Mitbestimmung - Anrechnung übertarifliche Zulage

BAG GS 1/90 vom 3. Dez. 1991

Leitsatz

1. Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG steht einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Festlegung von Kriterien für über-/außertarifliche Zulagen nicht entgegen. Dieses Mitbestimmungsrecht kann sowohl durch formlose Regelungsabrede als auch durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung ausgeübt werden.

2. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG wird durch den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur dann ausgeschlossen, wenn eine inhaltliche und abschließende tarifliche Regelung über den Mitbestimmungsgegenstand besteht. Das ist nicht der Fall, wenn das Mindestentgelt im Tarifvertrag geregelt ist, der Arbeitgeber aber darüber hinaus eine betriebliche über-/außertarifliche Zulage gewährt.

3. Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/außertarifliche Zulagen und der Widerruf von über-/außertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung unterliegen dann nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht.

4. Anrechnung bzw. Widerruf sind mitbestimmungsfrei, wenn dadurch das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt wird oder die Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig auf die über-/ außertariflichen Zulagen angerechnet wird.

5a. Bei mitbestimmungspflichtigen Anrechnungen kann der Arbeitgeber bis zur Einigung mit dem Betriebsrat das Zulagenvolumen und - unter Beibehaltung der bisherigen Verteilungsgrundsätze - auch entsprechend die einzelnen Zulagen kürzen.

b. Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht, sind Anrechnungen bzw Widerruf gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern rechtsunwirksam.

Gründe

A. Im Ausgangsverfahren streiten Kläger und Beklagte darüber, ob den Klägern die übertarifliche Zulage in bisheriger Höhe weiterzuzahlen ist. Die Kläger sind bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse finden kraft Tarifbindung die Tarifverträge für die Metallindustrie in Hamburg und Umgebung Anwendung. Ab dem 1. April 1985 wurden die Tariflöhne um 5,9 % erhöht. Bei den gewerblichen Arbeitnehmern setzte sich diese Erhöhung aus einer normalen, sogenannten "warmen" Ecklohnerhöhung von 2 % und einem Lohnausgleich von 3,9 % für die am 1. April 1985 in Kraft getretene Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38,5 Stunden pro Woche zusammen.

Die Beklagte zahlte an alle sechs Angestellten und alle 22 Arbeiter zusätzlich zum Tarifentgelt eine gesondert ausgewiesene übertarifliche Zulage. Die Zulage betrug für die Kläger zwischen 3,63 DM und 1,76 DM pro Stunde. Mit den Zulagen sollte weder eine besondere Leistung noch Belastung abgegolten werden. Zwischen den Parteien besteht auch keine ausdrückliche Vereinbarung, daß die Zulage jeweils beständig neben dem Tariflohn gezahlt werden soll. Ob ein ausdrücklicher Anrechnungsvorbehalt vereinbart worden ist, steht nicht fest. Mit der Zulage verrechnete die Beklagte ab 1. April 1985 die Tariflohnerhöhung von insgesamt 5,9 %. Sie sprach mit dem Betriebsrat über die Anrechnung. Dieser stimmte für die Angestellten der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage zu, nicht aber einer Anrechnung für die Arbeiter. Die Beklagte hat die Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen der Arbeiter gleichwohl angerechnet.

Die Kläger halten die Anrechnung u.a. deshalb für unzulässig, weil der Betriebsrat der Anrechnung der freiwilligen übertariflichen Zulage nicht zugestimmt habe. Die Anrechnung der übertariflichen Zulage auf die Tariflohnerhöhung sei daher unwirksam. Die Kläger haben im vorliegenden Verfahren beantragt, die Beklagte zur Zahlung derjenigen Beträge zu verurteilen, die bei Nichtanrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen in der Zeit vom 1. April 1985 bis zum 31. März 1986 zusätzlich zu zahlen gewesen wären.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter. Der Erste Senat möchte den Klageanträgen entsprechen, wenn - was noch festzustellen ist - der Betriebsrat sich nicht lediglich gegen die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage, sondern zumindest auch gegen die Neuverteilung des durch die Anrechnung verringerten Zulagenvolumens gewandt hat, sieht sich daran aber durch die Rechtsprechung des Vierten und Fünften Senats gehindert. Er hat deshalb am 13. Februar 1990 beschlossen:

Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts wird gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG zur Beantwortung der folgenden Fragen angerufen:

1. Unterliegt die Ausübung eines dem Arbeitgeber vorbehaltenen Widerrufs von übertariflichen Zulagen und/oder der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen der Mitbestimmung des Betriebsrats?

2. Für den Fall der Bejahung dieser Frage:

a) Ist der Arbeitgeber verpflichtet, bis zu einer Einigung mit dem Betriebsrat über die Neuverteilung des gekürzten Zulagenvolumens die Zulagen in der ursprünglichen Höhe fortzuzahlen?

b) Kann der Arbeitgeber die Zulage in der bisherigen Höhe unter dem Vorbehalt einer Verrechnung entsprechend der späteren Einigung mit dem Betriebsrat zahlen?

c) Kann der Arbeitgeber die einzelnen Zulagen vor der Einigung mit dem Betriebsrat im gleichen Verhältnis kürzen wie das Zulagenvolumen insgesamt unter dem Vorbehalt einer Verrechnung entsprechend der Einigung mit dem Betriebsrat?

B. Die Vorlage der Fragen 1) und 2) ist zulässig. I.1.Die Frage 1) ist nach der vom Ersten Senat hierzu gegebenen Begründung einschränkend auszulegen. Der Erste Senat will die Frage beantwortet haben, ob bei der Ausübung eines dem Arbeitgeber vorbehaltenen Widerrufs von über-/außertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung und/oder bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/außertarifliche Zulagen die Neuverteilung des verringerten Zulagenvolumens der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt und deshalb ohne Zustimmung des Betriebsrats unwirksam ist.

Der Erste Senat hat die Frage 1) etwas verkürzt formuliert: Nach ständiger Rechtsprechung des Ersten Senats bezieht sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht auf die Höhe des finanziellen Aufwandes für freiwillige übertarifliche Zulagen, auf den sogenannten Dotierungsrahmen oder das "Zulagenvolumen". Dementsprechend hat der Erste Senat auch entschieden, der Betriebsrat habe nicht bei der Kürzung der Mittel für übertarifliche Zulagen mitzubestimmen, sondern nur bei der Neuverteilung des gekürzten Zulagenvolumens. Daran hat er auch in dem Vorlagebeschluß für die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen festgehalten, in dem er ausdrücklich auf diese beiden Entscheidungen verwiesen hat.

