Betriebsratsschulung über betriebsverfassungsrechtliches Grundwissen

BAG 7 AZR 125/90 vom 18. Sep. 1991

Nicht amtlicher Leitsatz

Für die Frage, ob die konkreten Aufgaben des einzelnen Betriebsratsmitglieds seine Schulung erforderlich machen, ist darauf abzustellen, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebes Fragen anstehen oder absehbar in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand des Betriebsrats eine Schulung eines Betriebsratsmitglieds gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung im Betriebsrat erforderlich erscheint, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Lohnzahlung für die Zeit seiner Teilnahme an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung über Fragen des Betriebsverfassungsrechts.

Der Kläger ist seit 1972 als Sachbearbeiter bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen mit etwa 1.300 Arbeitnehmern, beschäftigt. Im März 1987 wurde er erstmals in den Betriebsrat gewählt, der aus 15 Mitgliedern besteht. Er ist Sprecher des aus fünf Mitgliedern bestehenden Wohnungsausschusses, ferner gehört er dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Technik- und Rationalisierungsausschuß sowie dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Redaktionsausschuß an. Weiterhin ist er Ersatzmitglied des fünfköpfigen Betriebsausschusses.

Aufgrund von Beschlüssen des Betriebsrats hatte der Kläger bereits an zwei jeweils einwöchigen, von der Gewerkschaft HBV veranstalteten Schulungsveranstaltungen (Typ A und B) teilgenommen.

.....

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung des auf die Zeit seiner Teilnahme an dieser dritten Schulungsveranstaltung entfallenden Gehalts in der unstreitigen Höhe von 790,50 DM brutto unter Berufung auf § 37 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 2 BetrVG. Er vertritt die Auffassung, daß es sich auch bei dieser dritten Schulungsveranstaltung um die Vermittlung von Grundkenntnissen aus dem Betriebsverfassungsrecht gehandelt habe, so daß von ihrer Erforderlichkeit auch ohne die Darlegung eines aktuellen betriebsbezogenen Anlasses auszugehen sei.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 790,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. März 1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bestreitet die Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung. Die erforderlichen Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht habe der Kläger bereits durch seine Teilnahme an den ersten beiden Schulungsveranstaltungen erworben. Bei der dritten Veranstaltung handele es sich nicht mehr um die Vermittlung von Grundkenntnissen, zumal mehrere Themenkreise wiederholt behandelt worden seien. Auch sei es nicht mehr verhältnismäßig, wenn Betriebsratsseminare in der Weise zeitlich gestreckt würden, daß sie auf drei Veranstaltungen von jeweils einer Woche aufgeteilt würden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Denn der Kläger hat bisher nicht in der gebotenen Weise dargelegt, daß die Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, ist die Vermittlung von Kenntnissen nur dann für die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können; Kenntnisse, die für die Betriebsratsarbeit nur verwertbar und nützlich sind, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Für die Frage, ob die konkreten Aufgaben des einzelnen Betriebsratsmitglieds seine Schulung erforderlich machen, ist darauf abzustellen, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebes Fragen anstehen oder absehbar in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand des Betriebsrats eine Schulung eines Betriebsratsmitglieds ggf. unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung im Betriebsrat erforderlich erscheint, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. Soweit es sich dabei nicht um die Vermittlung von sog. Grundkenntnissen handelt, muß daher ein aktueller, betriebsbezogener Anlaß für die Annahme bestehen, daß die auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann.

Der demnach grundsätzlich notwendige aktuelle betriebsbezogene Anlaß für den Besuch der Schulungsveranstaltung braucht allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausnahmsweise dann nicht mehr dargelegt zu werden, wenn es sich um die Vermittlung von Grundkenntnissen des Betriebsverfassungsrechts handelt. Im Regelfalle bedarf es keiner näheren Darlegung, daß der Erwerb solchen Grundwissens durch ein erstmals gewähltes Betriebsratsmitglied für die Betriebsratsarbeit aktuell erforderlich ist. Denn auch bei Berücksichtigung der Verschiedenartigkeit der Situation des jeweiligen Betriebes kann doch im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß der Betriebsrat Grundkenntnisse des Betriebsverfassungsrechts alsbald oder doch aufgrund einer typischen Fallgestaltung demnächst benötigt, um seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Aufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können.

3. Um derartiges Grundwissen handelt es sich indessen bei der hier streitigen Schulungsveranstaltung Typ C jedenfalls dann nicht mehr, wenn das Betriebsratsmitglied bereits zuvor an den Seminaren Typ A und B teilgenommen hatte. Dies hat der Senat in seinem nicht veröffentlichen Urteil vom 17. Oktober 1990 - 7 AZR 547/89 -, dem ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt (nämlich die Teilnahme eines anderen Betriebsratsmitglieds desselben Betriebs an derselben Schulungsveranstaltung Typ C vom 16. bis 22. Oktober 1988) zugrunde lag, näher begründet. An dieser Würdigung hält der Senat fest.

