Mitbestimmung bei Anrechnung von Prämienerhöhungen

BAG 1 AZR 183/92 vom 10. Nov. 1992

Leitsatz

Der Betriebsrat hat mitzubestimmen bei der Anrechnung einer in einer Betriebsvereinbarung vereinbarten Prämienlohnerhöhung auf übertarifliche Leistungen.

Der Arbeitgeber hat in einer nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit vor einer geplanten Maßnahme an den Betriebsrat heranzutreten. Tut er dies nicht und gibt der Betriebsrat von sich aus keine Stellungnahme zu der vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme ab, so kann in dem Verhalten des Betriebsrats keine Zustimmung zu der Maßnahme gesehen werden.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger übertarifliche Zulagen in bisheriger Höhe zustehen oder ob die Beklagte die Erhöhung eines Prämienausgangslohns wirksam auf die übertariflichen Zulagen angerechnet hat.

Der Kläger ist als Maschinenschlosser bei der Beklagten, einem Unternehmen der papierverarbeitenden Industrie, in deren Werk in D beschäftigt. Er ist Vorsitzender des dortigen Betriebsrates. Nach seinem Arbeitsvertrag vom 18. Dezember 1989 setzt sich sein Bruttostundenlohn zusammen aus dem Tariflohn der Lohngruppe VII (damals 17,05 DM), einer übertariflichen Zulage in Höhe von 1,09 DM, einer Qualifikationszulage in Höhe von 0,30 DM und einer persönlichen Zulage von 0,09 DM. Unter Ziffer 3 enthält der Vertrag folgende Regelungen:

"Ferner gelten die tariflichen Zulagenbestimmungen sowie nach Ablauf der Probezeit die betrieblichen Prämienbestimmungen. Tariferhöhungen werden entsprechend der zugrundegelegten Tariflohngruppe errechnet. Die übertariflichen Zulagen sind freiwillig und bei Vorliegen sachlicher Gründe nach billigem Ermessen widerruflich. Sie können bei Tariferhöhungen insgesamt oder teilweise im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen angerechnet werden, auch wenn von der Anrechnungsmöglichkeit mehrmals kein Gebrauch gemacht wurde. Bezüglich der Ausgleichszulage gelten die Bestimmungen des Haustarifvertrages vom 20. Juni 1989."

Kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie Anwendung. Der danach anzuwendende Manteltarifvertrag vom 24. April 1986 schreibt bei Prämienentlohnung in § 7 Ziff. III Nr. 4 vor, daß Betriebsrat und Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen, spätestens jeweils nach zwei Jahren, Verhandlungen aufnehmen mit dem Ziel, die Prämien auf ihr angemessenes Verhältnis zum Tariflohn zu überprüfen. Am 19. April 1991 fand eine Einigungsstellenverhandlung über eine solche Prämienlohnregelung statt, an der sowohl von Arbeitgeber- wie auch von Arbeitnehmerseite je drei Beisitzer, unter ihnen der Kläger für die Arbeitnehmerseite, teilnahmen. Bevor die Einigungsstelle den einstimmigen Beschluß faßte, eine frühere Betriebsvereinbarung von 1979 aus dem Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten über Prämienentlohnung zum 1. April 1991 erneut in Kraft zu setzen und die Ausgangsprämie im Hinblick auf § 7 Ziff. III Nr. 4 zu erhöhen, kündigte die Beklagte an, die Prämienlohnerhöhung mit einem einheitlichen Betrag von O,42 DM auf die übertariflichen Lohnbestandteile anzurechnen. Der Kläger erklärte für die Arbeitnehmerseite in der Einigungsstelle, dieses Vorhaben sei ein "harter Einschnitt", erklärte aber, der Betriebsrat werde gegen die Maßnahme der Beklagten keine gerichtlichen Schritte einleiten.

