Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen

BAG 1 ABR 51/85 vom 13. Jan. 1987

Leitsatz

Der Betriebsrat hat nicht mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber die finanzielle Belastung durch freiwillige übertarifliche Zuschläge insgesamt kürzen will. Er hat nach § 87 Abs.1 Nr.10 BetrVG mitzubestimmen darüber, wie das gekürzte Zulagenvolumen auf die von der Kürzung betroffenen Arbeitnehmer verteilt werden soll.

Gründe

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Kürzung von Zeitzuschlägen in Akkordzeitvorgaben. Der Arbeitgeber beschäftigte in seinem zum Bereich der metallverarbeitenden Industrie in Berlin gehörenden Betrieb ca. 420 Arbeitnehmer. Im Zusammenhang mit der Übernahme der D Metallwerke GmbH durch den Arbeitgeber wurden im Jahre 1976 die Akkordvorgabezeiten auf der Grundlage von Arbeitszeitstudien nach REFA neu ermittelt. Um einerseits die vorher sehr hohen Akkordlöhne verringern und andererseits die sich bei einer Entlohnung allein auf der Grundlage der neuen REFA-Zeiten ergebenden erheblichen Lohneinbußen der Arbeitnehmer in Grenzen halten zu können, sollten die Löhne schrittweise abgebaut werden. Verdienstgrade, die über 175 % des Akkordrichtsatzes hinausgingen, wurden gestrichen. Der Anteil der Entlohnung, der einem Verdienstgrad von 150 % bis 175 % entsprach, wurde in einen DM-Betrag umgerechnet und dem Mitarbeiter als individuelle Ausgleichszulage gezahlt. Die Absicherung bis zu 150 % erfolgte in der Weise, daß auf die nach REFA ermittelten Zeitvorgaben ein Zuschlag gewährt wurde, indem der Zeitfaktor um 50 % erhöht wurde.

Im Jahre 1984 wollte der Arbeitgeber die Zeitvorgaben, die als Zuschlag zu den nach REFA ermittelten Zeitvorgaben weitergewährt worden waren, kürzen. Er gab am 19. Juli 1984 durch Werksmitteilung Nr. 532 den Arbeitnehmern bekannt:

"Nach der Einigung zwischen den Tarifpartnern werden bei der K GmbH die Tariflöhne und -gehälter zum 01.07.1984 um 3,3 % erhöht. Um die Gleichbehandlung der Gehaltsempfänger, der Lohnempfänger im Zeitlohn und der Lohnempfänger im Akkordlohnsystem weitestgehend zu erhalten, ist es notwendig, die freiwillig gewährten Zeitzuschläge in den Akkordzeitvorgaben für die Lohnempfänger im Akkordlohnsystem zum 01.08.1984 um 1,5 Prozentpunkte zu kürzen. Die Geschäftsführung sieht sich zu diesem Schritt gezwungen, damit unsere Wettbewerbsfähigkeit unter den in- und ausländischen Wettbewerbern nicht gemindert wird. Diese getroffene Maßnahme trägt mit dazu bei, die vorhandenen Arbeitsplätze zu erhalten. ..."

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe durch die mit der Werksmitteilung Nr. 532 bekanntgegebene Kürzung der Zuschläge sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG verletzt. Der Arbeitgeber habe durch die einseitige Maßnahme auch gegen den Tarifvertrag über nachwirkende Lohnbestimmungen für die Arbeiter in der Berliner Metallindustrie (bisher § 23 MTV) verstoßen.

Der Betriebsrat hat beantragt

1. festzustellen, daß die mit der Werksmitteilung Nr. 532 vom 19. Juli 1984 seitens des Arbeitgebers einseitig vorgenommene Kürzung der Akkordvorgabezeiten für die Lohnempfänger rechtsunwirksam sei,

2. hilfsweise festzustellen, daß die Kürzung der Akkordvorgabezeiten für die Lohnempfänger, wie von dem Arbeitgeber mit der Werksmitteilung Nr. 532 vom 19. Juli 1984 vorgenommen, der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, mit der Kürzung der Vorgabezeiten um 1,5 % habe er nicht in den mitbestimmten Teil der nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen ermittelten Vorgabezeit eingegriffen. Von diesem Teil der gesamten Vorgabezeit sei der freiwillig gewährte Zeitanteil (Zeitzuschlag) zu trennen. Auf die Freiwilligkeit des Zeitzuschlags habe er gegenüber dem Betriebsrat und gegenüber den Mitarbeitern immer wieder hingewiesen. Im Grunde habe es sich bei der am 19. Juli 1984 angekündigten Maßnahme nicht um eine Kürzung des freiwilligen Zuschlags gehandelt, vielmehr habe nur verhindert werden sollen, daß die Tariflohnerhöhung von 3,3 % auch noch auf den freiwillig gewährten Verdienstanteil hätte gezahlt werden müssen.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Arbeitgeber erreichen, daß der Antrag des Betriebsrats abgewiesen wird.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist zum Teil begründet. Der Betriebsrat hat nicht mitzubestimmen, soweit der Arbeitgeber das Volumen für die Zahlung von Zuschlägen insgesamt gekürzt hat. Er hat mitzubestimmen bei der Verteilung des gekürzten Volumens auf die betroffenen Arbeitnehmer.

