§ 33 BetrVG - Kommentar
Beschlüsse des Betriebsrats
(1) Die Beschlüsse des Betriebsrats werden, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt.
(2) Der Betriebsrat ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt; Stellvertretung durch Ersatzmitglieder ist zulässig.
(3) Nimmt die Jugend- und Auszubildendenvertretung an der Beschlussfassung teil, so werden die Stimmen der Jugend- und Auszubildendenvertreter bei der Feststellung der Stimmenmehrheit mitgezählt.
Zum aktuellen Rechtsstand von § 33 BetrVG
1 Beschlüsse des Betriebsrats sind die Grundlage für sein Handeln. Aus diesem Grunde sollte auch immer geprüft werden, inwieweit der einzelne anstehende Beschluss mit dem generellen Ziel der Vertretung der Interessen der Arbeiter und Angestellten übereinstimmt. Ein Handeln des Betriebsrats ohne Beschlussgrundlage gibt es nicht. Um die Gültigkeit dieser Handlungsgrundlage zu sichern, müssen deshalb auf jeden Fall auch die Formvorschriften einschließlich jener für die Ladung beachtet werden.
2 Zur Vorbereitung wichtiger Beschlüsse ist nicht nur gründliche Diskussion und Meinungsbildung im Betriebsrat erforderlich, sondern auch der Informationsaustausch mit der Gewerkschaft und ggf. der Kontakt mit Betriebsräten aus anderen Betrieben, die sich mit vergleichbaren Problemen befasst haben. Erst dann kann man sichern, dass nicht auf einer Linie betriebsegoistischen Handelns Ziele der Gewerkschaftsbewegung insgesamt in Frage gestellt oder aus dem Auge verloren werden.
3 Zu Abs. 1: Eine Beschlussfassung außerhalb von Betriebsratssitzungen, z.B. bei zufälligen Zusammenkünften von Betriebsratsmitgliedern oder bei einer Besprechung mit dem Unternehmer, ist unzulässig. Das gilt auch für monatliche Besprechungen mit dem Unternehmer ( § 74 BetrVG ), soweit diese nicht ausdrücklich den Charakter einer Betriebsratssitzung haben.
4 Voraussetzung für eine wirksame Beschlussfassung ist die ordnungsgemäße Ladung:
Einladung aller Betriebsratsmitglieder und - falls Betriebsratsmitglieder verhindert sind - das rechtzeitige Nachladen von Ersatzmitgliedern;
Angabe der Tagesordnungspunkte, die auf der Sitzung zu behandeln sind.
Werden z.B. zu einer Betriebsratssitzung nicht alle Betriebsratsmitglieder geladen, fehlt es an der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Ladung, und die dort gefassten Beschlüsse sind unwirksam (LAG Düsseldorf vom 7. März 1975, Sa 690/74).
5 Sofortige Beschlussfassung in Anwesenheit des Unternehmers kann ebenfalls unwirksam sein, weil es an der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Ladung fehlt.
Beispiel:
B e i s p i e l :
Der Unternehmer schlägt eine Kündigung vor. Der Betriebsrat befasst sich sofort und in Anwesenheit des Unternehmers damit und stimmt ihr zu. Hier hat das LAG Düsseldorf in einem Fall, in dem sich ein nicht vollzähliger Betriebsrat so verhalten hatte, die Beschlussfassung des Betriebsrats wegen Verstoßes gegen die Ladungsvorschriften für unwirksam gehalten (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, a.a.O).
Beschlussfassung in Anwesenheit des Unternehmers sollte sich jedoch schon aus taktischen Gründen verbieten. Umgekehrt erlebt man auch nicht, dass der Unternehmer mit seinen Beratern Vorschläge des Betriebsrats sofort in Anwesenheit des Betriebsrats diskutiert und entscheidet. Da wird es als selbstverständlich angesehen, dass der Unternehmer sagt: "Wir müssen Ihren Vorschlag erst einmal unter uns diskutieren." Warum soll das für den Betriebsrat nicht ebenso gelten? In der Geschäftsordnung des Betriebsrats kann man das absichern.
Praxistipp:
Vorschlag für die Geschäftsordnung
Beschlüsse des Betriebsrats werden nur in der Betriebsratssitzung gefasst. Beschlüsse im Umlaufverfahren sind unzulässig. In Anwesenheit des Unternehmers und/oder seiner Beauftragten erfolgt keine Meinungsbildung und Abstimmung.
6 Bei all den aufgeführten Regeln muss der Betriebsrat darauf achten, dass er nicht über die Köpfe der Kolleginnen und Kollegen hinweg handelt. Zwar schreibt das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat nirgends ausdrücklich vor, dass vor einer Beschlussfassung die davon Betroffenen zu hören seien. Aber eigentlich sollte das selbstverständlich sein, zumal der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Grundrecht ist ( Art.103 GG ). Erst dann steht nämlich ggf. auch die Solidarität der Betroffenen hinter den Beschlüssen des Betriebsrats. Eine Belegschaft, über deren Köpfe hinweg und an deren Interessen vorbei gehandelt wird, die nichts oder wenig von der Arbeit und den Zielen des Betriebsrats weiß, kann auch den Betriebsrat nicht stärken.
