Corona-Test-Verweigerer haben keinen Anspruch auf Gehalt

LAG Az. 9 Sa 332/21 vom 26. Okt. 2021

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 24.03.2021, Az. 19 Ca 11406/20 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen einer Verpflichtung zur Teilnahme an Tests auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus sowie über Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

Die Klägerin ist seit 01.03.1997 bei der A. Staatsoper als Flötistin zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 8.351,86 € beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag vom 10.02.1997, Bl. 5 d.A.). In § 4 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweils gültigen Fassung bestimmt.

§ 4 Abs. 2 TVK enthält folgende Regelung:

"Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt (-zahnarzt) oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Musiker arbeitsfähig und frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden."

Die A. Staatsoper beschäftigt knapp 1.000 feste Mitarbeiter, davon ca. 140 Orchestermusiker.

Mit Mail vom 10.08.2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sich alle Mitarbeiter des A. Staatsorchesters auf Corona testen lassen müssen (vgl. Mail vom 10.08.2020, Bl. 6.f. d.A.).

Grundlage hierfür ist das Hygienekonzept der A. Staatsoper vom 11.05.2020 (vgl. Anlage B 1, Bl. 38 ff. d.A.). Bestandteil dieses Hygienekonzeptes ist eine Teststrategie, die u.a. mit Beratung des Instituts für Virologie der Technischen Universität A-Stadt und des Klinikums I. entwickelt wurde. Das Testkonzept sieht zum einen vor, dass bei Dienstantritt in der Spielzeit 2020/2021 von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein negativer Testbefund (PCR-Test) vorliegen muss. Andernfalls ist die Teilnahme an Proben und Aufführungen nicht möglich.

Die Testung wurde durch die A. Staatsoper organisiert. Dabei wurden Nasen- Rachen-Abstriche durch medizinisch geschultes Personal des Klinikums I. in gesonderten Räumlichkeiten im Umfeld der Staatsoper kostenfrei durchgeführt. Alternativ konnten die Mitarbeiter selbst Testbefunde beibringen, wenn der Zeitpunkt des Abstrichs maximal vier Tage vor dem ersten Einsatz im Haus lag (vgl. Anlage B 2, Bl. 52 ff. d.A.).

Zum anderen sah das Hygienekonzept rollierende Folgetestungen (PCR-Tests) nach dem Stichprobenprinzip vor, die entweder im Haus (kostenfrei) oder extern auf eigene Kosten durchgeführt werden können. Die Folgetestungen für die Orchestermusiker (=rote Gruppe) sollten regelmäßig alle ein bis drei Wochen stattfinden.

Neben der Teststrategie erfolgte bereits noch vor der Sommerpause ein Umbau im Bühnenbereich der A. Staatsoper dergestalt, dass der Orchestergraben überbaut wurde.

Dadurch wurde eine Vergrößerung der Fläche von bislang 100 Quadratmetern auf 170 Quadratmetern ermöglicht. Zudem wurden beispielsweise Werke verändert (musikalische Kürzung, Verzicht auf Pausen), Orchesterbesetzungen verkleinert, Zu- und Abtritte der Orchestermusiker neu geregelt, Paravents und Plexiglaswände aufgestellt. Die Flötisten sitzen dabei regelmäßig mittig im Orchester mit einem Abstand von zwei Metern zu den Kollegen.

Mit Schreiben ihrer ehemaligen Prozessvertreterin vom 24.08.2020 (vgl. Bl. 8 ff. d.A.) ließ die Klägerin mitteilen, dass sie sich keinem Test unterziehen werde, da sie sich weder während ihres Urlaubs in einem Risikogebiet aufgehalten habe noch Anzeichen einer CoronaErkrankung bei ihr bestünden. Daraufhin wurde die Klägerin nicht beschäftigt. Die Lohnzahlung an die Klägerin wurde zum 24.08.2020 eingestellt.

Am 28.10.2020 unterzog sich die Klägerin einem Corona-Test, welcher positiv ausfiel. Der Beklagte hat die Gehaltszahlung mit Vorliegen des Testergebnisses ab dem 30.10.2020 wieder aufgenommen. Seit dem 28.10.2020 lässt sich die Klägerin stets extern bei Teststationen ihrer Wahl mittels Rachenabstrich und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht testen.

Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sah das Testkonzept der Staatsoper die Durchführung von PCR-Tests im Abstand von zwei Tagen vor. Bei dem Test entnimmt die Testperson selbst eine Speichelprobe aus dem Mund.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die A. Staatsoper mangels Rechtsgrundlage nicht berechtigt sei, die besagten Coronatests anzuordnen. Daraus folge, dass der Beklagte die angebotene Arbeitsleistung der Klägerin hätte annehmen müssen. Da dies nicht erfolgt sei, sei der Beklagte in Annahmeverzug geraten und schulde der Klägerin im streitigen Zeitraum ihr ausstehendes Gehalt.

Der verlangte Coronatest stelle einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Beim Eingriff durch den Mund würden im hinteren Rachen Speichelproben gesammelt, was in der Regel zu Würgereflexen führe. Beim Eingriff durch die Nase würden im oberen Nasenbereich Schleimproben genommen, weshalb tief in die Nase eingedrungen werden müsse, was oftmals mit Schmerzen und bisweilen mit Nasenbluten verbunden sei. Gerade Spieler von Blasinstrumenten könnten bereits bei geringen Verletzungen im Nasen- und Rachenbereich arbeitsunfähig werden. So habe die testende Ärztin bei der Musikerkollegin der Klägerin, Frau H., durch ungeschicktes Hantieren einen Niesreiz verursacht, dann das Wattestäbchen nicht rechtzeitig herausgezogen oder wenigstens losgelassen und damit der Kollegin eine Verletzung zugefügt, die tagelange Schmerzen zur Folge gehabt habe.

Es gebe insgesamt keine rechtliche Grundlage für anlasslose, allgemeine PCR-Tests für Orchestermusiker der A. Staatsoper. Sowohl das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wie auch die Deutsche Orchestervereinigung, wie auch das RKI wie auch der E. lehnten unspezifische Massentests, wie vom Beklagten angeordnet (vgl. Anlagen K 4 bis K 8, Bl. 267 ff. d.A.), ab. Auch der Betriebsarzt der A. Staatsoper, Herr D. komme zu dem eindeutigen Ergebnis, dass unspezifische Massentests abzulehnen seien, weil sie medizinisch wertlos seien, da ein PCR-Test keine Infektion nachweisen könne (Anlage K 9, Bl. 289 d.A.).

Auch die Hygienekonzepte der anderen Orchester in A-Stadt (Symphonieorchester, A-Stadt Philharmoniker, A-Stadt Symphoniker, Orchester des Staatstheaters am G. etc.) sowie der Staatsorchester der B. Symphoniker und der N. Oper würden keine Zwangstestungen beinhalten und seien dennoch genehmigt geworden und würden erfolgreich zur Anwendung kommen. Demnach verstoße der Alleingang der A. Staatsoper gegen das Gleichbehandlungsgebot.

Zudem würden die Testungen mit den Abständen, wie sie vom Beklagten durchgeführt würden, absolut keine Sicherheit bieten und unter anderem auch Mitarbeiter, die zu einer Risikogruppe gehörten, in falscher Sicherheit wiegen. Vor diesem Hintergrund könne sich auch ein Arbeitgeber nicht darauf berufen, mit den Zwangstestungen irgendeine Fürsorgepflicht zu erfüllen. Auch würde der Beklagte keine konsequente Testung seiner Mitarbeiter durchführen, weil manche Kollegen sehr häufig, andere dagegen weniger häufig getestet würden.

Auch seien die Zwangstestungen unverhältnismäßig, insbesondere ungeeignet, um Mitarbeiter am Arbeitsplatz vor Infektionen zu schützen. Wenn nach Auffassung des Beklagten die Sicherheitsabstände nicht ausreichen sollten, so hätte er sie vergrößern müssen, statt die Klägerin auszusperren. Nach der aktuellsten Studie der LMU unter der Leitung von Prof. Dr. E. werde bei Querflöten ein Sicherheitsabstand von drei Metern in alle Richtungen empfohlen. Wenn dies eingehalten würde, bestehe nicht das geringste Risiko für die Gesundheit anderer. Weiterhin stelle ein negativer PCR-Test nur eine Momentaufnahme dar. Hinzu komme, dass PCR-Tests einer gewissen Fehlerhaftigkeit unterliegen würden.

Im Gegensatz zur Sängern und Tänzern würden Orchestermusiker ihren festen Platz weder bei Proben noch bei Vorstellungen verlassen. Die vorgeschriebenen Abstände von 1,5 bzw. 2 Metern würden während der gesamten Arbeitszeit eingehalten, in Ausnahmefällen böten großflächige Plexiglaswände zwischen allen Bläsern zusätzlichen Schutz.

Durch die Aussperrung sei die Klägerin als Profimusikerin besonders nachhaltig getroffen worden, weil hiervon nicht nur ihr Gehalt und ihre wirtschaftliche Existenz, sondern ihr gesamter beruflicher Marktwert betroffen sei. Dies sei wie bei einem Spitzensportler, der nicht mehr trainieren dürfe. Auch dieser verlöre sehr schnell seinen gesamten Marktwert.

