Abmeldepflicht, Entgeltfortzahlung für Betriebsratstätigkeit

BAG 7 AZR 643/94 vom 15. März 1995

Leitsatz

1. Bei der Abmeldung für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben hat das Betriebsratsmitglied dem Arbeitgeber Ort und voraussichtliche Dauer der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit mitzuteilen. Angaben auch zur Art der Betriebsratstätigkeit können nicht verlangt werden. Insoweit gibt der Senat seine entgegenstehende Rechtsprechung auf (BAG Beschluß vom 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - BB 1990, 1625).

2. Für die Prüfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 611 BGB kann der Arbeitgeber auch Angaben zur Art der durchgeführten Betriebsratstätigkeit fordern, wenn anhand der betrieblichen Situation und des geltend gemachten Zeitaufwandes erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit bestehen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt, das die Beklagte für Zeiten gekürzt hat, in denen sich der Kläger für Betriebsratsarbeiten abgemeldet hat. Die Beklagte beschäftigt ca. 100 Arbeitnehmer. Der

Kläger ist Vorsitzender des bei ihr gebildeten fünfköpfigen Betriebsrats. Er erhält einen Stundenlohn von 23,28 DM brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie im Unterwesergebiet vom 18. Mai 1990 (MTV) Anwendung.

Im Zusammenhang mit einer Firmenerweiterung wurde der Kläger einvernehmlich bis Anfang April 1992 freigestellt. Mit Schreiben vom 7. April 1992 wies die Beklagte den Betriebsrat auf das Ende der Freistellung hin. Zugleich wurde der Kläger zur Arbeitsaufnahme aufgefordert. Für erforderliche Betriebsratstätigkeit sollte er sich bei der Betriebsleitung rechtzeitig abmelden.

In der Folgezeit meldete sich der Kläger für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben wie folgt ab:

"Ich möchte am ... in der Zeit von ... bis ... im Rahmen der Geschäftsführung des Betriebsrates die anfallenden Angelegenheiten nach dem Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht des Betriebsrates erledigen."

Dieses Abmeldeverfahren hielt die Beklagte für unzureichend und verlangte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch stichwortartige Angaben zur Art der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit. Dennoch behielt der Kläger das von ihm praktizierte Abmeldeverfahren bei. Daraufhin verweigerte sie die Vergütung der in den Monaten Juni bis Juli 1992 sowie im Zeitraum von November 1992 bis März 1993 angemeldeten Betriebsratsarbeit von insgesamt 253,5 Stunden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein allgemeiner Hinweis auf die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben genüge dem Abmeldezweck. Weitere stichwortartige Angaben auch zur Art der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit eröffneten dem Arbeitgeber Kontrollmöglichkeiten. Hierdurch werde die Unabhängigkeit seiner Amtsführung gefährdet. Überdies habe sein Vorgesetzter durch das Abzeichnen der Tageszettel eine ordnungsgemäße Abmeldung für die Erledigung erforderlicher Betriebsratsarbeiten bestätigt.

Entscheidungsgründe

1. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind die nicht freigestellten Mitglieder eines Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Arbeitsbefreiung im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG keine Zustimmung des Arbeitgebers voraussetzt. Das Betriebsratsmitglied muß sich lediglich vor Verlassen des Arbeitsplatzes ordnungsgemäß abmelden. Dem ist der Kläger gefolgt. Er hat sich jeweils unter Angabe von Zeit und Ort bei seinem Vorgesetzten zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben abgemeldet.

a) Der Sechste Senat hat außerdem in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, zur Abmeldung gehöre eine stichwortartige Beschreibung des Gegenstandes der Betriebsratstätigkeit nach Art, Ort und Zeit. Nähere Angaben zum Inhalt der Betriebsratstätigkeit wurden nicht verlangt, um dem Arbeitgeber keine Kontrolle der Betriebsratsarbeit zu ermöglichen.

Der Rechtsprechung des Sechsten Senats hat sich zunächst auch der Siebte Senat angeschlossen. Er hält daran als der nach der Geschäftsverteilung des Bundesarbeitsgerichts zuständige Senat aufgrund einer erneuten Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht mehr fest. Stichwortartige Angaben auch zur Art der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit werden vom Zweck der Abmeldung nicht gedeckt. Sie setzen das betroffene Betriebsratsmitglied schon im Vorfeld zu erledigender Betriebsratsaufgaben Rechtfertigungszwängen aus, die sich nachteilig auf seine Amtsausführung auswirken können.

b) § 37 Abs. 2 BetrVG beschreibt einen betriebsverfassungsrechtlich begründeten Anlaß für eine Arbeitsbefreiung ohne Minderung des Arbeitsentgelts. Verläßt ein Betriebsratsmitglied seinen Arbeitsplatz, um eine Aufgabe nach dem BetrVG wahrzunehmen, hat es sich wie jeder andere Arbeitnehmer aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht bei seinem Arbeitgeber abzumelden. Die Abmeldung dient dem Zweck, dem Arbeitgeber die Arbeitseinteilung zu erleichtern und den Arbeitsausfall des Arbeitnehmers zu überbrücken. Für diesen Zweck genügt es, wenn das Betriebsratsmitglied bei der Abmeldung Ort und voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit angibt. Aufgrund dieser Mindestangaben ist der Arbeitgeber imstande, die Arbeitsabläufe in geeigneter Weise zu organisieren und Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Das Wissen um die Art der geplanten Betriebsratstätigkeit eröffnet ihm keine besseren Koordinierungsmöglichkeiten. Orts- und zeitbezogene Angaben sind allenfalls dann unzureichend, wenn der Arbeitgeber bei der Abmeldung seinerseits eine Organisationsproblematik beschreibt, nach der das Betriebsratsmitglied für die Zeit der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit an seinem Arbeitsplatz unabkömmlich ist und betriebsbedingte Gründe eine zeitliche Verlegung der Betriebsratsarbeit verlangen. Für diesen Fall ist das Betriebsratsmitglied nach § 2 Abs. 1 BetrVG gehalten zu überprüfen, ob und inwieweit die geplante Wahrnehmung einer Betriebsratsaufgabe aufgeschoben werden kann. Ist die Betriebsratstätigkeit andererseits so dringlich, daß ihr gegenüber das Verlangen des Arbeitgebers legitimerweise zurücktreten müßte, hat das Betriebsratsmitglied dies darzulegen.

aa) Auch nur stichwortartige Angaben zur Art der geplanten Betriebsratstätigkeit lassen Rückschlüsse auf deren Inhalt zu. Sie gestatten dem Arbeitgeber eine zumindest summarische Prüfung der Erforderlichkeit. Bei unterschiedlicher Bewertung ist das Betriebsratsmitglied gehalten, seinen Rechtsstandpunkt zu erklären und zu verteidigen. Das kann es davon abhalten, die beabsichtigte Betriebsratstätigkeit in der von ihm geplanten Weise durchzuführen. Solche Rechtfertigungszwänge können die Handlungsfreiheit des Betriebsmitglieds beeinträchtigen und sich damit nachteilig auf eine unabhängige Amtsführung auswirken.