Mitbestimmung bei Zeitmessungen

BAG 1 ABR 20/94 vom 8. Nov. 1994

Leitsatz

Arbeitszeitmessung durch manuelle Betätigung einer Stoppuhr ist keine technische Überwachung. Sie ist daher nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn die Arbeitgeberin den Zeitaufwand für bestimmte Arbeitsabläufe mit Stoppuhren messen läßt. Im Rahmen von Arbeitsablaufstudien läßt die Arbeitgeberin von einem REFA-Fachmann die Zeiten messen, die für bestimmte Arbeitsschritte - z.B. Verpacken von Abdeckungen, Ausfüllen von Lieferscheinen - benötigt werden. Die Zeiten werden mit einer speziellen Stoppuhr gemessen, die einzelne Zeitabschnitte vorläufig speichern kann. Die Messungen werden jeweils mehrfach wiederholt und dabei die festgestellten Zeiten handschriftlich in ein Formular eingetragen. Dem Landesarbeitsgericht hat beispielhaft ein Formular über eine Zeitmessung im Zwischenlager vorgelegen. Dort sind drei Arbeitnehmer mit den gleichen Arbeiten beschäftigt. Wie sich aus diesem Erhebungsbogen ergibt, werden die gemessenen Zeiten den jeweiligen Arbeitsaufgaben gegenübergestellt, hingegen wird nicht vermerkt, bei welchem Arbeitnehmer die Daten erhoben wurden. Ein Vergleich von Ist- und Sollzeiten erfolgt nicht. Die Daten werden auch nicht dazu verwandt, Sollzeiten zu ermitteln. Sie dienen lediglich als Kalkulationsgrundlage für die Auftragsabwicklung. Ob diese Studien nur in den Produktionsbereichen, wie die Arbeitgeberin behauptet, oder - so der Betriebsrat - darüber hinaus in weiteren Abteilungen des Betriebs durchgeführt werden, ist nicht aufgeklärt. Der Betriebsrat wird vor den Studien zwar unterrichtet, seine Zustimmung holt die Arbeitgeberin jedoch nicht ein.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er habe bei den Messungen mitzubestimmen. Mit der Stoppuhr werde eine technische Überwachungseinrichtung i.S. des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG angewandt, weil die Daten auf technischem Wege gesammelt würden. Daß ihre Auswertung manuell erfolge, sei ohne Belang. Die Daten könnten durch entsprechende Eintragung in den Erhebungsbögen jederzeit einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden.

Im übrigen ergebe sich ein Mitbestimmungsrecht auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Zeitmessungen reglementierten das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer zumindest mittelbar. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erstrecke sich das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht nur auf Maßnahmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen, sondern auch auf solche, die das Arbeitsverhalten zum Gegenstand haben.

Der Betriebsrat hat beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Durchführung von Arbeitsablaufstudien der Arbeitsvorbereitung ohne seine vorherige Zustimmung zu unterlassen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Nach ihrer Meinung steht dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zu. Für die Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG fehle es schon an einer auf technischem Wege erfolgenden Überwachung, denn die Daten würden manuell erhoben und ausgewertet. Die Stoppuhr sei dabei nur ein technisches Hilfsmittel. Es komme hinzu, daß die gesammelten Daten einzelnen Arbeitnehmern nicht zugeordnet werden könnten, da entsprechende Angaben in den Erhebungsbögen nicht vorgesehen seien. Auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könne sich der Betriebsrat schon deshalb nicht berufen, weil diese Vorschrift nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer nicht erfasse.

Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht blieb der Betriebsrat mit seinem Antrag erfolglos. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er den Antrag weiter. Die Arbeitgeberin bittet um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen den Unterlassungsantrag zurückgewiesen, weil der Betriebsrat bei den umstrittenen Zeitmessungen kein Mitbestimmungsrecht hat.

I. Die Arbeitsablaufstudien sind nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Bei den zur Zeitmessung eingesetzten Stoppuhren handelt es sich nicht um technische Überwachungseinrichtungen i.S. dieser Vorschrift. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats fällt unter den Begriff der technischen Überwachung nur ein Vorgang, bei dem zumindest die Erhebung von Daten oder deren Auswertung auf technischem Wege erfolgt. Daran fehlt es hier.

