Mitbestimmung des Betriebsrats bei Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen sowie bei Anhebung der Gehälter von AT-Angestellten

BAG 1 ABR 17/92 vom 27. Okt. 1992

Leitsatz

1. Ein das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen begründender kollektiver Tatbestand liegt in der Regel vor, wenn die Anrechnung aus Leistungsgründen erfolgt, wegen der Kürze der Betriebszugehörigkeit bzw der absehbaren Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder wegen einer zuvor stattgefundenen Gehaltsanhebung. Kein kollektiver Tatbestand ist hingegen anzunehmen, wenn die Anrechnung auf Wunsch eines Arbeitnehmers zur Vermeidung steuerlicher Nachteile vorgenommen wird.

2. Der Betriebsrat hat bei der Anhebung der Gehälter von AT-Angestellten gem § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, solange ein mitbestimmtes Gehaltsgruppensystem noch nicht besteht.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über den Umfang von Mitbestimmungsrechten bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen sowie bei der Erhöhung der Gehälter von AT-Angestellten.

Der Arbeitgeber ist ein Zeitschriftenverlag, der im April 1990 563 Mitarbeiter beschäftigte, davon 425 kaufmännische Mitarbeiter. Antragsteller ist der im Betrieb des Arbeitgebers gewählte Betriebsrat.

Der Arbeitgeber wendet aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen den Gehaltstarifvertrag für die Angestellten in Zeitschriftenverlagen in Hamburg und Schleswig-Holstein an. Eine große - nicht im einzelnen festgestellte - Zahl von Mitarbeitern erhält zum Tarifgehalt eine übertarifliche Zulage. Die Zulagen sind in der Höhe unterschiedlich.

Im Mai 1990 einigten sich die Tarifvertragsparteien rückwirkend zum 1. April 1990 auf eine Gehaltserhöhung von 6,8 %. Mit Datum vom 17. Mai 1990 schrieb der Betriebsrat dem Arbeitgeber u.a. folgendes:

"Nachdem die Tariferhöhung jetzt ausgehandelt wurde, möchten wir noch einmal darauf hinweisen, daß eine ungleichmäßige Verteilung der Tariferhöhung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt. Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, daß eine eventuelle Verrechnung von übertariflichen Zulagen mit der Tariferhöhung ohne eine Einigung mit dem Betriebsrat darüber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht gesetzeskonform ist."

Am 19. Juni 1990 führten die Personalreferenten des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat ein ausführliches Gespräch, in dem dem Betriebsrat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich genannt wurden, bei denen eine Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen erfolgen solle. Hiervon waren mindestens 21 Tarifangestellte betroffen. Der Arbeitgeber nahm die Anrechnung vor, ohne daß die endgültige Zustimmung des Betriebsrats erfolgt war.

Die Gehälter der außertariflichen Angestellten erhöhte der Arbeitgeber zeitgleich mit der Tariflohnerhöhung um 4,4 %. Dieser Betrag errechnet sich aus der Tariflohnerhöhung von 6,8 % bezogen auf 65 % des Effektivgehalts. Einzelne AT-Angestellte wurden aus unterschiedlichen Gründen von der Erhöhung ausgenommen. Auch dies wurde in dem Gespräch am 19. Juni 1990 zwar mit dem Betriebsrat erörtert, ohne daß aber dessen Zustimmung erfolgte.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, sowohl die Anrechnung der übertariflichen Zulagen wie auch die Anhebung der außertariflichen Gehälter unterliege seinem Mitbestimmungsrecht. Er hat vorgetragen, nach der von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariferhöhung habe der Arbeitgeber grundsätzlich geprüft, inwieweit die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an der Tariferhöhung teilnehmen sollten bzw. unter welchen Gesichtspunkten eine gewisse Harmonisierung des gesamten Gehaltsgefüges erreicht werden könne. Damit habe sich das Volumen der übertariflichen Zulage verringert, so daß ein kollektiver Tatbestand vorliege. Es sei auch eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen.

