Erstellt am 04.02.2018 um 14:25 Uhr von Krambambuli
Ich würde mal bei der Gewerkschaft nachfragen - wenn die nicht die Tarife hat - wer dann?
Erstellt am 04.02.2018 um 15:04 Uhr von Spezialagent
Ich habe einen Leiharbeiter angerufen, mit dem ich persönlichen Kontakt habe.Es handelt sich wohl um den Manteltarifvertrag DGB-BAP, der tatsächlich vorsieht, dass nach § 4.2
Plus- und Minusstunden in das Arbeitszeitkonto eingestellt werden können. Das Ganze kommt mir aber komisch vor. Ich ging bisher immer davon aus, das in Fällen wie diesen §615 BGB zur Anwendung kommt, weil das Gesetz gegenüber Tarifverträgen vorrang haben. Wie ist Euere Meinung ?
Erstellt am 04.02.2018 um 16:35 Uhr von Pickel
Er kommt eben nicht in Verzug. Denn der Tarifvertrag regelt die Flexibilität.
Erstellt am 04.02.2018 um 20:38 Uhr von basilica
Vom Grundsatz her ist § 615 BGB abdingbares Recht. Díe BGB-Regelung zum Annahmeverzug kann also einzel- oder tarifvertraglich ausgeschlossen werden. Das gilt nach § 11 Abs 4 AÜG aber nicht für die Leiharbeit.
Was das konkret bedeutet, darüber scheint sich die Fachwelt nicht einig zu sein:
"Allerdings war und ist streitig, was hierunter zu verstehen ist [...] Das BAG hat sich – nach Auffassung der hiesigen Kammer – hierzu jedoch eindeutig verhalten. Es hat ausgeführt, dass Regelungen, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, unwirksam sind (BAG, 16.04.2014 – 5 AZR 483/12 – Rn. 24)."
LAG Berlin-Brandenburg
Urteil vom 17. Dezember 2014 - Az. 15 Sa 982/14 (15 Sa 1538/14)
Liest man dann das vom LAG zitierte und scheinbar so schön eindeutige Urteil des BAG nach, findet man das scheinbar klare Zitat dort zu dehnbarem Gummi aufgeweicht wieder:
"Bedenklich wird die Aufspaltung der Dauer der Arbeitszeit für Überlassungen und überlassungsfreie Zeiten erst dann, wenn eine solche Vertragsgestaltung dazu dient, die Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Vergütung bei Annahmeverzug nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG dadurch zu unterlaufen, dass für verleihfreie Zeiten eine ungewöhnlich kurze Arbeitszeit vereinbart wird [...] Regelungen, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, sind unwirksam"
BUNDESARBEITSGERICHT
Urteil vom 16.4.2014, 5 AZR 483/12
Man könnte jetzt argumentieren:
Kurzarbeit ungleich Verleihfreie Zeit. Die verkürzte Arbeitszeit ist vielmehr die damals betriebsübliche und damit keine "ungewöhnlich kurze Arbeitszeit".
Wohl ist mir damit auch nicht.
Immerhin gilt:
"Allerdings war und ist streitig, was hierunter zu verstehen ist"
Und damit darf man weiterhin um das rechte Maß streiten.
Erstellt am 04.02.2018 um 20:54 Uhr von Challenger
Zitat basilica :Und damit darf man weiterhin um das rechte Maß streiten.
---------------------------
Nicht jedoch, wenn man sich mit dem von Dir bereits zitierten Urteil weiter auseinandersetzt.
BAG, 16.04.2014 - 5 AZR 483/12 - dejure.org
43.In welchem zeitlichen Umfang dabei der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten oder - falls diese regelmäßig überschritten wird - nach der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit (BAG - 5 AZR 296/00 - ). Denn die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen.
46.Das bedeutet, dass der Beklagte jedenfalls in Annahmeverzug gerät, wenn er die - angebotene - Arbeitsleistung des Klägers nicht in einem Mindestumfang von 35 Wochenstunden annimmt.
