Anzahl der Beisitzer für Einigungsstelle

LAG 3 TaBV 4/20 vom 1. Okt. 2020

Leitsätze

1. Im Regelfall ist eine Einigungsstelle mit je zwei Beisitzern auf jeder Seite zu besetzen.



2. Bei einer Einigungsstelle zum Thema "Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen" kann wegen der Erforderlichkeit sowohl juristischen als auch arbeitspsychologischen Sachverstands eine Festlegung der Beisitzerzahl auf drei je Seite geboten sein (ebenso LAG Baden-Württemberg 10.09.2020 - 4 TaBV 5/20).
 

Tenor

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2020 – Aktenzeichen: 3 BV 127/20 – abgeändert.

Die Zahl der Beisitzer der von der Arbeitgeberin angerufenen Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen“ wird für die Arbeitgeberin und für den Betriebsrat auf jeweils drei festgesetzt.

Gründe

 

 

A

Die Beteiligten streiten über die Anzahl der in eine Einigungsstelle zu bestellenden Beisitzer.

Die zu 2 beteiligte Arbeitgeberin betreibt mehrere Krankenhäuser. Der antragstellende Betriebsrat ist für den Betrieb des Klinikums S./B. errichtet. Die Arbeitgeberin hat eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen“ angerufen. Die Beteiligten sind sich darin einig, dass deren Vorsitz Herr Rechtsanwalt Dr. C. L. übernehmen soll.

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, dass das Thema der Einigungsstelle so komplex sei, dass mehr als zwei Beisitzer je Seite erforderlich seien. Es sei geboten, sowohl juristischen Sachverstand als auch speziellen fachlichen Sachverstand als Beisitzer hinzuzuziehen. Letztlich könne der Betriebsrat unabhängig von der Zahl der Beisitzer ohnehin selbst entscheiden, wen er in die Einigungsstelle entsende und ob es sich dabei um interne oder externe Personen handele.

Hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 24. Juli 2020 unter I der Gründe verwiesen.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, mehr als zwei Beisitzer je Seite seien nicht geboten. Es sei überdies im Interesse der die Kosten tragenden Arbeitgeberin, wenn möglichst viele interne Personen in der Einigungsstelle tätig würden.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 24. Juli 2020 unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen die Zahl der Beisitzer der Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen“ auf jeweils zwei festgelegt und zur Begründung ausgeführt: Eine Einigungsstelle sei im Regelfall mit zwei Beisitzern je Seite zu besetzen. Die Anzahl der Beisitzer richte sich im Übrigen grundsätzlich nach der Komplexität des zu regelnden Sachverhalts, der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen, der mit dem Regelungsgegenstand verbundenen schwierigen Rechtsfragen und der Zumutbarkeit der Einigungsstellenkosten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass Effizienz und Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle unter einer zu hohen Anzahl von Beisitzern leiden könnten. Eine über der Regelbesetzung liegende Anzahl von Beisitzern dürfe nicht einfach nur „wünschenswert“ oder „sinnvoll“ sein, sondern es müsse eine objektiv feststellbare Notwendigkeit der höheren Beisitzerzahl zur Bewältigung der sich aus dem Regelungsgegenstand ergebenden Sach- und Rechtsfragen bestehen.

Selbst wenn man der Ansicht des Betriebsrats folge, dass Abweichungen von der Regel, nur zwei Beisitzer zu bestimmen, im Fall einer Einigungsstelle zum Thema Gefährdungsbeurteilung zulässig seien, müsse die Erforderlichkeit im Einzelfall gleichwohl begründet werden. Die Notwendigkeit der Vorhaltung jedenfalls juristischen Sachverstands auf Seiten des Betriebsrats in der Einigungsstelle vermöge das Gericht nicht zu erkennen, wenn man berücksichtige, dass sich die Beteiligten bereits auf einen Rechtsanwalt und erfahrenen Einigungsstellenvorsitzenden als Vorsitzenden der Einigungsstelle zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen verständigt hätten, der über hinreichenden juristischen Sachverstand verfüge, um innerhalb der Einigungsstelle die auftretenden rechtlichen Fragen zu beantworten. Zudem bestehe für die Einigungsstelle die Möglichkeit, falls erforderlich, externen Sachverstand in Form eines Sachverständigen hinzuzuziehen.