2. Mit diesem Inhalt ist die Vorlage bezüglich der Frage 1) zulässig. Der Erste Senat hat die Vorlage hinsichtlich der Frage 1) auf § 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG gestützt, wonach ein Senat, der von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, eine Entscheidung des Großen Senats über die streitige Rechtsfrage herbeizuführen hat. Die Vorlagepflicht setzt voraus, daß ein anderer Senat in einer zeitlich vorausgegangenen Entscheidung einen Rechtssatz aufgestellt hat, der für diese Entscheidung tragend gewesen ist und daß der vorlegende Senat von dieser Rechtsauffassung abweichen will, sowie daß die von ihm zu treffende Entscheidung auf der abweichenden Rechtsansicht beruht.

a) Die Frage 1) enthält zwei Fallgestaltungen: Unter der Ausübung eines dem Arbeitgeber vorbehaltenen Widerrufs ist die Ausübung eines unbedingten Gestaltungsrechts zu verstehen, unter der vorbehaltenen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage die eines durch die Tariflohnerhöhung bedingten Gestaltungsrechts. Nur zur Frage der Anrechnung von übertariflichen Zulagen auf eine Tariflohnerhöhung sind bisher auch Entscheidungen des Vierten und Fünften Senats ergangen, die der Erste Senat zum Gegenstand seiner Anfrage gemacht hat.

b) Mit seiner Auffassung, auch bei einer vollständigen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf alle übertariflichen Zulagen unterliege die Neuverteilung, d.h. die Verteilung des infolge Anrechnung verringerten Volumens, dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, weicht der Erste Senat zumindest von der Rechtsprechung des Fünften Senats ab.

aa) Der Fünfte Senat hat in den Entscheidungen vom 16. April 1986 ein Mitbestimmungsrecht bei der vollständigen Anrechnung einer Tariflohn erhöhung auf übertarifliche Zulagen verneint und dies damit begründet, das Mitbestimmungsrecht könne nur durch eine gestaltende Erklärung des Arbeitgebers ausgelöst werden; bei der vollständigen Anrechnung handele es sich aber nicht um die Ausübung eines dem Arbeitgeber vorbehaltenen Gestaltungsrechts, sondern um die Feststellung einer Tarifautomatik, soweit die Zulagen nicht ausnahmsweise als neben dem Tariflohn beständig vereinbart seien.

Die vorgenannten Entscheidungen des Fünften Senats sind zwar nicht zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, sondern zu § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG ergangen. Dennoch besteht eine durch den Großen Senat klärungsbedürftige Divergenz. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in seinen Beschlüssen vom 6. Februar 1973 entschieden, eine Anrufung wegen Divergenz sei möglich und zulässig, wenn die divergierenden Rechtssätze zu verschiedenen Gesetzen aufgestellt sind, sofern diese nur in ihrem Wortlaut im wesentlichen und ihrem Regelungsgehalt gänzlich übereinstimmen. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG stimmen in ihrem Wortlaut, soweit es um die Mitbestimmung bei der Lohngestaltung geht, im wesentlichen überein. Nach dem Wortlaut besteht nur eine Abweichung: Statt für den Betrieb gilt die Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG für die Dienststelle, die nach dem Aufbau des BPersVG dem Betrieb entspricht. Da schon der Wortlaut beider Vorschriften insoweit übereinstimmt, als er ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der Lohngestaltung innerhalb der Dienststelle bzw. bei der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und An wendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung gewährt, stimmt auch der Regelungsgehalt überein. Es mag sein, daß dieses Mitbestimmungsrecht innerhalb des öffentlichen Dienstes geringere praktische Bedeutung als im Bereich des BetrVG hat, deshalb haben die Vorschriften aber keinen unterschiedlichen Regelungsinhalt. Auch der Vierte Senat hat sich für seine Auffassung, es bestehe bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, auf diese Rechtsprechung des Fünften Senats zu § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG berufen.

Die Entscheidungen des Fünften Senats sind auch noch divergenzfähig, da der Fünfte Senat am 26. Juli 1989 auf Anfrage des Ersten Senats beschlossen hat, ohne Einschränkung an seiner Ansicht festzuhalten, daß die Anrechnung "jederzeit widerruflich und anrechenbar" gewährter übertariflicher Zulagen auf eine Tariflohnerhöhung nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.

bb) Die Rechtsauffassung, daß die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, war für die Entscheidungen des Fünften Senats tragend. Der Fünfte Senat hatte jeweils über Lohnklagen zu entscheiden, denen nach Auffassung des Senats hätte stattgegeben werden müssen, wenn die vollständige Anrechnung mitbestimmungspflichtig gewesen wäre. Nur aus diesem Grunde hat der Fünfte Senat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Anrechnung "jederzeit widerruflich und anrechenbar" gewährter übertariflicher Zulagen auf eine Tariflohnerhöhung mitbestimmungspflichtig sei.

c) Auch für den Ersten Senat ist dessen abweichende Rechtsauffassung tragend, der Betriebsrat habe bei der Neuverteilung des infolge der Anrechnung verringerten Zulagenvolumens nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen, weil den Klageanträgen nur stattgegeben werden kann, wenn die Auffassung des Ersten Senats zugrunde gelegt wird.

d) Da die Rechtsauffassung des Ersten Senats jedenfalls von der Rechtsprechung des Fünften Senats abweicht, konnte der Große Senat dahingestellt sein lassen, ob auch eine Divergenz zur Rechtsprechung des Vierten Senats besteht. Hierfür spricht, daß der Vierte Senat in mehreren Entscheidungen auf die Urteile des Fünften Senats vom 16. April 1986 Bezug genommen und sich damit den Rechtssatz voll zu eigen gemacht hat, ein Mitbestimmungsrecht werde bei der Anrechnung nicht ausgelöst, weil diese nur die Feststellung einer Tarifautomatik sei.

II. Auch die Vorlage der Fragen 2 a bis c) ist zulässig, weil bei einer Bejahung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats sich unabweisbar die Frage stellt, ob der Arbeitgeber vor Abschluß des Mitbestimmungsverfahrens die mitbestimmungsfreie Kürzung des Zulagenvolumens wirksam durch Kürzung der einzelnen Zulagen umsetzen kann oder die Zulagen in bisheriger Höhe unverändert, gegebenenfalls unter Vorbehalt, fortzahlen muß.

