Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit

BAG 7 AZR 500/88 vom 7. Juni 1989

Leitsatz

Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung.

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem Jahre 1981 bei der Beklagten, einem Energieversorgungsunternehmen, als Elektriker im Dreischichtdienst gegen einen Bruttostundenlohn von zuletzt 18,84 DM einschließlich Schichtzuschlägen beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. Am 20. August 1987 und am 16. September 1987 nahm der Kläger jeweils von 8 Uhr bis 16.30 Uhr bzw. bis 17.05 Uhr an Betriebsratssitzungen teil. Zu beiden Zeitpunkten war er zur Nachtschicht eingeteilt, die von abends 22 Uhr bis morgens 6 Uhr lief. In beiden Fällen blieb er sowohl der Nachtschicht vor der Betriebsratssitzung als auch der Nachtschicht nach der Betriebsratssitzung fern, weil er die Arbeitsleistung angesichts seiner Teilnahme an den jeweils außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit liegenden Betriebsratssitzungen für unzumutbar hielt. Die Beklagte vergütete dem Kläger unter Hinweis auf § 37 Abs. 3 BetrVG für jede der beiden Betriebsratssitzungen unter Einschluß von jeweils einer halben Stunde Fahrtzeit für An- und Rückreise neun Stunden wie Arbeitszeit; die vom Kläger nicht geleisteten vier Nachtschichten wurden nicht bezahlt.

Mit der Klage begehrt der Kläger die Bezahlung dieser vier achtstündigen Schichten abzüglich der erhaltenen Beträge für zweimal neun Stunden, mithin die Bezahlung von 14 Stunden (der Berechnung des im Klageantrag geforderten Betrages hat er allerdings 16 Stunden zugrunde gelegt). Er hat im wesentlichen vorgetragen, selbst die Beklagte habe eingeräumt, daß es ihm im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben als Betriebsratsmitglied nicht möglich gewesen sei, in den Nächten vor den Sitzungen zum Dienst zu erscheinen. Allenfalls hätte er die darauffolgenden Schichten ableisten können. Auch dies sei ihm indessen nicht zuzumuten gewesen, weil zwischen dem Sitzungsende und dem Arbeitsbeginn dann jeweils nur etwa fünf Stunden gelegen hätten. Die Arbeitsleistung nach einer so kurzen Pause lasse sich weder mit der Regelung des § 12 AZO noch damit vereinbaren, daß die Wartung und Überwachung von Kraftwerksblöcken, die ihm obgelegen habe, so verantwortungsvoll sei und ein derart rasches Handeln erfordere, daß ihre Übertragung auf unausgeschlafene und daher allenfalls vermindert leistungsfähige Bedienstete zu gefährlich sei. Auch die Beklagte habe von ihm nicht die Ableistung der auf die Betriebsratssitzung folgenden Nachtschichten verlangt, sondern lediglich deren Bezahlung verweigert.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 301,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung (9. Dezember 1987) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und im wesentlichen ausgeführt: Betriebsratstätigkeit falle nicht unter die Arbeitszeitordnung. Dem Kläger sei es auch nicht unzumutbar gewesen, jeweils im Anschluß an die Betriebsratssitzung nach fünfstündiger Ruhepause die Nachtschicht anzutreten. Daher sei jeweils die der Betriebsratssitzung vorangehende Nachtschicht als bezahlter Freizeitausgleich zu behandeln, nicht aber die auf die Betriebsratssitzung folgende Nachtschicht, die auch nicht durch Betriebsratstätigkeit ausgefallen sei. Mithin habe der Kläger den bezahlten Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erhalten, weil er in der der Betriebsratssitzung vorausgehenden Schicht nicht habe arbeiten müssen, obwohl ihm diese Schicht bezahlt worden sei. Der Kläger könne für eine Stunde Betriebsratstätigkeit nicht mehr als jeweils eine Stunde bezahlten Freizeitausgleich verlangen. Überdies falle aufgrund der Schichtplangestaltung für den Kläger im Turnus von jeweils vier Wochen eine Freischicht an, die er für die Betriebsratssitzung verwenden könne, wenn diese tagsüber stattfinde, während er Nachtschicht habe. Auch sei es möglich, den Kläger ständig nicht mehr in Schicht-, sondern in Normalarbeitszeit zu beschäftigen, wobei dann allerdings die Schichtzuschläge entfielen. Wenn der Kläger dies im Hinblick auf die vertraglichen Vereinbarungen und auf die gewährten Schichtzuschläge ablehne, sei dies allein seine Sache. Im übrigen habe der Kläger auch nicht angeboten, die versäumte Arbeitszeit nachzuholen; allerdings sei es untunlich, wenn der Kläger seine Nachtschicht erst zu einem späteren Zeitpunkt als 22 Uhr antrete.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 263,76 DM brutto nebst Zinsen stattgegeben, sie im übrigen abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

