Erstellt am 20.06.2022 um 15:52 Uhr von celestro
Ich würde sagen, es ist das Günstigkeitsprinzip anzuwenden. Wenn der AN eine Regelung im AV hat, die günstiger ist, dann gilt für ihn diese (günstigere) Regelung.
Erstellt am 20.06.2022 um 16:00 Uhr von Muschelschubser
Eine Differenzierung nach gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglich vereinbartem Urlaub ist durchaus zulässig.
Der gesetzliche Mindestanspruch bei einer 5-Tage-Woche v. 20 Tagen ist nicht anzutasten, da die Kündigung in der zweiten Jahreshälfte erfolgt (24 Tage bei 6-Tage-Woche).
So muss er zum Beispiel auch vergütet werden, wenn er nicht mehr rechtzeitig vor dem Ausscheiden in Anspruch genommen werden kann.
Ein Verfall vertraglicher Urlaubsteile kann in der Tat vertraglich im Rahmen einer "Pro rata temporis"-Regelung vereinbart werden, sofern sie für den Mitarbeiter von Vorteil ist. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob die genannte Betriebsordnung überhaupt eine zweiseitig geschlossene Vereinbarung ist? Selbst dann bestünde m.E. zumindest noch ein zeitanteiliger Anspruch auf die vertraglichen 10 Urlaubstage.
Zu beachten ist auch, dass genommener Urlaub als erstes auf den gesetzlichen Urlaub, danach erst auf den vertraglichen Urlaub angerechnet wird.
Erstellt am 20.06.2022 um 16:15 Uhr von Saurebohne
Ich greif die Antwort von Muschelschuber auf.
Die Betriebsordnung wurde zwischen Geschäftsführung, Personalleiter und Betriebsrat geschlossen.
Somit wäre ein Klausel und der verweis auf den gesetzlichen und vertraglichen vereinbarten Urlaub in einer Betriebsvereinbarung/Ordnung gültig!?
Und kann den Anspruch auf vollen Urlaub schmälern. richtig?
Meines Wissens steht die Betriebsvereinbarung vom Rang her höher als der Arbeitsvertrag.
Wie verhält es sich mit dem Günstigkeitsprinzip?
Erstellt am 20.06.2022 um 16:20 Uhr von Enigmathika
Es ist tatsächlich so, dass in dem von Dir beschriebenen Fall der gesamte Mindesturlaub(!), also 20 Tage, zu gewähren ist. Die "pro rata temporis"-Klausel würde eigentlich dazu führen, dass zusätzlich der vertraglich vereinbarte Urlaub anteilig, also 7/12 von 10 Tagen, zu gewähren wäre, insgesamt also 25 Tage. Da die Betriebsordnung aber dahingehend geändert wurde, dass diese Klausel nicht mehr gilt, bleibt es bei 20 Tagen.
Warum die Personalabteilung auf die abgeschaffte Klausel verweist, ist mir unerklärlich.
Erstellt am 20.06.2022 um 16:34 Uhr von celestro
Die Frage wäre alleine schon, wie der Urlaubsanspruch überhaupt berechnet werden müsste?
https://gks-rechtsanwaelte.de/aktuelles/kuendigung-urlaubsanspruch-pro-rata-temporis/
7/12 tel von 30 Tagen oder die 7/12 tel auf die 10 vertraglichen Tage? Und es kommt eben ggf. auch noch die Günstigkeitsklausel in Frage. Sollte man sich bei einem RA erkundigen.
Erstellt am 20.06.2022 um 21:49 Uhr von Moreno
Für mich zählt hier ganz klar der Arbeitsvertrag aber wer klagt wegen 5 Tagen Urlaub?
Erstellt am 21.06.2022 um 08:17 Uhr von Saurebohne
Naja, so unwesentlich sind 5 Tage Urlaub nicht. Das sind ca. 25% vom Monatslohn. Bei entsprechender Gehaltsklassen beträgt das schnell >1000€. Haben oder nicht haben.
Ist die Frage ob der Satz im Arbeitsvertrag "Im Übrigen gelten die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes und die betrieblichen Regelungen, insbesondere für Betriebsferien" ein verweis auf die Betriebsordnung ist und diese Betriebsordnung dann auch gilt.
Der verweis auf das Bundesurlaubsgesetz schmälert nicht den Anspruch auf die 30 Tage, da der Arbeitgeber 30 Tage gewährt. Zum vertragszeitpunkt wurde auch nicht von 20 Tagen gesetzlichen Urlaub und 10 Tagen vertraglich gesprochen, sondern von 30 Tagen Erholungsurlaub.
