Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen in zweistufigem Verfahren

BAG 1 ABR 19/94 vom 17. Jan. 1995

Leitsatz

1. Beruhen die volle Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen und die wenig später erklärte Zusage einer neuen übertariflichen Leistung auf einer einheitlichen Konzeption des Arbeitgebers, so liegt hierin eine insgesamt mitbestimmungspflichtige Änderung der Entlohnungsgrundsätze.

2. Der Annahme einer einheitlichen Konzeption steht nicht entgegen, daß der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Anrechnung noch nicht im einzelnen und abschließend entschieden hat, wem und in welcher Höhe neue übertarifliche Leistungen gewährt werden sollen.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen.

Die Arbeitgeberin wendet die Tarifverträge für die Druckindustrie in Nordrhein-Westfalen an. Die Tariflöhne und -gehälter wurden am 22. Mai 1992 mit Wirkung zum 1. April 1992 um 5,8 % erhöht. Die Arbeitgeberin rechnete diese Tariferhöhung in vollem Umfang auf die bis dahin gewährten übertariflichen Zulagen an, soweit es sich nicht um Leistungs- oder Funktionszulagen handelte, die sie als tarifbeständig ansah. Über die Anrechnung wurden die betroffenen Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin im Juni 1992 durch Schreiben unterrichtet, in denen es hieß:

"die wirtschaftliche Entwicklung bei bdk ist gekennzeichnet durch eine deutlich schlechtere Auftragslage, insbesondere wegen rückläufiger Auflagen. Wir sehen uns daher in diesem Jahr nicht in der Lage, die Tariferhöhung an Sie effektiv weiterzugeben und müssen vielmehr von der rechtlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Tariferhöhung mit den anrechenbaren Teilen Ihres Übertarifs zu verrechnen.

Wir bitten Sie um Verständnis für diese Sparmaßnahme. Eine nachfolgende Überprüfung Ihrer übertariflichen Zulage auf deren Angemessenheit behalten wir uns vor."

Nach dem - von der Arbeitgeberin bestrittenen - Vortrag des Betriebsrats erklärte der Betriebsleiter im Juni 1992 gegenüber dem Betriebsrat, man werde schon Mittel und Wege finden, denjenigen Arbeitnehmern übertarifliche Zulagen zukommen zu lassen, denen man sie wirklich zukommen lassen wolle.

Mit Schreiben vom 8. September 1992 kündigte die Arbeitgeberin einer Anzahl von Arbeitnehmern für den Monat Oktober 1992 übertarifliche Einmalzahlungen an. Die angekündigten Beträge lagen zwischen 700,00 und 6.900,00 DM. Die Schreiben enthielten folgende Erläuterung:

"aus Gründen, die Ihnen bekannt sind, mußten wir uns in diesem Jahr dazu entschließen, die Tariferhöhungen bei allen Mitarbeitern - soweit rechtlich möglich - auf die übertariflichen Zulagen anzurechnen. Dessenungeachtet möchten wir Ihnen als Zeichen unserer Anerkennung für Ihren persönlichen Einsatz eine Einmalzahlung in Höhe von DM ... zukommen lassen..."

Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt. Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertariflichen Zulagen sei mitbestimmungspflichtig gewesen. Durch die Anrechnung hätten sich die Verteilungsgrundsätze geändert. Der Arbeitgeberin sei ein Regelungsspielraum für eine anderweitige Anrechnung verblieben. Dies ergebe sich daraus, daß die Arbeitgeberin einen Teil des durch die Anrechnung eingesparten Betrags für Einmalzahlungen und damit für neue übertarifliche Leistungen verwendet habe. Bei dieser Sachlage komme es nicht darauf an, ob die im Juni 1992 vorgenommene Anrechnung für sich allein vollständig und gleichmäßig gewesen sei. Mitbestimmungsrechtlich bilde sie zusammen mit der späteren Einmalzahlung einen einheitlichen Vorgang, weil die Arbeitgeberin von Anfang an eine Umverteilung der übertariflichen Leistungen beabsichtigt habe.

