Anrechnung einer Tariflohnerhöhung - Gleichbehandlung

BAG 5 AZR 334/87 vom 11. Mai 1988

Nicht amtlicher Leitsatz

1. Bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Danach ist es dem Arbeitgeber verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund bei betriebseinheitlichen Regelungen zu benachteiligen.

2. Eine unzulässige Differenzierung liegt nicht vor, wenn eine Zulage gewährt wird, weil sonst bestimmte Arbeitsplätze nicht besetzt werden könnten.

3. Eine Tariflohnerhöhung kann auch rückwirkend auf die übertariflichen Zulagen angerechnet werden.

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1979 als Schmiedehelfer bei der Beklagten tätig; er ist Mitglied des dreiköpfigen Betriebsrats. Die Parteien sind tarifgebunden.

Durch den Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Berliner Metallindustrie vom 20. Mai 1986 (im folgenden: LTV) sind die Tariflöhne mit Wirkung vom 1. April 1986 um 4,4 % erhöht worden. Diese Erhöhung wird für den Monat April durch eine einmalige Zahlung von 230,-- DM brutto abgegolten.

Vor der Tariflohnerhöhung hat der in Lohngruppe V eingestufte Kläger einen Stundenlohn von insgesamt 14,71 DM nach folgender Aufteilung verdient (Mitteilung vom 3. Februar 1986):

Stundenlohn 11,56 DM

Leistungszulage 1,53 DM

außertarifliche Zulage 1,62 DM

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zusammen 14,71 DM

Nach Inkrafttreten des LTV hat die Beklagte dem Kläger unverändert 14,71 DM gezahlt, aber die Lohnbestandteile anders aufgeteilt (Mitteilung vom 19. Juni 1986):

Stundenlohn 12,07 DM

Leistungszulage 1,53 DM

außertarifliche Zulage 1,11 DM

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Bruttolohn insgesamt 14,71 DM

Damit hat die Beklagte zwar den Stundenlohn im Umfang der Tariflohnerhöhung von 4,4 % auf 12,07 DM angehoben, andererseits aber die außertarifliche Zulage um den gleichen Prozentsatz gekürzt. Außerdem hat sie die pauschale tarifliche Lohnerhöhung von 230,-- DM brutto mit der AT-Zulage für den Monat April verrechnet.

Der Kläger wendet sich hiergegen und meint, die Anrechnung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, denn die Beklagte habe die unterschiedliche Anrechnung mit Leistungsunterschieden begründet, sich aber daran nicht gehalten. Außerdem hätte sie den Betriebsrat an dieser Maßnahme beteiligen müssen. Ferner habe sie den Kläger als nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied gegenüber anderen Arbeitnehmern mit gleichen Fähigkeiten benachteiligt.

Der Kläger fordert die Zahlung der Lohndifferenz für die Monate Mai bis August 1986 und weiter die von der Beklagten im April verrechnete pauschale tarifliche Lohnerhöhung von 230,-- DM.

Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisteilurteil vom 1. September 1986 der Klageforderung für die Zeit von April bis Juni 1986 in Höhe von 395,62 DM entsprochen. Darüber hinaus errechnet der Kläger für den Monat Juli 1986 eine Lohndifferenz von 90,40 DM und für den Monat August 1986 einschließlich des zusätzlichen Urlaubsgeldes einen Betrag von 91,13 DM brutto.

Der Kläger hat beantragt,

1. das Versäumnisteilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. September 1986 aufrecht zu erhalten,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 90,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 25. August 1986 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 91,13 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 14. Oktober 1986 zu zahlen,

4. festzustellen, daß die Beklagte dem Kläger seit dem 1. Mai 1986 Vergütung in Höhe eines Stundenlohns von 15,22 DM zu bezahlen hat.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu vorgetragen: Die außertarifliche Zulage sei nicht zu einem bestimmten Zweck eingeführt worden. Hiervon sei aber die Frage zu trennen, aus welchen Gründen sie verrechnet worden sei. Dabei habe sie den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Sie habe darauf Rücksicht nehmen müssen, bestimmte Arbeitnehmer zu halten. Weiter habe sie unterschiedliche Leistungen und Qualifikationen beachten müssen. Der Kläger sei als Betriebsratsmitglied gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern in seiner beruflichen Entwicklung nicht benachteiligt worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten ist das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen worden.

Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klagziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte war berechtigt, die außertarifliche Zulage des Klägers mit der tariflichen Lohnerhöhung zu verrechnen, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat.

I. Der Kläger wirft der Beklagten zu Unrecht vor, sie habe mit der Anrechnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

1. Bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Danach ist es dem Arbeitgeber verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund bei betriebseinheitlichen Regelungen zu benachteiligen. Davon geht das angefochtene Urteil ebenfalls aus. Allerdings sieht es die unterschiedliche Anrechnung der außertariflichen Zulage in diesem Sinne nicht als betriebseinheitliche Regelung an. Der erkennende Senat hat es bisher dahingestellt sein lassen, ob die Anrechnung einer Zulage, die von vornherein den Arbeitnehmern in unterschiedlicher Höhe gewährt wird, in diesem Sinne eine betriebseinheitliche Regelung ist. Darauf kommt es aber in diesem Rechtsstreit letztlich nicht an.

Entgegen der Auffassung der Revision ist die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhung auf außertarifliche Zulagen nicht schon dann ausgeschlossen, wenn eine Gruppe von Arbeitnehmern "nur bevorzugt" wird. Gewährt der Arbeitgeber die außertariflichen Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip oder vollzieht er danach die Anrechnung der Tariflohnerhöhungen auf die außertarifliche Zulage, steht den übergangenen Arbeitnehmern bei willkürlicher Behandlung ein Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu. Wenn der Arbeitgeber lediglich einzelne Arbeitnehmer bevorzugt, kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht angewandt werden.

Die Beklagte hat sich aber nach ihrem insoweit unstreitigen Vorbringen in der Vorinstanz bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die außertariflichen Zulagen nicht willkürlich verhalten, sondern zu ihrer Rechtfertigung ausgeführt, daß sie nur solche Arbeitnehmer von der Anrechnung verschont habe, auf die sie zur Aufrechterhaltung des Betriebes besonders angewiesen sei oder die eine höhere berufliche Qualifikation hätten als der Kläger. Die Beklagte hat hierzu insbesondere dargelegt, daß sie sechs Facharbeiter mit deutlich höherer Qualifikation als der Kläger halten müsse (W, U, H, R, St, P). Damit hat sie aber gerade einen Sachverhalt vorgetragen, den der erkennende Senat nicht als Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angesehen hat, denn er hat hierzu bereits früher ausgeführt, es liege keine unzulässige Differenzierung vor, wenn eine Zulage gewährt werde, weil sonst bestimmte Arbeitsplätze nicht besetzt werden könnten.

Die Revision wendet demgegenüber ein, die Beklagte habe nicht vorgetragen, warum der Kläger nicht gleichfalls gehalten werden mußte. Dabei verkennt die Revision, daß die Beklagte in den Vorinstanzen dargelegt hat, daß dem Kläger gerade eine Berufsausbildung und eine entsprechende berufliche Qualifikation fehlt. Die Beklagte hat darüber hinaus vorgetragen, daß drei Helfer mit einer höheren beruflichen Qualifikation eine Lohnerhöhung erhalten haben (K, Ka und D). Die Beklagte hat das damit begründet, daß der Arbeitnehmer K eine zweijährige Ausbildung als Universalfräser erhalten habe, der Arbeitnehmer Ka im Werkzeugbau ausgebildet sei und der Mitarbeiter D schon deswegen eine Erhöhung erhalten mußte, weil er keine anrechenbare außertarifliche Zulage gehabt habe.

Die Revision meint demgegenüber, die Beklagte habe hierdurch die Anrechnung der außertariflichen Zulage von der Erfüllung bestimmter Leistungsvoraussetzungen abhängig gemacht. Die Beklagte habe aber nicht vorgetragen, daß der Kläger schlechtere Leistungen als diese Arbeitnehmer erbringe.

Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich unbeachtlich, denn damit bestreitet der Kläger nachträglich nur die Qualifikationsmerkmale, die für die Beklagte maßgebend sind.

Die in der Vergangenheit gezeigte Leistungsbereitschaft des jeweiligen Arbeitnehmers und die von ihm gezeigten fachlichen Leistungen sind ein sachliches und rechtlich nicht zu beanstandendes Unterscheidungsmerkmal bei der unterschiedlich hohen Anrechnung von Lohnzulagen.

