Memento eLetter Personal - 23. November 2005
zu Nr. 3030 - Befristetes Arbeitsverhältnis
Befristungsrecht für ältere Arbeitnehmer verstößt gegen EU-Recht
Die durch die Hartz-Gesetze eingeführte Möglichkeit, Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern ab dem 52. Lebensjahr uneingeschränkt sachgrundlos zu befristen, ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Sie stellt im Ergebnis eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters dar. Das hat der EuGH in einem gestern verkündeten Urteil entschieden. Der Gesetzgeber will jetzt umgehend reagieren. Im Koalitionsvertrag ist eine Korrektur der betroffenen Regelung bereits in Aussicht gestellt.
Ausgangspunkt des Verfahrens vor dem EuGH war ein Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts München. In dem dort anhängigen Rechtsstreit aus dem Jahr 2003 ging es um die Wirksamkeit der Befristung des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages. Die Befristungsabrede stützte sich auf § 14 Abs. 3 TzBfG, der den Abschluss sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, nahezu uneingeschränkt zulässt (vgl. Memento Personalrecht Nr. 3030). Der Kläger, der zum damaligen Zeitpunkt 56 Jahre alt war, machte geltend, die Regelung verstoße gegen höherrangiges EU-Recht; sie sei insbesondere unvereinbar mit der Gleichbehandlungs-Richtlinie 2000/78, die auf das Alter gestützte Diskriminierungen grundsätzlich untersagt.
Im Ergebnis ist der EuGH nun dieser Rechtsauffassung gefolgt. Dabei hat er zunächst festgestellt, dass die in Streit stehende deutsche Befristungsregelung eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung darstellt. In einem zweiten Schritt war sodann zu klären, ob diese Ungleichbehandlung ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Die einschlägige Richtlinie bestimmt nämlich, dass eine Diskriminierung dann ausscheidet, wenn die Ungleichbehandlung im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel - insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt - gerechtfertigt ist, wobei die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sein müssen.
Eine solche verhältnismäßige Rechtfertigung hat der Gerichtshof verneint: Zwar sei die gesetzgeberische Zwecksetzung, die berufliche Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fördern, grundsätzlich ein legitimes Ziel. Die Regelung des TzBfG gehe jedoch über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sei. In ihrer Anwendung laufe die Regelung nämlich darauf hinaus, dass allen Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, unterschiedslos - also gleichgültig, ob und wie lange sie vor Abschluss des Arbeitsvertrags arbeitslos waren - bis zum Ruhestand befristete und unbegrenzt häufig verlängerbare Arbeitsverträge angeboten werden könnten. Damit laufe eine große, ausschließlich nach dem Lebensalter definierte Gruppe von Arbeitnehmern Gefahr, während eines erheblichen Teils des Berufslebens von einem wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes ausgeschlossen zu sein: dem Zugang zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Im Übrigen fehle der Nachweis, dass gerade die pauschale Festlegung einer Altersgrenze ohne Rücksicht auf die Struktur des jeweiligen Arbeitsmarkts und die persönliche Situation der Betroffenen zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles erforderlich sei.
Der deutsche Gesetzgeber, der spätestens seit den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 30.6.2005 in dieser Rechtssache mit der EU-Rechtswidrigkeit der Befristungsregelung in § 14 Abs. 3 TzBfG rechnen musste, hat die notwendige Korrektur der Regelung bereits in Aussicht gestellt. Im Koalitionsvertrag (B I 2.3) heißt es hierzu, die geltenden erleichterten Befristungsregelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab dem 52. Lebensjahr würden "europarechtskonform gestaltet", die Neuregelung werde "europarechtliche Vorgaben beachten".
Aber auch bis zum Inkrafttreten der Neuregelung sollten Arbeitgeber Befristungsabreden nicht mehr auf die vom EuGH beanstandete Regelung stützen. Für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber folgt dies aus der unmittelbaren Anwendbarkeit der - höherrangigen - EU-Richtlinie. Im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern fehlt es zwar an dieser unmittelbaren Geltung. Im Fall eines Rechtsstreits hätten die Arbeitsgerichte bei der Anwendung des nationalen Rechts aber gleichwohl die Vorgaben des EuGH zu beachten (EuGH, Urteil vom 22.11.2005, Rs. C-144/04 "Mangold").