Der Betriebsrat hat, soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Interesse, beantragt festzustellen, daß die Arbeitgeberin bei der ohne Hinzuziehung des Betriebsrats vorgenommenen Anrechnung der 5,8 %igen Tariferhöhung 1992 mit den übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer/innen das sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ergebende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Nach ihrer Ansicht war die Anrechnung nicht mitbestimmungspflichtig. Sie habe im Rahmen des ihr rechtlich Möglichen die Tariferhöhung vollständig auf die Zulagen angerechnet. Anderweitige Gestaltungsmöglichkeiten, die die Beteiligung des Betriebsrats erfordert hätten, seien ihr nicht verblieben. Eine Umverteilung der übertariflichen Leistungen habe sie nicht beabsichtigt. Auf die Einmalzahlungen vom Oktober 1992 komme es insoweit schon deshalb nicht an, weil diese ein viel geringeres Gesamtvolumen als die innerhalb eines Jahres gewährten Zulagen gehabt hätten. Die Entscheidung über diese neuen Leistungen sei unabhängig von derjenigen über die Anrechnung getroffen worden. Sie habe mit den Einmalzahlungen lediglich auf die Unzufriedenheit reagiert, die im Sommer 1992 in einem Teil der Belegschaft entstanden sei.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn auf die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

B. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht verneint werden. Das Landesarbeitsgericht hat die Möglichkeit verkannt, daß die Anrechnung und die nachfolgende Gewährung von Einmalzahlungen Ausdruck einer einheitlichen Entscheidung der Arbeitgeberin gewesen sein könnten und dann auch mitbestimmungsrechtlich als Einheit zu betrachten wären. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob dies der Fall war und daher ein Mitbestimmungsrecht bei der Neuverteilung übertariflicher Leistungen besteht, ist dem Senat freilich anhand des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts nicht möglich. Hierfür spricht zwar viel, weitere Sachaufklärung ist aber erforderlich.

1. Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen erfordert das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Leistungen zunächst, daß sich durch die Anrechnung die Verteilungsgrundsätze ändern. Diese Voraussetzung ist immer erfüllt, wenn sich das Verhältnis der Zulagen zueinander ändert. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, daß nach den mitbestimmungsfreien Vorentscheidungen und bindenden Vorgaben für die Anrechnungsentscheidung noch ein Regelungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn durch sie das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt oder die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird.

2. Hiernach wäre die im Juni 1992 vorgenommene Anrechnung dann nicht mitbestimmungspflichtig gewesen, wenn die im Oktober 1992 geleisteten Einmalzahlungen keine Bedeutung hätten. Betrachtet man nämlich, wie es das Landesarbeitsgericht getan hat, das Vorgehen der Arbeitgeberin im Juni 1992 isoliert, so wurde die Tariferhöhung vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet, soweit das damals rechtlich möglich war. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr.

Dagegen hätte der Betriebsrat bei der Anrechnung mitbestimmen müssen, wenn die Anrechnung vom Juni und die Einmalzahlungen vom Oktober 1992 auf einer einheitlichen Entscheidung beruhten. In diesem Fall wären die Anrechnung und die Neugewährung übertariflicher Leistungen mitbestimmungsrechtlich als einheitlicher Vorgang anzusehen. Die Arbeitgeberin hätte dann keine vollständige Anrechnung vorgenommen, vielmehr einen Teil des durch die Anrechnung eingesparten Betrags in Form von Einmalzahlungen anderweitig verteilt. Zumindest insoweit hätten sich Verteilungsgrundsätze geändert, weil nicht alle Arbeitnehmer, die von der Anrechnung betroffen waren, anschließend eine Einmalzahlung erhalten haben. Außerdem war die Höhe der Zahlungen, die den begünstigten Arbeitnehmern zugebilligt wurden, höchst unterschiedlich.

