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Mitbestimmung bei Kündigungen – Blackbox Anhörungsverfahren

In diesem Podcast geht es um Blackbox Anhörungsverfahren - der Betriebsrat und die Kündigung. In dieser Folge lernen Sie - Wann und wie hat eine Anhörung zu erfolgen? (ab 04:20 Min) - Welche Informationen muss mir der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren mitteilen? (ab 06:45 Min) - Was mache ich bei einer unzureichenden Anhörung? (ab 11:25 Min) - Soll ich jeder Kündigung widersprechen? Recht, Strategie und Ethik des Widerspruchs? (ab 14:05 Min) - Rechtsfolge eines Widerspruchs des Betriebsrats (ab 20:15 Min) - Widerspruchsgründe für verhaltens- und personenbedingte Kündigungen (ab 21:15 Min) - Wann bekommt man eine Abfindung und wie hoch ist diese? (ab 24:25 Min) - Darf der Arbeitgeber Kündigungsgründe nachschieben? (ab 26:00 Min) - Darf der Betriebsrat Widerspruchsgründe nachschieben? (ab 27:15 Min) - Das juristische Sorgenkind im Anhörungsverfahren: Die Schwerbehindertenkündigung (ab 30:00 Min) - Was ist beim Anhörungsverfahren generell zu beachten? (ab 33:15 Min) Kündigungen können für den Arbeitnehmer eine echte Katastrophe, eine echte Grenzsituation darstellen. Oftmals wird fälschlicherweise angenommen, dass alles, was der Arbeitnehmer im Klageverfahren erreichen will, eine hohe Abfindung ist. Vielen Arbeitnehmern ist es einfach wichtig ihre Sicht darzulegen vor einer unabhängigen Instanz im Arbeitsgericht. Die Abfindung steht dann nur im Raum, weil sich die Parteien dann doch trennen wollen nach der Begegnung im Gericht. Zusätzlich muss diese versteuert werden. In diesem Zusammenhang ist aber sehr wichtig zu erwähnen, dass der Betriebsrat vor jeder Kündigung angehört werden muss. Wirklich vor jeder Kündigung? Ja vor jeder Kündigung. Sowohl vor ordentlichen als auch außerordentlichen Kündigungen. Vor jeder Änderungskündigung, vor jeder Kündigung eines Low Performers und eben auch vor jeder Kündigung während der Wartezeit. Wie reagiert der Betriebsrat klugerweise? Während der Wartezeit hat der Betriebsrat nicht viele Möglichkeiten einen Widerspruch zu begründen, da der Arbeitgeber zahlreiche Gründe anführen kann. Was muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilen im Rahmen eines Anhörungsverfahrens zur Kündigung nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz? Die Anhörung muss vor jeder Kündigung, vor Ausspruch der Kündigung erfolgen. Bei einer ordentlichen Kündigung sind das 7 Kalendertage. Der 1. Tag, der sogenannte Ereignistag wird dabei nicht eingerechnet. Und bei einer außerordentlichen Kündigung sind es sogar nur 3 ganze Tage. Innerhalb dieser Frist muss die Betriebsratssitzung stattfinden, sonst bedeutet das ein Schweigen des Betriebsrates und faktische eine Zustimmung zur Kündigung. Zu welcher Uhrzeit endet die Frist? Im Zivilreicht ist das das Ende des Tages, also eine Sekunde vor Mitternacht. Aber im Arbeitsleben erscheint dies nicht plausibel. Daher wird manchmal der Dienstschluss als Tagesende argumentiert. Dieses Thema ist ungeklärt. Generell ist den Betriebsräten jedoch zu empfehlen den Widerspruch noch während der üblichen Arbeitszeiten dem Arbeitgeber zu übergeben. Zurück zur Anhörung: Was muss der Arbeitgeber mitteilen? Wie muss er es mitteilen? Der Arbeitgeber sollte schriftlich mitteilen, vom Gesetz her wäre es theoretisch auch mündlich möglich, wer gekündigt werden soll. Weiter muss geklärt werden, warum die Kündigung ausgesprochen wird. Was ist also die Kündigungsart? Ist es verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt? Zusätzlich muss noch die Kündigungsfrist mitgeteilt werden. Zusammengefasst: 1\. Personalien 2\. Kündigungsart 3\. Kündigungsfrist Es herrscht der Grundsatz der subjektiven Determination. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren seine subjektive Geschichte und Meinung zum Kündigungsgrund darlegen muss. Was geschieht, wenn der Arbeitgeber einen Teil der Geschichte vergisst, also nicht vorsätzlich zurückhält? Die Kündigung ist unwirksam wenn die Anhörung des Betriebsrates nicht vollständig ist. Natürlich wird die Anhörung nicht gleich unwirksam wenn ein unwichtiges Detail nicht erwähnt wird, allerdings müssen immer genug Informationen verbleiben, dass der Betriebsrat sich ein vollständiges Bild machen kann vom gesamten Kündigungsvorwurf. Natürlich kann der Arbeitnehmer somit auch Dinge wie z.B. eine Entschuldigung erfinden. Klarerweise befand sich dieses Detail dann nicht in der Anhörung des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer muss die Entschuldigung zwar nachweisen, das könnte aber gelingen. Somit ist die Position des Arbeitgebers vor dem Arbeitsgericht oft nicht leicht. Wie verhält es sich wenn der Betriebsrat selbst von der Schuld des Arbeitnehmers überzeugt ist? Nehmen wir an es handelt sich um einen Diebstahl und auch der Betriebsrat ist von der Schuld des Arbeitnehmers überzeugt. Kann dann trotzdem ein Widerspruch gegen die Kündigung eingereicht werden? Es erfolgt ganz normal eine Anhörung des Betriebsrates, der in seiner Entscheidung frei ist und somit auch der Kündigung widersprechen kann. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, die es dem Betriebsrat verbietet, einen Widerspruch einzulegen in einem solchen Fall. Das ist einer eine Frage der Ethik. Generell empfiehlt es sich als Betriebsrat immer wachsam zu sein und alle Möglichkeiten zu berücksichtigen. Ein Widerspruch ist dennoch immer noch die favorisierte Entscheidung, denn man muss bedenken, dass vielleicht nicht alle Beweise dargebracht wurden. Der Widerspruch stellt ja keine finale Entscheidung über Recht und Unrecht dar, sondern gibt dem Arbeitnehmer lediglich die Möglichkeit des Weiterbeschäftigungsanspruches. Die obigen Beispiele beziehen sich vorwiegend auf verhaltensbezogene Kündigungen. Was passiert aber bei betriebsbedingten Kündigungen? Wenn der Betriebsrat sieht, dass einfach keine Position für den gekündigten Arbeitnehmer mehr vorhanden ist? Den Beschäftigungsanspruch gibt es nur, wenn es einen triftigen Widerspruchsgrund gibt. Der kann in § 102 Absatz 3 gefunden werden. Falls keiner der Gründe zutrifft, kann der Betriebsrat dennoch Bedenken äußern. Das signalisiert dem Arbeitnehmer zumindest, dass der Betriebsrat an seiner Seite steht. Nach Möglichkeit sollte der Betriebsrat dem Arbeitnehmer, der um seinen Arbeitsplatz kämpft, keine Steine in den Weg legen. Wozu führt nun der Widerspruch des Betriebsrates? Es führt nur dazu, dass ein Prozess Arbeitsrechtsverhältnis begründet wird und der Arbeitnehmer also auch weiterhin seinen Lohn erhält. Insbesondere bei solchen Verfahren, die sich über Jahre hinziehen können, ist das eine Menge wert. Daher ist es auf keinen Fall egal, wie sich der Betriebsrat entscheidet. Bei einer betriebsbedingten Kündigung sind die Widerspruchsgründe eindeutig, ganz anders allerdings bei einer verhaltens- oder personenbedingten Kündigung. Der § 102 Absatz 3 ist gemünzt auf betriebsbedingte Kündigungen und hält daher für die anderen Kündigungsarten keine Widerspruchsgründe bereit. Der Betriebsrat muss diese also selbst erstellen. Krankheitsbedingte Kündigung – Widerspruchsgrund: kein ordnungsgemäßes BEM Gespräch Nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit von mehr als 6 Wochen, muss der Arbeitgeber ein solches Gespräch mit dem betroffenen Arbeitnehmer führen (§ 84 Absatz 2 SGB 9). Falls dieses nicht erfolgt ist, sollte das definitiv im Widerspruch festgehalten werden. Wie gehen die Richter in Kündigungsschutzprozessen mit dem Widerspruch des Betriebsrates um? Der Widerspruch des Betriebsrates wird normalerweise sehr ernst genommen, da viele Informationen daraus gewonnen werden können. Daher wird auch geraten, alles in den Widerspruch zu schreiben, denn in einem solchen Verfahren könnte es von Wichtigkeit sein. Nun sollen noch einige weitere Fragen zum Thema geklärt werden: 1\. Wie bekomme ich meine Abfindung? Ich bin ja gekündigt worden und bekanntlich gibt‘s dann immer eine Abfindung. Das ist ein Irrglaube! Von Gesetzes wegen gibt es keine Abfindung, wenn man gekündigt wird. Außer man hat einen sehr tollen Vertrag ausgehandelt, wo das anders festgelegt ist. Es gibt jedoch noch einen zusätzlichen Fall bei dem eine Abfindung gezahlt werden muss und nämlich im Kündigungsschutzgesetz. Dieser Fall beschreibt, dass der Arbeitgeber die Zahlung einer Abfindung anbietet, wenn der Arbeitnehmer die Frist zur Kündigungsschutzklage verstreichen lässt. Klarerweise ist der Arbeitgeber dann auch zur Zahlung verpflichtet. 