1. Unterliegt die Neuverteilung des infolge der Anrechnung verringerten Zulagenvolumens der Mitbestimmung des Betriebsrats, so stellt sich im Anschluß daran die Frage, wie sich der Arbeitgeber verhalten muß, um dieses Mitbestimmungsrecht nicht zu verletzen. Es ist denkbar, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, bis zur Einigung mit dem Betriebsrat über die Neuverteilung des gekürzten Zulagenvolumens die Zulagen in der ursprünglichen Höhe fortzuzahlen. Das Mitbestimmungsrecht könnte aber auch schon gewahrt sein, wenn der Arbeitgeber die übertarifliche Zulage nach Anrechnung in bisheriger Höhe mit dem Vorbehalt einer anderen Einigung mit dem Betriebsrat weiterzahlt, so daß der betroffene Arbeitnehmer weiß, daß die endgültige Höhe seiner übertariflichen Zulage von der Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abhängt und infolgedessen einem Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers keine Berufung auf einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz entgegensteht. Eine weitere Möglichkeit ist, daß der Arbeitgeber dem Mitbestimmungsrecht schon dann genügt, wenn er bereits vor der Einigung mit dem Betriebsrat die Zulagen im gleichen Verhältnis kürzt wie das Zulagenvolumen insgesamt, allerdings unter dem Vorbehalt einer späteren Änderung entsprechend der erforderlichen Einigung mit dem Betriebsrat.

2. Der Erste Senat hat die Fragen zu 2 a bis c) nach § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt. Danach kann der erkennende Senat, wenn nach seiner Auffassung die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung es erfordern, in einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung die Entscheidung des Großen Senats herbeiführen.

Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Großen Senats sind gegeben. Die vorgelegten Rechtsfragen haben grundsätzliche Bedeutung. Eine Rechtsfrage hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn das Bedürfnis besteht, sie über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl gleich oder ähnlich liegender Fälle richtungsweisend zu lösen oder wenn eine umstrittene Frage von wesentlichem Gewicht für die Rechtsordnung und das Rechtsleben ist.

a) Der Erste Senat bejaht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Neuverteilung des infolge der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen bzw. der Ausübung eines vorbehaltenen Widerrufs anläßlich einer Tariflohnerhöhung verringerten Zulagenvolumens nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da es sich bei der Neuverteilung um eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit handele und für den Arbeitgeber auch ein Entscheidungsspielraum bestehe. Andererseits geht der Erste Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Betriebsrat nicht über die Lohnhöhe und daher auch nicht hinsichtlich der Kürzung des Zulagenvolumens - sei es infolge eines vorbehaltenen Widerrufs, sei es infolge einer Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen - mitzubestimmen hat. Daraus ergibt sich die Frage, ob dem Arbeitgeber erlaubt ist, zuerst die Tariflohnerhöhung gleichmäßig anzurechnen und erst anschließend mit dem Betriebsrat über die neue Verteilungsordnung zu verhandeln oder ob er erst anrechnen darf, wenn er sich mit dem Betriebsrat auf neue Verteilungsgrundsätze geeinigt hat.

b) Der Dritte Senat hat im Urteil vom 3. August 1982 entschieden, der Betriebsrat habe mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber eine freiwillig gewährte "jederzeit widerrufliche" Leistung gegenüber sämtlichen Zulagenempfängern widerrufe, um sie künftig nach anderen Grundsätzen gewähren zu können. Hier sei der Widerruf nur der unselbständige Teil einer allgemeinen Regelung der Lohngestaltung. Der Betriebsrat könne nicht darauf beschränkt werden, nur beim zweiten Abschnitt der Neuregelung mitzubestimmen. Er müsse schon beim Widerruf der bisherigen Zulagen seine Vorstellungen über den Abbau des alten und die Einführung des neuen Systems im Interesse der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit zur Geltung bringen können. In einer weiteren Entscheidung vom 26. April 1988 hat der Dritte Senat für die im wesentlichen gleiche Problematik in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG entschieden, der Arbeitgeber könne mitbestimmungsfrei die Mittel für die Sozialeinrichtung einschränken. Nach der Kürzung der Mittel müsse das restliche Volumen nach einem neuen Leistungsplan verteilt werden. Bei der Aufstellung des neuen Leistungsplans habe der Betriebsrat mitzubestimmen. Dieses Mitbestimmungsrecht entfalle auch nicht deshalb, weil es sich um freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistungen handele. Der Widerruf sei individualrechtlich unwirksam, wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Aufstellung des Leistungsplans verletzt habe. Der Widerruf sämtlicher Zulagen in voller Höhe ist danach den Arbeitnehmern gegenüber nur dann wirksam, wenn der Arbeitgeber die Gewährung der Zulagen auf Dauer einstellen will, sonst nur und erst zu dem Zeitpunkt, zu dem sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Neuverteilung des restlichen Zulagenvolumens geeinigt haben, bzw. ein Spruch der Einigungsstelle diese Einigung ersetzt hat. Diese Rechtsprechung des Dritten Senats berücksichtigt die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und entspricht der herrschenden Meinung in der Literatur, wonach die Mitbestimmung Wirksamkeitsvoraussetzung für Rechtsgeschäfte zum Nachteil des Arbeitnehmers und deren Umsetzung in das einzelne Arbeitsverhältnis ist.

Auf der anderen Seite kann möglicherweise aufgrund dieser Rechtsprechung der Arbeitgeber gegen seinen Willen gezwungen sein, über den Zeitpunkt der Kürzung hinaus übertarifliche Zulagen in bisherigem Umfang zu zahlen, bis eine Einigung mit dem Betriebsrat über die Neuverteilung des Zulagenvolumens vorliegt, obwohl die Festlegung des Zulagenvolumens mitbestimmungsfrei ist.

c) Die Rechtsfrage, wie die Unwirksamkeitstheorie des BAG in Einklang gebracht werden kann mit dem begrenzten Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen bzw. bei der Ausübung des vorbehaltenen Widerrufs der Zulage für den Fall einer Tariflohnerhöhung ist von wesentlichem Gewicht für die Rechtsordnung und das Rechtsleben, da von der Lösung dieses Problems abhängt, ob der Betriebsrat möglicherweise trotz eines auf die Verteilungsentscheidung begrenzten Mitbestimmungsrechts erzwingen kann, daß der Arbeitgeber über den Widerruf bzw. die Anrechnung hinaus die Zulagen in bisheriger Höhe weiterzahlen muß.

d) Nicht zu prüfen hatte der Große Senat, ob die Entscheidung der vorgelegten Fragen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist hierfür allein die Auffassung des vorlegenden Senats maßgebend.