Mit Schreiben vom 28. Mai 1991 erklärte die Beklagte gegenüber den Beschäftigten, darunter auch dem Kläger, in Höhe von O,41 DM pro Stunde den Widerruf der übertariflichen Zulage bzw. die Anrechnung auf die Prämienlohnerhöhung. Diesen Betrag errechnete sie aus dem durchschnittlichen Wert der Erhöhung der Prämien je Stunde. Für den Kläger machte die Kürzung im Mai 1991 65,68 DM brutto und im Juni 1991 62,24 DM brutto aus.

Mit seiner Klage beansprucht der Kläger Zahlung dieser Beträge. Er hält die Kürzung für unzulässig, da es vorliegend nicht um einen nach dem Arbeitsvertrag zugelassenen Widerruf der übertariflichen Zulagen oder der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen gehe, sondern um eine Prämie, die rechtlich anders zu qualifizieren sei als eine übertarifliche Zulage. Der vertraglich vereinbarte Widerruf bzw. die Anrechnungsmöglichkeit beziehe sich nur auf übertarifliche Zulagen, nicht jedoch auf Prämien. Er ist außerdem der Meinung, der teilweise Widerruf der übertariflichen Zulagen sei unwirksam, weil die Beklagte bei der Anrechnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mißachtet habe. Anstatt den Durchschnittswert der Erhöhung bei allen Anrechnungen zugrunde zu legen, hätte die Beklagte auch andere Verteilungsmaßstäbe anwenden können. Es liege auch keine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausschließende vollständige und gleichmäßige Anrechnung vor. Im übrigen hält der Kläger den Widerruf für unbillig und bestreitet die von der Beklagten für ihre Entscheidung geltend gemachten wirtschaftlichen Gründe, insbesondere die von ihr behaupteten Verluste des Werkes in D .

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 127,92 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit 29. August 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der teilweise Widerruf der übertariflichen Zulagen sei aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich gewesen, da ihr Werk in D im bisherigen Geschäftsjahr (1991) Verluste von 325.000,-- DM erwirtschaftet habe. Die Erhöhung der Prämie führe zu einer weiteren Belastung von ca. 70.000,-- DM pro Jahr, die nicht über Preiserhöhungen oder andere Maßnahmen aufgefangen werden könne. Sie meint, die von ihr vorgenommene gleichmäßige Anrechnung der Prämienlohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage sei nicht mitbestimmungspflichtig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage hinsichtlich des auf den Monat Juni 1991 entfallenden Betrages abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Anrechnung der Erhöhung der Prämie auf die übertariflichen Zulagen sei rechtmäßig, da sie individualrechtlich durch Vereinbarung eines Anrechnungs- und Widerrufsvorbehaltes abgesichert und die angeordnete Maßnahme auch kollektivrechtlich nicht wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats zu beanstanden sei. Letzteres hat die Vorinstanz damit begründet, die Beklagte habe nicht mitbestimmungswidrig gehandelt, nachdem der Betriebsrat durch seine Äußerung in der Einigungsstellenverhandlung die Anordnung des Arbeitgebers widerspruchslos hingenommen habe.

Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft. 1. Das Landesarbeitsgericht hat die einschlägige Klausel im Arbeitsvertrag des Klägers (Ziffer 3 Abs. 4) so verstanden, daß der vertragliche Anrechnungs- und Widerrufsvorbehalt nicht nur bei Tariflohnerhöhungen, sondern auch in weiteren Fällen eingreift und der Beklagten eine Anrechnung bzw. einen Widerruf nach billigem Ermessen ermöglichen sollte. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 133, 157 BGB) und auch vom Kläger nicht mit einer verfahrensrechtlichen Gegenrüge angegriffen worden.