2. Der Kläger sieht in der Anrechnung der pauschalen Lohnerhöhung vom 230,-- DM eine unzulässige Rückwirkung. Wenn überhaupt, kann nach seiner Meinung die Anrechnung erst vom 31. Mai 1986 an erfolgen, weil der April bereits mit Inkrafttreten des Tarifvertrages "abgearbeitet" gewesen sei.

Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Tariflohnerhöhung auch rückwirkend auf die übertariflichen Zulagen angerechnet werden kann. Da die hier verrechnete sog. außertarifliche Zulage sich nicht auf eine bestimmte Arbeitsleistung bezieht (Leistungszulage), steht einer Verrechnung insowiet nichts im Wege.. Die Beklagte hat vielmehr die Leistungszulage neben der außertariflichen Zulage ungekürzt bestehen lassen.

II. Die Verrechnung der außertariflichen Zulage mit der Tariflohnerhöhung verstößt auch nicht gegen § 37 Abs. 4 BetrVG, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden hat.

1. Nach § 37 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitnehmer, der ein Betriebsratsamt übernommen hat, hinsichtlich des Arbeitsentgelts so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er dieses Amt nicht übernommen hätte; dabei ist auf das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung abzustellen. Das gilt nicht nur, soweit das Betriebsratsmitglied für die Zeit einer Arbeitsbefreiung oder Freistellung die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verlangen kann, sondern ebenso, wenn ein Betriebsratsmitglied weiterarbeitet, aber infolge seiner Betriebsratstätigkeit nicht das gleiche Arbeitsentgelt erzielt wie vergleichbare Arbeitnehmer. Diese Grundsätze gelten nicht nur für das reine Arbeitsentgelt, sondern ebenso für vom Arbeitgeber gezahlte allgemeine Zulagen und deren Kürzung. Auch insoweit hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf die Leistungen, die der Arbeitgeber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung gewährt.

2. Die Revision rügt, im Rahmen der Vergleichsprüfung seien abstrakte Qualifikationsnachweise zu vernachlässigen, die Vorinstanz hätte die längere betriebliche Erfahrung des Klägers berücksichtigen müssen. Sofern das Landesarbeitsgericht den Vortrag des Klägers nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es den Kläger auffordern müssen, seine betriebliche Tätigkeit und Vergleichbarkeit in betrieblicher Hinsicht mit dem Arbeitnehmer K näher darzulegen. Dann hätte der Kläger dargelegt und bewiesen, daß er die gleiche Tätigkeit wie der Arbeitnehmer K ausübe und eine zusätzliche Ausbildung des Arbeitnehmers K ohne Bedeutung für dessen betriebliche Tätigkeit sei.

Diese Rüge greift nicht durch. Die Revision verkennt, daß es für die Vergleichbarkeit nicht auf eine längere Betriebszugehörigkeit ankommt. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht geprüft, ob der Arbeitnehmer K - der einzig für einen Vergleich mit dem Kläger in Betracht kommt - eine im wesentlichen gleichqualifizierte Tätigkeit wie der Kläger ausübt. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellt, daß der Arbeitnehmer K eine zweijährige Ausbildung als Fräser hat und nach Zeichnungen fräsen kann, während der Kläger nur Bohr-, Fräs- und Sägearbeiten ausführen kann, keine Zeichnungen lesen kann und seine Maschinen nicht selbst einzurichten vermag. Damit hat die Vorinstanz für den Senat bindend festgestellt (§ 561 Abs. 2 ZPO), daß der Arbeitnehmer K eine höherqualifizierte Tätigkeit als der Kläger ausübt. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen greift die auf § 139 ZPO gestützte Verfahrensrüge des Klägers nicht durch, denn die Vorinstanz hatte keine Veranlassung, über diese eindeutigen Feststellungen hinaus zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das Fragerecht auszuüben. Der Kläger hat vielmehr versäumt, in der Vorinstanz den ihm nachteiligen Tatsachenvortrag der Beklagten im einzelnen zu bestreiten. Zwar hat er mit der Berufungserwiderung gerügt und stützt darauf auch seine Revision, daß die Beklagte nur eine Fotokopie und nicht das Originalprüfungszeugnis des Arbeitnehmers K vorgelegt habe. Hierbei verkennt der Kläger jedoch, daß die Vorinstanz es als unstreitig angesehen hat, daß der Arbeitnehmer K die Prüfung im Ausbildungsberuf Fräser bestanden hat. Ein Urkundenbeweis ist im Hinblick auf die unstreitigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts entbehrlich.