EEbensowenig unterliegt es der Prüfung des Großen Senats, ob die vorgelegten Fragen für die Entscheidung des vorlegenden Senats tragend sind. Der vorlegende Erste Senat als der zur Entscheidung des Rechtsstreits berufene gesetzliche Richter hat in dem Vorlagebeschluß dargelegt, daß er die vorgelegten Fragen für die Entscheidung der beiden bei ihm anhängigen Verfahren für erheblich hält. Daran ist der Große Senat gebunden. Der Große Senat hat nur darauf zu achten, daß seine Entscheidung nicht auf die Erstattung eines Gutachtens hinausläuft. Das ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall.

C. Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/außertarifliche Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Ein Regelungsspielraum entfällt, wenn durch Anrechnung bzw. Widerruf das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt wird oder die Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig auf die über-/außertariflichen Zulagen angerechnet wird. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sich die Anrechnung bzw. den Widerruf vorbehalten hat oder die Anrechnung aufgrund der Feststellung einer Automatik erfolgt.

I. 77 Abs. 3 BetrVG, wonach Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, steht dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen.

1. Im Beschluß vom 24. Februar 1987 hat der Erste Senat entschieden, § 77 Abs. 3 BetrVG erfasse nicht Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten, in denen der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat. Der Erste Senat hat dies mit dem jeweiligen Normzweck, der Systematik des Gesetzes und der Bedeutung der Betriebsvereinbarung für die Mitbestimmung begründet.

Normzweck von § 77 Abs. 3 BetrVG ist die Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie. Das entspricht allgemeiner Ansicht. § 77 Abs. 3 BetrVG gilt aber nicht ausnahmslos. So ist § 77 Abs. 3 BetrVG in § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG für den Sozialplan ausgeschlossen. Auch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG enthält nach Auffassung des Ersten Senats eine Ausnahme von der Regelung des § 77 Abs. 3 BetrVG. Nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht in den nachfolgend genannten Angelegenheiten dann nicht, wenn bereits eine tarifliche oder gesetzliche Regelung besteht. Sinn des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist es nach Auffassung des Ersten Senats, Direktionsrechte des Arbeitgebers zu beschränken, einzelvertragliche Vereinbarungen wegen der dabei gestörten Vertragsparität zurückzudrängen und allgemeine Grundsätze über die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit aufzustellen. In späteren Entscheidungen hat der Erste Senat besonderes Gewicht auf den ersten Aspekt gelegt, wonach im Bereich von § 87 Abs. 1 BetrVG das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers durch eine gleichberechtigte Teilhabe des Betriebsrats an der Entscheidung ersetzt werden soll. Für einen derartigen Schutz durch Mitbestimmung besteht kein Bedürfnis mehr, wenn der Mitbestimmungsgegenstand inhaltlich und abschließend durch Gesetz oder Tarifvertrag geregelt worden ist. Dann ist den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer bereits Rechnung getragen. Hieraus erklärt sich nach Auffassung des Ersten Senats die Regelung von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG. Dagegen entfaltet eine tarifliche Regelung, die nur üblich ist, für den Betrieb jedoch keine Bindungen erzeugt, gerade nicht den erforderlichen Schutz. Wären die Mitbestimmungsrechte schon ausgeschlossen, wenn die Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt würden, würden die Mitbestimmungsrechte des § 87 BetrVG weitgehend leerlaufen. Mitbestimmungsrecht und Regelungsmöglichkeit durch Betriebsvereinbarung sind aber nach Auffassung des Ersten Senats nicht zu trennen: Die Betriebsvereinbarung sei das vom Gesetzgeber bereitgestellte geeignete Instrument, eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit zu regeln, da sie im Gegensatz zur formlosen Regelungsabrede unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirke.

2. Die Vertreter dieser Vorrangtheorie sind der Auffassung, daß Systematik und Gesetzgebungsgeschichte nicht zwingend dafür sprechen, die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG auf § 87 auszudehnen. Gast meint, die dem entgegenstehende "Zweischrankentheorie" würde dem Mitbestimmungsrecht in materiellen Angelegenheiten den Boden entziehen, es bliebe nur ein "Law in the books". Von Hoyningen-Huene und Meier-Krenz teilen die Auffassung der Vertreter der Zweischrankentheorie, daß § 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zum Teil unterschiedliche Regelungsgegenstände haben. Gerade daraus ziehen sie aber den Schluß, daß § 77 Abs. 3 auf § 87 BetrVG nicht anzuwenden sei, weil sonst der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG kaum noch eine eigenständige Bedeutung hätte. Zweck des Tarifvorrangs sei es, das Mitbestimmungsrecht dann entfallen zu lassen, wenn die Arbeitnehmerinteressen durch im Betrieb anwendbare tarifliche Regelungen ausreichend berücksichtigt seien. Dieser Zweck sei aber gerade vereitelt, wenn bei bloßer Tarifüblichkeit oder fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers Betriebsvereinbarungen nicht abgeschlossen werden könnten. Nur Betriebsvereinbarungen mit ihrer unabdingbaren Wirkung seien geeignet, den mit § 87 Abs. 1 BetrVG beabsichtigten Schutz der Arbeitnehmer herzustellen.

3.a) Der Rechtsprechung des Ersten Senats und den Vertretern der Vorrangtheorie wird zum Teil entgegengehalten, aus Normzweck und systematischem Zusammenhang von § 77 Abs. 3 BetrVG ergebe sich, daß auch im Bereich von § 87 Abs. 1 BetrVG das Mitbestimmungsrecht bereits entfalle, wenn üblicherweise materielle Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt werden.

Löwisch und Richardi gehen davon aus, daß die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nur materielle Arbeitsbedingungen erfaßt, so daß die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats insoweit unberührt bleiben, als sie Arbeitsbedingungen betreffen, die diese Autoren als formelle einstufen. Welche Rechtsunsicherheit die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Arbeitsbedingungen mit sich bringt, zeigen die weiteren Ausführungen gerade dieser beiden Autoren: Löwisch (AR-Blattei, Betriebsverfassung XIV B, Anmerkung zu Entsch. 91) hält die Auffassung des Ersten Senats im Beschluß vom 17. Dezember 1985, wonach der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber zum tariflich geregelten Entgelt allgemein eine Zulage gewährt, deren Höhe von ihm aufgrund einer individuellen Entscheidung festgelegt wird, im Ergebnis für zutreffend, weil es sich bei dem Mitbestimmungs tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur um eine formelle Arbeitsbedingung handele. Dagegen hielt Richardi ursprünglich auch die Mitbestimmung durch formlose Regelungsabrede bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung gerade für ausgeschlossen, weil es hierbei um materielle Arbeitsbedingungen gehe.