Soweit als Gründe für die unterschiedliche Anrechnung genannt worden seien die Beendigung der Arbeitsverhältnisse in absehbarer Zeit, Mutterschutz oder Erziehungsurlaub bzw. Langzeiterkrankungen, Anrechnung aus "Rundungsgründen" bzw. "Harmonisierung" des Gehaltsniveaus, liege ein kollektiver Bezug vor. Dies gelte aber auch für die Angabe von "steuerlichen Gründen" oder von "Leistungsgesichtspunkten". Der Arbeitgeber bringe nämlich zum Ausdruck, daß Leistungsgesichtspunkte oder aber eine unterschiedliche steuerliche Behandlung für ihn Grundsätze sein könnten, nach denen das übertarifliche Lohn- bzw. Gehaltsgefüge gestaltet werden könne. Dies seien Entlohnungsgrundsätze im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Ein kollektiver Bezug liege aber auch bei der Anhebung der Gehälter der AT-Angestellten um grundsätzlich 4,4 % vor.

Der Betriebsrat hat beantragt festzustellen, daß die Anrechnung der übertariflichen Zulagen im Zusammenhang mit der ab 1. April 1990 zwischen der IG Medien und dem Verband der Zeitschriftenverlage in Hamburg und Schleswig-Holstein e.V. für die Angestellten in Zeitschriftenverlagen in Hamburg und Schleswig-Holstein vereinbarte Gehaltserhöhung nach unterschiedlichen Kriterien dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, dem Betriebsrat stehe ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Anrechnung der Tariflohnerhöhung 1990 auf die übertariflichen Zulagen nicht zu. Das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG beziehe sich nur auf generelle Regelungen. In seinem Betrieb bestehe aber keine generelle Zulagenregelung. Die Zulagen ergäben sich vielmehr ausschließlich als rechnerisches Ergebnis der rein individuell bestimmten effektiven Gehaltsvereinbarungen. Schon deshalb könne ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Hinblick auf bestimmte Verteilungsgrundsätze nicht bestehen. Wo aber eine allgemeine Regelung von Anfang an nicht bestanden habe, könne sie durch einen Anrechnungsvorgang auch nicht verändert werden. Ohne Regelung gebe es keine Neuregelung.

Im übrigen weise die unterschiedliche Anrechnung der Tariflohnerhöhung keine kollektiven Bezüge auf. Soweit er in den aus der vorgelegten Aufstellung ersichtlichen Fällen die Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage angerechnet habe, hätten dem ausschließlich individuell bedingte Umstände zugrunde gelegen. Bei zwei Beschäftigten habe er kurz zuvor die Gehälter angehoben. In acht Fällen seien individuelle Leistungsgesichtspunkte für die Art und Weise der Anrechnung maßgeblich gewesen, in einem weiteren Fall sei die Anrechnung aus verhaltensbedingten Gründen erfolgt. Bei drei Mitarbeitern sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses absehbar gewesen. Ein Mitarbeiter habe selbst aus steuerlichen Gründen um die volle Anrechnung gebeten. Bei einer weiteren Mitarbeiterin sei wegen der geringen Betriebszugehörigkeit nur eine Teilanpassung des Gehalts vorgenommen worden. Hinsichtlich vier Mitarbeiterinnen, die sich im Mutterschutz oder Erziehungsurlaub befänden bzw. erkrankt seien, sei die Entscheidung lediglich zunächst zurückgestellt worden.

Dem Betriebsrat stehe auch kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der AT-Angestellten zu. Deren Gehaltserhöhung werde schon vom Antrag des Betriebsrats nicht erfaßt. Dieser sei allein auf die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung übertariflicher Zulagen gerichtet. Solche übertariflichen Zulagen seien aber bei AT-Angestellten gerade nicht gegeben. Unabhängig davon sei die Festsetzung der Höhe der Gruppengehälter für AT-Angestellte mitbestimmungsfrei. Die Behandlung der AT-Angestellten könne auch keine Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit sich in der Anrechnung der übertariflichen Zulagen bei anderen Angestellten kollektive Tatbestände ergäben.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats in vollem Umfang stattgegeben; es hat in der Begründung ausdrücklich ein Mitbestimmungsrecht auch hinsichtlich der den AT-Angestellten gewährten Gehaltserhöhung bejaht. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen; es hat gleichfalls in der Begründung ein Mitbestimmungsrecht auch hinsichtlich der AT-Angestellten bejaht. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Arbeitgeber die Zurückweisung des Antrags des Betriebsrats.

II. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist im wesentlichen unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen zu Recht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sowohl hinsichtlich der teilweisen Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen der Tarifangestellten als auch hinsichtlich der Gehaltserhöhungen der AT-Angestellten bejaht. Begründet ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit, als das Landesarbeitsgericht ein Mitbestimmungsrecht auch bei Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage des Arbeitnehmers R bejaht hat.

I. Die teilweise Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen ist mitbestimmungspflichtig - ausgenommen die Anrechnung auf die Zulage des Arbeitnehmers R .

1. Die Frage, nach welchen Kriterien sich die Höhe übertariflicher oder außertariflicher Zulagen und deren Verhältnis zueinander bestimmen soll, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dieses Mitbestimmungsrecht soll den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges sichern.

Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Dezember 1991 besteht dieses Mitbestimmungsrecht auch bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/ außertarifliche Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe der Tariflohnerhöhung, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht.

Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Regelung von Einzelfällen. Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht besteht, unterliegen also nicht der Mitbestimmung.

Ob ein derartiger kollektiver Tatbestand vorliegt, ist nicht allein quantitativ zu bestimmen. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer betreffen, andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten.

Beim Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Hierbei kann die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, ob ein kollektiver Tatbestand vorliegt oder nicht. Das ist deshalb von Bedeutung, weil es dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspräche, wenn der Arbeitgeber es dadurch ausschließen könnte, daß er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils "individuelle" Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft und sich hierbei nicht selbst binden und keine allgemeine Regelung aufstellen will. Mit einer solchen Vorgabe, nur individuell entscheiden zu wollen, könnte sonst jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Bei der Änderung der Verteilungsgrundsätze für über-/außertarifliche Zulagen geht es stets um die Strukturformen des Entgelts. Deshalb liegt hier stets ein kollektiver Tatbestand vor.

2. Hiervon ausgehend ist für die streitigen Anrechnungen ein kollektiver Tatbestand zu bejahen - ausgenommen die Anrechnung auf die Zulage des Arbeitnehmers R .

a) Der Arbeitgeber gewährt einer Vielzahl seiner Angestellten übertarifliche Zulagen. Das allein ist nach den vorstehenden Grundsätzen ein Indiz für die Annahme eines kollektiv zu bewertenden Zulagengefüges. Im Streitfall geht es allerdings nicht um die Einführung des Entlohnungssystems. Für die Beurteilung der Mitbestimmungspflichtigkeit maßgeblicher Tatbestand ist vielmehr die Umsetzung der Tariflohnerhöhung in der Weise, daß diese teilweise voll weitergegeben, teilweise aber - in unterschiedlicher Höhe - auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wurde.

Auch dieser Tatbestand weist jedoch kollektive Bezüge auf. Der Arbeitgeber beruft sich zu Unrecht darauf, bei der Anrechnung handele es sich ausnahmslos um mitbestimmungsfreie Einzelmaßnahmen.

b) aa) Soweit der Arbeitgeber in acht Fällen eine teilweise oder volle Anrechnung wegen Leistungsgesichtspunkten vorgenommen hat, liegt darin ein typischer kollektiver Bezug.

Wie der Senat schon in seinen Urteilen vom 22. September 1992 ausgeführt hat, setzt die Bemessung übertariflicher Zulagen nach der Qualität der Arbeitsleistung stets eine irgendwie definierte Mindestleistung voraus, an der gemessen sich feststellen läßt, ob eine Arbeitsleistung einen und welchen übertariflich zu vergütenden Wert hat. Bei der Prüfung, ob eine Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage angerechnet werden soll oder nicht, werden regelmäßig die Leistungen der einzelnen Arbeitnehmer zueinander ins Verhältnis gesetzt. Wenn aufgrund einer solchen Leistungsbeurteilung der Arbeitgeber bei einem Arbeitnehmer eine Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage anrechnet, steht diese Entscheidung in einem inneren Zusammenhang zu Anrechnungs- bzw. Nichtanrechnungsentscheidungen bei den anderen Arbeitnehmern. Durch die Verringerung der Zulagenhöhe des einen Arbeitnehmers bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, daß er dessen Arbeitsleistung geringer bewertet als die der anderen Arbeitnehmer, bei denen es zu keiner oder nur einer geringeren Anrechnung gekommen ist. Die Entscheidung des Arbeitgebers, eine Tariflohnerhöhung auf die einer Vielzahl von Arbeitnehmern gewährte übertarifliche Zulage in Einzelfällen wegen schlechter Arbeitsleistungen anzurechnen, verändert das leistungsbezogene übertarifliche Lohn- und Gehaltsgefüge und hat damit kollektiven Bezug.