Nach alledem falle die vom Betriebsrat behauptete Komplexität gegenüber den weiteren zu berücksichtigenden Faktoren, insbesondere der Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle und den damit verbundenen Kosten, nicht derart ins Gewicht, dass sie eine Abweichung von der Regelbesetzung von zwei Beisitzern je Seite begründen könne.

Der Betriebsrat hat gegen den ihm am 28. Juli 2020 zugestellten arbeitsgerichtlichen Beschluss am 10. August 2020 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

10 

Der Betriebsrat hält nunmehr noch die Besetzung der Einigungsstelle mit jeweils drei Beisitzern für erforderlich. Auch nach den Empfehlungen der DGUV bedürfe die Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen einer Beratung durch entsprechendes Fachpersonal, zum Beispiel Arbeitspsychologen. Wenn selbst Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Durchführung einer psychischen Gefährdungsbeurteilung als äußerst komplexes Thema ansähen, so sei dem Betriebsrat im Rahmen einer Einigungsstelle zuzugestehen, zusätzlich zum juristischen Sachverstand fachlichen Sachverstand hinzuzuziehen, und gleichzeitig selbst auch Beisitzer in der Einigungsstelle sein zu können, weshalb drei Beisitzer je Seite erforderlich seien.

11 

Der Argumentation des Arbeitsgerichts, wonach auf Seiten des Betriebsrats keine Notwendigkeit für die Hinzuziehung juristischen Sachverstands bestehe angesichts der Besetzung des Einigungsstellenvorsitzes mit einem Rechtsanwalt und Mediator sei nicht zu folgen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einigungsstelle auf Arbeitgeberseite mit der stellvertretenden Geschäftsbereichsleiterin Personal S., einer Juristin, besetzt sein solle.

12 

Bei einer zum gleichen Thema zu besetzenden Einigungsstelle im Betrieb N. der Arbeitgeberin beabsichtige diese nunmehr, ihrerseits juristischen und fachlichen Sachverstand in Gestalt der Frau S. und einer Arbeitspsychologin der Firma F. hinzuzuziehen.

13 

Der Betriebsrat beantragt,

14 

den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2020 – 3 BV 127/20 – abzuändern und die Anzahl der Beisitzer der von der Arbeitgeberin angerufenen Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen“ für den Betriebsrat und für die Arbeitgeberin jeweils auf drei festzulegen.

15 

Die Arbeitgeberin beantragt,

16 

die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

17 

Sie verteidigt den arbeitsgerichtlichen Beschluss.

18 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

B

19 

Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig und begründet.

I.

20 

Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG) und ordnungsgemäß begründet (§ 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG in Verbindung mit § 89 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

II.

21 

Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

22 

Die Zahl der Beisitzer war je Seite auf drei festzulegen.

23 

Die Beschwerdekammer geht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass im Regelfall die Festlegung von zwei Beisitzern je Seite angemessen ist (so zum Beispiel auch LAG Rheinland-Pfalz 12. Juli 2017 – 4 TaBV 23/17 – juris). Grundsätzlich richtet sich die Anzahl der Beisitzer einer Einigungsstelle nach der Schwierigkeit und dem Umfang der Regelungsstreitigkeit sowie nach der Zumutbarkeit der mit einer höheren Zahl von Beisitzern entstehenden Kosten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Effizienz und Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle unter einer zu hohen Anzahl von Beisitzern leiden können (LAG Düsseldorf 8. Mai 2018 – 3 TaBV 15/18 – juris). Außerdem sind die tatsächliche und rechtliche Dimension des streitigen Regelungsgegenstands zu berücksichtigen und die zu ihrer Beilegung notwendigen Fachkenntnisse und betriebspraktischen Erfahrungen (LAG Baden-Württemberg 10. September 2020 – 4 TaBV 5/20) bzw. die Komplexität der bei der Regelung zu beachtenden Fragestellungen und der hierfür erforderliche Sachverstand und das erforderliche Fachwissen (LAG Düsseldorf 7. April 2020 – 3 TaBV 1/20 – juris).

24 

Es kann dahingestellt bleiben, ob in der Beschwerdeinstanz das Beschwerdegericht eine eigene Ermessensentscheidung treffen oder nur die Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts auf Rechtsfehler überprüfen darf. Jedenfalls entspricht die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts nicht billigem Ermessen, weil es die Erforderlichkeit juristischen Fachwissens auf Seiten der Betriebsparteien innerhalb der Einigungsstelle unzutreffend beurteilt hat.