Inzwischen hat der Erste Senat entschieden, daß § 77 Abs. 3 BetrVG eine Tarifsperre nicht nur für sogenannte materielle, sondern für alle Arbeitsbedingungen enthält. Nach Überzeugung des Ersten Senats kann der Verbindung der Worte "Arbeitsentgelt" und "sonstige Arbeitsbedingungen" nicht entnommen werden, daß nur für solche Arbeitsbedingungen eine Tarifsperre bestehen soll, die wie die "Arbeitsentgelte" Entgeltcharakter haben. Wäre dies vom Gesetzgeber gewollt gewesen, hätte es nahegelegen, wie in § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG den Begriff "vergleichbare" Arbeitsbedingungen zu verwenden. Ohne eine solche Einschränkung sind unter Arbeitsbedingungen wie in § 1 Abs. 1 TVG Regelungen zu verstehen, die den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen. Für dieses Verständnis spricht insbesondere der Zweck der Regelung in § 77 Abs. 3 BetrVG, die ausgeübte und aktualisierte Tarifautonomie zu schützen.

In der Zwischenzeit hat Richardi sich im Ergebnis dem Ersten Senat weitgehend angenähert. Er vertritt nunmehr die Auffassung, das Mitbestimmungsrecht in § 87 BetrVG werde durch die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht ausgeschlossen; er stimmt dem Bundesarbeitsgericht auch ausdrücklich darin zu, daß in den mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf die formlose Regelungsabrede verwiesen werden können, sondern gerade Betriebsvereinbarungen wegen ihrer zwingenden und unabdingbaren Wirkung das geeignete Instrument zur Ausübung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in den in § 87 Abs. 1 BetrVG genannten Angelegenheiten sind. Richardi macht nur einen dogmatischen Vorbehalt: Die zutreffende Erkenntnis des Bundesarbeitsgerichts spreche nicht für die sogenannte Vorrangtheorie, sondern lediglich dafür, daß der Zweck der Mitbestimmung es gebiete, insofern eine Ausnahme von § 77 Abs. 3 BetrVG zu machen. § 77 Abs. 3 BetrVG stehe zwar nicht einer Wahrnehmung der Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung entgegen, es müsse aber anerkannt werden, daß er Anwendung finde, wenn wegen des Gesetzes- und Tarifvorrangs in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG kein Mitbestimmungsrecht bestehe, so daß in diesen Fällen freiwillige Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen seien.

b) Die übrigen Vertreter der Zweischrankentheorie wollen zwar § 77 Abs. 3 BetrVG auch auf den Bereich des § 87 BetrVG ausdehnen, sehen aber dadurch die Mitbestimmungsrechte in § 87 BetrVG nicht tangiert, sondern halten es nur für unzulässig, daß die Mitbestimmung, soweit § 77 Abs. 3 BetrVG eingreift, durch Betriebsvereinbarung ausgeübt wird. Die Auffassung dieser Vertreter der Zweischrankentheorie steht also einem Mitbestimmungsrecht beim Widerruf von übertariflichen Zulagen bzw. der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen nicht entgegen.

4. Der Große Senat schließt sich der Auffassung an, daß § 77 Abs. 3 BetrVG einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht entgegensteht und dieses Mitbestimmungsrecht auch durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung wahrgenommen werden kann.

a) Nach seinem Wortlaut ergreift die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht die Mitbestimmung, sondern untersagt lediglich den Abschluß von Betriebsvereinbarungen, wenn Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf für das BetrVG 1972 (BR-Drucks. 715/70) sollte hierdurch insbesondere verhindert werden, "daß der persönliche Geltungsbereich von Tarifverträgen auf einem anderen als dem hierfür vorgesehenen Weg der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem TVG ausgedehnt wird". Insbesondere mit dem Ausschluß der Möglichkeit, den Inhalt eines Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarung zu übernehmen, sollte also die Tarifautonomie geschützt werden. Das Verhältnis von § 77 Abs. 3 zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG war Gegenstand der Beratungen im Gesetzgebungsverfahren. Der Bundesrat verlangte, hinter § 87 Abs. 1 einen Absatz 1 a mit dem Wortlaut einzufügen: "§ 77 Abs. 3 ist anzuwenden", um damit auch die Mitbestimmungsrechte nach § 87 unter den Vorrang der Tarifüblichkeit zu stellen. Dieser Antrag des Bundesrats ist nicht Gesetz geworden. Die Bundesregierung ging auf den Vorschlag des Bundesrats nicht konkret ein, sondern äußerte zu den Änderungsvorschlägen insgesamt, "Änderungen des Entwurfs i.S. dieser Vorschläge" beeinträchtigten "die Ausgewogenheit der Gesamtkonzeption des Entwurfs" (Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines BetrVG, zu BT-Drucks. VI/1786, S. 2). Bei den Beratungen des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung traten Vertreter der Arbeitgeberverbände und Abgeordnete der CDU für eine Streichung der Mitbestimmungsrechte in materiellen Angelegenheiten ein bzw. forderten zur Klarstellung bei § 87 Abs. 1 Nr. 10 die Aufnahme der Worte "unbeschadet des § 77 Abs. 3 BetrVG". Die Abgeordneten der SPD plädierten wiederum für eine Beibehaltung der Mitbestimmung in materiellen Angelegenheiten und wiesen darauf hin, daß entweder § 77 Abs. 3 oder § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG die Tarifautonomie schütze. Im Plenum ist die Frage nicht mehr erörtert worden, so daß insoweit ein bestimmter Wille des Gesetzgebers nicht mehr erkennbar geworden ist. Deshalb ist die Entstehungsgeschichte für das Verhältnis von § 77 Abs. 3 zu § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG unergiebig.