bb) Ein kollektiver Bezug liegt in gleicher Weise vor, soweit der Arbeitgeber in einem Fall die Anrechnung auf - nicht näher dargelegte - "verhaltensbedingte Gründe" stützt. Ob ein Arbeitnehmer die volle Weitergabe der Tariflohnerhöhung wegen seines Verhaltens "nicht verdient", setzt einen Vergleich mit dem (Wohl-) Verhalten anderer Arbeitnehmer voraus. Insoweit liegt die Sache nicht anders als beim Leistungsvergleich.

cc) Ein kollektiver Bezug ist auch gegeben, soweit der Arbeitgeber die Anrechnung mit der absehbaren Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. der geringen Betriebszugehörigkeit begründet. Dem liegt offensichtlich die Überlegung zugrunde, bei der Bemessung der Höhe der Zulagen die Dauer der Betriebszugehörigkeit bzw. der Noch-Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Damit stellt der Arbeitgeber aber einen allgemeinen Entlohnungsgrundsatz auf, der nicht von individuellen Besonderheiten einzelner Personen abhängt, sondern kollektiv geprägt ist.

dd) Um einen kollektiven Tatbestand geht es auch, soweit in zwei Fällen der Arbeitgeber die Anrechnung damit begründet, es habe bereits kurz zuvor eine Anhebung der Gehälter der betroffenen Angestellten stattgefunden. Dieser Entscheidung liegt die vergleichende Überlegung zugrunde, daß eine volle Weitergabe der Tariflohnerhöhung eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung gegenüber anderen Zulagenempfängern darstellt. Damit ist das Gesamtgefüge der Zulagen angesprochen. Die Frage, ob die Anrechnung wegen der vorangegangenen Erhöhung im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern gerechtfertigt war oder nicht, ist eine typische Frage der inneren Lohngerechtigkeit und daher mitbestimmungspflichtig.

ee) Soweit in vier Fällen sich Arbeitnehmerinnen in Mutterschutz oder Erziehungsurlaub befinden bzw. langzeiterkrankt sind, liegt der kollektive Bezug gleichfalls auf der Hand. Auch wird ein allgemeiner Lohngrundsatz deutlich, nämlich der, bei der Frage der Weitergabe von Tariflohnerhöhungen zu berücksichtigen, daß das Arbeitsverhältnis faktisch zur Zeit nicht vollzogen wird. Dies ist ein Sachverhalt, der nicht auf die unmittelbar betroffenen Personen beschränkt ist, sondern als abstrakter Grundsatz jeden anderen Arbeitnehmer in gleicher Weise treffen kann. Insoweit gilt nichts anderes als etwa hinsichtlich der Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit für die Bemessung der Zulage.

3. Ist also bei diesen Anrechnungen von einem kollektiven Tatbestand auszugehen, haben sich durch sie auch die Verteilungsgrundsätze geändert. Da der Arbeitgeber nur in einem Teil der Fälle die Tariflohnerhöhung voll weitergegeben hat, in einem anderen Teil aber Anrechnungen in unterschiedlicher Höhe vorgenommen hat, hat sich das Verhältnis der Zulagen zueinander notwendigerweise verschoben. Daß die Zahl der Anrechnungen gegenüber der Zahl der einheitlich um die Tariflohnerhöhung erhöhten Zulagen eher gering sein mag, ist unerheblich.

Es liegt auch keiner der Ausnahmetatbestände vor, in der nach der Entscheidung des Großen Senats ausnahmsweise trotz Änderung der Verteilungsgrundsätze mangels anderweitigen Regelungsspielraums oder wegen gleichmäßiger und voller Anrechnung ein Mitbestimmungstatbestand entfällt.