7 Eine andere Art der Beschlussfassung als die in der Betriebsratssitzung, gibt es nicht. Abstimmungen im Umlaufverfahren oder per telefonischen Rundspruch sind unzulässig. Das gilt auch dort, wo durch die Struktur des Betriebs die Betriebsratsmitglieder über weite Teile der Bundesrepublik verteilt sind.
8 Stimmenthaltung hat dieselbe Wirkung wie die Ablehnung eines Antrags.
Beispiel:
Beispiel:
Von 9 Betriebsratsmitgliedern sind 8 anwesend. 4 stimmen für einen Antrag, 3 stim-men dagegen. Einer enthält sich der Stimme.
Ergebnis: Der Antrag hat nicht die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Be-triebsratsmitglieder gefunden und ist somit abgelehnt.
9 Zu Abs. 2: Normalerweise genügt für die Wirksamkeit eines Beschlusses, dass
mehr als die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Abstimmung teilnimmt
und die Mehrheit dieser Betriebsratsmitglieder ihre Zustimmung gibt.
Beispiel:
B e i s p i e l :
Von 9 Betriebsratsmitgliedern sind 7 anwesend. Von diesen stimmen 4 für und 3 gegen einen Antrag.
E r g e b n i s : Der Antrag ist angenommen.
Diese Mehrheit, die von der Gesamtzahl der Mitglieder (9) eine Minderheit (4) ist, genügt überall dort, wo das Gesetz nichts anderes vorschreibt.
10 Für die folgenden Fälle hat der Gesetzgeber bestimmt, dass der Betriebsrat hier mit einer größeren Mehrheit, nämlich mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder entscheiden muss:
Beschlussfassung über den geschlossenen Rücktritt des Betriebsrats ( § 13 Abs.2 Nr. 3 ),
Übertragung von Aufgaben an Ausschüsse zur selbstständigen Erledigung (§§ 27 , 28 ),
Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen ( § 28a ),
Beschlussfassung über die schriftliche Geschäftsordnung des Betriebsrats ( § 36 ),
Übertragung von Betriebsratsaufgaben zur Behandlung durch den Gesamtbetriebsrat ( § 50 ),
Übertragung von Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auf einen Ausschuss des Betriebsrats ( § 107 ).
Beispiel:
B e i s p i e l :
Von 11 Betriebsratsmitgliedern sind 9 anwesend. 5 stimmen dafür, dem Personalausschuss die selbstständige Behandlung von Einstellungen zu übertragen; 4 sind dagegen.
E r g e b n i s : Der Antrag ist abgelehnt. Die vorgeschriebene Mehrheit der Stimmen a l l e r Betriebsratsmitglieder wäre erst bei 6 Ja-Stimmen erreicht gewesen.
11 Wenn es um ein Betriebsratsmitglied selbst geht, hat dieses nicht mit abzustimmen.
Beispiel:
B e i s p i e l :
Der Unternehmer beantragt beim Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ( § 103 ).
E r g e b n i s : Für diese Abstimmung gilt das Betriebsratsmitglied als verhindert. Ein Ersatzmitglied muss herangezogen werden. Allerdings darf und sollte das betroffene Betriebsratsmitglied bei der Abstimmung anwesend sein.
12 Für die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats bedarf es der ordnungsgemäßen Ladung der Betriebsratsmitglieder und ggf. von Ersatzmitgliedern (LAG Hamburg vom 12. März 1993, 6 Ta BV 4/92). Der letzte Halbsatz in Abs. 2 wird häufig als eine Einschränkung der Pflicht gesehen, für ein verhindertes Betriebsratsmitglied ein Ersatzmitglied einzuladen. Das ist nicht der Fall. Der Betriebsratsvorsitzende kann sich nicht aussuchen, ob er nachladen will oder nicht. "Stellvertretung durch Ersatzmitglieder ist zulässig", besagt nur, dass dort, wo eine Mindestzahl von Betriebsratsmitgliedern anwesend sein muss, ordnungsgemäß nachgeladene Ersatzmitglieder gleiche Rechte und Pflichten haben wie alle anderen Betriebsratsmitglieder.
13 Wenn allerdings die Zahl der Betriebsratsmitglieder trotz Nachrückens aller Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl gesunken ist, dann ist alles anders. Dann führen die restlichen Betriebsratsmitglieder das Amt weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt ist; ggf. kann auch ein übrig gebliebenes Betriebsratsmitglied ordnungsgemäß Beschlüsse fassen. Das gilt auch, wenn der Betriebsrat zeitweilig stark schrumpft (z.B. in der Urlaubszeit). Dann wird die Regelung des § 22 über die Fortführung der Amtsgeschäfte entsprechend angewandt ( BAG vom 18. August 1982, 7 AZR 437/80 ; ebenso Däubler/Kittner/Klebe, Rdn. 5 zu § 33; siehe auch Anm. zu § 22).
14 Zu Abs. 3: Die Vorschrift trägt § 67 Abs. 2 Rechnung. Danach hat die Jugend- und Auszubildendenvertretung dann ein Stimmrecht , wenn die zu fassenden Beschlüsse des Betriebsrats überwiegend jugendliche Beschäftigte und Auszubildende betreffen (siehe Anm. zu § 67 Abs. 2 ). Die Stimmen der Jugend- und Auszubildendenvertreter werden nur bei der Feststellung der Stimmenmehrheit mitgezählt; bei der Frage, ob der Betriebsrat beschlussfähig ist (siehe Abs. 2) werden sie nicht berücksichtigt.