Obwohl die Anrechnung bzw. der Widerruf der von der Beklagten gewährten übertariflichen Zulage nicht anläßlich einer Tarif lohnerhöhung, sondern im Zusammenhang mit der Erhöhung der betrieblichen Prämiensätze erfolgte, ist von der Entscheidung des Großen Senats vom 3. Dezember 1991 auszugehen. Dort hat der Große Senat ausgeführt, bei der Ausübung eines dem Arbeitgeber vorbehaltenen Widerrufs übertariflicher Zulagen handele es sich um die Ausübung eines unbedingten Gestaltungsrechts, bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung um die Ausübung eines bedingten Gestaltungsrechts.

2. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts enthält keine näheren Ausführungen zu der Frage, ob der bei der Beklagten errichtete Betriebsrat vor der Anrechnung der erhöhten Prämie auf die übertariflichen Zulagen in Höhe von 0,41 DM pro Stunde zu beteiligen war. Das Landesarbeitsgericht stützt sich in seiner Begründung vielmehr darauf, daß der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht ausgeübt habe. Unter Berücksichtigung der vom Großen Senat in seinem Beschluß vom 3. Dezember 1991 aufgestellten Grundsätze ergibt sich im Streitfall, daß der Betriebsrat bei der Anrechnung bzw. dem Widerruf der übertariflichen Zulagen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hatte, da infolge der Anrechnung sich die Verteilungsgrundsätze für die übertariflichen Zulagen verändert haben und es bei der Anrechnung um einen kollektiven Tatbestand geht, so daß eine Regelungsstreitigkeit über die betriebliche Lohngestaltung zu entscheiden ist.

a) Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats steht nicht § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen, wonach Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können.

In dem Beschluß vom 3. Dezember 1991 hat der Große Senat nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den zu diesem Fragenkreis vertretenen Auffassungen im Anschluß an die Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgeführt, daß die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht entgegensteht und dieses Mitbestimmungsrecht auch durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung wahrgenommen werden kann.

b) Einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Ausübung des Widerrufsvorbehaltes bzw. der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage steht auch nicht der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entgegen.

Nach dem Beschluß des Großen Senates vom 3. Dezember 1991 greift der Vorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entsprechend dem Sinn des Ausschlusses des Mitbestimmungsrechts bei einer bestehenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung nur dann ein, wenn eine solche Regelung eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst zwingend und abschließend regelt und damit schon selbst dem Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts Genüge tut. Da die tariflichen Entgeltregelungen die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit im übertariflichen Bereich nicht gewährleisten können, verbleibt es bei dem dem Betriebsrat in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zur Lohngestaltung eingeräumten Mitbestimmungsrecht. Im vorliegenden Falle greift der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG schon deshalb nicht ein, weil die Prämien nicht infolge Tarifvertrags, sondern aufgrund einer Betriebsvereinbarung erhöht worden sind.

c) Entgegen der Auffassung von Richardi ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auch nicht etwa deswegen ausgeschlossen, weil die Beklagte sich die Anrechnung bzw. den Widerruf in den einzelnen Arbeitsverträgen individualrechtlich vorbehalten hat. Wäre die Auffassung Richardis richtig, könnte jeder Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats durch einzelvertragliche Abreden ausschließen.

d) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) besteht jedoch nur bei kollektiven Tatbeständen, d.h. wenn es um die Festlegung allgemeiner Regelungen geht. Im Anschluß an die Rechtsprechung des erkennenden Senats ist nach der Entscheidung des Großen Senats die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zum kollektiven Tatbestand danach vorzunehmen, ob es um die Strukturform des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht oder nicht. Die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer kann hierbei Indiz für oder gegen das Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes sein.

Bei der vorliegenden Anrechnung geht es um einen kollektiven Tatbestand. Die beklagte Arbeitgeberin hat ohne Rücksicht auf Besonderheiten bei einzelnen Arbeitsverhältnissen die Prämienlohnerhöhung um den gleichen Betrag auf alle Zulagen angerechnet, um Unkosten zu verringern. Daraus ergibt sich, daß die Beklagte aus betrieblichen Gründen eine allgemeine Regel (Anrechnung um denselben Betrag bei allen Arbeitnehmern zur Einsparung) aufstellen wollte.