4. Kein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand ist allerdings anzunehmen, soweit die Anrechnung der Tariflohnerhöhung im Fall des Arbeitnehmers R auf dessen Wunsch aus steuerlichen Gründen erfolgte. Hier handelt es sich um einen Sachverhalt, der durch allein in der Person des Arbeitnehmers bestehende Umstände geprägt ist. Es fehlt an einem den kollektiven Bezug kennzeichnenden, über den Einzelfall hinausgehenden inneren Zusammenhang mit anderen Maßnahmen. Weder sind Leistungen untereinander abzuwägen noch erfolgt eine Einordnung unter ein abstraktes Kriterium, wie etwa das der Dauer der Betriebszugehörigkeit.

Entscheidend für die Maßnahme war allein der Wunsch des Arbeitnehmers, von der an sich beabsichtigten vollen Weitergabe der Tariflohnerhöhung wegen für ihn nachteiliger steuerlicher Auswirkungen abzusehen. Der Umstand allein, daß eine ähnliche steuerliche Situation auch in der Person eines anderen Arbeitnehmers auftreten kann, ändert an dieser Beurteilung nichts. Ursächlich für die Anrechnung war nicht die Anwendung eines übergeordneten Lohngrundsatzes, sondern allein der Wunsch des Arbeitnehmers.

Die mit der Anrechnung verbundene Verringerung der übertariflichen Zulage ist damit keine Maßnahme der betrieblichen Lohngestaltung, sondern eine ausschließlich einzelfallbezogene Maßnahme. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kommt hier auch unter Berücksichtigung der vom Großen Senat im Beschluß vom 3. Dezember 1991 aufgestellten Grundsätze nicht in Betracht.

5. Soweit der Antrag des Betriebsrats also die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts auch hinsichtlich der gegenüber dem Arbeitnehmer R erfolgten Anrechnung beinhaltet, ist er nicht begründet. Dies führt nicht zur Zurückweisung des gesamten Antrags. Es handelt sich nicht um einen sog. Globalantrag, der sich einschränkungslos auf alle denkbaren Fallgestaltungen erstreckt. Der Antrag ist vielmehr beschränkt auf die Anrechnungsfälle im Zusammenhang mit der Tariflohnerhöhung zum 1. April 1990. Welche diese sind, steht zwischen den Beteiligten fest. Der Arbeitgeber hatte selbst eine Liste vorgelegt, aus der sich ergibt, welchen Arbeitnehmern gegenüber aus welchen Gesichtspunkten eine Anrechnung erfolgt ist.

Bei dieser Sachlage ist bei fehlender Mitbestimmungspflichtigkeit eines der mehreren konkreten Fälle nicht der Antrag insgesamt abzuweisen, sondern nur insoweit, als das Mitbestimmungsrecht auch für einen nicht mitbestimmungspflichtigen Fall in Anspruch genommen wird. Mit der Stattgabe des Antrags im übrigen wird dem Betriebsrat kein aliud gegenüber dem gestellten Antrag zugesprochen, sondern nur ein Weniger. Dies ist aber im Rahmen des § 308 ZPO ohne weiteres zulässig.

Soweit der Betriebsrat also die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts hinsichtlich der gegenüber den Tarifangestellten vorgenommenen Anrechnungen begehrt, ist der Antrag unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses insoweit zurückzuweisen, als er die aus steuerlichen Gründen erfolgte Anrechnung gegenüber dem Arbeitnehmer R erfaßt. Im übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.

II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch bei der Erhöhung der Gehälter der AT-Angestellten bejaht.

1. Der Senat hat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer linearen Anhebung der Gehälter von AT-Angestellten bereits in seinem Beschluß vom 21. August 1990 bejaht. Hieran hält der Senat fest.

Die Rechtsverhältnisse der AT-Angestellten unterliegen grundsätzlich der Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 BetrVG. Damit hat der Betriebsrat auch gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen bei die AT-Angestellten betreffenden Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen. Zur Ausgestaltung des Entlohnungsgrundsatzes gehört die Aufstellung des Entgeltsystems mit allen seinen Einzelheiten sowie die Bildung und Umschreibung der Gehaltsgruppen nach Tätigkeitsmerkmalen oder anderen Kriterien.