II. Mit seinem ersten Antrag (Mitbestimmungsrecht bei der Bestimmung des Gesamtvolumens der Zulagen) muß der Betriebsrat scheitern. Insoweit besteht kein Mitbestimmungsrecht. Der zweite Antrag des Betriebsrats (Mitbestimmungsrecht bei Verteilung der Zulagen) hat dagegen Erfolg; insoweit besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Bestimmung des Gesamtvolumens der Zulagen könnte sich nur aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder Nr. 11 BetrVG ergeben.

a) Der Betriebsrat hat für diese Angelegenheit - Kürzung der Vorgabezeiten - kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einschließlich der Geldfaktoren. Die Vorgabezeiten sind zwar solche Entgeltfaktoren. Aus ihnen ergibt sich das Entgelt, das der Arbeitnehmer für einen abgeschlossenen Arbeitsvorgang erhalten soll. Doch gehört nur ein Teil der für die einzelnen Arbeitsvorgänge ermittelten Vorgabezeiten zu diesen Geldfaktoren im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Ein Teil des Verdienstes, den der Arbeitnehmer bei Zusammenrechnung der Akkordvorgabezeiten erzielt, ist Tariflohn, ein weiterer Teil ist eine vom Arbeitgeber freiwillig gezahlte übertarifliche Zulage.

Nach § 20 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter der Berliner Metallindustrie vom 20. Oktober 1961 sind die Vorgabezeiten (Akkorde) nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen festzusetzen. Es heißt in diesem Tarifvertrag:

"1. Akkordarbeit ist eine Arbeit, bei der die zur Ausführung der Arbeit erforderliche Zeit vorher auf der Grundlage der menschlichen Normalleistung festgelegt und dem Arbeitnehmer vorgegeben wird.

2. Die Normalleistung ist nicht ein individueller betrieblicher Leistungsdurchschnitt, sondern eine überbetriebliche Konstante. Menschliche Normalleistung ist also jene Leistung, die auf Dauer von einem genügend geeigneten und genügend geübten Arbeitnehmer bei normaler Intensität und normaler Wirksamkeit erbracht wird.

3. Vorgabezeiten (Akkorde) ... sind nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen so festzusetzen, daß Akkordarbeiter bei normaler Leistung und vorgeschriebener Arbeitsgüte einen Verdienst in der Höhe des Akkordrichtsatzes erreichen, wenn sie die in der Vorgabezeit enthaltenen persönlichen Verteilzeiten und - falls gegeben - Erholungszeiten einhalten.

4. Der Akkordrichtsatz ..."

Nach diesen tariflichen Bestimmungen haben die im Akkord beschäftigten Arbeitnehmer nur Anspruch auf einen Akkordlohn, bei dem die Akkordvorgabezeiten auf arbeitswissenschaftlicher Grundlage ermittelt werden. Eine arbeitswissenschaftliche Methode zur Ermittlung der Akkordvorgabezeiten ist die Methode "REFA". Auf diese Methode haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat geeinigt. Nach dieser Methode werden die tariflich geschuldeten Akkordverdienste berechnet.

Bis zum 1. Juli 1984 berechnete der Arbeitgeber die Akkordverdienste nicht nur aufgrund dieser nach REFA ermittelten Vorgabezeiten. Diese Zeitvorgaben wurden vielmehr um 50 % erhöht. Das führte zu höheren Löhnen, auf die die Arbeitnehmer nach dem Tarifvertrag keinen Anspruch hatten. Insoweit handelte es sich um übertarifliche Zulagen. Diese Zulagen sind in Form eines Zuschlags zu den Vorgabezeiten ausgewiesen. Sie knüpfen an die nach dem Tarifvertrag vorgeschriebene Ermittlung der Vorgabezeiten nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen an.

Zwar ist auch die um den Zuschlag erhöhte Vorgabezeit ein "Akkordsatz" im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Dieser Akkordsatz unterliegt jedoch nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, da die Akkordsätze tariflich geregelt sind und somit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausscheidet.

Aus dem gleichen Grunde steht § 23 des genannten Manteltarifvertrags der Kürzung dieser Zulagen nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung können Vorgabezeiten (Akkorde) vom Arbeitgeber nur dann neu festgesetzt werden, wenn sich die technischen oder organisatorischen Voraussetzungen geändert haben. Diese Bestimmung betrifft nur den Tariflohn selbst, nicht auch übertarifliche Zulagen, mögen sie auch in der Vorgabezeit enthalten sein.

b) Auch nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ergibt sich für diese Angelegenheit kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Dazu gehört auch die Ausgestaltung freiwilliger übertariflicher Zulagen.