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Anrechnung und die Einmalzahlungen nicht als einheitliche Entscheidung der Arbeitgeberin betrachtet. Als Begründung hat es für ausreichend gehalten, daß eine schon anläßlich der Tariferhöhung bestehende Neuverteilungsabsicht der Arbeitgeberin nicht ersichtlich sei. Insbesondere gebe es angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen dem Gesamtvolumen der Anrechnungen und demjenigen der Einmalzahlungen keine Anhaltspunkte dafür, daß letztere den Arbeitnehmern einen Ausgleich für die durch die Anrechnung erlittenen Einbußen verschaffen sollten. Diese Erwägungen können aber die Entscheidung nicht tragen. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen verkannt, unter denen Anrechnung und Einmalzahlung als einheitlicher Vorgang anzusehen sind.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Anrechnungsentscheidung nicht nur dann mitbestimmungspflichtig, wenn schon die geplante Anrechnung selbst differenziert und damit Spielräume für andere Verteilungsgrundsätze läßt. Ein Mitbestimmungsrecht besteht auch dann, wenn eine scheinbar vollständige Anrechnung lediglich die Grundlage für die Neugewährung übertariflicher Leistungen schafft. Hierfür ist es nicht erforderlich, daß Anrechnung und Neugewährung gleichzeitig erfolgen. Vielmehr genügt es, wenn zwischen beiden ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. So hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 3. August 1982 den generellen Widerruf einer Forschungszulage als mitbestimmungspflichtig angesehen, weil er mit dem erklärten Ziel erfolgte, auf diese Weise die Voraussetzung für die spätere Neugewährung einer gleichartigen Zulage zu schaffen. Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 3. Mai 1994 entschieden, daß der Betriebsrat bei der zunächst vollständigen Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen mitzubestimmen hatte, weil der Arbeitgeber kurz nach der Anrechnung prüfen ließ, "wieviel Luft" für übertarifliche Leistungen nunmehr vorhanden war, und anschließend neue Zulagen gewährte.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Anrechnung und der Neugewährung übertariflicher Leistungen besteht danach schon dann, wenn der Arbeitgeber die Vergabe neuer Zulagen zwar noch nicht gleichzeitig mit seiner Einsparentscheidung bereits beschließt, sie aber schon vorbereiten will. Der Zweck des Mitbestimmungsrechts bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen erfordert es, ein derartiges zweistufiges Vorgehen für die Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG als Einheit zu werten. Das Mitbestimmungsrecht soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder gar willkürlichen Entgeltgestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Entgeltgefüges fördern und auf diese Weise der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit dienen. Deshalb setzt im Fall der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Leistungen das Mitbestimmungsrecht dann ein, wenn der Arbeitgeber die Mittel, die er durch seine Anrechnungsbefugnis verfügbar machen kann, nicht oder nicht in vollem Umfang einspart, sondern ganz oder teilweise dazu verwendet, das System übertariflicher Leistungen zu verändern. Die Aufstellung und Änderung von Verteilungsgrundsätzen berührt die Entgeltgerechtigkeit innerhalb des Betriebs. Bei einer Entscheidung des Arbeitgebers, durch die ein Teil der Arbeitnehmer innerhalb eines vorgegebenen Finanzrahmens gegenüber anderen relativ bessergestellt wird, soll deshalb der Betriebsrat mitbestimmen. Nach diesem Zweck kann es keinen Unterschied machen, ob eine solche Entscheidung bereits in der Anrechnung selbst zum Ausdruck kommt oder mit dieser im Rahmen eines einheitlichen Konzepts ermöglicht und eingeleitet wird.

b) Ein konzeptioneller Zusammenhang setzt freilich voraus, daß der Arbeitgeber schon bei der

Anrechnung plant, hierdurch eingesparte Mittel als neue übertarifliche Leistung an die Arbeitnehmer auszuschütten. Das bedeutet aber nicht, daß der Arbeitgeber bereits in diesem Zeitpunkt eine Entscheidung darüber getroffen haben müßte, welche Arbeitnehmer künftig begünstigt werden und welche Zulagen sie erhalten sollen. Vielmehr muß es, wie der Senat in seinem Beschluß vom 3. Mai 1994 (EzA, a.a.O.) entschieden hat, nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts ausreichen, wenn der Arbeitgeber sich zunächst nur finanzielle Spielräume für die Gewährung neuer Leistungen verschaffen will, die Entscheidung über die neuen Verteilungsgrundsätze hingegen einem zweiten Schritt vorbehält.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es ohne Bedeutung, ob das Volumen der neuen Leistungen den Umfang der vorangegangenen Einsparungen erreicht oder nicht. Mitbestimmungspflichtig ist nicht nur die Umverteilung des bisherigen, sondern auch diejenige eines verminderten Zulagenvolumens. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Neukonzeption das System monatlicher Zahlungen im Prinzip beibehält oder durch Einmalzahlungen ersetzt. Innerhalb der vom Arbeitgeber definierten Dotierung und Zielsetzung einer übertariflichen Leistung soll das Mitbestimmungsrecht gerade auch deren Struktur erfassen. Hierzu gehört die Entscheidung darüber, ob die Leistung in Form laufender Zahlungen oder als Einmalzahlung zu gewähren ist. Unerheblich ist schließlich, aus welchen Gründen der Arbeitgeber die Anrechnung von Zulagen und die hierdurch ermöglichte Neuverteilung in zwei zeitlich getrennten Schritten vollzogen hat. Eine Absicht, das Mitbestimmungsrecht zu umgehen, ist nicht erforderlich. Gegenstand der Mitbestimmung ist die betriebliche Entscheidungspraxis unabhängig davon, wie die Motive des Arbeitgebers zu werten sein mögen.