3. Die Anrechnung bzw. der Widerruf der übertariflichen Zulagen bis zur durchschnittlichen Erhöhung der Prämiensätze unterliegt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten als für die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen bzw. für den Widerruf übertariflicher Zulagen aus Anlaß einer Tariflohnerhöhung. Der Große Senat (aaO) hat entschieden, daß der Widerruf von über-/ außertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung dann dem Mitbestimmungsrecht unterliegt, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Verteilung des Restvolumens ein Regelungsspielraum besteht. Mitbestimmungsfrei ist die Anrechnung bzw. der Widerruf nur dann, wenn dadurch das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt wird oder die Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig auf die über-/außertariflichen Zulagen angerechnet wird. Vorliegend kommt es nicht darauf an, daß die übertarifliche Zulage nicht aus Anlaß einer Tariflohnerhöhung, sondern wegen einer betrieblichen Prämienerhöhung widerrufen wurde. Ein sachlicher Unterschied, der eine anderslautende rechtliche Beurteilung rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Entscheidend ist, daß die Anrechnung bzw. der in einer Vielzahl von Fällen ausgeübte Widerruf einen kollektiven Bezug hat und eine Umgestaltung der bisherigen Verteilungsgrundsätze mit sich bringt, bei der der Betriebsrat nach dem Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. Nach dem Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991 besteht eine das Mitbestimmungsrecht auslösende, die Verteilungsgerechtigkeit betreffende Änderung des Verteilungsgrundsatzes bei einer unterschiedlichen Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen. Vorliegend hat die Beklagte nicht etwa, wie sie meint, eine mitbestimmungsfreie, prozentual gleichmäßige Anrechnung vorgenommen. Die übertariflichen Zulagen wurden nicht prozentual gleich widerrufen. Die Beklagte hat vielmehr aus der Summe der sich aus den Prämienlohnerhöhungen ergebenden Werte einen Durchschnitt für alle Prämiengruppen gebildet und dessen Betrag dann (gleichmäßig) auf alle übertariflichen Zulagen angerechnet. Hierdurch hat die Beklagte die den Zulagenzahlungen zugrundeliegenden Verteilungsmaßstäbe verändert und in die Verteilungsgerechtigkeit eingegriffen, denn nach ihrer Methode der Anrechnung werden die höheren Tarifgruppen weniger belastet als niedrigere. Da die Beklagte die Prämienlohnerhöhung nicht voll und gleichmäßig angerechnet hat, hätte sie auch andere Regelungen mit anderen Verteilungsgrundsätzen treffen können.

4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht gewahrt.

a) Im Ansatzpunkt ist das Landesarbeitsgericht zwar zutreffend unter Berufung auf den Beschluß des Senats vom 10. Februar 1988 davon ausgegangen, daß eine Einigung der Betriebspartner auch dann vorliegen kann, wenn der Betriebsrat erklärt, er habe Bedenken gegen die Kürzung einer übertariflichen Leistung, nicht aber gegen die vorgesehene Verteilung des Restvolumens.

b) Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Unrecht der Reaktion des Betriebsratsvorsitzenden in der Einigungsstelle auf die überraschende Ankündigung der Anrechnungsabsicht durch die Arbeitgeberseite, dagegen werde der Betriebsrat keine gerichtlichen Schritte unternehmen, die Zustimmung des Betriebsrats zu der in Aussicht genommenen Maßnahme entnommen.