b) Auch der systematische Zusammenhang spricht nicht zwingend für die eine oder andere Lösung. Richtig ist, daß § 77 Abs. 3 BetrVG im ersten Abschnitt über "Allgemeines" den einzelnen Beteiligungsrechten vorangestellt ist. Dies könnte dafür sprechen, daß § 77 Abs. 3 BetrVG für alle Beteiligungsrechte gelten solle. Hiergegen ist aber vom Ersten Senat und einer Vielzahl von Autoren eingewandt worden, daß § 77 Abs. 3 BetrVG ohnehin nicht ausnahmslos gilt. Die Vorschrift ist ausdrücklich in § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG für Sozialpläne ausgeschlossen. Ein anderer Ausnahmefall ist § 87 Abs. 1 Eingangssatz, der das Verhältnis von Mitbestimmungsrecht zu Tarifvertrag eigenständig regelt. Der Gegenschluß aus der Regelung in § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG ist nicht zulässig. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, da § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG die Anwendbarkeit des § 77 Abs. 3 BetrVG ausdrücklich ausschließe, könne dies bei § 87 Abs. 1 BetrVG nicht angenommen werden. Die Vertreter dieser Ansicht übersehen, daß die Mitbestimmungsregelung in § 87 Abs. 1 BetrVG eine von der allgemeinen Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG abweichende eigene Vorschrift über das Verhältnis zum Tarifvertrag enthält, während eine entsprechende Regelung beim Sozialplan fehlt. Deshalb mußte der Gesetzgeber, wenn er für Sozialpläne die Anwendbarkeit von § 77 Abs. 3 BetrVG ausschließen wollte, dies dort auch ausdrücklich erklären. Der Systematik des Gesetzes kann allerdings auch nicht entnommen werden, daß § 77 Abs. 3 BetrVG im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG keine Anwendung finden solle.

c) Der Zweischrankentheorie ist zuzugeben, daß § 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 BetrVG zum Teil einen unterschiedlichen Regelungsgegenstand haben, so daß die Unanwendbarkeit von § 77 Abs. 3 BetrVG im Bereich der echten Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht allein damit begründet werden kann, § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG sei die speziellere Norm gegenüber § 77 Abs. 3 BetrVG. Entscheidend ist eine Gewichtung der Normzwecke: Während durch § 77 Abs. 3 BetrVG die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gewährleistet werden soll, ist Zweck des Tarifvorrangs nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, das Mitbestimmungsrecht nur dann entfallen zu lassen, wenn bereits die Arbeitnehmerinteressen durch im Betrieb anwendbare tarifliche oder gesetzliche Regelungen ausreichend berücksichtigt sind. Dieser Zweck wäre vereitelt, wenn bei bloßer Tarifüblichkeit oder fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers die Mitbestimmung entfallen würde. Dies sieht ein großer Teil der Vertreter der Zweischrankentheorie ebenso. Dann ist es aber sinnwidrig, § 77 Abs. 3 BetrVG zu entnehmen, daß die Mitbestimmung bezüglich solcher Arbeitsbedingungen, die üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, nur durch formlose Regelungsabrede wahrgenommen werden kann. § 77 Abs. 3 BetrVG würde die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG ohnehin nicht gewährleisten, sondern nur die Effizienz der Mitbestimmung erheblich mindern, ohne daß hierfür ein Sinn erkennbar wäre.

Das Betriebsverfassungsgesetz hat in § 77 BetrVG die Betriebsvereinbarung als das geeignete Regelungsinstrument den Betriebsparteien zur Verfügung gestellt. Die Parteien bedürfen ihrer auch bei der Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit, da sie im Gegensatz zur Regelungsabrede unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer einwirkt, so daß es keiner Umsetzung der vereinbarten Regelung in das Einzelarbeitsverhältnis mehr bedarf. Das ist ein so großer Vorteil für Arbeitgeber und Betriebsrat, daß die Aussage des Ersten Senats im Beschluß vom 24. Februar 1987 berechtigt ist, die Frage, ob Mitbestimmungsrechte in einer bestimmten Angelegenheit bestehen (§ 87 BetrVG) und ob diese Angelegenheit durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden kann, lasse sich nicht trennen.

Man denke an eine Regelung über die Einführung von Kurzarbeit. Hat der Betriebsrat zum Beispiel in Wahrnehmung seines Mitbestimmungsrechts der Einführung von Kurzarbeit zugestimmt (Regelungsabrede), ohne im Hinblick auf § 77 Abs. 3 BetrVG eine Betriebsvereinbarung abschließen zu können, müßte der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen, wenn trotz dieser Zustimmung die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer verlangen würden, vollbeschäftigt zu werden. Umgekehrt könnten Arbeitnehmer trotz einer Regelungsabrede zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Gewährung einer Zulage hieraus nicht unmittelbar gegen den Arbeitgeber Ansprüche herleiten. Schließlich wirken nur Betriebsvereinbarungen, nicht aber formlose Regelungsabreden in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nach § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Aus diesen Gründen regeln die Betriebsparteien in der Praxis auch laufend mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten durch Betriebsvereinbarung, selbst wenn die Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden.

II. Einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Ausübung des Widerrufsvorbehalts anläßlich einer Tariflohnerhöhung und der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen steht auch nicht der Tarifvorrang von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entgegen.

1.a) Die notwendige Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten dient dem Schutz der Arbeitnehmer durch gleichberechtigte Teilhabe an den sie betreffenden Entscheidungen.

b) Entsprechend dem Sinn des Ausschlusses des Mitbestimmungsrechts bei einer bestehenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung greift der Vorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur ein, wenn die gesetzliche oder tarifliche Regelung die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst abschließend und zwingend regelt und damit schon selbst dem Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts Genüge tut. Dem entspricht die ganz herrschende Meinung in der Literatur.

2.a) Der Erste Senat hatte zunächst im Beschluß vom 31. Januar 1984 entschieden, der Betriebsrat habe kein Mitbestimmungsrecht, wenn das Arbeitsentgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tariflich geregelt sei und der Arbeitgeber zum tariflich geregelten Entgelt einen übertariflichen Zuschlag zahle, der an keine weiteren Voraussetzungen gebunden sei, sondern lediglich zur - wenn auch unterschiedlichen - Erhöhung des tariflichen Entgelts führe. Zur Begründung hat der Erste Senat damals ausgeführt, sowohl das tarifliche Arbeitsentgelt wie auch die vom Arbeitgeber gewährte übertarifliche Zulage seien schlichtes Entgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Dieses Arbeitsentgelt sei dem Gegenstand nach tariflich geregelt. Dadurch, daß in den Tarifverträgen dieses Entgelt als Zeitlohn nach bestimmten Lohn- und Gehaltsgruppen geregelt werde, hätten die Tarifvertragsparteien bestimmt, in welcher Weise Lohngerechtigkeit verwirklicht und das Lohngefüge durchschaubar gestaltet werden solle. Damit sei dem Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Genüge getan.