c) Ob die Arbeitgeberin bereits bei der umstrittenen Anrechnung eine Neugewährung übertariflicher Leistungen geplant hat, läßt sich dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen könnte sich aus Äußerungen der Arbeitgeberin ebenso wie aus anderen Umständen der Anrechnung und der nachfolgenden Neugewährung ergeben.

aa) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung des Betriebsrats für unerheblich gehalten, wonach der Betriebsleiter im Juni 1992 gegenüber dem Betriebsrat erklärt haben soll, man werde schon Mittel und Wege finden, denjenigen Arbeitnehmern eine Zahlung zukommen zu lassen, denen man sie zukommen lassen wolle. Das Landesarbeitsgericht hätte diesem Vortrag nachgehen müssen. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge des Betriebsrats greift durch.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin hat der Betriebsrat das Übergehen des entsprechenden Beweisantrags in zulässiger Weise gerügt. Daß er die Verfahrensrüge nicht ausdrücklich als solche bezeichnet hat, ist unschädlich. Den Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO hat er dadurch genügt, daß er in der Rechtsbeschwerdebegründung die verletzte Norm ( § 83 ArbGG) und das Beweisthema angegeben hat, das er als entscheidungserheblich ansieht und dessen Aufklärung er vermißt.

Die Rüge ist auch begründet. Hat der Betriebsleiter als Vertreter der Arbeitgeberin die behaupteten Äußerungen gegenüber dem Betriebsrat wirklich getan, so ergibt sich daraus, daß die Arbeitgeberin schon im Zeitpunkt der Anrechnung die Gewährung neuer übertariflicher Leistungen beabsichtigte, die Anrechnung und die drei Monate später erfolgte Neugewährung Teile eines einheitlichen Konzepts waren. Ob die Arbeitgeberin so vorgegangen ist, weil sie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umgehen wollte, und ob sie bereits im Juni 1992 Vorstellungen darüber hatte, welche Arbeitnehmer welche Leistungen erhalten sollten, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, wie bereits dargelegt wurde.

bb) Kann das Landesarbeitsgericht Äußerungen des Betriebsleiters mit dem vom Betriebsrat behaupteten Inhalt nicht ermitteln, so liegen hier dennoch gewichtige Anzeichen dafür vor, daß Anrechnung und Neuvergabe mitbestimmungsrechtlich eine Einheit darstellen.

Für ein von der Arbeitgeberin einheitlich konzipiertes Vorgehen spricht der geringe zeitliche Abstand zwischen den Mitteilungen der Anrechnungs- und der Neuvergabeentscheidung. Nachdem sich die Arbeitgeberin unter Hinweis auf die Verschlechterung der Auftragslage, also aus wirtschaftlichen Gründen, nicht dazu in der Lage gesehen hatte, die Tariferhöhung an die Arbeitnehmer weiterzugeben, ist es nach dem bisher ermittelten Sachverhalt ohne die Annahme eines einheitlichen Handlungskonzepts nicht erklärbar, wieso sie schon drei Monate später wieder bereit und in der Lage war, freiwillig erhebliche Beträge in Form von Einmalzahlungen zu leisten. Ihr allgemeiner Hinweis auf die im Sommer 1992 entstandene Unzufriedenheit einer Reihe von Arbeitnehmern kann zur Erklärung hierfür nicht ausreichen, denn Unzufriedenheit in der Belegschaft ist bei jeder Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen zu erwarten, also vorhersehbar. Es kommt hinzu, daß die Arbeitgeberin mit dem im Anrechnungsschreiben gemachten Vorbehalt einer "nachfolgenden Überprüfung Ihrer übertariflichen Zulage" und der das Schreiben über die Einmalzahlung einleitenden Bezugnahme auf die vorangegangene Anrechnung auch nach außen eine Verbindung zwischen beiden Vorgängen hergestellt hat.

Angesichts dieser Umstände kann nur dann angenommen werden, daß die Arbeitgeberin bei der Anrechnung die Gewährung neuer übertariflicher Leistungen noch nicht geplant hatte, wenn zwischen Juni und September 1992 Umstände eingetreten sein sollten, welche die neuen Einmalzahlungen als Reaktion auf eine neue Situation erklärbar machen. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sich die wirtschaftlichen Erwartungen des Unternehmens überraschend und in erheblichem Maße gebessert hätten oder wenn die Arbeitgeberin durch ungewöhnlich starken Druck der Belegschaft dazu gezwungen worden wäre, ihre Entscheidung zu revidieren.