Mitbestimmung bei technischer Überwachung

BAG 1 ABR 2/82 vom 23. Apr. 1985

Leitsatz

Eine technische Einrichtung ist auch dann dazu bestimmt, Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, wenn sie Aussagen über Verhalten oder Leistung des an der technischen Einrichtung arbeitenden Arbeitnehmers erarbeitet, ohne die dieser Aussage zugrunde liegenden, bei der Arbeit anfallenden und erfaßten einzelnen Verhaltens- und Leistungsdaten selbst auszuweisen. Daß die Aussage für sich allein schon eine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, ist nicht erforderlich.

Gründe

A. Die Antragsgegnerin stellt als Druck- und Verlagshaus in B Zeitungen und Anzeigenblätter her. Der Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Zwischen den Beteiligten wurde vor Jahren einvernehmlich im Wege einer Betriebsvereinbarung die Einführung eines rechnergesteuerten Textsystems zur Satzherstellung geregelt. Die Herstellung des Satzes erfolgt in der Weise, daß die Mitarbeiter der Antragsgegnerin in der Abteilung Datenerfassung die ihnen zur Bearbeitung zugewiesenen Texte, Ziffern und sonstigen Produktionsanweisungen über eine Bildschirmtastatur, die mit einer programmgesteuerten Siemens-EDV-Anlage 7.738 verbunden ist, in das Rechnersystem eingeben. Die Eingaben werden auf Magnetplatten im Rechnersystem gespeichert und zur Ausgabe über ein Belichtungsgerät bereitgestellt.

Die Antragsgegnerin will anordnen, daß die mit der Satzherstellung befaßten Datenerfasser bei der Eingabe ihr Namenskürzel mit eintasten, das dann, wie die anderen Daten auch, im Rechnersystem gespeichert wird. Mit Hilfe der vorhandenen EDV-Programme Cosy 200 AS und RS ist es möglich, auf einem Bildschirm ein Verzeichnis aller Texte anzeigen zu lassen, die von einem bestimmten Datenerfasser eingetastet wurden. In diesem Verzeichnis erscheinen auf dem Bildschirm nicht die Texte selbst, sondern nur Daten, die zur Identifikation der Texte dienen. Dieses sogenannte Inhaltsverzeichnis enthält in der Kopfzeile folgende Spalten:

ART-NR ZEITG AUSG RESS SEITE SIGN E-TAG

FORM STATUS STICHWORT ZEILEN

Aus der Spalte "ZEILEN" ist die Anzahl der Zeilen eines Textes zu entnehmen. Die Spalte "SIGN" soll zukünftig das Namenskürzel des Datenerfassers ausweisen. Durch eine Verknüpfung dieser beiden Spalten ist das Rechenprogramm in der Lage, die Rechtsbeschwerdeführerin über die Anzahl der von einem Datenerfasser pro Auftrag geschriebenen Zeilen zu informieren.

Der Antragsteller ist der Ansicht, durch die Eingabe des Namenskürzels und die damit mögliche Verknüpfung mit der Spalte "ZEILEN" könne im Unternehmen der Antragsgegnerin für jeden Datenerfasser ermittelt werden, wieviel Textzeilen er pro Arbeitsschicht gefertigt habe. Er sieht darin die Einführung und Anwendung einer technischen Einrichtung, die dazu bestimmt ist, die Leistung dieser Arbeitnehmer zu überwachen. Er hat zuletzt beantragt festzustellen, daß die Anordnung der Antragsgegnerin, bei der Erfassung von Texten und Anzeigen im rechnergesteuerten Textsystem das Namenskürzel anzugeben, der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Verknüpfung der Spalten "ZEILEN" und "SIGN" ermögliche keine brauchbaren Rückschlüsse auf das Leistungsverhalten der Arbeitnehmer. Durch einen Tastendruck des Datenerfassers könnten nämlich mehrere Silben, ganze Textkomponenten und Artikelteile im Umfang von mehreren Zeilen eingegeben werden. Das sichtbare Arbeitsresultat und die effektive Arbeitsleistung stünden deshalb in keinem Zusammenhang. Nur durch weitere zeitaufwendige Arbeitsschritte, umfangreiche Berechnungen, Analysen und Auswertungen der am Bildschirm fixierten sogenannten Inhaltsverzeichnisse wären konkrete Aussagen über die Arbeitsleistung zu erhalten. Ein Programm, das diese Aufgabe übernehmen könnte, verwende sie nicht.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihren Abweisungsantrag weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht bejaht.