2\. Die Abfindung ist immer mindestens ein Monatsgehalt, ein Brutto-Monatsgehalt. Das ist natürlich auch Verhandlungssache. Das Kündigungsschutzgesetz schlägt hier die 0,5 Brutto Monatsgehälter vor. 3\. Darf der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung noch Kündigungsgründe nachschieben? Ja das darf er grundsätzlich. Er darf Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess nachreichen. Aber Vorsicht! Der Betriebsrat muss dann zu diesem Kündigungsgrund neu angehört werden. Und dieses Nachschieben geht auch nur dann, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt von diesem Kündigungsgrund noch gar nichts wusste. 4\. Kann die Kündigungsschutzklage eingereicht werden und erst später begründet werden? Ja das ist möglich. Wenn es beim Gütetermin zu keiner Einigung kommt, folgt der Kammertermin. Und bis zur letzten Sekunde des Kammertermins können im Regelfall noch Dinge vorgetragen werden, die die Kündigungsschutzklage begründen. 5\. Schwerbehinderte und gleichgestellt behinderte Menschen. Auch diese Gruppe muss innerhalb von 3 Wochen eine Kündigungsschutzklage einreichen, weil die Schwerbehindertenkündigung eine ganz normale Kündigung ist. Zugleich ist in einem solchen Fall aber das Verwaltungsgericht einzuschalten. Warum? Das Integrationsamt, das darüber entscheidet, ob eine Schwerbehinderten Kündigung ausgesprochen werden darf oder nicht, ist eine Behörde und eine Behördenentscheidung kann vor dem Verwaltungsgericht eingeklagt werden. Daher wird gekündigten Schwerbehinderten geraten zusätzlich zur Kündigungsschutzklage eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage einzureichen, um die Zustimmung zur Kündigung des Integrationsamtes anzugreifen. Die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage kann im Regelfall öfter gewonnen werden als die Kündigungsschutzklage. Das Integrationsamt gibt dem Kündigungswunsch des Arbeitgebers nämlich häufig statt, ohne den Sachverhalt genau zu prüfen. 6\. Darf der Betriebsrat mit dem gekündigten Arbeitnehmer sprechen? Ja. Zusatz: Da die Anhörung vor dem Aussprechen der Kündigung erfolgt, weiß der Arbeitnehmer oft noch nichts davon. Also teilt bei einem Gespräch mit dem Arbeitnehmer der Betriebsrat diesem eigentlich die bevorstehende Kündigung mit. Dies ist eine sehr ungünstige Situation. Lösung: Den Arbeitgeber bitten, den Arbeitnehmer über die bevorstehende Kündigung zu informieren. Dann den Arbeitnehmer zu einem Gespräch einladen. Darf dieser auch zuhause kontaktiert werden z.B. bei Krankheit? Ja. 7\. Darf der Betriebsrat den betroffenen Arbeitnehmer zum Anwalt schicken? Ja. 8\. Darf der Betriebsrat einen Anwalt vorschlagen? Ja. 9\. Woher weiß der Arbeitnehmer, dass der Betriebsrat seiner Kündigung widersprochen hat? Der Arbeitgeber muss es ihm mitteilen. Der Betriebsrat sollte allerdings immer das Gespräch mit dem Arbeitnehmer suchen und diesen auch auf die Möglichkeit einer Klage hinweisen. 10\. Was ist wenn sich der Arbeitnehmer keinen Anwalt leisten kann? Dafür gibt es Prozesskosten-Hilfemöglichkeiten. Im Arbeitsrecht in erster Instanz zahlt jeder seine Kosten selbst. Insofern ist das nicht unwesentlich. 11\. Wozu braucht man dann eine Rechtsschutzversicherung? Wenn in der zweiten Instanz das Verfahren verloren wird, müssen auch die Kosten der Gegenseite getragen werden. Dafür braucht man die Versicherung. 12\. Wird man als Arbeitnehmeranwalt reich? Nein. Wer Arbeitnehmeranwalt ist und gerade auch im Kollektivarbeitsrecht sich für Betriebsräte engagiert, der macht das aus Überzeugung.

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