Schließlich würden bei der Teststrategie am Haus weder Datenschutz noch Arztgeheimnis gewahrt, noch sei die Einwilligung in die Übermittlung der Daten an den Testausschuss freiwillig noch werde auf medizinische Besonderheiten Einzelner Rücksicht genommen.

 

Die Klägerin hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin weiterhin zu den vereinbarten Bedingungen als Flötistin zu beschäftigen, wobei die Klägerin nicht verpflichtet ist, zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung PCR-Tests oder andere Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder Corona Erkrankung vornehmen zu lassen und der Beklagten vorzulegen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Gehalt für den Kalendermonat September 2020 in Höhe von € 8.351,86 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.10.2020 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat August 2020 in Höhe von € 2.145,25 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.09.2020 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat Oktober 2020 in Höhe von € 7.812,95 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.11.2020 zu bezahlen.

 

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Der Beklagte hat geltend gemacht, dass die Anordnung von Testungen mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber allen Mitarbeitern zum Schutz vor Ansteckung und daraus resultierenden Gefahren für Leib und Leben begründbar sei. Musiker könnten bei Proben und Aufführungen nicht durchgängig mit Mund-Nasen-Bedeckung arbeiten, obwohl sie sich regelmäßig und für längere Zeit in geschlossenen Räumen aufhielten. Auch die Einhaltung von Mindestabständen, die Infektionsgefahren hinreichend minimieren würden, seien aus musikalischen Gründen nicht umsetzbar. Um Ansteckungen zu verhindern, seien daher zusätzliche Schutzmaßnahmen, wie eben regelmäßige Testungen, geboten. Erst im Fall von Symptomen zu reagieren, obwohl bekannt sei, dass die Infektiösität 48 Stunden vor Symptombeginn besonders stark sei, sei zu spät und erst recht keine taugliche Alternative bei symptomlosen Verläufen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin, sei der PCR-Test bereits kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, sondern eine ärztliche Untersuchung mit minimal invasivem Charakter. Bislang sei der Staatsoper kein einziger Fall bekannt, bei dem es zu den von der Klägerin behaupteten Verletzungen gekommen sei. In diesem Zusammenhang sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass durch "ungeschicktes Hantieren" die testende Ärztin der Musikerin Frau H. einen Niesreiz verursacht habe. Dass ein Niesreiz eine Verletzung darstelle und bei der Musikerin tagelange Schmerzen zur Folge gehabt habe, sei eine bloße Behauptung.

Weiterhin verkenne die Klägerin, dass an ihr kein Zwangseingriff vorgenommen werde, sondern sie nach wie vor selbst darüber entscheide, ob sie einen Test durchführen lasse oder nicht. Es gehe vorliegend nicht um einen zwangsweise durchgeführten körperlichen Eingriff, sondern um die Berechtigung zum Ausschluss von Teilhabe an Proben und Auftritten im gesundheitlichen Interesse der Klägerin selbst, der Mitarbeiter und sonstigen Dritten. Hierfür bedürfe es keiner gesonderten gesetzlichen Grundlage.

Es handele sich weiterhin vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pandemie auch nicht um eine anlasslose Durchführung von PCR-Tests. Es gehe entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht darum, hundertprozentige Sicherheit zu erlangen, sondern Infektionsrisiken und Übertragungswahrscheinlichkeiten zu minimieren.

Die stichprobenartigen Testungen seien zum einen ein geeignetes Mittel, das Infektionsgeschehen zu beobachten, Infektionen zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zum anderen sei die stichprobenartige Durchführung Ausdruck der Verhältnismäßigkeit, die Testungen für den Einzelnen auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Zudem werde über das rollierende Verfahren erreicht, dass an jedem Testtag die unterschiedlichen Arbeitsbereiche der Staatsoper untersucht und kontrolliert werden könnten. Zu bestreiten sei die Ausführung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2021, dass es sich hierbei um keine konsequente Testung handele.

Der Hinweis der Klägerin, dass andere Häuser keine PCR-Tests vornähmen, sei irreführend und unzutreffend. Mittlerweile würden auch am P-Theater PCR-Tests durchgeführt. Gleiches gelte für die W. Staatsoper, die D. Oper in B. sowie die Staatsoper unter N.

Die Behauptung der Klägerin, bei einem Abstand von 3 m zu den mittig sitzenden Flötisten bestünde "auch nicht das geringste Risiko für die Gesundheit anderer", sei weiterhin zu bestreiten. Die Ansteckungsgefahr durch Aerosole würde weiter bestehen bleiben.

Die Testungen würden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Es handele sich um eine notwenige und geeignete Maßnahme im Verbund mit anderen Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen im eigenen Haus unter Kontrolle zu halten und Mitarbeiter sowie Außenstehende vor Infektionen zu schützen. Testungen auf einer freiwilligen Grundlage wären dabei nicht annähernd gleich wirksam. Die wechselseitigen Testungen Einzelner dienten dem Schutz aller und stellten ein ausgewogenes System dar, das die Belastungen für den Einzelnen möglichst gering halte und gleichzeitig aufgrund der strategischen Testeinteilung zu einem hohen Schutzniveau für alle führe.

Schließlich würden auch der Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht im Rahmen der Teststrategie am Haus gewahrt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne nicht verlangen, ohne Tests beschäftigt zu werden. Nachdem die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Arbeitsleistung nicht vertragsgemäß angeboten habe, stehe ihr auch ein Annahmeverzugslohn nicht zu.

Dem Beschäftigungsanspruch der Klägerin stehe hier das ordnungsgemäß ausgeübte Direktionsrecht des Arbeitgebers entgegen sowie der Gesundheit- und Infektionsschutz und die daraus resultierende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Vorab klarzustellen sei, dass es sich nicht um eine Zwangstestung handle. Ebenso sei anzumerken, dass sich die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes vom 02.03.2021 hier nicht heranziehen lasse. Dieser Beschluss setze sich allein mit der Rechtsgrundlage des § 29 Infektionsschutzgesetz auseinander.

Die Testung im Betrieb lasse sich mit der Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB begründen. Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht sei der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichtet. Dies bedeutete in der gegenwärtigen Pandemielage sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen einem möglichst geringen Infektionsrisiko ausgesetzt seien. Die Schutzpflichten seien hier konkretisiert worden im sogenannten SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und in der SARS-CoV-2-Arbeits-schutzregel.

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers erstrecke sich nach § 106 S. 2 GewO gleichfalls auf Ordnung und Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Das Weisungsrecht erstrecke sich somit auch auf die nach öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften notwendigen Maßnahmen. Nachdem vorliegend weder das Tragen einer Atemschutzmaske noch die Einhaltung der Abstände im erforderlichen Maße möglich bei und zudem von einem Aufenthalt in geschlossenen Räumen für längere Zeit auszugehen sei, bleibe dem Arbeitgeber nichts anderes übrig, als sonstige im Hygienekonzept ausgewiesene Maßnahmen, die eine gleichwertige Alternative darstellten, umzusetzen. Insofern handele es sich nicht um die Anordnung anlassloser, unspezifischer Coronatests.

Die Ausübung des Weisungsrechts entspreche auch im konkreten Einzelfall billigem Ermessen. Die angeordneten Tests berührten sowohl das Persönlichkeitsrecht als auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Andererseits verfolge der Beklagte mit den angeordneten Testungen einen legitimen Zweck, nämlich die weitere Ausbreitung des Corona-Virus so gut wie möglich zu verhindern und sowohl die Beschäftigten als auch die Besucher der Staatsoper vor Infektionen zu schützen.

Die Testungen seien geeignet, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und Übertragungsmöglichkeiten zu minimieren. Abwegig sei in diesem Zusammenhang die Auffassung der Klägerin, dass PCR-Tests medizinisch wertlos seien. Den PCR-Tests seien von verschiedenen Stellen eine Zuverlässigkeit von ca. 95 % attestiert worden. Zutreffend sei, dass die PCR-Tests nur eine Momentaufnahme darstellten, dies führe jedoch nicht dazu, dass die Testungen insgesamt ungeeignet seien. Es bestehe gleichwohl die Möglichkeit, Infektionen aufzudecken, die ansonsten unentdeckt geblieben wären. Wir ermöglichen es so, die Ansteckung Dritter zu vermeiden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte stichprobenartige Tests auch von Personen ohne gesundheitliche Beschwerden fordere. Eine Übertragung des Virus könne bereits bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem asymptomatischen Verlauf erfolgen. Das RKI rate zwar von einer ungezielten Testung von asymptomatischen Personen ab, weise aber darauf hin, dass abweichend hiervon in bestimmten Situationen und Einrichtungen eine Testung auch von Personen ohne erkennbare Symptome nach einem bestimmten Schema sinnvoll sein kann. Insbesondere wegen der Gefahr einer Ansteckung durch Aerosole sei die Testung vorliegend eine geeignete Maßnahme, da Alternativen wie die Einhaltung ausreichender Abstände und Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung für die Tätigkeit der Klägerin als Flötistin nicht zur Verfügung stünden.