1. § 14 Abs. 4 des RTS-Tarifvertrages steht einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht entgegen. Zwar bestimmt Satz 1 dieser Vorschrift, daß die Eingabegeräte des rechnergesteuerten Textsystems nicht als Hilfsmittel zur individuellen Leistungskontrolle eingesetzt werden dürfen. Von diesem tariflichen Verbot kann jedoch nach Satz 2 dieser Vorschrift durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden. Damit ist die unter den Beteiligten streitige Angelegenheit, die Überwachung der Leistung der am rechnergesteuerten Textsystem arbeitenden Arbeitnehmer, nicht abschließend und verbindlich geregelt, diese ist vielmehr betriebsvereinbarungsoffen. Nur eine zwingende Regelung, nicht aber eine solche, die den Betriebspartnern eine eigene Regelung gestattet, schließt gesetzliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus. Daß die Tarifvertragsparteien des RTS-Tarifvertrages an der gesetzlichen Regelung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nichts ändern wollten, ergibt sich zusätzlich auch aus § 19 des RTS-Tarifvertrages, wonach die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes durch diesen Tarifvertrag nicht berührt werden (sollen).

2. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

Daß das rechnergesteuerte Textsystem eine technische Einrichtung ist, bedarf keiner Darlegung. Bei der Frage, ob eine solche technische Einrichtung Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer überwacht, hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu solchen Einrichtungen zwei Fallgestaltungen unterschieden. Er hat in der Bildschirmentscheidung unter technischer Überwachung einen Vorgang verstanden, bei dem durch die technische Einrichtung selbst Verhaltens- oder Leistungsdaten erfaßt und der menschlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden. In der Technikerberichtssystem-Entscheidung hat er als technische Überwachung einen Vorgang verstanden, bei dem schon vorhandene Verhaltens- oder Leistungsdaten durch die technische Einrichtung zu Aussagen über Verhalten oder Leistung des Arbeitnehmers verarbeitet werden. Ob der jeweilige Vorgang stattfindet, sei jedenfalls bei ausschließlich programmgesteuerten Systemen nach dem jeweils zur Anwendung kommenden Programm zu beurteilen. Daran hält der Senat fest.

3. Der Senat kann im vorliegenden Falle nicht abschließend beurteilen, ob das rechnergesteuerte Textsystem selbst Leistungsdaten der Textbearbeiter unmittelbar erfaßt, aufzeichnet und sichtbar macht. Der Arbeitsvorgang "eine Zeile setzen" oder "eine neue Zeile beginnen" fällt als solcher möglicherweise nur bei Anzeigentexten, nicht aber bei Fließtexten an. Dieser Arbeitsvorgang wird daher möglicherweise auch als solcher vom System nicht unmittelbar erfaßt und registriert. Daß andere bei der Erfassung eines Textes anfallende Arbeitsvorgänge, etwa die Eingabe bestimmter Satzbefehle, das Großschreiben oder Trennen einzelner Wörter u.ä. unmittelbar erfaßt werden, ist nicht ersichtlich. Erfaßt, aufgezeichnet und sichtbar gemacht wird nur der fertige Text selbst mit allen eingegebenen Produktionsanweisungen. Dieser ist aber als Arbeitsergebnis kein vom System selbst erfaßtes Leistungsdatum. Wollte man das annehmen, wäre jede technische Einrichtung, mit der ein Arbeitsergebnis erzielt wird, eine technische Überwachungseinrichtung, weil anhand des Arbeitsergebnisses festgestellt werden kann, was der Arbeitnehmer geleistet hat. Der Senat kann daher nicht davon ausgehen, daß das rechnergesteuerte Textsystem der Antragsgegnerin eine technische Einrichtung ist, die Verhaltens- oder Leistungsdaten selbst unmittelbar erhebt und der menschlichen Wahrnehmung zugänglich macht.

