Information des Arbeitgebers über Betriebratsschulung

BAG 1 ABR 54/74 vom 18. März 1977

Der Betriebsrat hat dem Arbeitgeber die zeitliche Lage einer Schulungsveranstaltung und die dafür vorgesehenen Teilnehmer so rechtzeitig mitzuteilen, dass der Arbeitgeber noch vor der Veranstaltung die Einigungsstelle anrufen kann, wenn er meint, der Betriebsrat habe die betrieblichen Notwendigkeiten nicht ausreichend berücksichtigt. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, oder beantragt er keine Klärung der Erforderlichkeit der Schulung bzw. seiner Kostentragungspflicht beim Arbeitsgericht, so kann das betreffende BR-Mitglied die Schulungsmaßnahme besuchen, wie vom Betriebsrat beschlossen. Das gilt auch, falls der Arbeitgeber der Schulungsmaßnahme zwar widerspricht, aber weder die Einigungsstelle noch das Arbeitsgericht anruft. Sollte der Arbeitgeber die Kostenübernahme verweigern, hat der Betriebsrat das Recht, die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG und damit die Kostenübernahme des Arbeitgebers für die Schulungsmaßnahme durch ein Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht feststellen zu lassen. (vgl. "Fitting" Kommentar zum BetrVG 23. Auflage RNr. 138ff zu § 40 BetrVG).

Leitsatz

Der Arbeitgeber ist nicht bereits deshalb verpflichtet, die Schulungskosten nach § 37 Abs. 6, § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, weil er auf eine Mitteilung des Betriebsrats, ein bestimmtes Betriebsratsmitglied zu dieser Schulungsveranstaltung entsenden zu wollen, geschwiegen hat.

Die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung "Diskussionsführung und Verhandlungstechnik" ist nur dann als erforderlich im Sinne von § 37 Abs 6, § 40 Abs 1 BetrVG anzusehen, wenn das entsandte Betriebsratsmitglied im Betriebsrat eine derart herausgehobene Stellung einnimmt, daß gerade seine Schulung für die Betriebsratsarbeit notwendig ist. Az: BAG 1 ABR 54/74

Gründe

A. Die antragstellende Gewerkschaft macht aus abgetretenem Recht gegen die beteiligte Arbeitgeberin die Kosten geltend, die ihr durch die Teilnahme des beteiligten Betriebsratsmitglieds M an einer vom 3. bis 7. Mai 1993 durchgeführten Schulungsveranstaltung entstanden sind.

Die beteiligte Arbeitgeberin ist ein Zuliefererunternehmen für die Gießerei- und Stahlindustrie und beschäftigt etwa 550 Arbeitnehmer. Am 31. März 1993 beschloß der Betriebsrat, das beteiligte Betriebsratsmitglied M , das am 15. April 1992 in den Betriebsrat nachgerückt war und das Mitglied im Sicherheitsausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche Fragen ist, gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG für die Zeit vom 3. bis zum 7. Mai 1993 zu dem von der Antragstellerin veranstalteten Seminar "Diskussionsführung und Verhandlungstechnik" zu entsenden.

.....

Der Betriebsratsbeschluß vom 31. März 1993 wurde der Arbeitgeberin spätestens am nächsten Tag mitgeteilt. Die Arbeitgeberin äußerte sich hierzu nicht und zahlte dem Betriebsratsmitglied M für die Zeit seiner Schulungsteilnahme den Lohn fort. Erst als die Arbeitgeberin die Rechnung der antragstellenden Gewerkschaft vom 7. Mai 1993 über die entstandenen Schulungskosten erhalten hatte, lehnte sie mit Schreiben vom 21. Juni 1993 die Kostenübernahme mit der Begründung ab, sie halte die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds M an dieser Schulungsveranstaltung nicht für erforderlich.

Die antragstellende Gewerkschaft hat die Ansicht vertreten, die beteiligte Arbeitgeberin habe gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG die entstandenen Schulungskosten zu tragen. Sie hat beantragt, der beteiligten Arbeitgeberin aufzugeben, an die Antragstellerin 1.460,-- DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 21. Juni 1993 zu zahlen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds M an der Schulungsveranstaltung nicht erforderlich gewesen sei und daß daher ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG nicht bestehe. Daß sie auf den Betriebsratsbeschluß vom 31. März 1993 nicht erwidert und Herrn M seinen Lohn fortgezahlt habe, habe wohl auf einem Versehen beruht.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds M an der fraglichen Schulungsveranstaltung sei nicht erforderlich gewesen. Denn über die Hälfte der Schulungsinhalte hätte sich allein auf die Tätigkeit eines Betriebsratsvorsitzenden bzw. seines Vertreters bezogen, so daß eine Schulung mit dieser Thematik für den Beteiligten M , der weder Betriebsratsvorsitzender noch dessen Stellvertreter war, nicht im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen sei.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und dem Antrag stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die beteiligte Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die übrigen Verfahrensbeteiligten beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Arbeitgeberin ist zur Kostentragung nicht verpflichtet, weil die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds M nicht im Sinne von § 37 Abs. 6, § 40 Abs. 1 BetrVG erforderlich war.