Auch die isolierte Festsetzung der Wertunterschiede zwischen den einzelnen AT-Gruppen - z.B. nach abstrakten Kriterien, nach Prozentsätzen oder sonstigen Bezugsgrößen - ist keine Frage der Gehaltshöhe und unterliegt deshalb der Mitbestimmung des Betriebsrats. Es geht hier um die abstrakte Ausgestaltung des Entlohnungsgrundsatzes. Insofern gilt nichts anderes als für die Ausgestaltung eines Provisionssystems.

Dagegen besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festlegung des Wertunterschiedes von der letzten Tarifgruppe zur ersten AT-Gruppe, weil damit gleichzeitig die Gehaltshöhe festgelegt wäre, die dem Arbeitgeber allein vorbehalten bleiben soll.

Bei der Entscheidung, ob die AT-Gehälter linear oder unterschiedlich nach abstrakten Kriterien erhöht werden sollen, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, solange ein mitbestimmtes Gehaltsgruppensystem nicht besteht. Der Betriebsrat hat dann noch nicht durch Beteiligung an der Bildung der AT-Gruppen und der Festsetzung der Wertunterschiede zwischen diesen Gruppen an der Verteilungsgerechtigkeit mitgewirkt. Der Betriebsrat hat zwar nicht mitzubestimmen bei der Festlegung des Betrages der Erhöhung (hier 4,4 %), wohl aber bei seiner Verteilung. In welcher Weise das vom Arbeitgeber festgelegte Gesamtvolumen für die Gehaltserhöhung verteilt wird, berührt die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit, solange mitbestimmte AT-Gruppenregelungen nicht vorliegen. Bei der Entscheidung, ob die Gehälter linear oder nach abstrakten Kriterien unterschiedlich erhöht werden sollen, wird eine Vereinbarung darüber getroffen, ob das bisherige Verhältnis der Gehälter zueinander bestehen bleiben oder anläßlich der Gehaltserhöhung unter gleichberechtigter Mitwirkung des Betriebsrats geändert werden soll.

2. Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall das Mitbestimmungsrecht zu bejahen. Eine mitbestimmte Gehaltsgruppenregelung für AT-Angestellte liegt beim Arbeitgeber nicht vor. Schon deshalb wäre eine lineare Anhebung aller AT-Gehälter um 4,4 % nach den vorstehenden Grundsätzen mitbestimmungspflichtig.

Es kommt hinzu, daß der Arbeitgeber die Gehälter der AT-Angestellten nicht ausnahmslos um 4,4 % erhöht hat, sondern teilweise hiervon abgewichen ist. Nach der vom Arbeitgeber vorgelegten Aufstellung sind die Gehälter teilweise überhaupt nicht (Nr. 16), teilweise um geringere Beträge (Nr. 28 um 1,9 %, Nr. 26 um 4,3 %), teilweise um höhere Beträge (Nr. 6 und Nr. 27 um 6,3 %, Nr. 25 um 4,5 %) erhöht worden. Der Betriebsrat hat darüber hinaus drei weitere AT-Angestellte genannt, deren Gehälter überhaupt nicht bzw. nur um 3,4 % bzw. 3,5 % erhöht worden sind. Selbst wenn man also unter Berücksichtigung der Entscheidung des Großen Senats zur Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen, wonach ein Mitbestimmungsrecht eine Änderung der Verteilungsgrundsätze voraussetzt, bei linearer Erhöhung aller AT-Gehälter um den gleichen prozentualen Betrag wegen des unveränderten Verhältnisses der Gehälter zueinander ein Mitbestimmungsrecht verneinen wollte, änderte sich im Ergebnis hier nichts. Da die Gehälter eben nicht alle gleichmäßig, sondern teilweise unterschiedlich erhöht worden sind, ändert sich auch ihr bisheriges Verhältnis zueinander, es kommt also zu einer Änderung der "Verteilungsgrundsätze". Damit ist aber in jedem Fall ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand gegeben.