Vorlage zur Vorabentscheidung; Sozialpolitik; Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf; Diskriminierung wegen des Alters; Festsetzung der Ruhegehaltsansprüche ehemaliger Beamter

EuGH C-159/15 vom 16. Juni 2016


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Juni 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2000/78/EG – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Art. 6 Abs. 2 – Diskriminierung wegen des Alters – Festsetzung der Ruhegehaltsansprüche ehemaliger Beamter – Lehr- und Beschäftigungszeiten – Nichtberücksichtigung solcher Zeiten, die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden“

In der Rechtssache C‑159/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2015, in dem Verfahren

Franz Lesar

gegen

Beim Vorstand der Telekom Austria AG eingerichtetes Personalamt

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), J.‑C. Bonichot, C. G. Fernlund sowie E. Regan,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–  von Herrn Lesar, vertreten durch Rechtsanwalt R. Tögl,

–  der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

–  der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Februar 2016

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a sowie von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Franz Lesar und dem beim Vorstand der Telekom Austria AG eingerichteten Personalamt (im Folgenden: Personalamt) über dessen Weigerung, bei der Berechnung der Pensionsansprüche von Herrn Lesar die Lehr- und Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, die dieser vor Eintritt in den Dienst und vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3 Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ist ihr „Zweck … die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

4 In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2) Für die Zwecke des Absatzes 1

a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

…“

5 Art. 6 der Richtlinie lautet:

„(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

(2) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt.“

 Österreichisches Recht

6 § 53 („Anrechenbare Ruhegenussvordienstzeiten“) des Bundesgesetzes vom 18. November 1965 über die Pensionsansprüche der Bundesbeamten, ihrer Hinterbliebenen und Angehörigen (Pensionsgesetz 1965, im Folgenden: PG 1965) (BGBl. 340/1965) sah in der im Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung Folgendes vor:

„(1) Ruhegenussvordienstzeiten sind die in den Abs. 2 bis 4 genannten Zeiten, soweit sie vor dem Tag liegen, von dem an die ruhegenussfähige Bundesdienstzeit rechnet. Sie werden durch Anrechnung ruhegenussfähige Zeiten.

(2) Folgende Ruhegenussvordienstzeiten sind anzurechnen:

a) die in einem Dienst-, Ausbildungs- oder sonstige[n] Arbeitsverhältnis bei einem inländischen öffentlich-rechtlichen Dienstgeber zurückgelegte Zeit,

k) die in einem Berufsausbildungsverhältnis zurückgelegte Zeit, sofern die Berufsausbildung Voraussetzung für die Anstellung des Beamten gewesen ist oder die Berufsausbildung bei einem inländischen öffentlich-rechtlichen Dienstgeber zurückgelegt worden ist,

l) die Zeit einer nach den am 31. Dezember 2004 in Geltung gestandenen Regelungen des ASVG [Allgemeines Sozialversicherungsgesetz] die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründenden Beschäftigung,

…“

7 § 54 („Ausschluss der Anrechnung und Verzicht“) Abs. 2 PG 1965 bestimmte:

„Von der Anrechnung sind folgende Ruhegenussvordienstzeiten ausgeschlossen:

a) die Zeit, die der Beamte vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt hat; diese Beschränkung gilt nicht für gemäß § 53 Abs. 2 lit. a, d, k und l anzurechnende Zeiten, wenn für solche Zeiten ein Überweisungsbetrag nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu leisten ist;

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8  Herr Lesar wurde am 3. Juni 1949 geboren. Vom 9. September 1963 bis zum 8. März 1967, also als er noch keine 18 Jahre alt war, arbeitete er im Rahmen eines Lehrverhältnisses bei der Post- und Telegraphenverwaltung des Bundes (Österreich). Ab dem 9. März 1967 stand er bei dieser in einem Vertragsbedienstetenverhältnis. Parallel zu dieser Berufstätigkeit betrieb er vom 14. September 1967 bis zum 17. Februar 1972 ein Studium am Bundesgymnasium für Berufstätige. Mit Wirkung vom 1. Juli 1972 wurde sein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Bund begründet.

9 Bis zu seiner Übernahme als Beamter leistete Herr Lesar während seines Lehr- und Beschäftigungsverhältnisses – auch als er noch keine 18 Jahre alt war – Pensionsbeiträge an die Versicherungsanstalt.