I. Das Landesarbeitsgericht hat, ohne die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme des Betriebsratsmitglieds M zu prüfen, dem Antrag der beteiligten Gewerkschaft schon deshalb stattgegeben, weil die beteiligte Arbeitgeberin auf den ihr vom Betriebsrat mitgeteilten Entsendungsbeschluß bis zum 21. Juni 1993 geschwiegen habe. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß durch bloßes Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Ansprüche gegen den Schweigenden ausgelöst werden. Für den vorliegenden Sachverhalt nimmt das Landesarbeitsgericht jedoch das Gegenteil an. Es meint, gemäß § 151 BGB kämen schon vertragliche Ansprüche durch Schweigen zustande, wenn nach der Verkehrssitte die Vertragsannahme nicht zu erwarten sei. Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebiete auch der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG, daß die Arbeitgeberin auf eine Mitteilung des Betriebsrats hin unverzüglich antworte, wenn sie mit dem Inhalt der Mitteilung nicht einverstanden sei, weil sonst der Betriebsrat von der Zustimmung der Arbeitgeberin ausgehen müsse. Diese Antwortpflicht sei im übrigen auch dem allumfassenden Grundsatz von Treu und Glauben zu entnehmen, denn die Arbeitgeberin habe zu berücksichtigen, daß die Mitglieder des Betriebsrats ihre Arbeitnehmer seien, die sie damit aufgrund ihrer Fürsorgepflicht in zumutbarem Umfange vor Schäden zu bewahren habe. Die Arbeitgeberin sei deshalb verpflichtet, das zu entsendende Betriebsratsmitglied darauf hinzuweisen, daß sie die Seminarkosten nicht tragen wolle, damit das Betriebsratsmitglied das Kostenrisiko kenne und dies mit dem Betriebsrat überdenken könne. Im vorliegenden Falle habe das Schweigen 
der Arbeitgeberin somit bewirkt, daß der Betriebsrat und Herr M gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG§ 242 BGB in Verb. mit §§ 133157 BGB von einer Zusage der Übernahme der Schulungskosten ausgehen konnten, was auch durch die Lohnfortzahlung für den Schulungszeitraum bestätigt werde.

2. Diese Überlegungen des Landesarbeitsgerichts sind nicht geeignet, unabhängig vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1 BetrVG einen Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Kostenübernahme zu begründen.

Sofern das Landesarbeitsgericht, wofür die Heranziehung des § 151 BGB spricht, an einen vertraglichen Anspruch des Betriebsrats bzw. des Betriebsratsmitglieds denkt, kann zugunsten der Antragstellerin davon ausgegangen werden, daß sich der Arbeitgeber - von Fällen einer gemäß § 78 Satz 2 BetrVG verbotenen Begünstigung des Betriebsrats abgesehen - gegenüber dem Betriebsrat bzw. einem Betriebsratsmitglied vertraglich verpflichten kann, auch solche Kosten zu übernehmen, die nicht unter § 40 Abs. 1 BetrVG fallen. Erforderlich hierfür sind jedoch hinreichend eindeutige Vertragserklärungen beider Seiten. Hiervon macht entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts auch § 151 BGB keine Ausnahme; diese Vorschrift verzichtet vielmehr unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich auf die Empfangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung. Im Entscheidungsfall fehlt es indessen nicht nur an einem Vertragsangebot des Betriebsrats an die Arbeitgeberin, einen derartigen Kostenübernahmevertrag abzuschließen, sondern auch an einer hinreichend deutlichen Annahmeerklärung der Arbeitgeberin. Gerade im Regelungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ist es nicht möglich, ohne ausdrückliche dahingehende gesetzliche Regelung im bloßen Schweigen eines der Betriebspartner auf eine Mitteilung des anderen Betriebspartners eine Zustimmung zu sehen. Denn das Betriebsverfassungsrecht hat einige Fälle, in denen es nach Ablauf einer bestimmten Frist an das Schweigen der einen Seite eine solche Rechtsfolge knüpft, selbst ausdrücklich geregelt, so insbesondere in § 99 Abs. 3 Satz 2 und in § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. In den übrigen Fällen kann aus Gründen der Rechtsklarheit nicht angenommen werden, daß der andere Betriebspartner seine ablehnende Haltung innerhalb einer bestimmten Frist der Gegenseite mitzuteilen hat, wenn er sein Schweigen nicht als Zustimmung gelten lassen will.