Erstellt am 05.02.2018 um 14:17 Uhr von Giftzwerg
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.1.2011, 5 AZR 819/09
12 2. Der Beklagte war nicht zur Verrechnung von „Minusstunden“ berechtigt.
13 a) Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und kann abhängig von der näheren Ausgestaltung in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrücken (vgl. BAG 10. November 2010 - 5 AZR 766/09 - Rn. 16, DB 2011, 306; 28. Juli 2010 - 5 AZR 521/09 - Rn. 13 mwN, EzA BGB 2002 § 611 Arbeitszeitkonto Nr. 2). Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt folglich voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden kann, ob eine Zeitschuld entsteht und er damit einen Vorschuss erhält (vgl. BAG 13. Dezember 2000 - 5 AZR 334/99 - zu II 2 der Gründe, AP BGB § 394 Nr. 31 = EzA TVG § 4 Friseurhandwerk Nr. 1). Andererseits kommt es zu keinem Vergütungsvorschuss, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands Vergütung ohne Arbeitsleistung beanspruchen kann (zB § 616 Satz 1 BGB, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 EntgeltFG, § 37 Abs. 2 BetrVG) oder sich der das Risiko der Einsatzmöglichkeit bzw. des Arbeitsausfalls tragende Arbeitgeber (dazu BAG 9. Juli 2008 - 5 AZR 810/07 - Rn. 22 ff., BAGE 127, 119; ErfK/Preis 11. Aufl. § 615 BGB Rn. 120 ff. mwN) nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden hat.
14 b) Nach diesen Grundsätzen durfte der Beklagte das Arbeitszeitkonto des Klägers nicht mit 217,88 „Minusstunden“ belasten. Denn der Beklagte hat dem Kläger keinen Vergütungsvorschuss in dieser Höhe geleistet.
Erstellt am 06.02.2018 um 23:17 Uhr von basilica
@ Challenger
Rn 46 des Urteils bezieht sich auf die vorangegangene Rn45:
"beträgt die regelmäßige wöchentliche Mindestarbeitszeit nicht mehr als 35 Stunden"
d.h.: wäre im Arbeitsvertrag nur von einer wöchentlichen "Durchschnitssarbeitszeit" (statt "Mindestarbeitszeit") die Rede, könnte die Folgerung der Rn 46 anders aussehen.
@ Giftzwerg:
In dem von dir angeführten Urteil heißt es:
"Der Beklagte hat die arbeitsvertraglich vereinbarte tarifliche Jahresarbeitszeit nicht wirksam unregelmäßig verteilt. Der Kläger war deshalb nicht zur Nachleistung verpflichtet."
Im Umkehrschluß heißt das, daß bei wirksam vorgenommener ungleichmäßiger Veteilung der Arbeitszeit die Belastung des AZ-Kontos mit Minusstunden zulässig gewesen wäre.
Auf
http://www.dgb.de/++co++a6708164-9d5c-11df-6658-00188b4dc422/#35
heißt es:
"Können auch Leiharbeitersbeschäftigte Kurzarbeitergeld bekommen?
Nein, das ist nicht mehr möglich. Dies war nur bis 31.12. 2011 aufgrund einer Sonderregelung möglich, die der Gesetzgeber aber nicht verlängert hat. Derzeit können Beschäftigte in der Leiharbeit deswegen kein Kurzarbeitergeld erhalten, weil die Arbeitsausfälle dem normalen Betriebsrisiko zugerechnet werden. Und das hat der Arbeitgeber, also der Verleiher, zu tragen."
Letzteres läßt sich wiederum bestreiten:
In § 11 AÜG Abs 4 ist nur die Abdingbarkeit des Übertragungsverbotes des wirtschaftlichen Risikos (§ 615 BGB Satz 1) ausgeschlossen. Das Verbot, auch das Betriebsrisiko zu übertragen (§ 615 BGB Satz 3), wäre vom reinen Gesetzeswortlaut her damit immer noch abdingbar.
Und damit käme es wieder darauf an, was im Tarifvertrag steht; und den haben wir nicht.