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Ein Interview: „Gender Pay Gap? Haben wir nicht.“

5 Minuten Lesezeit

Für unseren März Newsletter haben wir mit der langjährigen Betriebsrätin Christiane Junge über das Thema Gender Pay Gap gesprochen. Sie arbeitet beim medizinischen Forschungsdienstleister IQIVIA. Lesen Sie, welche Tipps Christiane Frauen zum Thema Gehalt gibt und welche überraschenden Erkenntnisse sie bei ihrer Betriebsratsarbeit gewonnen hat.

Interview Betriebsrätin rot weißer Hintergrund

W.A.F.: Christiane, Du bist von Haus aus Naturwissenschaftlerin und arbeitest seit 20 Jahren im Bereich klinischer Studien. Was machst Du genau?

CJ: Wenn man so will, sind meine Haupttätigkeiten Medikamente zählen und Patientenakten lesen. Soll ein neues Medikament zugelassen werden, gibt es verschiedene Stufen der Erprobung. Lange vor der Zulassung werden die Medikamente an echten Patienten angewendet. Das dauert mitunter mehr als 15 Jahre. Ich arbeite für einen Dienstleister, der im Auftrag der Pharmaindustrie diese Studien durchführt. Ich fahre in die Krankenhäuser oder auch zu niedergelassenen Ärzten, die an den Studien teilnehmen und überprüfe dort, dass die Studie korrekt durchgeführt und protokolliert wird.

W.A.F.: Seit wann engagierst Du Dich im Betriebsrat?

CJ: Wir Reisende stellen einen Großteil der Belegschaft und wir hatten bei uns noch keinen Betriebsrat. Es war zwar klar, dass wir in einem Betriebsrat auch solche Vertreter brauchen. Es hieß aber immer, wir könnten nicht mitmachen, weil wir zu oft nicht da seien. Vor ungefähr 20 Jahren haben wir uns gegründet und das unter Einbeziehung der Außendienstmitarbeiter.

Ich habe festgestellt, dass das wichtig ist für uns Mitarbeiter im Außendienst, weil für uns andere Dinge wichtig sind als für diejenigen, die Dienst im Büro vor Ort haben. Zum Beispiel das Thema Überstunden. Davon sind wir viel mehr betroffen, als die Mitarbeiter im Büro.

W.A.F.: Der Internationale Frauentag steht kurz bevor. Aus diesem Anlass wollen wir heute über geschlechtergerechte Bezahlung sprechen. Inwiefern beschäftigt Euch das Thema in der Betriebsratsarbeit?

CJ: Wir sind eher ein frauenlastiges Unternehmen bzw. in der Abteilung klinisches Monitoring sind wir zwei Drittel Frauen und nur ein Drittel Männer. Das Thema ist schon durch diese zahlenmäßige Verteilung relevant für uns.

Die Frage der geschlechtergerechten Bezahlung wurde im vergangenen Jahr auch Thema im Betriebsrat. So kam es, dass ich im April letzten Jahres den Antrag nach Entgelttransparenzgesetz gestellt habe.

W.A.F.: Sind Mitarbeiterinnen auf Euch zugekommen, weil sie eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung befürchtet oder erlebt haben?

CJ: Das ist bis jetzt noch nicht vorgekommen.

W.A.F.: Wieso hast Du dann den Antrag gestellt?

CJ: Ich habe immer geglaubt, da gibt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern. In dem Bewusstsein habe ich den Antrag gestellt und dann eine unerwartete Antwort bekommen.

Zuerst dachte ich, ich bekomme Vergleichsangaben innerhalb eines Job-Grades für alle, egal ob Männer oder Frauen. Es ist aber so, dass ich als anfragende Frau mit den Männern auf meiner Ebene verglichen werde. Frage ich als Mann an, dann werde ich mit den Frauen auf meinem Level verglichen.

W.A.F.: Wie ist die Geschäftsleitung mit Deiner Anfrage umgegangen?

