Sitzung des Gesamtbetriebsrats

BAG 6 AZR 301/81 vom 19. Jan. 1984

Nicht amtlicher Leitsatz

Zur Frage der Erforderlichkeit der Anreise bereits einen Tag vor der Betriebsratssitzung und dem damit verbundenen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG.

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt. Er hat gleitende Arbeitszeit. Die Kernzeit geht von von 9.00 bis 16.00 Uhr; die Gleitzeiten liegen von 7.00 bis 9.00 Uhr und von 16.00 bis 18.00 Uhr. Bei Abwesenheit vom Betrieb wird als Arbeitszeit die Zeit von 8.00 bis 17.00 Uhr angesehen. Die Pause dauert von 12.00 bis 12.30 Uhr.

Der Kläger ist Vorsitzender des Betriebsrates der Berliner Niederlassung der Beklagten sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Die Gesamtbetriebsratssitzungen finden an wechselnden Orten statt. Für Dienstag, den 3. Juni 1980, 9.00 Uhr wurde eine Sitzung in Wiesbaden anberaumt. Der Kläger verließ am 2. Juni 1980 um 12.00 Uhr seinen Arbeitsplatz. Er flog um 13.35 Uhr mit dem Flugzeug nach Frankfurt und kam dort gegen 14.35 Uhr an. Vom Flughafen fuhr er per Bahn nach Wiesbaden. Die Fahrtzeit beträgt 18 Minuten. Vom Bahnhof Wiesbaden begab sich der Kläger in das Hotel, in dem die Gesamtbetriebsratssitzung stattfand.

Die Gesamtbetriebsratssitzung am 3. Juni 1980 dauerte sechs Stunden ausschließlich einer einstündigen Mittagspause. Nach der Sitzung trat der Kläger per Bahn und Flugzeug am gleichen Tage die Rückreise nach Berlin an.

Die Beklagte erstattete dem Kläger Reisekosten einschließlich der Übernachtungskosten. Von seinem Gehalt zog sie jedoch 55,32 DM für 3,4 Stunden Abwesenheit am 2. Juni 1980 ab. Der Kläger hat mit seiner Klage von der Beklagten Zahlung dieses Betrages begehrt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger sei verpflichtet gewesen, An- und Abreise an einem Tag durchzuführen und auf eine dementsprechende Lage der Gesamtbetriebsratssitzung hinzuwirken.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 39,05 DM für 2,4 Stunden zu zahlen; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen, da der Kläger am 2. Juni 1980 noch eine Stunde später hätte nach Frankfurt fliegen können. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe - Die Revision ist unbegründet

Die Parteien streiten nicht darüber, daß auch die An- und Abreise von Betriebsratsmitgliedern zum Ort der Gesamtbetriebsratssitzung Betriebsratstätigkeit ist, für die der Arbeitgeber nach § 37 Abs. 2 BetrVG Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Lohnes zu gewähren hat, wenn sie während der Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds ausgeführt wird. Streitig ist hier allein, ob der Kläger es für erforderlich ansehen konnte, bereits am 2. Juni 1980 zu der Gesamtbetriebsratssitzung vom 3. Juni 1980 an zu reisen und ihm demnach Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG zusteht. Das ist zu bejahen.

Der Vergütungsanspruch des Klägers ist jedenfalls in der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Höhe gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. Verb. mit § 37 Abs. 2 BetrVG begründet. Danach sind die Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Auch Zeiten der An- und Abreise zu Sitzungen innerhalb der Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds sind Betriebsratstätigkeit.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wird bei Abwesenheit vom Betrieb als Arbeitszeit die Zeit von 8.00 bis 17.00 Uhr angesehen. Damit hätte der Kläger bei einem Abflug am 3. Juni 1980 um 7.05 Uhr ca. eine Stunde außerhalb seiner Arbeitszeit die Anreise antreten müssen. Dies konnte die Beklagte nicht verlangen, weil Betriebsratstätigkeit grundsätzlich während der Arbeitszeit durchzuführen ist und dem Kläger im übrigen für Reisezeit außerhalb der Arbeitszeit kein Entgeltanspruch gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG zustünde, da diese Tätigkeit nicht aus betriebsbedingten, sondern aus betriebsratsbedingten Gründen erfolgt wäre.

Die Beklagte kann dem Kläger auch nicht entgegenhalten, er hätte die Gesamtbetriebsratssitzung am 3. Juni 1980 zu einem späteren Zeitpunkt ansetzen und an demselben Tage anreisen müssen. In Anbetracht der Unwägbarkeiten der Anreise mit verschiedenen Verkehrsmitteln und einer vom Landesarbeitsgericht errechneten Abwesenheit von 12 Stunden konnte es der Kläger für erforderlich ansehen, schon am Vortage anzureisen. Ein späterer Sitzungstermin hätte u.U. auch dazu geführt, daß die Rückreise nicht mehr am Sitzungstag hätte durchgeführt werden können.