Ausweislich des Seminarprogramms handelt es sich bei den Themen der Schulungsveranstaltung Typ C zumindest ganz überwiegend nicht mehr um Grundwissen im Sinne der angeführten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Die in diesen Entscheidungen vorgenommene Abgrenzung des Grundwissens von sonstigen erforderlichen Kenntnissen im Betriebsverfassungsrecht dient nicht der Grenzziehung zwischen erforderlichem und nicht erforderlichem Wissen, sondern betrifft allein die Frage der Anforderungen, die an die Darlegung der Erforderlichkeit im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG zu stellen sind. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich daran festgehalten, daß der aktuelle betriebsbezogene Anlaß für die Erforderlichkeit der Vermittlung auch betriebsverfassungsrechtlicher Kenntnisse vom Betriebsratsmitglied darzulegen ist und eine Befreiung von dieser Darlegungslast lediglich ausnahmsweise insoweit vorgenommen, als es um eine Einführung in elementares Grundwissen geht, ohne die jede Art von Betriebsratstätigkeit schlechthin undenkbar ist.

Nach diesen Maßstäben muß der Kläger im Entscheidungsfalle die Erforderlichkeit seiner Teilnahme an der Schulungsveranstaltung Typ C näher darlegen. Bei den nach Maßgabe des Seminarprogramms auf dieser Schulungsveranstaltung behandelten Themen handelt es sich ganz überwiegend nicht mehr um eine erste Einführung in betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Bei diesen Themen handelt es sich vielmehr weitgehend bereits um schwierige Fragenbereiche, die nur bei vertiefter Betrachtung sinnvoll behandelt werden können. Dies gilt beispielsweise für die am Mittwoch behandelten Themenkreise, insbesondere die Fragen des Freistellungsanspruchs, des Schulungsanspruchs und des besonderen Schutzes von Betriebsratsmitgliedern, und wird besonders deutlich bei den für den Freitag vorgesehenen Themen der Folgen von Pflichtverletzungen einschließlich der neuesten Rechtsprechung zum Problem des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Für die Notwendigkeit einer derart vertieften Betrachtung aber ist die Darlegung eines aktuellen Betriebsbezugs erforderlich, denn ohne diese Darlegung liegt nicht ohne weiteres auf der Hand, daß derartige Fragen im Betrieb der Beklagten demnächst anstehen werden und daher detaillierte Kenntnisse des Betriebsrats in diesen Fragenbereichen für die Betriebsratsarbeit unerläßlich sind. Bei weiteren Themenkreisen des Seminarprogramms Typ C handelt es sich nicht einmal um Fragen des Betriebsverfassungsrechts, sondern um mehr taktische Fragen, wie beispielsweise der Öffentlichkeitsarbeit im Betrieb, der Verhandlungstechnik und Gesprächsführung sowie der - überdies schon im Seminar Typ A behandelten - Zusammenarbeit der Betriebsräte mit der Gewerkschaft.

In die Grundfragen des Betriebsverfassungsrechts war der Kläger bereits auf den jeweils einwöchigen Schulungsveranstaltungen Typ A und Typ B eingeführt worden. Dies hätte bei entsprechender Konzentration auf Themen des erforderlichen Grundwissens ausgereicht. Es kommt hinzu, daß der Kläger vor seiner Teilnahme an der Schulungsveranstaltung Typ C bereits etwa eineinhalb Jahre lang in einem großen Betriebsratsgremium und mehreren Ausschüssen mitgearbeitet hatte. Es hätte daher der besonderen Darlegung bedurft, wieso der Kläger dennoch zur Erfüllung seiner Betriebsratsaufgaben eine Einführung in elementare Fragen wie beispielsweise der Grundsätze für die Zusammenarbeit von Betriebsrat und Arbeitgeber oder der Organisation der Betriebsratsarbeit benötigte.

Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts bedarf es daher im Entscheidungsfalle der Darlegung einer aktuellen betriebsbezogenen Situation, aus der sich ergibt, daß die konkreten auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. Hierzu ist dem Kläger im erneuten Berufungsverfahren, in dem neuer Sachvortrag wieder uneingeschränkt zulässig ist, Gelegenheit zu geben. Denn es ist nicht auszuschließen, daß der Kläger von dieser Darlegung bisher nur deshalb abgesehen hatte, weil er sie in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht der Vorinstanzen für nicht erforderlich hielt.