Die Aufforderung zu den PCR-Tests sei im konkreten Fall auch erforderlich, da ergänzende Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Masken und das Einhalten von Abständen nicht möglich seien. Der in einer Studie empfohlene Abstand von 3 m sei unstreitig nicht möglich. Mildere Maßnahmen mit gleicher Wirkung seien nicht gegeben. Durch das rotierende System sei eine übermäßige Beanspruchung der Orchestermusiker nicht gegeben.

Bei der Abwägung der gegenseitigen Grundrechte sei davon auszugehen, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht der Klägerin auf persönliche Unversehrtheit weniger schwer wiege, als das Infektionsrisiko dem andernfalls die Beschäftigten und Besucher der A. Staatsoper ausgesetzt würden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Es ergebe sich keine Ungleichbehandlung, wenn in anderen Orchestern keine Testpflicht bestehe. Hier sei bereits von unterschiedlichen Sachverhalten auszugehen.

Die Klägerin könne sich auch nicht auf einen Verstoß gegen den Datenschutz bzw. die ärztliche Schweigepflicht berufen, da sie an der Teststrategie im Hause der Staatsoper bislang nie teilgenommen habe.

Der Beschäftigungsantrag sei damit abzuweisen. Er sei auch ohnehin zu weit gefasst, da er die Fälle, in denen bereits eine gesetzliche Pflicht zur Durchführung von Testungen bestehe, nicht ausnehme.

Auch die Zahlungsanträge der Klägerin seien abzuweisen. Als Anspruchsgrundlage komme hier allein § 615 S. 1 BGB in Betracht. Da die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Arbeitsleistung nicht in vertragsgemäßer Form angeboten habe, führe dies dazu, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht habe annehmen müssen. Die Klägerin habe auch im streitgegenständlichen Zeitraum nicht verlangen können ohne die Durchführung der PCR-Tests beschäftigt zu werden.

Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Seiten 9 - 22 des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 392 - 405 der Akten) verwiesen.

Gegen dieses Urteil vom 24. März 2021, der Klägerin zugestellt am 21. April 2021, legte diese am 12. Mai 2021 Berufung ein, welche sie mit einem am 25. Juni 2021 eingegangenen Schriftsatz begründete. Die Berufungsbegründungsfrist war bis zum 07.07.2021 verlängert worden.

Die Klägerin macht geltend, das erstinstanzliche Urteil werde in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht angegriffen. Zunächst sei zum Hilfsantrag auszuführen, dass der Beruf des Orchestermusikers sich nicht in der Teilnahme an Proben und Vorstellungen erschöpfe. Das Gehalt vergüte auch die Zeit des Übens. Diese Zeit hätte der Klägerin jedenfalls bezahlt werden müssen. Dies seien mindestens 3 Stunden täglich.

Das Arbeitsgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, da es die Anlagen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen habe. Dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin mit Beschluss vom 22. März 2021 aufgefordert worden war, die eingereichten Anlagen mit den in den Schriftsätzen angegebenen Bezeichnungen zu versehen und spätestens im Kammertermin am 24. März 2021 vorzulegen.

In den Tatbestand des Ersturteils hätte die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 02. März 2021 aufgenommen werden müssen. Auch habe das Gericht Sachverhaltsausforschung betrieben, indem es auf einen Link Bezug nehme, den das Gericht am Tag der Entscheidung recherchiert habe. Für den Beschäftigungsantrag komme es auf die jeweils aktuelle Lage an. Das Erstgericht übergehe die allgemeingültiges Gesetzessystematik. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei vorliegend sehr wohl relevant. Es sei rechtlich nicht haltbar, § 29 IFSG als vorliegend nicht relevant einzustufen.

Das Gericht verkenne, dass es sich vorliegend im Ergebnis um einen Zwangstest handle. Der Zwang ergebe sich aus der angedrohte Konsequenz des beruflichen und wirtschaftlichen Ruins bei unterbliebener Teilnahme am Test.

Eine Testpflicht ergebe sich weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus dem Tarifvertrag. Der Tarifvertrag sei vorliegend eine vorgetragene Tatsache, die vom Gericht nicht beachtet worden sei.

Ein Beispiel für die Ungeeignetheit von Tests zum Schutz der Mitarbeiter vor Infektionen sei eine Infektion beim Rundfunkorchester. Dort sei ein Musiker erkrankt, obwohl er negativ getestet worden sei.

Der Beklagte trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass andere Schutzmaßnahmen wie z.B. die Positionierung der Flötisten außerhalb der mittigen Position oder Trennscheiben um die Flötisten nicht den gewünschten Erfolg gehabt hätten.

Es gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko, dass in jeder Situation etwaige Risiken verbleiben, so könne der Lkw-Fahrer in einen Unfall verwickelt werden oder ein Koch sich mit dem Küchenmesser schneiden. In anderen Bereichen werde die Fürsorgepflicht nicht in gleicher Weise ernst genommen. Beim Gehörschutz beschränke sich diese auf die Aufforderung einen Hörschutz zu tragen. Ob sie dies tun, stehe in der Verantwortung der Mitarbeiter, ebenso müsse es der Eigenverantwortung überlassen bleiben, ob Arbeitnehmer von den Tests Gebrauch machen.

Soweit das Gericht ausführe, dass auch ein Abstand von 3 m nicht ausreichend sei, da die besondere Spielweise der Querflöte eine weitere Verteilung der Tröpfchen und Aerosole als bei allen anderen Blasinstrumenten zur Folge habe, und sich hierbei auf einen Link des Bayerischen Rundfunks beziehe, handle es sich wiederum um eigenmächtige und dem Beibringungsgrundsatz widersprechende Recherchen. Hiernach würden 3 m nach vorne und 2 m zur Seite 3m vorgeschlagen. Der Beklagte habe nicht vorgetragen, dass 3 m nach vorne und 2 m zur Seite nicht eingehalten werden können.

Das Erstgericht mache es sich zu einfach, wenn es feststelle, dass eine Ungleichbehandlung nicht vorliege, da andere Orchesterbetriebe andere Räumlichkeiten hätten. Dies rechtfertige nicht jeweils andere Hygienekonzepte.

Die Klägerin habe Beweis für das Verletzungsrisiko bei PCR-Tests angeboten, insbesondere die Zeugin H., die nach einem Nasenabstrich Schmerzen hatte. Über die gesundheitlichen Risiken habe sich das Arbeitsgericht floskelhaft hinweggesetzt. Die Klägerin hatte auch zur nicht konsequenten Durchführung der Tests durch den Beklagten vorgetragen.

Die erforderlichen Abstände hätten im vorliegenden Fall durchaus eingehalten werden können. Der Beklagte müsse akzeptieren, dass während der Pandemie genauso wie an zahllosen anderen Arbeitsstellen nicht unter den regulären Umständen gearbeitet werden könne.

Die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel sah in der Fassung vom 20. August 2020 keine Testpflicht vor. Personenbezogene Maßnahmen seien nur als ultima ratio zulässig. Die Testpflicht sei auch nicht vom Direktionsrecht gemäß § 106 GewO erfasst. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Gericht eine Testpflicht als gleichwertige alternative Maßnahme zu den vorrangig gebotenen Maßnahmen wie Abstand, Maske und Hygiene werte. Die Tests seien anlasslos und nicht mehr verhältnismäßig. Der Gesetz- und Verordnungsgeber habe den Arbeitgebern zwar ein verpflichtendes Testangebot auferlegt, aber keine Notwendigkeit gesehen, dass die Mitarbeiter ein solches Testangebot tatsächlich annehmen.

Der Beklagte habe billiges Ermessen beachten müssen. Den arbeitgeberseitigen Pflichten stünden gewichtige, grundrechtlich geschützte Interessen der Mitarbeiter gegenüber, z.B. das allgemeine Selbstbestimmungsrecht sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Es treffe nicht zu, dass die Tests geeignet seien, Infektionen frühzeitig zu erkennen. Hinsichtlich der Ausführungen der Klägerin hierzu im Einzelnen wird auf Bl. 435 - 440 d.A. verwiesen.

Bereits aus der Einlassung des Beklagten ergebe sich, dass die Datenschutzbestimmungen nicht eingehalten würden. Dieser habe ausgeführt, dass sich Kollegen der Klägerin ohne die regelmäßigen Tests weigern würden, mit ihr zu spielen. Bei Einhaltung des Datenschutzes sei es jedoch ausgeschlossen, dass die Kollegen der Klägerin von deren Testergebnis oder Verweigerung des Tests Kenntnis erlangen. Bereits aus der Verletzung des Datenschutzes ergebe sich die Unzulässigkeit der Testpflicht.

Der Gesetzgeber habe nur für ganz bestimmte Personengruppen eine PCR-Testpflicht angeordnet. Zu diesen Personengruppen gehöre die Klägerin nicht. Der Beklagte hätte als milderes Mittel freiwillige Tests anbieten können. Die Klägerin habe sich bereit erklärt, jederzeit bei Vorliegen eines Grundes, z.B. eines grippalen Infekts, Kontakt zu Infizierten, Aufenthalt in Risikogebieten etc. einen Test vornehmen zu lassen.