1. Zwar ist die Stoppuhr ein technisches Gerät. Sie selbst bewirkt aber keine Überwachung, worauf der Senat bereits in seinem Beschluß vom 15. Dezember 1992 hingewiesen hat . Die für die erfaßten Arbeitsabläufe benötigten Zeiten werden nicht durch die Stoppuhr selbst erhoben, sondern manuell durch den REFA-Fachmann. Er betätigt die Stoppuhr und mißt auf diese Weise die Zeit. Der auf den jeweiligen Arbeitsschritt bezogene Meßvorgang wird durch menschliches Handeln und nicht etwa durch die technische Einrichtung in Gang gesetzt, in seinem Ablauf bestimmt und beendet. Das Meßergebnis wird nicht automatisch durch die Dauer des Arbeitsschritts und den Lauf des Meßwerks bestimmt, sondern hängt davon ab, ob und wann der Prüfer die Stoppuhr betätigt. Die Uhr registriert genaugenommen nur Handlungen des Prüfers. Nur solange dieser sich an dem zu überprüfenden Arbeitsplatz aufhält und die Stoppuhr betätigt, können Messungen überhaupt vorgenommen werden.

Insoweit unterscheiden sich die hier zu beurteilenden Zeitmessungen grundlegend von einer technischen Datenerhebung z.B. durch Fahrtenschreiber oder sog. Kienzle-Schreiber, die der Senat als eine technische Überwachung und damit als mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG angesehen hat. In diesen Fällen beruht die Überwachung in ihrem Kern darauf, daß die technische Einrichtung selbst automatisch Daten über bestimmte Vorgänge erfaßt. So zeichnet der Fahrtenschreiber, ohne daß es hierzu des Tätigwerdens einer kontrollierenden Person bedürfte, die jeweils gefahrenen Geschwindigkeiten auf; in gleicher Weise verzeichnet der Kienzle-Schreiber in der Produktion automatisch die Zahl der hergestellten Stücke, die hierfür aufgewandte Zeit und Zeiten des Produktionsstillstands. Anders als im vorliegenden Fall sind in diesen Fällen die Meßergebnisse nicht von menschlicher Kontrolltätigkeit abhängig.

Aus dem Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ergibt sich, daß die bloße Verwendung eines technischen Geräts bei der Datenerhebung, die im wesentlichen von menschlichem Handeln gesteuert wird, zur Begründung eines Mitbestimmungsrechts nicht ausreicht. Der Regelungszweck besteht darin, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei Zustimmung des Betriebsrats zuzulassen. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt die Gefährdung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer durch eine technisierte Ermittlung von Verhaltens- und Leistungsdaten zum einen darin, daß auf diese Weise eine ungleich größere Anzahl von Daten erhoben werden kann als bei der Überwachung durch Menschen, und daß dies praktisch ununterbrochen geschehen kann. Darüber hinaus sind die Abläufe der technisierten Datenermittlung für den Arbeitnehmer nicht durchschaubar. Vielfach ist die Überwachung nicht einmal wahrnehmbar, auch kann der Arbeitnehmer sich ihr in der Regel nicht entziehen. Das Wissen darum, daß er zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht wird, kann zu erhöhter Abhängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern. Derartige Wirkungen des Technikeinsatzes sind mit der Zeitmessung durch Stoppuhren allein noch nicht verbunden.

2. Es findet auch keine Verarbeitung der ermittelten Daten auf technischem Wege statt. Die Stoppuhr ist lediglich in der Lage, die gemessenen Zeiten zu speichern und wiederzugeben. Hierin liegt noch keine Verarbeitung. Diese besteht hier vielmehr darin, daß die aufgenommenen Zeiten manuell durch Eintragung in Formulare zu bestimmten Tätigkeiten in Beziehung gesetzt werden.

II. Der Betriebsrat hat bei der Durchführung der Arbeitsablaufstudien auch nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen. Dies ergibt sich schon daraus, daß mit der Messung der für bestimmte Arbeitsschritte benötigten Zeit lediglich das Normalverhalten der Arbeitnehmer erfaßt werden soll. Die Arbeitsablaufstudien sollen das Verhalten der Arbeitnehmer nicht beeinflussen. Eine solche Wirkung wäre sogar unerwünscht. Würden die Arbeitnehmer in Anwesenheit des Prüfers zügiger arbeiten als sonst, so müßten die Zeitmessungen ihren Zweck, die Ermittlung kalkulatorischer Grundlagen für die Auftragsabwicklung, verfehlen. Eine bloße Registrierung von Arbeitsabläufen, die nicht auf das Verhalten der betroffenen Arbeitnehmer einwirkt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Danach kommt es auf die vom Betriebsrat aufgeworfene Frage, ob auch Einwirkungen auf das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer unter § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fallen, nicht mehr an.