10 Im Bescheid der Post- und Telegraphendirektion für Steiermark (Österreich) vom 23. August 1973 vertrat diese die Auffassung, dass Herrn Lesar für die Zeiten zwischen der Vollendung seines 18. Lebensjahrs und dem Tag des Beginns seines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses insgesamt fünf Jahre und 15 Tage unbedingt als Ruhegenussvordienstzeiten im Sinne von § 53 PG 1965 anzurechnen seien (im Folgenden: gleichgestellte Zeiten). Diese setzen sich wie folgt zusammen:

–  Vertragsbedienstetentätigkeit in der Zeit vom 3. Juni 1967 bis zum 13. September 1967;

–  Studium am Bundesgymnasium für Berufstätige vom 14. September 1967 bis zum 17. Februar 1972 und

–  Vertragsbedienstetentätigkeit vom 1. März 1972 bis zum 30. Juni 1972.

11 Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (Österreich) vom 22. Mai 1974 entschied diese in ihrer Eigenschaft als Sozialversicherungsträger, dem Bund für die gleichgestellten Zeiten einen sogenannten Überweisungsbetrag zuzusprechen und zu zahlen. Dieser Betrag belief sich auf 4 785 österreichische Schilling (ATS) (rund 350 Euro).

12 Mit Bescheiden vom 28. März und vom 22. Mai 1974 wurde dem Beschwerdeführer ein Erstattungsbetrag von 33 160,05 ATS (rund 2 400 Euro) zugesprochen, der u. a. die Pensionsbeiträge betraf, die er während der Zeit seines Lehr- und Beschäftigungsverhältnisses vor Vollendung des 18. Lebensjahrs geleistet hatte.

13 Der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens wurde zum 1. September 2004 in den Ruhestand versetzt. In diesem Kontext setzte das Personalamt seinen Pensionsanspruch unter Berücksichtigung nur der gleichgestellten Zeiten, wie sie aus dem Bescheid vom 23. August 1973 hervorgehen, fest.

14 Am 19. August 2011 beantragte Herr Lesar bei seinem Arbeitgeber, die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs gelegenen Lehr- und Beschäftigungszeiten bei der Berechnung seiner Pensionsansprüche zusätzlich zu den gleichgestellten Zeiten zu berücksichtigen. Das Personalamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 23. August 2012 ab. Hiergegen erhob Herr Lesar Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof (Österreich). Dieser erklärte sich jedoch für unzuständig und trat sie dem vorlegenden Gericht ab.

15 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts würde die Ablehnung der Anrechnung von vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Lehr- und Dienstzeiten als Vordienstzeiten eine Ungleichbehandlung wegen des Alters darstellen, und es möchte wissen, ob diese gerechtfertigt sein könnte.

16 Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung – wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – entgegenstehen, wonach Lehrzeiten und Zeiten eines Vertragsbedienstetenverhältnisses zum Bund, für welche Beiträge zur Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zu leisten waren, für Zwecke der Erlangung einer Beamtenpension als Ruhegenussvordienstzeiten

–  angerechnet werden, sofern sie nach Vollendung des 18. Lebensjahrs liegen, wobei der Bund diesfalls nach der sozialversicherungsrechtlichen Rechtslage für die Anrechnung dieser Zeiten seitens des Sozialversicherungsträgers einen Überweisungsbetrag erhält; hingegen

–  nicht angerechnet werden, sofern sie vor Vollendung des 18. Lebensjahrs gelegen sind, wobei im Falle der Nichtanrechnung für solche Zeiten kein Überweisungsbetrag an den Bund geleistet wird und dem Versicherten die Beiträge zur Pensionsversicherung erstattet werden, insbesondere wenn man mitbedenkt, dass im Fall einer unionsrechtlich erzwungenen nachträglichen Anrechnung dieser Zeiten die Möglichkeit einer Rückforderung des Erstattungsbetrags durch den Sozialversicherungsträger vom Beamten sowie eines nachträglichen Entstehens einer Verpflichtung der Sozialversicherungsträger zur Leistung eines Überweisungsbetrags an den Bund bestünde?

 Zur Vorlagefrage

17 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, während diese Zeiten angerechnet werden, wenn sie nach Erreichen dieses Alters zurückgelegt wurden.

18 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass unstreitig § 54 Abs. 2 lit. a PG 1965 dadurch, dass bei einem Teil der Beamten vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Lehr- und Beschäftigungszeiten nicht als Ruhegenussvordienstzeiten angerechnet werden, die Bedingungen des Arbeitsentgelts dieser Beamten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 berührt (Urteil vom 21. Januar 2015, Felber, C‑529/13, EU:C:2015:20, Rn. 24). Die Richtlinie ist daher in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens anwendbar.

19 Zu der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung zu einer Ungleichbehandlung wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf führt, ist darauf hinzuweisen, dass „Gleichbehandlungsgrundsatz“ nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in ihrem Art. 1 genannten Gründe, zu denen das Alter gehört, geben darf. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

20 Gemäß § 53 Abs. 2 lit. a PG 1965 ist die in einem Dienst-, Ausbildungs- oder sonstigen Arbeitsverhältnis bei einem inländischen öffentlich-rechtlichen Dienstgeber zurückgelegte Zeit als Ruhegenussvordienstzeit anzurechnen. § 54 Abs. 2 lit. a PG 1965 beschränkt diese Anrechnung jedoch auf die Zeit, die der Beamte nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat.