Bei dem Test handele es sich um einen invasiven Eingriff. Eine solche körperliche Untersuchung, die viele für relativ harmlos halten mögen, nicht vornehmen zu lassen, sei eine Rechtsposition, die jedem grundgesetzlich zustehe. Bürgerrechte dürften nicht scheibchenweise reduziert werden.

Der Beschäftigungsantrag sei auch nicht zu weit gefasst, da derzeit keine gesetzliche Testpflicht bestehe.

In jedem Fall wäre allenfalls entsprechend den Grundsätzen des Vorrangs einer Änderungskündigung, eine Beschäftigung mit Heimtraining und eine Aussperrung von nur 50 % als milderes Mittel zulässig gewesen.

 

Die Klägerin beantragt,

1. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin weiterhin zu den vereinbarten Bedingungen als Flötistin zu beschäftigen, wobei die Klägerin nicht verpflichtet ist, zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung PCR-Tests oder andere Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder Coronaerkrankung vornehmen zu lassen und dem Beklagten vorzulegen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Gehalt für den Kalendermonat September 2020 in Höhe von Euro 8.351,86 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.10.2020 zu bezahlen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat August 2020 in Höhe von Euro 2.145,25 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.09.2020 zu bezahlen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat Oktober 2020 in Höhe von Euro 7.812,95 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.11.2020 zu bezahlen.

5. Hilfsweise für den Fall der Abweisung der Anträge 2. bis 4. wird beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für den Zeitraum von August 2020 bis einschließlich Oktober 2020 ein weiteres Gehalt in Höhe von insgesamt Euro 9.155,03 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2020 zu bezahlen.

 

Der Beklagte beantragt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte führt aus, dass das Urteil des Arbeitsgerichts sowohl hinsichtlich der Begründung als auch im Ergebnis zutreffend sei. Die Argumentation der Klägerin hingegen sei sprunghaft, assoziativ und lese sich wie eine "Endlosschleife". Eine sinnvolle Zuordnung der Beweisangebote zu den jeweiligen Behauptungen finde nicht statt. Soweit der Klägerinvertreter sich beschwere, dass das Arbeitsgericht von ihm eine geordnete und gekennzeichnete Übersendung der Anlagen hätte haben wollen, läge dies daran, dass er diese völlig willkürlich und ungeordnet und ungekennzeichnet hochgeladen habe.

Unberechtigt sei die Rüge der Nichtaufnahme des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in den Tatbestand. Es erschließe sich nicht, dass die Entscheidung eines anderen Gerichts zu einem anderen Sachverhalt in den Tatbestand aufgenommen werden soll. Die Entscheidung sei auch nicht einschlägig. Es handele sich um etwas völlig Anderes, nämlich um die vorläufige Außerkraftsetzung von § 9 Abs. 2 Nr. 4 Teilsätze. 1 und 2 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung.

Orchestermusiker seien vertraglich nicht verpflichtet, täglich zu Hause zu üben. Dies gehöre nicht zur geschuldeten Arbeitsleistung. Der Beklagte sei auch nicht dazu verpflichtet, Orchestermusiker, die wie die Klägerin weder für Proben noch Vorstellungen einsetzbar seien, mit "Heimarbeit" zu beschäftigen und diese zu vergüten. Ob und in welchem Umfang die Klägerin zu Hause geübt habe, werde mit Nichtwissen bestritten.

Soweit die Klägerin sich hinsichtlich der erforderlichen Abstände auf eine Studie der Ludwig-Maximilian-Universität A-Stadt und der Universität E. beziehe, zitiere sie einseitig und unvollständig. An keiner Stelle werde in dieser Studie ausgeführt, dass bei einem Abstand von 3 m nach allen Seiten auch nicht das geringste Risiko für die Gesundheit bestehe. Im Gegenteil betonten die Autoren der Studie die Gefahr der Ansammlung von Aerosolen in der Luft.

Es sei unzutreffend, dass andere Häuser keine PCR-Tests vornehmen. Soweit sich die Klägerin auf eine Ungleichbehandlung berufe, sei sie dafür darlegungs-und beweisbelastet.

Zur Gefährlichkeit eines Rachenabstrichs habe die Klägerin nicht vorgetragen. Eine solche sei auch nicht gegeben.

Die Angaben der Klägerin zu angeblichen Proben ohne Testergebnis seien ohne jegliche Substanz. Unklar sei, auf welche Situation die Klägerin anspiele. Vermutlich beziehe sie sich auf eine Konzertsituation im Januar 2021. Für dieses größer besetzte Konzert habe die Staatsoper entschieden, engmaschiger zu testen. Von den von der Klägerin benannten beiden Mitarbeitern habe einer am Test am Vortag des Konzerts teilgenommen, der zweite benannte Mitarbeiter sei bereits immunisiert gewesen. Die Teststrategie der Staatsoper sei nie willkürlich gewesen, sondern man habe sie stets der dynamischen Entwicklung und dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst. Die Reihentestung nach einem festgelegten Rhythmus sei für einen Repertoirebetrieb mit ständig wechselnden Proben und Aufführungen und entsprechender Durchmischung der Besetzungen das weiterhin beste Verfahren, das Schutz auf der einen Seite und Belastung der Musiker auf der anderen Seite in angemessenen Ausgleich bringen.

Die Arbeitsschutzregel stelle nur allgemeine Grundsätze auf, könne aber nicht jede erdenkliche Arbeitssituation regeln. Die dort genannten Schutzmaßnahmen seien für Flötisten eindeutig nicht umsetzbar.

Auch § 4 Abs. 2 TVK sehe die Anordnung von Tests zum Ausschluss ansteckender Krankheiten vor.

Die Maßnahme entspreche auch billigem Ermessen. Der Beklagte könne sich auf ein erweitertes Weisungsrecht nach § 4 Nr. 7 i.V.m. § 15 Abs. 1 ArbSchG berufen. Die üblichen in Arbeitsschutzstandard, Arbeitsschutzregel und Arbeitsschutzverordnung für die Pandemie vorgesehenen Maßnahmen seien hier nicht umzusetzen. Dementsprechend sehe die Handlungshilfe der VBG zum Sars-CoV-2 Arbeitsschutzstandard für die Branche Bühnen und Studios auch regelmäßige Tests vor.

Entscheidend sei, ob eine Maßnahme an sich geeignet sei, Infektionen und Ansteckungen zu vermeiden oder zumindest einzudämmen. Die Durchführung von PCR-Tests habe sich als weitere wichtige Komponente zur Evaluierung und Eindämmung des Infektionsgeschehens erwiesen. Heute sei die regelmäßige Durchführung von Tests Standard in vielen Bereichen. Entscheidend sei, eine große Anzahl bereits Infizierter zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu erfassen und durch Quarantänemaßnahme abzusondern. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen zur Geeignetheit der Tests wird auf Bl. 487 - 489 der Akten verwiesen.

Der Vortrag der Klägerin zu Verstößen gegen den Datenschutz sei völlig unsubstantiiert. Die Klägerin selbst habe das anhängige Gerichtsverfahren bekannt gemacht.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Einzelnen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 25.06.2021 (Bl. 416 - 453 d.A.), 27.07.2021 (Bl. 471 - 490 d.A.) und vom 09.09.2021 (Bl. 492 - 504 d.A.) samt ihren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

 

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf eine vollständige oder teilweise Nachzahlung von Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs noch auf die Feststellung, dass der Beklagte sie zu beschäftigen hat, ohne dass sie sich Coronatests unterziehen müsste.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung rückständiger Vergütung aus §§ 611, 615 BGB. Der Beklagte befand sich im Zeitraum vom 25.08.2020 bis zum 29.10.2020 nicht im Annahmeverzug, da die Klägerin in diesem Zeitraum nicht gewillt war, die Arbeitsleistung zu den vertraglich geschuldeten Bedingungen zu erbringen. Sie war nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB.

Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2012 - 5 AZR 93/12, Rn. 25 mzwN.).

Das Erfordernis der Leistungsbereitschaft bezieht sich auf die vertraglich vorgesehene Tätigkeit. Es muss die Bereitschaft bestehen, die betreffende Arbeit bei dem Vertragspartner zu den vertraglichen Bedingungen zu leisten. (vgl. BAG, 13.07.2005 - 5 AZR 578/04, Rn. 34) Dazu war die Klägerin nicht bereit. Zu den vertraglichen Bedingungen gehört die vorliegend auch die Vornahme von Corona-Tests entsprechend dem Testkonzept der Staatsoper. Die Weisung bzgl. der Durchführung der Tests war wirksam.

1.1. Nach § 4 Abs. 2 TVK war der Beklagte berechtigt, von der Klägerin die Vornahme der Corona-Tests zu verlangen.

1.1.1. § 4 Abs. 2 TVK findet kraft vertraglicher Inbezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

1.1.2. In der Rechtsprechung bereits anerkannt ist, dass Voraussetzung einer Untersuchungspflicht nach § 4 Abs. 2 TVK nicht das kumulative Vorliegen der dort genannten zwei verschiedenen Fälle ist, sondern dass es sich nach dem Sinn und Zweck der Regelung und wegen der unterschiedlichen Schutzrichtungen um zwei alternative Voraussetzungen handelt. (vgl. BAG, 25.06.1992 - 6 AZR 279/91, Rn. 35 ff.) Maßgeblich ist vorliegend § 4 Abs. 2, 2. Alternative des TVK, wonach der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung feststellen lassen kann, ob der Musiker frei von ansteckenden Krankheiten ist.

