. Auf die Rügen der Rechtsbeschwerde, der Betriebsrat habe der Arbeitgeberin den Reisezweck vor Antritt der Reise nicht konkret genug dargelegt, kommt es daher nicht an.