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In Deutschland herrscht Religionsfreiheit. Das ergibt sich aus dem Grundgesetz. Die dort verzeichneten Grundrechte sind zwar als Abwehrrechte gegenüber dem Staat konzipiert, mittelbar aber wirken die Grundrechte auch im Betrieb.
Alles also kein Problem, will man meinen. Allerdings, ganz so eindeutig ist die Rechtslage dann doch nicht. Das zeigen zwei neuere Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg.
Der eine Fall wird "Der Krankenschwesterfall" genannt.
Einer Krankenschwester nämlich ist es verboten worden, am Arbeitsplatz deutlich sichtbar über ihrer Arbeitsuniform ein Kreuz tragen zu dürfen. Der Arbeitgeber berief sich insoweit auf Sicherheitserwägungen. Das, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, sei in Ordnung. Denn Sicherheitserwägungen gehen der Religionsfreiheit vor. Der Arbeitgeber habe zudem die Interessen der betroffenen Klägerin angemessen berücksichtigt. Hier also blieb es im Ergebnis bei dem Verbot deutlich sichtbar ein Kreuz zu tragen.
Ganz anders im zweiten Fall, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unlängst zu erörtern hatte.
Man spricht insoweit von dem sogenannten "Flugbegleiterinfall". Einer Flugbegleiterin nämlich ist es ebenfalls verboten worden, deutlich sichtbar über ihrer Uniform ein Kreuz zu tragen. Sicherheitserwägungen lagen hier aber nicht vor. Jedenfalls wurden sie vom Arbeitgeber nicht angestellt. Der Arbeitgeber hatte ein ganz anderes Argument ins Feld geführt. Er wollte nämlich, dass alle Arbeitnehmerinnen einheitlich aussehen, ein einheitlicher Look, also eine Arbeitsuniform. Das aber sei nicht ausreichend, befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Denn trotz des deutlich sichtbaren Kreuzes über der Kleidung konnte man die Flugbegleiterin doch unstreitig ihrem Team zuordnen. Außerdem, und dieser Gesichtspunkt war noch wichtiger, hatte der Arbeitgeber ersichtlich keine Interessenabwägung vorgenommen. Er hatte also seinen eigenen Wunsch einfach über den Wunsch der Arbeitnehmerin gestellt, ohne deren Interessen mit in die Abwägung einzustellen. Das aber, so befand Straßburg, ist ein zu tiefer Eingriff in die Religionsfreiheit.
Übrigens:
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gelten auch in Deutschland. Viele wissen das nicht. Auch die innerdeutsche Rechtsprechung hat sich an diesen Urteilen fortan zu orientieren.
Was können Arbeitnehmer und Betriebsräte aus diesen zwei interessanten Erfahrungen lernen?
Die Religionsfreiheit besteht auch im Betrieb, mittelbar.
Übrigens:
Auch wenn die Beschäftigte statt eines Kreuzes ein Kopftuch hätte tragen wollen, wäre der sogenannte "Flugbegleiterinfall" wohl nicht anders entschieden worden.