1.1.3. Die Auslegung des § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK ergibt, dass diese Regelung in der derzeitigen pandemischen Situation die Anordnung von Corona-Test ermöglicht auch bei Personen, die keine Krankheitssymptome zeigen.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt. (BAG, Urteil vom 12. August 2015 - 7 AZR 592/13, Rn. 16, m.w.N.)

1.1.3.1. Bei einer Auslegung nach dem Tarifwortlaut ist Voraussetzung der Anordnung einer Untersuchung eine "gegebene Veranlassung". Hiernach muss es einen Anlass geben zu befürchten, dass ein Orchestermitglied nicht frei von einer ansteckenden Krankheit ist.

Ein derartiger Anlass ist gegeben, wenn ein Orchestermitglied konkrete Symptome einer ansteckenden Krankheit zeigt. Der Wortlaut der Tarifnorm beschränkt die Untersuchungspflicht aber nicht auf die Fälle des Vorliegens eines konkreten Verdachts in einer bestimmten Person. Die Tarifnorm fordert vielmehr das Vorliegen einer konkreten Veranlassung, eines sachlichen Grundes, der die Anordnung der Untersuchung rechtfertigt. Der Wortlaut fordert das Vorliegen eines sachlichen Grundes, der die willkürliche Anordnung von Untersuchungen ausschließt. Dass willkürliche Untersuchungen ausgeschlossen werden sollen, wird auch betont durch § 4 Abs. 2 S. 2 TVK, der ausdrücklich regelt, dass von dieser Befugnis nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden darf. Dass allein der Verdacht einer Infektion bei einem bestimmten Orchestermitglied ein gegebener Anlass sein kann, ist dem Wortlaut der Regelung deshalb jedenfalls für die hier zur Prüfung anstehende 2. Alternative des § 4 Abs. 2 TVK nicht zu entnehmen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus der Formulierung der Tarifnorm dahin, dass der Arbeitgeber feststellen lassen kann, "ob der Musiker ... frei von ansteckenden ... Krankheiten ist", nicht geschlossen werden, dass beim konkret zu untersuchenden Musiker der Verdacht der ansteckenden Krankheit manifest geworden sein muss. Es liegt vielmehr in der Natur einer Erkrankung, dass diese immer nur bei einem konkreten Musiker festgestellt werden kann.

Auch der Entscheidung des BAG vom 25.06.1992 (6 AZR 279/91) ist nicht zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich der Tarifnorm auf die Fälle beschränkt ist, in denen bei einem Arbeitnehmer ein konkreter Verdacht einer ansteckenden Erkrankung besteht. Das BAG hat lediglich festgestellt, dass es genügt, dass der Arbeitgeber Veranlassung hat anzunehmen, der Arbeitnehmer sei arbeitsunfähig krank oder er leide an einer der genannten Krankheiten (vgl. LS 2). Das BAG hatte in der damaligen Entscheidung keine Veranlassung sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Veranlassung für die Untersuchung auch in einer Pandemie liegen kann. Streitig war im dortigen Rechtsstreit, ob die beiden in § 4 Abs. 2 TVK genannten Alternativen kumulativ oder alternativ vorliegen müssen. Welche Fälle von § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK umfasst werden, war nicht Gegenstand der Entscheidung. Auch die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme der DOV steht der hier gefundenen Auslegung nicht entgegen. Die von einer Tarifvertragspartei vertretene Auslegung der Tarifnorm ist für das Gericht nicht bindend.

Darüber hinaus überzeugt es nicht, dass der hier gefundenen Auslegung die Anlehnung des TVK an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes entgegensteht. Zum einen gibt es, wie bereits ausgeführt, keine Rechtsprechung, die sich damit auseinandersetzt, ob § 7 BAT den Verdacht einer Erkrankung des zu untersuchenden Musikers voraussetzt. Zum anderen besteht gerade bei § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK ein Gleichklang mit den Regelungen des öffentlichen Dienstes nicht mehr. In der Nachfolgeregelung zu § 7 BAT ist die hier streitgegenständliche Alternative nicht mehr enthalten. § 4 TVK und die entsprechenden Regelungen im TV die Fallen hier auseinander.

1.1.3.2. Auch bei einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist Voraussetzung einer Untersuchung nach § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK nicht eine gegebene Veranlassung in Form des Verdachts der Erkrankung eines bestimmten, zu untersuchenden Orchestermitglieds.

Die Untersuchung gemäß der zweiten Alternative des § 4 Abs. 2 TVK dient dem Schutz Dritter. Insbesondere Arbeitskollegen, aber auch betriebsfremde Dritte, sollen dadurch vor ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten geschützt werden. (vgl. BAG, Urteil vom 25. Juni 1992 - 6 AZR 279/91, Rn. 37) Dieser Schutzzweck wird bei einer Krankheit, die auch von symptomfreien Personen übertragen werden kann, von der Regelung nur verwirklicht, wenn ihr Anwendungsbereich nicht entgegen dem Wortlaut auf Personen mit Krankheitssymptomen eingeschränkt wird.

1.1.3.3. Ein Anlass i.S.d. § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVG für die Anordnung einer Testpflicht für die Klägerin war und ist gegeben.

Ein derartiger Anlass ist auch gegeben, wenn bei Vorliegen einer pandemischen Lage nationaler Tragweite die Gefahr besteht, dass eine ansteckende Krankheit, die auch von symptomfreien Personen übertragen wird, und die bei einem erheblichen Anteil der Erkrankten, insbesondere bei Personen mit höherem Lebensalter, zum Tod, und bei einem erheblichen Anteil der Personen mit leichteren Verläufen zu Langzeitschäden führt, der Schutz der Orchestermitglieder vor Ansteckung nicht anderweitig möglich ist.

Eine Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus ist eine ansteckende Erkrankung i.S.d. Tarifnorm und im streitgegenständlichen Zeitraum bestand die ernstzunehmende Gefahr, dass Orchestermitglieder bei Proben und Aufführungen durch symptomfreie Personen mit dem Sars-Cov-2- Virus angesteckt werden.

Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass im August 2020 die Inzidenz niedrig war und es auch zu Öffnungen z.B. der Gastronomie gekommen war. Die Gefahr einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus war aber weiterhin gegeben. Eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen, wie z.B. die Pflicht zum Tragen von Masken in vielen Situation, Abstandsregeln usw. waren weiterhin in Kraft. Es bestand nach wie vor noch eine epidemische Lage nationaler Tragweite, d.h. der Bundestag ging vom Weiterbestehen einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation aus, und von Experten wurde vor einem Wiederanstieg der Infektionszahlen durch Reiserückkehrer und vermehrte Aufenthalte in Innenräumen im Herbst gewarnt. Dass diese Prognosen nicht unberechtigt waren, konnte in der Folge sowohl an den Infektionszahlen, als auch an der Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle von Covid-Patienten abgelesen werden.

Der Sars-Cov-2-Virus wird auch von symptomfreien Personen übertragen. Hierbei handelt es sich zum einen um Personen, die sich mit dem Virus infizieren, aber selbst nicht erkranken, gleichwohl aber den Virus an andere weitergeben können. Zum anderen handelt es sich um Personen, die an Covid erkranken, aber bereits 48 Stunden vor dem Ausbruch der Symptome andere Personen mit dem Virus infizieren können. Weder die infizierten Personen selbst noch ihr Umfeld haben in dieser Situation die Möglichkeit zu erkennen, dass im Falle eines Kontakts von diesen Personen eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Eine derartige Situation ist ein gegebener Anlass i.S.d. § 4 Abs. 2 Alt. 2 TVK. Der Anwendungsbereich der Tarifnorm ist eröffnet auch für die Anordnung der Untersuchung von symptomfreien Personen.

1.1.4. Die Anordnung einer Untersuchung durch Ärzte des Klinikums I. ist von § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK gedeckt.

Nach dieser Regelung kann eine Untersuchung durch das Gesundheitsamt oder durch einen Vertrauensarzt angeordnet werden. Der Begriff des Vertrauensarztes ist weder gesetzlich noch tariflich definiert. Es handelt sich um Ärzte, die im Auftrag des Arbeitgebers untersuchend und begutachtend tätig sind, um diesem Entscheidungsgrundlagen für Maßnahmen an die Hand zu geben, für die medizinische Sachverhalte maßgebend sind. (Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 75 BPersVG, Rn. 94) Vorliegend bedient sich der Beklagte der HNO-Ärzte des Klinikums I., um die Tests vorzunehmen. Diese sind somit die Vertrauensärzte.

Dass der Beklagte es den Arbeitnehmern ermöglicht, sich statt an die vom Beklagten benannten Ärzte auch an Ärzte ihres eigenen Vertrauens zur Durchführung des Tests zu begeben, steht der Anwendbarkeit der Tarifnorm nicht entgegen. Vielmehr ist die Anordnung sich alternativ von einem selbst gewählten Arzt untersuchen zu lassen, erst recht von der Tarifnorm umfasst, da dies den geringeren Eingriff in die Rechte des Arbeitnehmers darstellt.

