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SBV, BEM und psychische Gesundheit

5 Minuten Lesezeit

Bundesgesundheitsminister Lauterbach führt den sprunghaften Anstieg von Krankmeldungen aufgrund von Arbeitsbelastung und depressiven Erkrankungen auf verschiedene gesellschaftliche Krisen zurück. Auch innerhalb von Unternehmen gibt es Ursachen – und damit Stellschrauben für eine Verbesserung der psychischen Gesundheit vieler Mitarbeiter.

Frau sitzt verzweifelt am Computer

Probleme bei psychischer Gesundheit im Unternehmen – gegenwärtiger Stand

Bereits die 2021 erhobenen Daten des BBK-Gesundheitsreports zeigten, dass die psychische Belastung zunehmend in den Fokus rückt und die negativen Beanspruchungsfolgen immer mehr zunehmen. Das spiegelt sich sowohl in Arbeitsunfähigkeitstagen als auch in der Anzahl der stattgegebenen Erwerbsminderungsrenten. Psychische Erkrankungen waren die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Bei der Falldauer von durchschnittlich 43,4 Tagen lag diese Diagnosegruppe an der Spitze aller Diagnosegruppen.

In diesem Jahr sind es die Zahlen der KKH, die die Kasse selbst als alarmierend bezeichnet. Auf 100 Versicherte kamen im ersten Halbjahr 2023 bereits 303 Ausfalltage. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 164 Tage. Damit ist im ersten Halbjahr schon fast die Gesamtzahl von 2022 erreicht worden.

Die KKH zieht aus ihren Zahlen noch andere Schlüsse:
Zum einen würden schwere, langwierige Fälle zunehmen. In Fällen von langen Krankschreibungen, wenn die Genesung nicht voranschreitet, sind Sie als SBV gefragt. Hier können Sie über einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung nach § 178 SGB IX nachdenken.
Zugleich würden auch besonders viele akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen festgestellt. Diese machen aktuell mit 41 Prozent die Mehrheit aller psychisch bedingten Krankschreibungen aus.

Ursachensuche extern und intern

Um diesen Zustand verbessern zu können, ist es unumgänglich zunächst einen Blick auf die Ursachen zu werfen.

Externe Faktoren

Karl Lauterbach sagte beim Psychotherapeutenkongress im Mai dieses Jahres, dass es eine Art Verzweiflung durch die Klimakrise gäbe. Aber auch die reale Gefahr eines Atomkriegs, die mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zugenommen habe, sei ein Grund für den Anstieg psychischer Belastung in der Bevölkerung. Dies gelte zwar vor allem für junge Menschen, aber auch Erwachsene seien betroffen. „Und eine Garantie, dass das politische System der Demokratie weiter bestehen bleibt, gibt es nicht mehr“ erklärte der Minister.

Das sind alles Bedingungen, die von außen an uns Menschen herangetragen werden. Auf diese können wir keinen Einfluss nehmen.

Letztlich wirkt auch die Corona-Pandemie noch nach und auch die Inflation trägt zur Verunsicherung bei.

Interne Faktoren

Es gibt neben den externen Faktoren aber auch viele arbeitsbezogene Gründe dafür, dass die negativen Belastungsfolgen immer mehr zunehmen. Arbeitspsychologen nennen hier Stichworte wie:

  • Arbeitsverdichtung
  • Globalisierung
  • Digitalisierung
  • der demografische Wandel
  • stetig zunehmende Eigenverantwortung
  • Flexibilität und
  • zeitlicher Verfügbarkeit

Dabei sind die (Schwer-)behinderten als ohnehin schon vulnerable Gruppe besonders betroffen. Sie als SBV können prüfen, welche Maßnahmen des gesamten betrieblichen Gesundheitsmanagements hilfreich sein können, um für eine entspannte Arbeitsatmosphäre zu sorgen.

Eine Arbeit ohne psychische Belastung gibt es ebenso wenig wie eine Arbeit komplett ohne jede körperliche Anstrengung. Dabei müssen insbesondere andauernde zeit- und leistungsbezogene Anforderungen beobachtet werden sowie fehlende Erholungsmöglichkeiten. Beispielsweise kann sich hieraus die Unzumutbarkeit von Schichtarbeit für einen schwerbehinderten Mitarbeiter ergeben.

Schließlich können auch andere Mitarbeiter auf Sie zukommen, die als Folge einer beispielsweise chronischen psychischen Erkrankung Ihre Unterstützung bei der Antragstellung auf Anerkennung des Schwerbehindertenstatus brauchen.

An diesen Ursachen für psychische Probleme lässt sich also durchaus etwas ändern.

Was kann die SBV tun

Initiativrecht beim BEM

Für Arbeitnehmer gibt es keinen einklagbaren Anspruch der Arbeitnehmer auf die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements. Das Bundesarbeitsgericht gewährt nur den betrieblichen Interessenvertretern einen solchen Anspruch (BAG, 07.09.2021, 9 AZR 571/20).

Als Vertrauensperson können Sie sich aktiv um die Wiedereingliederung von erkrankten (schwer-) behinderten bzw. gleichgestellten Kollegen kümmern. Hierfür können Sie das Initiativrecht (§ 167 Abs.2 Satz 8 SGB IX) wahrnehmen. Das bedeutet ganz konkret, Sie fordern den Arbeitgeber zur Durchführung eines konkreten BEM auf.

Damit Sie als SBV einen Überblick darüber haben, für welche Mitarbeiter überhaupt ein BEM in Frage kommen könnte, können Sie vom Arbeitgeber regelmäßig die Herausgabe von Listen verlangen. Diese verzeichnen die betreffenden, länger erkrankten und (schwer-)behinderten Arbeitnehmer. Sie haben hingegen keinen Anspruch auf Übermittlung von Kontaktdaten aller Beschäftigten, obwohl die SBV dem gesetzlichen Auftrag nach auch Beschäftigte unterstützen soll, die erst noch einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen wollen (§ 178 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Das entschied das LAG Hamm am 10.01.2020 (13 TaBV 60/19). Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage gibt es noch nicht.

Anwesenheit beim BEM

Idealerweise nehmen Sie auch an dem von Ihnen initiierten BEM teil.

Denn schließlich haben hat das konkrete Wissen zum vorliegenden Einzelfall parat. Sie haben die krankheitsfördernden Bedingungen des Arbeitsplatzes im Vorfeld identifiziert und können sie daher genau benennen.

Auch beim BEM geht es im Sinne von § 4 Arbeitsschutzgesetz darum, Gefahren an ihrer Quelle zu beseitigen und eben nicht bei der gefährdeten Person.

Sie können dafür sorgen, dass das BEM tatsächlich ein Erfolg wird und kein Spießrutenlauf für den betroffenen Kollegen. Am besten sollten Sie sich über weitere Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten, beispielsweise durch das Integrationsamt informieren.

Gesundheitsbegriff der WHO

Auch international spielt das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz eine Rolle. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits Ende der Achtzigerjahre einen umfassenden Gesundheitsbegriff vorgelegt, der körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden beinhaltet.

In Deutschland enthält das Arbeitsschutzgesetz den Gedanken der Gesundheitsförderung. Seit 2013 steht darin auch ganz konkret die Forderung, dass die psychische Belastung am Arbeitsplatz in die Gefährdungsbeurteilung einfließt.

Stellt sich also im BEM heraus, dass es Belastungen gibt, die beseitigt werden können, hat der Arbeitnehmer im Rahmen der Zumutbarkeit und der übrigen gesetzlichen Regeln einen Anspruch auf die Beseitigung dieser.

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