luciano,
BetrVG – Kommentar für die Praxis (hrsg. von Däubler/Kittner/Klebe/Wedde)
§ 38 BetrVG, 4. Teilfreistellungen, Ersatzfreistellungen
Rn 23 u. 24
Ist ein freigestelltes BR-Mitglied zeitweilig verhindert, hat der BR, wenn dies für die ordnungsgemäße Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist, Anspruch auf Ersatzfreistellung eines anderen BR-Mitglieds (BAG 22. 5. 73, AP Nr. 1 zu § 38 BetrVG 1972 mit Anm. Richardi; 12. 2. 97, NZA 97, 782; 9. 7. 97, NZA 98, 164 = AiB 98, 100 mit Anm. Roos; ArbG Frankfurt 17. 9. 99, AiB 91, 25 mit Anm. Grimberg; Fitting, Rn. 26 f.; GK-Weber, Rn. 38; GL, Rn. 22; Kühner, S. 139 f.; Richardi-Thüsing, Rn. 18 f.; Gillen/Vahle, BB 06, 2749; Schneider, AiB 99, 308; Peter, AiB 02, 285; a. A. offenbar HSWGN-Glock, Rn. 15), die im einstweiligen Verfügungsverfahren durchsetzbar ist (ArbG Frankfurt, a. a. O.). Dies gilt entsprechend auch für Teilfreistellungen. Eine Ersatzfreistellung nach dieser Vorschrift ist nach der Rspr. möglich, wenn die Aufgaben eines zeitweilig verhinderten BR-Mitglieds auch nach einer zumutbaren betriebsratsinternen Umverteilung durch die anderen Mitglieder des BR nicht erledigt werden können und Arbeitsbefreiungen nach § 37 Abs. 2 bzw. die Vertretung durch ein Ersatzmitglied nach § 25 Abs. 1 Nr. 2 nicht ausreichen (BAG 12. 2. 97, a. a. O.). Die Notwendigkeit der Ersatzfreistellung ist vom BR durch konkrete Gründe näher darzulegen (BAG 9. 7. 97, a. a. O.; Fitting, Rn. 26). Nach nicht überzeugender Auffassung des BAG (22. 5. 73, 9. 7. 97, jeweils a. a. O.; Richardi-Thüsing, a. a. O.; mit zutreffenden Argumenten kritisch Schneider, AiB 99, 308 ff.) soll indes nicht jede kurzfristige Verhinderung (= weniger als drei Tage) von ständig freigestellten BR-Mitgliedern zur Vornahme von Ersatzfreistellungen berechtigen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass in der Berechnung der Mindestfreistellungsstaffeln urlaubs-, krankheits- und schulungsbedingte Abwesenheitszeiten bereits enthalten seien (BAG 12. 2. 97, 9. 7. 97, jeweils a. a. O.). Die Begründung überzeugt nicht uneingeschränkt. Interne Vertretungen für kurzfristig verhinderte BR-Mitglieder lassen sich trotz der Regelung des § 37 Abs. 2 allenfalls in größeren Gremien mit vielen Freistellungen realisieren, nicht aber bei nur einem oder zwei Freigestellten. Kann ein BR konkret darlegen, dass eine interne Vertretung auch unter Ausschöpfung der Möglichkeiten des § 37 Abs. 2 bei kurzfristiger Verhinderung nicht realisiert werden kann, hat er deshalb einen Anspruch auf Ersatzfreistellung (ebenso Schneider, a. a. O.). Dies gilt insbesondere bei kleineren Betrieben mit nur einem oder zwei freigestellten BR-Mitgliedern (so auch Fitting, Rn. 27; Roos, Anm. zu BAG 9. 7. 97, AiB 98, 100 weist zutreffend auf die Möglichkeit einer weiteren Freistellung in diesen Fällen hin; ähnlich ArbG Frankfurt, a. a. O.). Vorgenommene Ersatzfreistellungen sind keine zusätzlichen Freistellungen, weil mit der Verhinderung die Zahl der insgesamt freigestellten BR-Mitglieder sinkt (Richardi, Anm. zu AP Nr. 1, 2 zu § 38 BetrVG 1972; Richardi-Thüsing, Rn. 19; a. A. BAG 9. 7. 97, NZA 98, 164; GK-Weber Rn. 32).
Für die Erforderlichkeit einer Ersatzfreistellung sind neben der Dauer der individuellen Verhinderung und der Zahl der Freigestellten auch Art, Organisation, Schichtsystem sowie die räumliche Lage der Betriebsstätten von Bedeutung (BAG 22. 5. 73, AP Nrn. 1, 2 zu § 38 BetrVG 1972; vgl. auch Schneider, a. a. O.). An die Darlegungspflicht für zusätzliche Freistellungen bei verhinderten BR-Mitgliedern werden geringere Anforderungen gestellt als bei Freistellungen, die über die Mindeststaffel hinausgehen (BAG, a. a. O.; Richardi-Thüsing, Rn. 19; GK-Weber, Rn. 39; a. A. offenbar HSWGN-Glock, Rn. 15). Die »Darlegungslast« kann sich nach dem Grundsatz des Beweises des ersten Anscheins umkehren. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn in einem 3 -Schicht-Betrieb mit zwei räumlich getrennten Betriebsstätten während der Urlaubszeit von fast zehn Wochen zeitweise zwei der vier ständig freigestellten BR-Mitglieder an der Ausübung des Amtes verhindert sind. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass ohne zusätzliche Freistellung für die Zeit der Verhinderung der freigestellten BR-Mitglieder der BR die ihm obliegenden Aufgaben nicht mehr ordnungsgemäß durchführen kann (BAG 22. 5. 73, AP Nr. 1 zu § 38 BetrVG 1972). Die Grundsätze für die Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 (vgl. § 37 Rn. 10 ff.) sind für Ersatzfreistellungen heranzuziehen (a. A. HSWGN-Glock, a. a. O.). Der BR kann in seinem Beschluss über die Freistellungen zugleich festlegen, welche BR-Mitglieder für den Fall der zeitweisen Verhinderung der Freigestellten ersatzweise freizustellen sind. Hat der BR Teilfreistellungen vorgenommen, kann er beispielsweise auch festlegen, dass die Aufgaben eines BR-Mitgliedes im Fall seiner zeitweiligen Verhinderung zur Aufstockung des Freistellungskontingents eines anderen teilfreigestellten Mitgliedes führen, sofern dieses mit einer entsprechenden Regelung einverstanden ist (vgl. zum Einverständnis allg. Rn. 53). Derartige Regelungen entsprechen dem Interesse des BR, seiner einzelnen Mitglieder, aber auch des AG, weil sich alle Beteiligten hierauf einstellen können (Schumann, DB 74, 190; zum Wahlverfahren Rn. 57 ff.).