1.1.5. Die von § 4 Abs. 2 Alt. 2 TVK ermöglichte Anordnung einer ärztlichen Untersuchung muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen um wirksam zu sein. Das ist hier der Fall.

Auch soweit das Direktionsrecht nach Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag besteht, darf es nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt werden. (vgl. BAG, 07.12.2000 - 6 AZR 444/99, Rn.12) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. (vgl. BAG, 17.08.2011 - 10 AZR 202/10, Rn. 22)

1.1.5.1. Der Beklagte hat ein erhebliches Interesse an der Durchführung der Tests, da er sowohl privatrechtlich gegenüber allen anderen Arbeitnehmern als auch öffentlich-rechtlich verpflichtet ist, die Gesundheit der anderen Arbeitnehmer, insbesondere auch der Orchestermitglieder, die mit der Klägerin unmittelbar zusammenarbeiten, zu schützen.

Aus § 618 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichtet, Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Dies ist Teil der Fürsorgepflicht, die der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern schuldet.

Nach § 3 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen.

Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. Hierbei sind nach § 4 ArbSchG Gefahren an der Quelle zu bekämpfen (Ziff. 2), bei den Maßnahmen der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene zu berücksichtigen (Ziff. 3), wobei individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen sind (Ziff. 5).

Der Beklagte ist deshalb im Rahmen der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, alle zumutbaren Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer vor einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus zu ergreifen.

1.1.5.1.1. Die Anordnung der PCR-Tests entsprechend dem Testkonzept war eine Maßnahme, die geeignet ist, die Arbeitnehmer vor einer Ansteckung mit dem Sars-Cov-2-Virus zu schützen.

1.1.5.1.1.1. Arbeitnehmer, die im Betrieb zusammentreffen und sich gegenseitig anstecken können, auf eine Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus zu testen, ist eine geeignete Maßnahme, um Ansteckungen im Betrieb zu verhindern und so die Gesundheit der potentiell von einer Ansteckung betroffenen Arbeitnehmer zu schützen. Die Tests ermöglichen, dass die Infektion symptomfreier, aber mit dem Sars-Cov-2-Virus infizierter Personen frühzeitig erkannt werden, weitere Kontakte und damit Ansteckungen verhindert und bereits stattgefundene Kontakte zeitnah nachvollzogen werden können. Die grundsätzliche Geeignetheit von Test zur Verhinderung von Ansteckungen zeigt sich auch darin, dass sobald Tests in der Breite verfügbar waren, Testangebote in Betrieben und Testpflichten für nicht Geimpfte oder Genesene Personen in Schulen und für den Zugang zu Veranstaltungen, Museen usw. vom Gesetzgeber eingeführt wurden.

1.1.5.1.1.2. Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, der Beklagte hätte den PCR-Test nicht anordnen dürfen, da dieser nicht geeignet sei, um eine Infektion festzustellen.

Nach § 4 Ziffer 3 ArbSchG hat sich der Arbeitgeber bei seinen Maßnahmen am Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene zu orientieren. Der PCR-Test ist der Test, der deutschlandweit von allen Gesundheitsämtern zum Nachweis einer Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus anerkannt wird, und der flächendeckend in Arztpraxen und Krankenhäusern zur Anwendung kommt. Der Beklagte durfte sich deshalb darauf verlassen, dass diese vom Klinikum I. empfohlene Testmöglichkeit dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene entspricht und eine geeignete Möglichkeit für den Nachweis einer Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus darstellt. Dass es auch bei den PCR-Tests in gewissen Umfang zu Fehlern kommen mag, ändert nichts daran, dass dieser Test dem Stand der Technik entspricht und somit geeignet ist.

1.1.5.1.1.3. Die Tests waren auch nicht ungeeignet, weil sie in zu geringer Frequenz durchgeführt wurden.

Zwar ist es zutreffend, dass mehr Tests in geringerem zeitlichen Abstand zu mehr Schutz führen. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass weniger Tests in etwas größeren Abständen nicht geeignet sind, Infektionen im Betrieb zu verhindern. Der Beklagte hatte sich hier wissenschaftlich beraten lassen und ein Testkonzept mit einem rollierenden System je nach Berufsgruppen entwickelt. Konkreten Vortrag dazu, warum dieses mit wissenschaftlicher Hilfe entwickelte Konzept nicht geeignet sei, Infektionen festzustellen leistet die Klägerin nicht. Darüber hinaus ist das Vorbringen der Klägerin hier widersprüchlich. Sie macht geltend, dass ihr die Durchführung der Tests bereits in der vorgegebenen Frequenz nicht zumutbar sei, rügt aber gleichzeitig, dass der Beklagte zu wenige Tests vorgesehen habe.

1.1.5.1.1.4. Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Geeignetheit der Tests auch nicht entgegen, dass das RKI keine anlasslosen Massentests befürwortet hat.

Der Beklagte hat bei der Staatsoper keine anlasslosen Massentests eingeführt, sondern ein mit wissenschaftlicher Beratung erarbeitetes Testkonzept für die Arbeitnehmer des Betriebs, der sich in vielfacher Hinsicht von typischen Produktions- oder Dienstleistungsbetrieben unterscheidet, und in dem, jedenfalls in dem hier interessierenden Bereich des Orchesters, die typischen Arbeitsschutzmaßnahmen wie das Tragen von Masken und Einhalten von Abständen allenfalls teilweise möglich sind. Darüber hinaus wurden, wie bereits ausgeführt, mit zunehmender Verfügbarkeit Testangebote und Testpflichten auch in anderen Bereichen stetig ausgeweitet.

1.1.5.1.1.5. Die Geeignetheit der Tests wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin rügt, die Staatsoper habe diese nicht konsequent durchgeführt. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist bereits unsubstantiiert. Auch wenn die Klägerin im Berufungsverfahren hier die Namen einzelner Musiker nennt, ist der Vortrag, wie der Beklagte rügte, schon nicht erwiderungsfähig, da jegliche zeitliche Einordnung fehlt. Im Übrigen kann es dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin, dem der Beklagte bzgl. eines von ihm als angesprochen vermuteten Konzerts auch entgegengetreten ist, tatsächlich zutrifft. Selbst wenn es in zwei Fällen im letzten Jahr zu einer Abweichung vom Testkonzept gekommen sein soll, können derartige vereinzelte Ausnahmefälle nicht die Eignung des ansonsten vollzogenen Testkonzepts in Frage stellen.

1.1.5.1.2. Die Durchführung der Tests war auch erforderlich für den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter im Orchester.

Alle Vorgaben zum Arbeitsschutz während der Pandemie, z.B. der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung veröffentlichte Arbeitsschutzstandard sowie die vom Arbeitsschutzausschuss beim BMAS herausgegebene Sars-Cov-2-Arbeitsschutzregel geben Maßnahmen vor, die verhindern sollen, dass ein sich unerkannt infiziert am Arbeitsplatz aufhaltender Arbeitnehmer andere Arbeitnehmer ansteckt. Im Wesentlichen wird hierbei auf 10 qm Mindestfläche je Arbeitnehmer, Abstände, Abtrennungen zwischen Arbeitsplätzen und Mund-Nasen-Bedeckung (Masken) abgestellt. Wobei betont wird, dass überall dort, wo diese Maßnahmen nicht umsetzbar sind, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung gleichwertige alternative und gleichwertige Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen sind (Ziffer 4.2.13 der Sars-Cov-2-Arbeitsschutzregel und § 2 § 2 Abs. 5 Sars-Cov-2- Arbeitsschutzverordnung.

Der Beklagte hat die hiernach vorgegebenen Maßnahmen durchgeführt, soweit sie mit der von der Klägerin zu erbringenden Arbeitsleistung vereinbar waren, z.B. die Fläche für das Orchester und die Abstände zwischen den Musikern vergrößert, für eine bessere Belüftung gesorgt usw. Die Gewährleistung eines Schutzniveaus wie in anderen Betrieben durch Abstände, Maskentragen, Mindestflächen von 10 qm je Arbeitnehmer, Homeoffice usw. ist jedoch hier gerade wegen der Eigenart der von der Klägerin geschuldeten Arbeitsleistung nicht möglich.