Erstellt am 21.06.2022 um 09:12 Uhr von Muschelschubser
@Saurebohne
Der Arbeitsvertrag geht dann der Betriebsordnung vor, wenn er für den Arbeitnehmer günstiger ist. Ich interpretiere diese Betriebsordnung mal wie eine Betriebsvereinbarung, da sie ja ähnlich zustandegekommen ist. Das gilt aber nur, wenn hier keinerlei dynamische Bezugnahmen auf etwaige Kollektivvereinbarungen im Arbeitsvertrag oder eventuellen Zusatzvereinbarungen vorhanden sind.
Hier ist aber der von Dir zitierte Verweis auf die bestehende Betriebsordnung vorhanden, der leider auch so zulässig ist. Eine solche Klausel kann also in der Tat das Günstigkeitsprinzip aushebeln.
Es gab schonmal ein Urteil, das diese Benachteiligung sogar bestärkt hat, auch wenn es um eine andere Situation ging. Aber auch hier ging es ebenfalls im Kern darum, einzelvertragliche Regelungen von kollektiven Vereinbarungen ersetzen zu lassen, auch wenn diese für den Arbeitnehmer ungünstiger sind.
https://www.hensche.de/verschlechterung-des-arbeitsvertrags-per-betriebsvereinbarung-bag-4-azr-119-17.html?app=desktop
Lediglich dem BUrlG sind alle Regelungen untergeordnet.
Dadurch kann der Mindestanspruch auf den gesetzlichen Anspruch reduziert werden, sofern er noch nicht ganz oder teilweise beansprucht wurde. Denn der gesetzliche Urlaub wird zuerst beansprucht, dann erst der vertragliche.
Erstellt am 21.06.2022 um 10:33 Uhr von rtjum
"Die Betriebsordnung wurde zwischen Geschäftsführung, Personalleiter und Betriebsrat geschlossen."
rein interessehalber: Wieso vereinbart ein BR solche Regelungen in einer Betriebsordnung?
Erstellt am 21.06.2022 um 10:35 Uhr von celestro
"Es gab schonmal ein Urteil, das diese Benachteiligung sogar bestärkt hat, auch wenn es um eine andere Situation ging. Aber auch hier ging es ebenfalls im Kern darum, einzelvertragliche Regelungen von kollektiven Vereinbarungen ersetzen zu lassen, auch wenn diese für den Arbeitnehmer ungünstiger sind.
https://www.hensche.de/verschlechterung-des-arbeitsvertrags-per-betriebsvereinbarung-bag-4-azr-119-17.html?app=desktop"
Der Text im Link stellt das von Dir genannte Urteil aber massiv in Frage. Von daher finde ich Deine Argumentation schon .... merkwürdig.
Erstellt am 21.06.2022 um 11:21 Uhr von Muschelschubser
Nun geht es in dem konkreten Urteil um das Spannungsfeld zwischen Tarifparteien und innerbetrieblichen Regelungen. Insofern nur bedingt vergleichbar.
Hier findet man noch andere Blickwinkel:
https://www.arbeit-und-arbeitsrecht.de/fachmagazin/fachartikel/betriebsvereinbarungsoffenheit.html
Lediglich das Beispiel 7 greift den genannten Fall nochmal auf.
In anderen Fällen wurde interessanterweise die Ansicht vertreten, das Günstigkeitsprinzip trete gegenüber dem allgemeinen Interesse einer Vereinheitlichung zurück.
Was lernen wir einmal mehr daraus?
Gesetze sind oftmals so unzureichend formuliert, dass man sich die für sich passende Auslegung heraussuchen muss. Entweder über Kommentare oder BAG-Urteile.
So unbefriedigend das auch ist - "mal eben schnell nachschlagen" funktioniert eben nicht immer und hat den Herren Fitting, Däubler, Klebe oder Schmidt nicht ohne Grund nachhaltig den Lebensunterhalt gesichert ;-)
Und so könnte man auch hier vorgehen. Man sucht sich die bestmöglich vergleichbare Quelle heraus und versucht hiermit, einen Anspruch auf Vergütung von 30 Urlaubstagen herzuleiten. Dabei sollte man sich hinsichtlich der gegensätzlichen Auslegungen aber nicht wundern, wenn entsprechende Gegenargumente präsentiert werden und man erst einmal vor die Wand läuft. Inwiefern man dann im weiteren Verlauf seine Interessen vertreten (lassen) möchte, muss man dann für sich entscheiden.