Eine ganz andere Frage ist es, ob die Arbeitgeberin durch ihr Schweigen auf die Mitteilung des Betriebsratsbeschlusses eine betriebsverfassungsrechtliche bzw. arbeitsvertragliche Pflicht gegenüber dem Betriebsrat bzw. dem Betriebsratsmitglied verletzt haben könnte und deshalb unter Umständen schadenersatzpflichtig wäre. Zwar gibt es keinen gesetzlichen Anhaltspunkt, insbesondere auch nicht in § 2 Abs. 1 BetrVG, dafür, daß der Arbeitgeber grundsätzlich gehalten wäre, Mitteilungen des Betriebsrats auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen und dem Betriebsrat das Ergebnis dieser Überprüfung mitzuteilen. Näher liegt allenfalls der auch vom Landesarbeitsgericht herangezogene Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem einzelnen Betriebsratsmitglied als seinem Arbeitnehmer, ihn davor zu schützen, nichterstattungsfähige Aufwendungen zu machen.

Selbst wenn man jedoch im vorliegenden Falle eine schuldhafte Verletzung derartiger Sorgfaltspflichten durch die Arbeitgeberin annehmen wollte, würde dies dem Antrag der Antragstellerin nicht zum Erfolg verhelfen, weil es an jeglicher Darlegung der Kausalität einer derartigen Pflichtverletzung für einen dem Betriebsratsmitglied M entstandenen Schaden fehlen würde. Weder die antragstellende Gewerkschaft noch der beteiligte Betriebsrat oder das beteiligte Betriebsratsmitglied M haben je behauptet, Herr M sei im Vertrauen auf eine im Schweigen der Arbeitgeberin gesehene Zustimmung zu der Schulungsveranstaltung gefahren bzw. Herr M hätte von einer Schulungsteilnahme abgesehen, wenn die Arbeitgeberin ihm rechtzeitig vorher eine ablehnende Stellungnahme mitgeteilt hätte. Selbst wenn also eine Verpflichtung der Arbeitgeberin bestanden hätte, Herrn M auf die Bedenken gegen die Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung hinzuweisen, fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Verletzung dieser Pflicht für die Entstehung der Schulungskosten.

II. Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann daher der Antrag nur begründet sein, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 BetrVG vorliegen, d.h. wenn die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds M an der Schulungsveranstaltung "Diskussionsführung und Verhandlungstechnik" im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich war. Diese Frage hat das Arbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis zu Recht verneint.

1. Der Senat geht davon aus, daß die streitgegenständliche Schulungsveranstaltung "Diskussionsführung und Verhandlungstechnik" nach näherer Maßgabe des vorliegenden Seminarplans nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen durchaus im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich sein kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Darlegung, daß gerade das zu der Schulung entsandte Betriebsratsmitglied der dort vermittelten Kenntnisse bedarf, damit der Betriebsrat seine gesetzlichen Aufgaben sach- und fachgerecht wahrnehmen kann.

Auf diese Darlegung kann vor allem deshalb nicht verzichtet werden, weil anders als etwa bei der Vermittlung von Grundkenntnissen im Betriebsverfassungsrecht bzw. im Arbeits- und insbesondere im Arbeitsschutzrecht bei sonstigen Schulungen nicht allgemein davon ausgegangen werden kann, daß der Betriebsrat seine gesetzlichen Aufgaben nur dann sach- und fachgerecht erfüllen kann, wenn jedes Betriebsratsmitglied über die entsprechenden Kenntnisse verfügt. Bei dem Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 6 BetrVG handelt es sich nicht um einen individuellen Anspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds, sondern um einen kollektiven Anspruch des Betriebsrats darauf, daß einem bestimmten Betriebsratsmitglied Kenntnisse vermittelt werden, die für die Arbeit des Betriebsratsgremiums erforderlich sind. Die von § 37 Abs. 6 BetrVG vorausgesetzte Erforderlichkeit bezieht sich demnach darauf, daß die Schulung gerade eines bestimmten Betriebsratsmitglieds in den auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnissen notwendig sein muß, damit der Betriebsrat als Gremium seine gesetzlichen Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann.

2. Hierfür ist im Entscheidungsfalle nichts dargetan worden. Wie schon das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, richtete sich die Thematik der vorliegenden Schulungsveranstaltung im wesentlichen an Betriebsratsvorsitzende und deren Stellvertreter. Eine derart oder in ähnlicher Weise herausgehobene Stellung nahm das beteiligte Betriebsratsmitglied M im Betriebsrat nicht ein. Herr M war neben seiner Zugehörigkeit zum Betriebsrat lediglich (einfaches) Mitglied des Sicherheitsausschusses und des Ausschusses für Wirtschaftsfragen. Ohne nähere Darlegung kann mithin nicht davon ausgegangen werden, daß ihm Aufgaben oblagen, zu denen er die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse benötigte, und daß deshalb der Betriebsrat zur sachgerechten Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben darauf angewiesen war, gerade Herrn M in diesen Fragen schulen zu lassen.