Die Klägerin kann ihre Arbeitsleistung als Flötistin nicht mit Maske erbringen. Das Spielen der Querflöte ist zwangsläufig mit der Verbreitung von Tröpfchen und Aerosolen in mehrere Richtungen über einen Abstand von mehr als 1,5 m hinweg verbunden. Selbst wenn man mit der Klägerin unterstellt, dass bei einem Mindestabstand von drei Metern in alle Richtungen Gesundheitsgefahren für die anderen Mitglieder des Orchesters im Falle einer Infektion der Klägerin ausgeschlossen wären, lässt sich ein angemessener Arbeitsschutz auf diese Weise nicht umsetzten. Die Klägerin führt zwar als milderes Mittel die Möglichkeit an, die Anstände zu vergrößern, mehr Trennwände einzuziehen oder gar die Flötisten am Rand zu platzieren. Der Beklagte hat aber unbestritten vorgetragen, dass ein Abstand von jeweils drei Metern das Zusammenspiel des Orchesters beeinträchtigen würde, und die Musiker bereits bei den derzeitigen Abständen dazu neigen zusammenzurücken, um sich gegenseitig besser hören zu können. Sinn und Zweck der Proben und Aufführungen der Staatsoper ist es aber nicht, in irgendeiner Weise Partituren abspielen zu lassen, sondern Aufführungen durch einen Klangkörper von Weltrang zu bieten. Geeignet sind deshalb nur Maßnahmen, die eine Orchesterleistung auf dem Niveau ermöglichen, dem sich die Staatsoper und sicherlich auch die dort tätigen Orchestermitglieder verpflichtet fühlen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorschlag der Klägerin, man möge die Sitzordnung im Orchester ändern und die Flötisten am Rand platzieren, d.h. vom üblichen Orchesteraufbau abweichen, nicht zielführend. Es sind deshalb andere Maßnahmen, wie das Ausschließen von Infektionen bei den Orchestermitgliedern durch entsprechende Tests erforderlich, um ein angemessenes Schutzniveau für die Orchestermusiker zu gewährleisten. Die Tests, die zur Bekämpfung der Infektionsgefahr an der Quelle beitragen (§ 4 Ziff. 2 ArbSchG), sind erforderlich, um in Anbetracht der Besonderheiten des Arbeitsplatzes der Klägerin nach der Gefährdungsbeurteilung zu einem gleichwertigen Schutzniveau zu kommen.

Der Erforderlichkeit der Tests steht auch nicht entgegen, dass sich die Arbeitnehmer nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln anstecken können. Vielmehr stützt dies gerade die Erforderlichkeit der Tests am Arbeitsplatz. Gerade weil auch Arbeitnehmer, die sich an die Corona-Schutzmaßnahmen halten, eine Ansteckung in Alltagssituationen wie bei einem Einkauf oder in der U-Bahn nie ganz ausschließen können, sind die Test erforderlich, um zu verhindern, dass derartige Infektionen unerkannt im Betrieb weitergegeben werden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Tests auch nicht deshalb entbehrlich, weil auch in anderen Bereichen, zum Beispiel beim Hörschutz der Arbeitsschutz nicht konsequent umgesetzt wird, und der Eigenverantwortung der betroffenen Arbeitnehmer überlassen bleibt. Selbst wenn man dies zugunsten der Klägerin als zutreffend unterstellt, so verkennt die Klägerin doch, dass es bei den Corona-Tests nicht um Eigenverantwortung, der Übernahme von Verantwortung für Risiken für die eigene Person, sondern um Solidarität, die Bereitschaft für den Schutz anderer etwas auf sich zu nehmen, geht.

Die Durchführung der Corona-Tests dient nicht dem Schutz der getesteten Person selbst, sondern dem Schutz der Kollegen. Im Falle eines negativen Tests, ist die getestete Person nicht vor einer Infektion in der Zukunft geschützt, und im Falle eines positiven Tests wird der Krankheitsverlauf bei der getesteten Person in Anbetracht der eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten eher nicht wesentlich verbessert werden. Bei der Durchführung des Tests geht es nicht um die Frage, was jemand bereit ist, für die Minimierung seines eigenen Risikos zu tun. Das kann jeder im Rahmen des rechtlich zulässigen, z.B. beim Aufsetzen eines Fahrradhelms, für sich selbst entscheiden. Im Bereich des Arbeitsschutzes ist es aber stets auch die Pflicht des Arbeitgebers für die korrekte Umsetzung des Arbeitsschutzes zu sorgen, auch um eine Aushöhlung des Arbeitsschutzes durch ein Berufen auf einen vermeintlichen Arbeitnehmerwunsch zu verhindern. Die Durchführung des Tests dient dem Schutz der möglichen Kontaktpersonen der getesteten Person, hier konkret den anderen Mitgliedern des Orchesters. Es geht um die Frage, was jemand bereit ist, für den Schutz der Kollegen zu tun, es geht um die Verantwortung nicht für die eigene Person sondern für die Risiken, denen die anderen Musiker ausgesetzt sind. Das vorliegende Verfahren zeigt, dass die Bereitschaft für den Schutz der Kollegen etwas auf sich zu nehmen, was als unangenehm empfunden wird, unterschiedlich ausgeprägt ist. Der Beklagte kann sich deshalb nicht darauf verlassen, dass alle Arbeitnehmer auch ohne Testpflicht allein zum Schutz der Kollegen, Tests durchführen lassen.

Gegen die Erforderlichkeit der Tests spricht auch nicht, dass in anderen Orchestern nicht getestet wurde oder wird, oder dass die Staatsoper gegenüber Orchestern ohne Testungen keine Privilegien erhält. Dass bei anderen Orchestern nicht getestet wurde, kann eine Vielzahl von Ursachen haben, von einer viel stärkeren Einschränkung des Proben- und Aufführungsbetriebs bis hin zur mangelnden Verfügbarkeit von Tests. Konkreten Vortrag dazu, dass in anderen Orchestern ein gleichwertiger Proben- und Aufführungsbetrieb bei milderen Mitteln zur Gewährung eines vergleichbaren Schutzniveaus möglich war, leistet die Klägerin nicht.

Auch der Umstand, dass es für andere Arbeitnehmer mit mehr Kontakten, z.B. die Mitarbeiter der Bahn, keine Testpflicht gibt, steht der Erforderlichkeit Testpflicht hier nicht entgegen. Die Risiken an einem bestimmten Arbeitsplatz hängen nicht nur von der Zahl der Kontakte ab, sondern maßgeblich auch davon, welche Schutzmaßnahmen möglich sind und wie lange die Kontakte unter welchen Rahmenbedingungen dauern. Die Situation eines Mitarbeiters bei der Bahn, der Maske tragen kann und nur kurze Kontakte an unterschiedlichen Orten hat, ist mit der Situation eines Orchesters, das sich über längere Zeit an bestimmten Sitzplätzen aufhält und indem gerade über die Blasinstrumente Tröpfchen und Aerosole ungefiltert durch Masken im Raum verteilt werden, nicht vergleichbar.

1.1.6. Die Einführung der Testpflicht war auch unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin verhältnismäßig.

1.1.6.1. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit. Ein von einer anderen Person abgenommener Nasen- und/oder Rachenabstrich stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Dies ist jeder Eingriff in die körperliche Integrität oder Befindlichkeit, die einen von den normalen körperlichen Funktionen nicht nur unerheblich abweichenden Zustand hervorruft, also jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteiligen abweichenden Zustands unabhängig davon, ob Schmerzen oder eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit auftreten (Palandt, BGB, 76. Auflage, § 823 Rn. 4 m.w.N).

Die Klägerin kann sich allerdings nicht darauf berufen, dass ihr der Nasen- und Rachenabstrich, wie er von der Staatsoper selbst angeboten wurde, wegen der Verletzungsgefahr für die Nasenschleimhaut nicht zumutbar war. Der Beklagte hat zu keiner Zeit verlangt, dass zwingend ein Nasen- und Rachenabstrich vorgenommen werden muss. Er hat es vielmehr akzeptiert, dass die Arbeitnehmer einen PCR-Test bei einem Arzt ihres Vertrauens in Form eines reinen Rachenabstrichs durchführen. Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin ab Oktober 2020 auch Gebrauch gemacht.

1.1.6.2. Die Klägerin hat darüber hinaus ein Interesse an der Wahrung ihres Persönlichkeitsrechts, zu dem auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht bzgl. ihrer medizinischen Daten gehört. Bei der Information, ob und mit welchem Ergebnis die Klägerin auf das Sars-Cov-2-Virus getestet wurde, handelt es sich um sensible persönliche Daten.

1.1.6.3. Den Interessen der Klägerin steht das Interesse des Beklagten, und letztlich auch der anderen Orchestermitglieder gegenüber, einen Proben- und Aufführungsbetrieb aufrechtzuerhalten, der unter den speziellen Arbeitsbedingungen eines Repertoirorchesters auf höchstem Niveau für alle Ensemblemitglieder einen bestmöglichen Schutz vor Ansteckung mit einer potentiell tödlichen oder mit langfristigen Nachwirkungen verbundenen Krankheit bietet.

1.1.6.4. Bei Abwägung dieser Interessen ist der Klägerin die Durchführung der Tests zumutbar.

Der allein erforderliche Rachenabstrich war eine der Klägerin zumutbare körperliche Beeinträchtigung. Auch wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Empfindlichkeit bzgl. eines Rachenabstrichs nicht bei allen Menschen gleich groß ist und unterstellt, dass die Klägerin in diesem Bereich besonders sensibel ist, so handelt es sich doch um einen Vorgang, der das körperlichen Wohlbefinden nur für einen sehr kurzen Zeitraum, einige Sekunden, und ohne Folgen beeinträchtigt.