25 

Der Betriebsrat kann nicht darauf verwiesen werden, dass der Vorsitzende der Einigungsstelle als Rechtsanwalt Volljurist ist, der die in der Einigungsstelle auftretenden rechtlichen Fragen beantworten könne. Auch die Arbeitgeberin beabsichtigt, den bei ihr intern vorhandenen juristischen Sachverstand in Gestalt der Frau S. als Beisitzerin in die Einigungsstelle einzubringen. Auch dem Betriebsrat ist zu ermöglichen, juristische Fragestellungen intern und auch unter taktischen Gesichtspunkten und gegebenenfalls in Abwesenheit der Beisitzer der Arbeitgeberseite und des Einigungsstellenvorsitzenden zu erörtern. Der unparteiische Einigungsstellenvorsitzende kann dies nicht leisten.

26 

Da die Komplexität der bei Regelungen zur psychischen Gefährdungsbeurteilung zu beachtenden Fragestellungen neben der intensiven Auseinandersetzung mit den betrieblichen Gegebenheiten und der dafür erforderlichen betriebsinternen Expertise juristischen Sachverstand und Fachwissen darüber erfordert, wie die Gefährdungsfaktoren ermittelt werden können, erscheint es sinnvoll, die Einigungsstelle bereits auf Beisitzerseite mit entsprechendem Sachverstand zu versehen und die Betriebsparteien nicht allein auf die Zuziehung von Sachverständigen im Einzelfall durch die Einigungsstelle selbst zu verweisen (LAG Düsseldorf 7. April 2020 – 3 TaBV 1/20 – juris). Gerade wenn wie im vorliegenden Fall nach den betrieblichen Gegebenheiten verschiedene methodische Vorgehensweisen für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in Betracht kommen und die Einigungsstelle ein eigenes Konzept zur Ermittlung möglicher Gefährdungen erstellen soll, bedarf es eines Fachwissens darüber, wie Gefährdungsfaktoren ermittelt werden können (LAG Köln 20. Oktober 2017 – 9 TaBV 69/17 – juris). In diesen Fällen ist bei Fehlen einer eigenen Expertise die Festlegung auf drei Beisitzer je Seite geboten, um den Betriebsparteien zu ermöglichen, neben dem eigenen Sachverstand über die betrieblichen Gegebenheiten auch auf externen Sachverstand zu juristischen Fragestellungen und zu arbeitspsychologischen Fragestellungen zurückgreifen zu können (LAG Baden-Württemberg 10. September 2020 – 4 TaBV 5/20).

27 

Die von der Arbeitgeberin gehegte Befürchtung, der von Betriebsratsseite als Beisitzer vorgesehene Herr Dr. G. habe ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse, von der Einigungsstelle den Auftrag zur Durchführung der Ermittlung der psychischen Gesundheitsgefährdung zu erhalten, kann nicht dazu führen, dass deshalb die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer verringert wird. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Auffassung des Betriebsrats die Betriebsparteien bei der Benennung ihrer Beisitzer zwar weitgehend, aber nicht vollständig frei sind, da Personen als Beisitzer der Einigungsstelle ausscheiden, wenn unter ihrer Mitwirkung eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Einigungsstelle nicht zu erwarten ist (BAG 28. Mai 2014 – 7 ABR 36/12 – NZA 2014, 1213). Überdies ist es Sache der Einigungsstelle selbst festzulegen, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche Gefahrenursachen hin in welchem Zeitablauf untersucht werden sollen (BAG 30. September 2014 – 1 ABR 106/12 – juris). Deshalb wäre beispielsweise auch denkbar, dass die Einigungsstelle, um eine „Nähe“ zu einer der Betriebsparteien zu vermeiden, weder auf das Verfahren F. noch auf das Verfahren G. zurückgreift.

28 

Dass die Durchführung der Einigungsstelle mit drei Beisitzern je Betriebspartei die Arbeitgeberin wirtschaftlich unzumutbar belasten würde, ist nicht ersichtlich.

III.

29 

1. Diese Entscheidung ergeht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG durch den Vorsitzenden der Beschwerdekammer.

30 

2. Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.