b) Durch Beschluß vom 17. Dezember 1985 hat der Erste Senat diese Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, der Betriebsrat habe mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber zum tariflich geregelten Entgelt allgemein eine betriebliche Zulage gewähre, deren Höhe von ihm aufgrund einer individuellen Entscheidung festgelegt werde. Zur Begründung hat der Erste Senat ausgeführt, es entspreche dem Wesen tariflicher Entgeltregelungen, daß diese nur Mindestbedingungen setzen. Damit könne die tarifliche Entgeltregelung im übertariflichen Bereich gerade diejenige Schutzwirkung nicht entfalten, um derentwillen dem Betriebsrat bei der Lohngestaltung ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt worden sei. Die tarifliche Entgeltregelung könne die Durchsichtigkeit der tatsächlichen betrieblichen Lohngestaltung nicht bewirken und innerbetriebliche Lohngerechtigkeit im übertariflichen Bereich nicht gewährleisten. Diese Rechtsprechung hat der Erste Senat seitdem mehrmals bestätigt.

c) Der Große Senat folgt dieser Rechtsprechung.

aa) Die vereinzelt laut gewordene Kritik gegen diese Rechtsprechung ist nicht begründet. Wenn Kappes die Auffassung vertritt, der Erste Senat hätte in dem Beschluß vom 17. Dezember 1985 zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, weil ein kollektiver Tatbestand nicht vorgelegen habe, der ein Mitbestimmungsrecht habe auslösen können, richtet sich diese Kritik nicht gegen die Auffassung des Ersten Senats, der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG sperre bei der Zusage übertariflicher Zulagen nicht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Aus diesem Grunde bedarf es einer Auseinandersetzung mit dieser Kritik an dieser Stelle nicht. Grundsätzlicher setzt sich Goos mit der Entscheidung vom 17. Dezember 1985 auseinander: Er macht darauf aufmerksam, daß von Hoyningen-Huene und ihm folgend das Bundesarbeitsgericht das Gesamtentgelt in das im Tarifvertrag geregelte Entgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als den einen Regelungsgegenstand und die übertarifliche Bezahlung als den anderen Regelungsgegenstand aufgespalten haben. Er räumt ein, daß die "geradezu verblüffend logische Ableitung eines grundsätzlichen Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei betrieblichen Zulagen" nur infrage gestellt werden könne, wenn man Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG zu Hilfe nehme. Dies ist aber - wie oben unter C I 4 ausgeführt worden ist - im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG gerade nicht möglich. Kraft hat in der Anmerkung zum Beschluß vom 17. Dezember 1985 die Wende der Rechtsprechung vom Gesetz für geboten gehalten, da der Tarifvorbehalt im Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG nur dann das Mitbestimmungsrecht ausschließe, wenn die tarifliche Regelung die fragliche Angelegenheit selbst abschließend und zwingend regele, die Frage übertariflicher Zulagen aber gerade nicht im Tarifvertrag geregelt sei. Da der Tarifvertrag ohnehin nur Mindestbedingungen regeln könne, greife eine betriebliche Regelung für den übertariflichen Bereich nicht in die Tarifautonomie ein. Bei seinen späteren Ausführungen in der Festschrift für K. Molitor, nach denen die auf von Hoyningen-Huene zurückgehende Aufspaltung des Gesamtentgelts für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung in einen tariflichen und in einen übertariflichen Regelungsgegenstand wenig überzeugend sein soll, fehlt jede Auseinandersetzung mit seiner eigenen entgegengesetzten Ansicht in der Anmerkung zu AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang.

Die Kritik von Stege/Weinspach, bei einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei übertariflichen Zulagen habe es der Betriebsrat in der Hand, über seine Mitbestimmung bei den übertariflichen Zulagen zu erreichen, daß das Entgelt für die geschuldete Arbeitsleistung insgesamt nach anderen Kriterien gemessen werde, als es die Tarifparteien beabsichtigt hätten, wird durch die Rechtsprechung widerlegt. Die tariflichen Mindestlöhne richten sich auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den Kriterien, die im Tarifvertrag vereinbart sind. Die Kriterien für übertarifliche Zulagen werden ohnehin nicht nach den Vorgaben von Tarifverträgen verteilt. Hier geht es allein um die Alternative, ob der Arbeitgeber allein die Kriterien für die Verteilung bestimmt oder ob er sich mit dem Betriebsrat darüber einigen muß.

bb) Folgende Gründe geben den Ausschlag für die von der ganz überwiegenden Mehrheit in der Literatur geteilte Auffassung des Ersten Senats, daß der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen für übertarifliche Zulagen nicht entgegensteht:

Wenn nach ständiger Rechtsprechung des Ersten Senats im Einklang mit der absolut herrschenden Meinung im Schrifttum der Normzweck des § 87 BetrVG darin besteht, daß der Betriebsrat in den in § 87 BetrVG genannten Angelegenheiten gleichberechtigt mitbestimmt und eine Tarifnorm das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur ausschließt, wenn sie die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst abschließend und zwingend regelt und das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers beseitigt, dann muß jeweils gefragt werden, ob der im Betrieb geltende Tarifvertrag dem Arbeitgeber noch ein einseitiges Bestimmungsrecht beläßt oder nicht. Regelt der Tarifvertrag bezüglich des Entgelts lediglich Mindestleistungen, dann ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebs rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur insoweit ausgeschlossen, als der Tarifvertrag bestimmt, nach welchen Kriterien das Tarifentgelt vom Arbeitgeber zu gewähren ist. Zahlt der Arbeitgeber zu dem Tarifentgelt übertarifliche Zulagen, so ist er durch den Tarifvertrag nicht gebunden, nach welchen Kriterien er diese Zulagen verteilt. Der Tarifvertrag kann - wie der Erste Senat dies in der Entscheidung vom 17. Dezember 1985 ausgeführt hat - gerade nicht die Schutzwirkung entfalten, um derentwillen dem Betriebsrat bei der Lohngestaltung ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt worden ist. Die tarifliche Entgeltregelung kann bezüglich der übertariflichen Zulagen die Durchsichtigkeit der betrieblichen Lohngestaltung gerade nicht bewirken und ebensowenig innerbetriebliche Lohngerechtigkeit gewährleisten. Wäre das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG durch § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen, könnte der Arbeitgeber bei der Aufstellung der Kriterien für übertarifliche Zulagen allein bestimmen. Der Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG soll aber nur eingreifen, wenn der Arbeitgeber bereits durch den Tarifvertrag rechtlich gebunden ist, er also sein einseitiges Bestimmungsrecht verloren hat.