In der Äußerung der Arbeitgeberseite und der Antwort der Arbeitnehmerseite in der Einigungsstelle durch den Betriebsratsvorsitzenden kann schon deshalb nicht eine ordnungsgemäße Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens gesehen werden, weil mit dem Inaussichtstellen der Anrechnung einer noch gar nicht beschlossenen Prämienerhöhung das Mitbestimmungsverfahren weder eingeleitet werden konnte noch sollte. Die Einigungsstelle ist ein anderes Organ als der Betriebsrat. Äußerungen der Arbeitgeberseite in der Einigungsstelle über ein mögliches zukünftiges Verhalten für den Fall eines bestimmten Ergebnisses richten sich nicht an den Betriebsrat, sondern an die Arbeitnehmerseite der Einigungsstelle. Daran ändert auch nichts, daß ein Mitglied der Einigungsstelle auf Arbeitnehmerseite der Betriebsratsvorsitzende war, der zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt ist. Im übrigen vertritt der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der gefaßten Beschlüsse (§ 26 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Mit der Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden in der Einigungsstelle gab dieser aber gerade keinen Beschluß des Betriebsrats wieder. Dies war dem Arbeitgeber auch bekannt, da die Vertreter der Arbeitnehmer in der Einigungsstelle nicht mit dem Betriebsrat identisch sind.

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann auch in dem späteren Verhalten des Betriebsrats keine Zustimmung zu der Anrechnung gesehen werden. Der gesetzliche Zwang, zu versuchen, mit dem Betriebsrat eine Einigung zu erzielen, verpflichtet die Beklagte, vor der Umsetzung der von ihr geplanten Maßnahmen den Betriebsrat zu einer Stellungnahme aufzufordern. Dies hat die Beklagte nicht getan. Schon deshalb konnte das Schweigen des Betriebsrats nicht als Zustimmung gewertet werden. Die entgegengesetzte Auffassung würde das Mitbestimmungsrecht in ein Vetorecht verkehren. Das widerspräche dem Zweck der Mitbestimmungsrechte in den in § 87 BetrVG genannten Angelegenheiten, wonach dem Betriebsrat in den hier aufgeführten Angelegenheiten eine gleichberechtigte Teilhabe an der Entscheidung zukommen soll.

Im übrigen kann hier auch deshalb das Schweigen nicht als Zustimmung gewertet werden, weil § 87 Abs. 1 BetrVG anders als die Mitwirkung des Betriebsrats bei personellen Maßnahmen keine Frist vorsieht, nach deren fruchtlosem Ablauf die Zustimmung des Betriebsrats fingiert wird. Dem Schweigen des Betriebsrats kommt nach dem Gesetz also nicht dieselbe Bedeutung zu wie bei § 99 Abs. 3 BetrVG. Schließlich hat der Arbeitgeber nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG den Betriebsrat von der Durchführung seiner Aufgaben "nach diesem Gesetz" rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Zu den Aufgaben gehören, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat insbesondere auch die Wahrung der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG. Damit mußte die Beklagte vor Anordnung der Kürzung den Betriebsrat über die Auswirkungen im einzelnen unterrichten und dessen Zustimmung einholen. Hat der Arbeitgeber also unter verschiedenen Gesichtspunkten das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung der Prämienlohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen verletzt, ist die Anrechnung bzw. der Widerruf gegenüber dem Kläger auch individualrechtlich unwirksam. Als Folge der individualrechtlichen Unwirksamkeit der Kürzung der übertariflichen Zulagen kann der Kläger Fortzahlung der ungekürzten Zulage, damit auch den eingeklagten Betrag von 62,24 DM brutto für den Monat Juni 1991 verlangen. Da diese Ansprüche auf die ungekürzte Zulage aus dem Arbeitsvertrag des Klägers abzuleiten sind, ist der vorliegende Fall nicht mit der Fallgestaltung zu vergleichen, die dem Urteil des Senats vom 20. August 1991 zugrunde lag. Dort hat der Senat ausgesprochen, daß dem Grundsatz der Wirksamkeitsvoraussetzung der Einhaltung des Mitbestimmungsrechts nicht zu entnehmen sei, daß bei Verletzung eines Mit bestimmungsrechts Zahlungsansprüche entstehen, die bisher nicht bestanden. Vorliegend kann der Kläger aufgrund der einzelvertraglichen Abrede Zahlung der ungekürzten Zulagen verlangen.