21 Somit behandelt eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens Personen, die ihre Berufserfahrung, wenn auch nur teilweise, vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben, weniger günstig als Personen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs eine gleichartige Berufserfahrung vergleichbarer Länge erworben haben. Eine solche Regelung begründet eine Ungleichbehandlung von Personen wegen des Alters, in dem sie ihre Berufserfahrung erworben haben. Dieses Kriterium kann dazu führen, dass zwei Personen, die die gleiche Ausbildung absolviert und die gleiche Berufserfahrung erworben haben, allein wegen ihres jeweiligen Alters ungleich behandelt werden. Eine solche Vorschrift schafft damit eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar auf dem Kriterium des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 beruht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 2009, Hütter, C‑88/08, EU:C:2009:381, Rn. 38, und vom 21. Januar 2015, Felber, C‑529/13, EU:C:2015:20, Rn. 27).

22 Gleichwohl ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann. Auch wenn insoweit das vorlegende Gericht seine Frage auf die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm, unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht, bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können (Urteile vom 26. September 2013, HK Danmark, C‑476/11, EU:C:2013:590, Rn. 56, und vom 29. Oktober 2015, Nagy, C‑583/14, EU:C:2015:737, Rn. 20).

23 Nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt.

24 Da diese Vorschrift den Mitgliedstaaten gestattet, eine Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters vorzusehen, ist sie eng auszulegen (Urteil vom 26. September 2013, HK Danmark, C‑476/11, EU:C:2013:590, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25 Der Gerichtshof hat in diesem Sinne entschieden, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 nur für betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit gilt, die die Risiken von Alter und Invalidität abdecken (Urteil vom 26. September 2013, HK Danmark, C‑476/11, EU:C:2013:590, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso fallen nicht sämtliche Umstände, die ein betriebliches System der sozialen Sicherheit zur Absicherung solcher Risiken kennzeichnen, in den Geltungsbereich dieser Vorschrift, sondern nur diejenigen, die dort ausdrücklich erwähnt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, HK Danmark, C‑476/11, EU:C:2013:590, Rn. 52).

26 Vorliegend ist also zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung Teil eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit ist, das die Risiken von Alter oder Invalidität abdeckt. Sollte dies zutreffen, ist weiter zu prüfen, ob diese Regelung von den in dieser Vorschrift genannten Fällen, also der „Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität“, erfasst wird.

27 Zum einen ist festzustellen, dass die Richtlinie 2000/78 nicht definiert, was unter einem „betrieblichen System der sozialen Sicherheit“ zu verstehen ist. Dagegen enthält Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen [(ABl. 2006, L 204, S. 23)] eine Definition dieses Begriffs. Danach sind betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit „Systeme, die nicht durch die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit [(ABl. 1979, L 6, S. 24)] geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den abhängig Beschäftigten und den Selbstständigen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe, in einem Wirtschaftszweig oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht“.

28 Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht insoweit aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rentensystem der Bundesbeamten um ein System handelt, das im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/54 den Angehörigen einer Berufsgruppe Leistungen gewährt, die als Ersatzleistungen an die Stelle der Leistungen eines gesetzlichen Sozialversicherungssystems treten. Bundesbeamte sind aufgrund ihrer Beschäftigung in einem Dienstverhältnis beim Bund vom Rentenversicherungssystem des ASVG ausgenommen, weil ihnen aus ihrem Dienstverhältnis die Anwartschaft auf ein Ruhe- und Versorgungsgehalt zusteht, das den Leistungen dieser Pensionsversicherung gleichwertig ist.

29 Zum anderen hat die österreichische Regierung geltend gemacht, dass bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden System ein Alter festgesetzt wird, ab dem die an das Rentensystem der Bundesbeamten angeschlossenen Personen beginnen, Beiträge zu zahlen und einen Anspruch auf den Erhalt der Höchstpension erwerben, um u. a. insoweit eine Gleichbehandlung der Beamten zu gewährleisten.

30 Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ausdruck der den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zuerkannten Freiheit, bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in einem Beamtenpensionssystem oder den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems festzusetzen. Die Mitgliedstaaten können nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht nur unterschiedliche Altersgrenzen für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten festsetzen, sondern auch im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit eine einheitliche Altersgrenze für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente festsetzen.

31 Somit ist davon auszugehen, dass eine solche Regelung die „Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 gewährleisten soll.

32 Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.

 Kosten

33 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.

Unterschriften