III. Ebenso wie die Aufstellung von Verteilungsgrundsätzen für übertarifliche Zulagen unterliegt auch die Änderung dieser Verteilungsgrundsätze grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sich die Anrechnung bzw. den Widerruf vorbehalten hat oder sich die Anrechnung zunächst automatisch vollzieht. Dieses Mitbestimmungsrecht entfällt allerdings, wenn tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen, d.h. für den Betriebsrat kein Regelungsspielraum verbleibt.

1.a) Nach der Rechtsprechung des Ersten Senats ist die Frage, nach welchen Kriterien sich die Höhe der Zulagen und deren Verhältnis zueinander bestimmen soll, eine Frage der betrieblichen Lohngestaltung, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung unterliegt. Dieses Mitbestimmungsrecht soll nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sichern. Die Entscheidung des Arbeitgebers, anläßlich einer Tariflohnerhöhung diese zum Teil auf die übertariflichen Zulagen in unterschiedlicher Höhe anzurechnen und einige Zulagen auch zu erhöhen, um so eine "gewisse Harmonisierung des gesamten Lohngefüges zu erreichen", betrifft unmittelbar die betriebliche Lohngestaltung in diesem Sinne und ist daher mitbestimmungspflichtig.

Der Erste Senat hat in dieser Entscheidung aber auch ausgeführt, die Rechtslage sei anders bei der vollen Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf alle Zulagen, genauer, bei der Verringerung der Zulagen um die Tariflohnerhöhung, weil für sie nicht eine Entscheidung des Arbeitgebers ursächlich sei. Die Verringerung der Zulage habe hier vielmehr ihren Grund in der bestehenden Zulagenordnung. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die bestehende Zulagenordnung, nach der Tariflohnerhöhungen auf die Zulagen angerechnet werden können, unter Beteiligung des Betriebsrats oder einseitig vom Arbeitgeber geschaffen worden sei. Die Nichtbeteiligung des Betriebsrats bei der Schaffung der Zulagenordnung führe nicht zu einem Mitbestimmungsrecht bei deren Vollzug. Das entspricht der Rechtsprechung des Vierten und Fünften Senats, nach der die Verringerung der übertariflichen Zulage um die Tariflohnerhöhung eine Folge der "Tarifautomatik" ist, so daß ein Anknüpfungspunkt für ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht besteht.

b) Im Beschluß vom 13. Januar 1987 hat der Erste Senat entschieden, der Betriebsrat habe nicht mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber die finanzielle Belastung durch freie übertarifliche Zuschläge insgesamt kürzen wolle, dagegen unterliege bei der gleichmäßigen teilweisen Kürzung die Frage, wie das gekürzte Zulagenvolumen auf die von der Kürzung betroffenen Arbeitnehmer verteilt werden solle, dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

c) In der Entscheidung vom 10. Februar 1988 hat der Erste Senat seine Auffassung bestätigt, daß der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bei der Kürzung des Volumens für übertarifliche Zulagen hat, wohl aber bei der gleichmäßigen Kürzung auch aller Zulagen die Verteilung des gekürzten Zulagenvolumens auf die einzelnen Arbeitnehmer der Mitbestimmung unterliegt, weil die gleichmäßige Verteilung des gekürzten Zulagenvolumens nur eine von mehreren möglichen Entscheidungen sei. Diese Entscheidung ist aber entgegen der Auffassung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten für die Anrechnungsproblematik nicht einschlägig, weil die Kürzung des Urlaubsgeldes in jenem Falle nicht im Zusammenhang mit einer Tariflohnerhöhung oder Tarifveränderung stand.

d) Im Ausgangsverfahren geht es um eine volle Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf alle übertariflichen Zulagen.

Der Erste Senat will im Gegensatz zu seiner Entscheidung vom 24. November 1987 (aaO) und der Rechtsprechung des Vierten und Fünften Senats nunmehr auch ein Mitbestimmungsrecht bejahen, wenn der Arbeitgeber in den Grenzen des Möglichen die Tariflohnerhöhung auf alle Zulagen vollständig anrechnen will. Der Erste Senat begründet seine Auffassung damit, auch die vollständige Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen führe zu einer Änderung der betrieblichen Lohngestaltung, nämlich der Zulagenordnung, wenn infolge der Anrechnung nicht alle Zulagen vollständig wegfielen. Auch bei einer gleichmäßigen vollen Anrechnung ändere sich das Verhältnis der den einzelnen Arbeitnehmern bisher gewährten Zulagen zueinander jedenfalls dann, wenn die bisher gewährten Zulagen nicht in einem einheitlichen und gleichen Verhältnis zum jeweiligen Tariflohn des Arbeitnehmers standen. Damit stelle sich bei einer Anrechnung die Frage der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit neu. Es bleibe zu fragen, ob das verbleibende Zulagenvolumen wie bisher oder nach anderen Kriterien neu verteilt werden solle. Diese Änderung der Verteilungsordnung trete nicht "automatisch" ein, vielmehr liege ihr die Entscheidung des Arbeitgebers zugrunde, von dem Anrechnungsvorbehalt nunmehr Gebrauch zu machen und damit das Zulagengefüge zu verändern.

2.a) Nach der Rechtsprechung des Vierten und Fünften Senats unterliegt die volle und gleichmäßige Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage aufgrund eines Widerrufs-/ Anrechnungsvorbehalts nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, auch wenn es nicht um individuell ausgestaltete Zulagen geht. Gleichgültig, ob das Entgelt in einem Betrag ausgewiesen wird oder in Tarifentgelt und übertarifliche Zulage aufgegliedert werde, handele es sich um ein einheitliches übertarifliches Entgelt, dessen Vereinbarung nach § 4 Abs. 3 TVG zulässig sei. Eine Tariflohnerhöhung wirke sich nur in der Weise aus, daß der tariflich abgesicherte Teil des Entgelts sich erhöhe. Die Anrechnung sei nur die Feststellung einer Tarifautomatik und unterliege deshalb nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

b) Sei vereinbart worden, daß die Zulage beständig stets neben dem Tariflohn gezahlt werden solle, könne der Arbeitgeber die Tariflohnerhöhung nicht voll anrechnen. Davon sei im Zweifel auszugehen, wenn mit der Zulage besondere Leistungen oder Belastungen (Erschwernis-, Schmutzzulage) abgegolten werden sollten.