Auf der anderen Seite werden dem rechnergesteuerten Textsystem auch keine schon vorhandenen Verhaltens- oder Leistungsdaten zur Verarbeitung eingegeben.

4. Gleichwohl ist die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Anwendung des rechnergesteuerten Textsystems unter Verwendung des Namenskürzels der jeweiligen Texterfasser mitbestimmungspflichtig.

a) Das rechnergesteuerte Textsystem erarbeitet ein sogenanntes Inhaltsverzeichnis der einzelnen Texte. Dieses Inhaltsverzeichnis sagt, wenn das Namenskürzel eingegeben wird, u.a. aus, daß ein bestimmter Text eine bestimmte Anzahl von Zeilen hat und von einem bestimmten Mitarbeiter eingegeben worden ist. Damit enthält das Inhaltsverzeichnis gleichzeitig die Aussage, daß dieser Mitarbeiter eine bestimmte Zahl von Zeilen geschrieben hat. Das aber ist eine von der technischen Einrichtung erarbeitete Aussage über die Leistung eines bestimmten Arbeitnehmers. Daß diese Aussage - anders als in der Technikerberichtssystem-Entscheidung - nicht auf der Grundlage eingegebener Leistungsdaten erarbeitet worden ist, ist ohne Bedeutung. Sie erfolgte auf jeden Fall auf der Grundlage der vom System registrierten einzelnen Arbeitsvorgänge, die vom Texterfasser am Eingabegerät ausgeführt worden sind. Möglicherweise werden sie vom System zwar nicht einzeln festgehalten und für sich sichtbar gemacht; sie werden aber jedenfalls dahin zusammengefaßt, daß sie insgesamt zu einem Text mit einer bestimmten Zahl von Zeilen geführt haben. Dieser Vorgang unterscheidet sich nicht wesentlich von der unmittelbaren Erfassung und Sichtbarmachung einzelner Leistungsdaten durch die technische Einrichtung, setzt deren Erfassung vielmehr voraus und macht sie lediglich in einer schon aufgearbeiteten Form der menschlichen Wahrnehmung zugänglich. Es ist daher gerechtfertigt, eine technische Einrichtung als zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer bestimmt auch dann anzusehen, wenn diese technische Einrichtung aufgrund des zur Verwendung kommenden Programms Aussagen über Verhalten und Leistung des an der technischen Einrichtung arbeitenden Arbeitnehmers erarbeitet, ohne die dieser Aussage zugrunde liegenden einzelnen Verhaltens- oder Leistungsdaten selbst auszuweisen.