Die hier einschlägige Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG betrifft nicht nur Fälle, in denen eine während der Arbeitszeit verrichtete Betriebsratstätigkeit unmittelbar den Ausfall der Arbeitsleistung zur Folge hat. Die Vorschrift will vielmehr grundsätzlich verhindern, daß das Betriebsratsmitglied infolge einer erforderlichen Betriebsratstätigkeit eine Entgelteinbuße erleidet. Auch durch eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit darf daher eine Minderung des Arbeitsentgelts des Betriebsratsmitglieds nicht eintreten, soweit die Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat.

3. Diese Voraussetzungen sind im Entscheidungsfall gegeben. Infolge seiner Teilnahme an den tagsüber abgehaltenen Betriebsratssitzungen und damit aufgrund einer erforderlichen Betriebsratstätigkeit war der Kläger an der Ableistung der den Betriebsratssitzungen jeweils vorangehenden und nachfolgenden Nachtschichten gehindert. Denn aufgrund der im Entscheidungsfall vorliegenden besonderen Umstände war dem Kläger die Ableistung dieser Nachtschichten unzumutbar. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.

Das Landesarbeitsgericht hat insoweit im wesentlichen ausgeführt, nach der Teilnahme an einer ganztägigen Betriebsratssitzung habe vom Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Treuepflicht nicht erwartet werden können, daß er nur fünf Stunden später die Arbeit mit der vollen Verantwortung für die ordnungsgemäße Erledigung der in dieser achtstündigen Nachtschicht anfallenden Tätigkeiten aufnehme. Die Folgen einer fehlerhaften und damit vertragswidrigen, auf Übermüdung beruhenden Arbeitsausführung sowohl zum Nachteil des Klägers wie auch zum Nachteil der Beklagten und ihrer Kunden könnten so erheblich sein, daß bereits die Übernahme dieses Folgenrisikos dem Kläger nicht zugemutet werden konnte. Selbst wenn der Kläger dieses Risiko hätte eingehen wollen, wäre die Beklagte schon unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht gehalten gewesen, ihm die Arbeitsleistung mit Rücksicht auf die Gefahren für Leben und Gesundheit zu untersagen. Auch wenn die ganztägige Betriebsratssitzung nicht unter die AZO falle, sei die Teilnahme an ihr doch nicht etwa nur wache Aufmerksamkeit im Zustande der Entspannung, sondern stehe bezüglich der Anforderungen an Aufmerksamkeit und geistige Leistungsfähigkeit denjenigen bei der Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht nach. Wegen des Benachteiligungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG könne die Beklagte den Kläger auch nicht darauf verweisen, das von ihm zuvor erarbeitete Freizeitkonto für die ausfallenden Nachtschichten zu verwenden, da die anderen Arbeitnehmer ihre schichtfreien Tage nach völlig freiem Belieben nur unter Berücksichtigung ihrer eigenen persönlichen Interessen nehmen könnten.

Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß auch die Beklagte vom Kläger nicht die Ableistung der Nachtschichten verlangt hat, sondern lediglich deren Bezahlung verweigerte, ist mithin im Entscheidungsfalle davon auszugehen, daß der Kläger durch seine Betriebsratstätigkeit an der Ableistung der Nachtschichten gehindert war. Dann aber durfte die Beklagte das Arbeitsentgelt des Klägers gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG nicht mindern, so daß dem Kläger unter Anrechnung der von der Beklagten bereits erbrachten Leistungen die Klageforderung zuzusprechen war.