Dieses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist bei freiwilligen Leistungen, auf die die Arbeitnehmer weder nach einer Betriebsvereinbarung noch aus sonstigen Rechtsgründen einen Anspruch haben, eingeschränkt. Bei solchen Leistungen kann der Betriebsrat die Leistung selbst nicht erzwingen. Deshalb kann auch der Spruch der Einigungsstelle eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers nicht begründen.

Hier handelt es sich um eine solche freiwillige Leistung. Deshalb ist der Arbeitgeber frei in der Entscheidung darüber, ob und in welchem finanziellen Umfang er solche Zulagen gewährt. Er ist insoweit nicht auf eine Einigung mit dem Betriebsrat angewiesen (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Die Einigungsstelle könnte den Arbeitgeber nicht verpflichten, höhere Zuschläge zu zahlen. Die Entscheidung, ob Zuschläge zum Tariflohn ungekürzt oder nach neuem Maßstab nur gekürzt weitergezahlt werden sollen, trifft im Verhältnis zum Betriebsrat, also in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht, allein der Arbeitgeber. Ob und wie er diese Entscheidung individual-rechtlich gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebs durchsetzen kann, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.

Um eine solche Kürzung der Zulagen handelt es sich im vorliegenden Fall. Zwar hat der Arbeitgeber nicht das Gesamtvolumen aller gezahlten Zulagen rechnerisch ermittelt und das so ermittelte Gesamtvolumen gekürzt. Er hat aber die Maßstäbe, nach denen Zulagen bisher gezahlt wurden, zum Nachteil der Arbeitnehmer verändert. Das ist ebenfalls eine der Mitbestimmung des Betriebsrats nicht unterliegende Kürzung.

Danach besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Veränderung des Maßstabs, nach dem übertarifliche Zulagen gewährt wurden, zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer. Diese Maßnahme muß der Betriebsrat hinnehmen.

2. Dagegen besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Verteilung des vom Arbeitgeber neu festgelegten Volumens für die Zulagen auf die betroffenen Arbeitnehmer.

a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats folgt insoweit aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat in allen Fragen der betrieblichen Lohngestaltung ein Mitbestimmungsrecht. Die Mitbestimmung des Betriebsrats soll den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es geht um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit.

Angelegenheiten der betrieblichen Lohngestaltung sind auch in den Fällen zu regeln, in denen der Arbeitgeber Zulagen zahlt, die im Ergebnis zu einer Erhöhung des tariflich geregelten Akkordlohns führen. Auch bei solchen Zulagen bleibt - selbst wenn sie freiwillig gewährt werden - zu regeln einmal, ob sie überhaupt gewährt werden, und zum anderen, ob deren Gewährung an bestimmte Voraussetzungen und damit an eine einsehbare und durchschaubare Regelung geknüpft werden soll. Die Freiwilligkeit der vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen führt nur zu einer Einschränkung des Mitbestimmungsrechts, nicht zum Ausschluß. Will der Arbeitgeber eine solche Zulage zahlen, hat der Betriebsrat bei deren näherer Ausgestaltung jedoch unter Beachtung der mitbestimmungsfreien Vorgaben des Arbeitgebers mitzubestimmen.

b) Nach der Kürzung des Gesamtvolumens ist noch darüber zu entscheiden, wie sich die Kürzungsmaßnahmen auf die einzelnen Arbeitnehmer, die bisher solche Zulagen erhielten, auswirken sollen. Zwar ist die Entscheidung über die finanzielle Ausstattung und damit auch die Kürzung des Gesamtaufwands mitbestimmungsfrei. Mitbestimmungspflichtig ist aber die Verteilung der Kürzungen auf den betroffenen Personenkreis. Das gilt etwa für die Fälle, in denen der Arbeitgeber Leistungszulagen widerrufen will, um sie künftig nach anderen Grundsätzen gewähren zu können. Diese Grundsätze gelten aber auch für den vorliegenden Fall. Auch hier muß geregelt werden, wie das insgesamt gekürzte Zulagenvolumen auf die betroffenen Arbeitnehmer verteilt wird. Das ist eine Frage der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit.

Der Einwand des Arbeitgebers, es gehe nicht um Fragen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit, weil er bei allen in Betracht kommenden Arbeitnehmern die Zeitzuschläge um 1,5 % gekürzt habe, ist nicht berechtigt. Die gleichmäßige Weitergabe der Kürzung an alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer ist nur eine der möglichen Entscheidungen. Sie ist nicht zwingend und bedarf deshalb der Mitbestimmung des Betriebsrats. Es könnte auch vernünftig und zweckmäßig sein, unterschiedlich zu kürzen, je nach Tariflohngruppe oder Leistungsgrad. Darüber, wie die Kürzungen weitergegeben werden sollen, hat der Betriebsrat mitzubestimmen.