CJ: Die Bearbeitung meiner Anfrage hat gar nicht so lange gedauert. Ich habe den Antrag im April gestellt und im Juni hatte ich eine Rückmeldung.

W.A.F.: Was war das Ergebnis?

CJ: Die Antwort hat mich und die Kollegen im Betriebsrat absolut überrascht. Es gab keinen Unterschied in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen.

Wir haben dafür andere Probleme. Bei uns bleiben die langjährigen Mitarbeiter gehaltsmäßig auf der Strecke. Später hinzu gekommene Kollegen verdienen deutlich besser als die alten. Die Leitung kennt das Problem. Es gibt jedoch derzeit keine Lösung dafür. Es sind keine größeren Gehaltssprünge innerhalb der Karriere im Unternehmen möglich.

W.A.F.: Du bist Chemikerin, also Angehörige der – nicht nur aus Equal Pay Sicht – attraktiven MINT-Berufe. (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Ist aus Deiner Erfahrung die Lohnlücke hier kleiner?

CJ: Von der Bezeichnung MINT höre ich gerade zum ersten Mal. Ich stimme aber zu. Die fehlende Gehaltslücke kann darauf zurückzuführen sein. Wir haben sehr viele Biologen, Ökotrophologen und Veterinärmediziner. Als Naturwissenschaftler bist Du für den Job prädestiniert. Auch Krankenschwestern sind in unserer Abteilung. Die haben oft schon auf Krankenhausseite Studien betreut und kennen sich gut aus.

W.A.F.: Gibt es Deiner Meinung nach Stellen, an denen es gerechtfertigt ist, unterschiedlich zu bezahlen?

CJ: Nein. Die gibt es nicht. Die Höhe des Gehalts vom Geschlecht abhängig zu machen, ist diskriminierend. Gleiches Geld für gleiche Arbeit.

W.A.F.: Du bist gebürtige Leipzigerin und hast auch Deinen Lebensmittelpunkt in der Stadt. Arbeitest aber für ein Unternehmen, das seinen deutschen Sitz in Frankfurt am Main hat. Macht sich Deiner Erfahrung nach die geografische Herkunft beim Gehalt bemerkbar?

CJ: Auch das kann ich verneinen. Die Herkunft spielt ebenso keine Rolle. Wir haben beim Gehalt in unserem Unternehmen kein Ost-West-Gefälle, ganz egal ob Du aus Bad Bentheim oder aus Zwickau kommst, da gibt es keinen Unterschied.

W.A.F.: Welchen Rat gibst Du Frauen beim Thema Gehalt und Gehaltsverhandlung?

CJ: Ich habe an mir selbst gelernt, dass wir uns nie unter Wert verkaufen dürfen. Das ist abhängig vom Selbstbewusstsein, aber auch daran können wir arbeiten. Einfach mal zu sagen, "Ich weiß, was ich kann und ich will dafür angemessen bezahlt werden." Das sollten Frauen eher früher lernen als später.

Schließlich geht es auch um die Rente. Wir haben nicht nur ein Gender Pay Gap, wir haben vor allem auch eine Lücke in den Renten. Darum sollen Frauen sich so früh wie möglich kümmern. Es geht darum auszusprechen "Ich bin eine gestandene Person. Ich kann was."

W.A.F.: Bedeutet das am Ende auch, keine falsch verstandene Loyalität mit dem Arbeitgeber zu zeigen?

CJ: Ja, genau. Das heißt es auch. Wenn ich meine Gehaltsvorstellungen, dort wo ich bin, dauerhaft nicht verwirklichen kann, dann muss ich gehen, wenn mir ein anderer Arbeitgeber bessere Bedingungen bietet. Oft stimmt dann auch die Chemie nicht mehr - und wenn man morgens nicht mehr gern zur Arbeit kommt, dann muss man etwas ändern.

W.A.F.: Christiane, vielen Dank für dieses positive und Mut machende Gespräch und einen schönen Frauentag!

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