Die Information über einen negativen oder positiven Test ist zwar ein sensibles persönliches Datum, aber es lässt keine Rückschlüsse auf sonstige medizinische Daten einer Person zu. Mit der Weitergabe des Testergebnisses wird somit nur eine ganz abgegrenzte Information über eine Person weitergeben.

Sowohl eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit als auch des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind vorliegend zwar gegeben, allerdings besteht jeweils eine geringe Eingriffstiefe. Dem steht das Risiko gegenüber, dass mangels geeigneter Schutzmaßnahmen wie des Tragens einer Maske im Falle einer Infektion der Klägerin ein hohes Risiko für die Weitergabe des Sars-Cov-2-Virus an andere Ensemblemitglieder besteht, das sich ohne Testpflicht sodann im Ensemble ausbreiten könnte. In Anbetracht der ganz erheblichen Risiken für Gesundheit und Leben, die bei einer Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus für die anderen Ensemblemitglieder und letztlich auch für die mit diesen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Personen bestehen, ist der Klägerin ein Eingriff von geringer Tiefe in die körperliche Unversehrtheit und in das informationelle Selbstbestimmungsrecht zumutbar. Die Weisung entsprach deshalb billigem Ermessen.

1.1.7. Der wirksamen Anordnung der Testpflicht steht auch nicht die Entscheidung des BayVGH vom 02.03.2021 - 20 NE 21.353 entgegen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt der BayVGH in dieser Entscheidung nicht grundsätzlich fest, dass eine Testpflicht unzulässig ist. Der BayVGH beschäftigt sich in diesem Beschluss im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich damit, ob § 9 Abs. 2 Nr. 4 Teilsätze 1 und 2 der 11. BayIfSMV mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Ob aufgrund anderer Rechtsgrundlagen eine Testpflicht angeordnet werden kann, lässt die Entscheidung offen. Darauf weist der BayVGH ausdrücklich hin (BayVGH, 02.03.2021 - 20 NE 21.353, Rn. 10) Darüber hinaus ist der vom BayVGH entschiedene Fall auch deshalb nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, weil die dortige Antragstellerin bereits vollständig gegen das Sars-Cov-2-Virus geimpft war.

1.1.8. Der Testpflicht steht auch nicht eine Verletzung des Art. 9 DSGVO entgegen. Der Klägerin stellt zwar zutreffend fest, dass es sich bei den Daten bezüglich der Tests um sensible Daten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO handelt. Dies macht die Durchführung der Tests aber nicht unzulässig. Art. 9 Abs. 2 DSGVO gestattet die Erhebung und Verarbeitung von Daten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO durch den Arbeitgeber um Pflichten aus dem Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit sowie nach dem Recht der Kollektivvereinbarungen zu erfüllen. Vorliegend erhebt der Beklagte, wie oben ausgeführt, die Daten über die Tests auf der Grundlage des § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK, d.h. auf einer kollektivrechtlichen Grundlage um seine arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht (§ 618 BGB) und seine arbeitsschutzrechtlichen Pflichten zu erfüllen (§§ 3, 4 ArbSchG) zu erfüllen. Die Erhebung der Testdaten ist deshalb nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO gerechtfertigt.

Dazu, dass der Beklagte bei der Verarbeitung der Daten datenschutzrechtliche Vorschriften nicht beachten würde, hat die Klägerin keinen konkreten Vortrag geleistet. Allein die von der Beklagtenseite geäußerte Befürchtung, dass sich Orchestermitglieder weigern würde, an Proben oder Aufführungen teilzunehmen, wenn die Klägerin sich nicht testen ließe, lässt einen solchen Schluss nicht zu. Es kann nicht festgestellt werden, dass über den Umstand hinaus, dass der vorliegende Rechtsstreit und somit die jedenfalls zeitwillige Weiterung der Klägerin, sich testen zu lassen, im Orchester bekannt ist, bei Orchestermitgliedern oder sonstigen Arbeitnehmern der Beklagten Kenntnisse über Tests der Klägerin vorliegen.

1.1.9. Auch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann sich die Klägerin nicht berufen.

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. (vgl. BAG, 13.12.2016 - 9 AZR 574/15, Rn. 32)

Hier hat der Beklagte sich keine Regelung für alle Orchester oder Theater selbst gegeben, von der er im Einzelfall abgewichen ist. Vielmehr haben sehr unterschiedliche vom Beklagten zwar getragene aber unabhängig voneinander betriebene und geleitete Häuser jeweils vor dem Hintergrund ihrer örtlichen Gegebenheiten, künstlerischen Ansprüche und sonstigen Möglichkeiten Hygienekonzepte entwickelt. Dass das Hygienekonzept der Staatsoper bereits seit August 2020 ein Testkonzept umfasste, begründet dabei keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Soweit die Klägerin sich darauf beruft, die unterschiedlichen Räumlichkeiten würden keine unterschiedlichen Hygienekonzepte rechtfertigen, kann das nicht nachvollzogen werden.

Die Gefährdungsbeurteilung hat sich nach § 5 ArbSchG mit den Gefahren am konkreten Arbeitsplatz auseinanderzusetzen. Diese werden durch die Räumlichkeiten und technischen Möglichkeiten der einzelnen Häuser wesentlich geprägt. Dementsprechend haben auch die Hygienekonzepte jeweils den örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Darüber hinaus käme eine Benachteiligung der Klägerin ohne sachlichen Grund nur dann in Betracht, wenn die Hygienekonzepte ohne Testpflicht zum gleichen Schutzniveau führen würden. Auch hierzu fehlt jeder substantiierte Vortrag.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Vergütung für die Zeit des häuslichen Übens im streitgegenständlichen Zeitraum.

Ein Anspruch der Klägerin auf Vergütung für die Zeit des häuslichen Übens aus § 611 Abs.1 BGB besteht nicht. Das häusliche Üben ist keine nach dem Arbeits- oder Tarifvertrag geschuldete Leistung, sondern eine Obliegenheit der Klägerin. Die Klägerin hat keinen Arbeitsvertrag, in dem eine Stundenvergütung vereinbart ist. Nach ihrem Arbeitsvertrag ist die Klägerin verpflichtet, das Instrument Flöte zu spielen. Daneben wird ihr das Instrument der Piccoloflöte übertragen. Der Arbeitsvertrag selbst enthält weder eine Vereinbarung der Vergütung noch der sonstigen Leistungspflichten.

Aus dem im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen TVK ergibt sich, dass die Klägerin verpflichtet ist, an Proben und Aufführungen mitzuwirken (§§ 7,12 TVK). Im Übrigen wird der Umfang ihrer Arbeitsleistung durch Dienste bestimmt. Dass die Klägerin dem Beklagten gegenüber verpflichtet ist, in einem bestimmten Umfang zu üben, d.h. dass das Üben Teil der arbeitsvertraglichen Leistung ist, ergibt sich auch aus dem Tarifvertrag nicht. Die für auf dem Niveau der Staatsoper spielende Musiker sicherlich gegebene Notwendigkeit des Übens stellt deshalb eine Obliegenheit, d.h. eine Verpflichtung gegenüber sich selbst, nicht aber eine im arbeitsvertraglichen Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Verpflichtung gegenüber dem Beklagten dar.

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Beschäftigung als Flötistin ohne verpflichtet zu sein, Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder einer Corona-Erkrankung vornehmen zu lassen und dem Beklagten vorzulegen.

Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin ohne Vorlage eines Tests auf eine Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus zu beschäftigen. Wie bereits ausgeführt, hat der Beklagte eine von § 4 Abs. 2, 2. Alt. TVK gedeckte und auch im Einzelfall billigem Ermessen entsprechende Testpflicht wirksam angeordnet. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

An der Rechtmäßigkeit dieser Weisung hat sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nichts verändert. Es besteht weiterhin eine epidemische Lage nationaler Tragweite.

Die Infektionszahlen steigen erneut an. Zwar ist ein Teil der Menschen, und sicherlich auch ein Teil der Kollegen der Klägerin, mittlerweile gegen eine Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus geimpft, aber der Beklagte hat keine zulässige Möglichkeit festzustellen, ob alle Kollegen der Klägerin geimpft sind, oder ob sich darunter z.B. auch Personen befinden, denen aus gesundheitlichen Gründen eine Impfung nicht möglich ist. Der Beklagte ist deshalb weiterhin sowohl nach § 618 BGB gegenüber seinen anderen Arbeitnehmern als auch nach den Arbeitsschutzvorschriften öffentlich-rechtlich zur Aufrechterhaltung eines gleichbleibend hohen Schutzniveaus verpflichtet.

Das berechtigte Interesse der Klägerin am Unterbleiben der Tests hat sich hingegen verringert, da diese auch vom Beklagten selbst nun in einer Form angeboten werden, die mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht mehr verbunden ist. Sich selbst mit einem Wattestäbchen eine Speichelprobe aus dem Mund zu entnehmen, ist kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit mehr. Eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ist dabei nicht mehr gegeben. Weiterhin berührt ist das Persönlichkeitsrecht, insbesondere das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin. Dieser sehr geringe Eingriff ist aber nach einer Abwägung mit dem Interesse des Gesundheitsschutzes der Kollegen gerechtfertigt. Auch insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

 

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.

 

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG die Parteien hingewiesen werden, zulassen sollte.