b) Daß die erarbeitete Aussage, ein bestimmter Mitarbeiter habe einen Text mit einer bestimmten Zeilenzahl geschrieben, noch keine abschließende, sachgerechte oder vollständige Beurteilung der Leistung der einzelnen Datenerfassungskraft ermöglicht, ist unerheblich. Der Senat hat schon in seiner Bildschirm-Entscheidung für die Erhebung von Verhaltens- oder Leistungsdaten durch die technische Einrichtung selbst ausgesprochen, daß es auf die Beurteilungsrelevanz der einzelnen Daten, d.h. darauf, ob diese Daten allein oder in Verbindung mit anderen Daten auch eine vernünftige und sachgerechte Beurteilung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer ermöglichen, nicht ankomme. Gleiches gilt hinsichtlich der von der technischen Einrichtung erarbeiteten Aussagen über Verhalten und Leistung. Auch diese Aussagen ermöglichen eine Beurteilung schon dann, wenn sie erst in Verbindung mit weiteren Daten und Umständen auch zu einer vernünftigen und sachgerechten Beurteilung führen. Darüber hinaus kommt es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ohnehin nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit der Verarbeitung von Verhaltens- oder Leistungsdaten zu Aussagen über Verhalten und Leistung eine Beurteilung auch ermöglichen will oder tatsächlich vornimmt. Auch das hat der Senat in der Technikerberichtssystem-Entscheidung ausgesprochen. Es ist daher auch unerheblich, daß die Anzahl der Zeilen eines von einem Texterfasser geschriebenen Textes nicht in Bezug gesetzt wird zu einer Zeit, in der der Text geschrieben wurde. "Leistung" im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nicht im naturwissenschaftlich-technischen Sinne als Arbeit pro Zeiteinheit zu verstehen, sondern als vom Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Arbeitspflicht geleistetes Arbeiten.

c) Mit der Eingabe des Namenskürzels wird daher das rechnergesteuerte Textsystem der Antragsgegnerin in Verbindung mit den Programmen, die den Abruf des Inhaltsverzeichnisses der geschriebenen Texte mit der Angabe des Texterfassers und der Zeilenlänge des Textes ermöglichen, zu einer technischen Einrichtung, die dazu bestimmt ist, die Leistung des Texterfassers zu überwachen. Diese Anwendung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats.

5. Diesem Mitbestimmungsrecht stehen entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin Vorschriften des Datenschutzrechts nicht entgegen. Zwar hat die Antragsgegnerin nach § 6 BDSG diejenigen technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Ausführung der Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes, insbesondere die in der Anlage zu diesem Gesetz genannten Anforderungen zu gewährleisten. Auch ist nach Nr. 7 dieser Anlage sicherzustellen, daß nachträglich überprüft und festgestellt werden kann, welche personenbezogenen Daten zu welcher Zeit von wem in Datenverarbeitungssysteme eingegeben worden sind. § 6 BDSG und die Anlage dazu regeln jedoch nicht, auf welche Weise diesen Anforderungen des Gesetzes genügt werden muß. Das Gesetz fordert keine bestimmten Maßnahmen, sondern die erforderlichen Maßnahmen. Damit ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, daß das Namenskürzel als Identifikationsmerkmal für den Dateneingeber selbst in das System eingegeben und in diesem zusammen mit eingegebenen personenbezogenen Daten gespeichert wird und abgerufen werden kann. Das Erfordernis der Identifizierung desjenigen, der personenbezogene Daten eingegeben hat, kann vielmehr auch auf andere Weise erfolgen, etwa durch die Abzeichnung und Aufbewahrung der Ursprungs- oder Eingabebelege, also der jeweiligen Aufträge zur Texterfassung.

Damit stehen Vorschriften des Datenschutzrechts dem geltend gemachten Mitbestimmungsrecht nicht entgegen.

Darüber hinaus hat das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht ausschließlich die Beantwortung der Frage zum Inhalt, ob künftig das Namenskürzel mit eingegeben werden soll oder nicht. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist vielmehr die Frage, ob und in welcher Weise das rechnergesteuerte Textsystem zur Überwachung von Leistung der Erfassungskräfte verwendet werden soll. Die zu treffende Regelung kann daher beispielsweise auch zum Inhalt haben, daß das Namenskürzel eingegeben werden kann, die Erarbeitung der Aussage aber, wieviel Textzeilen ein Mitarbeiter erfaßt hat, unterbleibt. Soweit die Antragstellerin die Zahl der erfaßten Zeilen für Kalkulationszwecke oder für die Berechnung von Honoraren benötigt, könnten diese Zeilen auch ohne Bezug auf einen bestimmten Mitarbeiter erfaßt werden.