Anrechnung von Tariflohnerhöhung und Mitbestimmung

BAG 1 AZR 100/88 vom 11. Aug. 1992

Nicht amtlicher Leitsatz

1. Aus der Tatsache, daß eine übertarifliche Zulage über viele Jahre hinweg vorbehaltlos zum Tariflohn gewährt wurde, ergibt sich keine betriebliche Übung und damit auch kein Anspruch auf die Weiterzahlung der Zulage in der bisherigen Höhe (ständige Rechtsprechung).

2. Hat sich das Verhältnis der Zulagen zueinander nicht verändert, sondern ist der Verteilungsgrundsatz gleich geblieben, hat der Betriebsrat nicht mitzubestimmen.

Tatbestand

Der Kläger und die Beklagte streiten darüber, ob diese eine Tariflohnerhöhung rechtswirksam auf eine übertarifliche Zulage des Klägers angerechnet hat. Der Kläger ist bei der Beklagten seit vielen Jahren beschäftigt, seit Dezember 1968 als Angestellter. Er erhält zusätzlich zu seinem Tarifgehalt verschiedene Zulagen, die in seinem Arbeitsvertrag folgendermaßen bezeichnet sind:

"...

Innerbetriebliche freiwillige Zulage

Sozialzulage

Sonstige freiwillige anrechenbare Zulage"

Die als innerbetriebliche und freiwillig bezeichnete Zulage betrug 5 % des Tarifgehaltes. Sie wurde allen Angestellten bezahlt. Im Jahre 1986 beschloß die Beklagte, diese Zulage durch Anrechnung auf Tariflohnerhöhungen im Verlaufe eines Zeitraums von fünf Jahren abzubauen. Sie teilte dies in einem Aushang vom 21. Juli 1986 allgemein und in einem Schreiben vom 28. Juli 1986 auch dem Kläger persönlich mit. Dementsprechend erhalten der Kläger und alle anderen in dem Mannheimer Betrieb der Beklagten beschäftigten Angestellten seit der Tarifgehaltserhöhung vom 1. August 1986 eine Zulage von nur noch 4 % des Tarifgehaltes. Der Betriebsrat der Beklagten wurde im Zusammenhang mit der Anrechnung der Tariflohnerhöhung nicht beteiligt. Zu der Zahlung dieser Zulage war es gekommen, weil sich im Jahre 1960 die Angestelltengehälter in den verschiedenen Tarifgebieten und darüber hinaus auch die Löhne für die Arbeiter einerseits und die Gehälter für Angestellte andererseits unterschiedlich entwickelt hatten. Deshalb gewährte die Beklagte den Angestellten ihres Betriebes in Mannheim eine Zulage von 5 % zum jeweiligen Tarifgehalt.

Die Zulage wurde in betrieblichen Aushängen vom 14. Juli 1961 und 24. Juli 1962 als "innerbetriebliche freiwillige Zulage" bezeichnet. In beiden Aushängen heißt es weiter:

"Wir weisen auch diesmal darauf hin, daß wir grundsätzlich nicht die Absicht haben, im Falle einer Erhöhung des Gehaltstarifes diese freiwilligen innerbetrieblichen Zuschläge anzurechnen, jedoch müssen wir uns dennoch die Anrechnung bei außergewöhnlichen Tarifänderungen vorbehalten."

Der Kläger erhielt, nachdem im Jahre 1981 ein neuer Gehaltsrahmentarifvertrag in Kraft getreten war, von der Beklagten eine Gehaltsmitteilung vom 14. Juli 1981, in der wie in seinem Anstellungsvertrag unterschieden war zwischen:

"Freiwillige innerbetriebliche Zulage (5 %)

Sonstige anrechenbare Zulage

Sozialzulage"

In einer weiteren Gehaltsmitteilung vom 16. März 1983 sind die Zulagen folgendermaßen bezeichnet:

"Innerbetriebliche Zulage

Sonstige anrechenbare Zulage

Sozialzulage

..."

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe aufgrund dieses Sachverhalts und unter dem Gesichtspunkt betrieblicher Übung ein Anspruch auf die streitige Zulage zu; diese sei anrechnungsfest. Außerdem unterliege die Anrechnung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Da dieser nicht beteiligt worden sei, habe die Beklagte die Zulage weiterzuzahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 630,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem jeweiligen aus 45,-- DM brutto monatlich sich errechnenden Nettobetrag jeweils monatlich seit dem 25. September 1986, 25. Oktober 1986, 25. November 1986, 25. Dezember 1986, 25. Januar 1987, 25. Februar 1987, 25. März 1987, 25. April 1987, 25. Mai 1987, 25. Juni 1987, 25. Juli 1987, 25. August 1987 und 25. September 1987 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich, daß die Zulage angerechnet werden könne. Aus der jahrelangen Zahlung einer übertariflichen Zulage zum jeweiligen Tariflohn lasse sich auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben noch nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers schließen, damit für alle Zukunft den gegenwärtigen übertariflichen Lohnbestandteil unverändert zum jeweiligen Tariflohn weiterzahlen zu wollen. Den Betriebsrat habe sie zu Recht nicht beteiligt, da vorliegend ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht gegeben sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen bisher gestellten Antrag weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.1. Das Landesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, weder im Arbeitsvertrag noch sonst sei zwischen den Parteien eine einzelvertragliche Abrede getroffen worden, die einen Anspruch auf eine 5 %-ige Zulage begründete.

2. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, aus der Tatsache, daß die Zulage über viele Jahre hinweg vorbehaltlos zum Tariflohn gewährt worden sei, ergebe sich keine betriebliche Übung und damit auch kein Anspruch auf die Weiterzahlung der übertariflichen Zulage in bisheriger Höhe, entspricht im übrigen der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, vorliegend könne aus der längeren Dauer der ungekürzten Zahlung einer Zulage (über 26 Jahre hinweg) allein nicht geschlossen werden, daß der Arbeitgeber sich für die Zukunft hätte binden wollen. Bereits bei erstmaliger Gewährung dieser Zulage wurde diese als innerbetriebliche freiwillige Zulage bezeichnet. Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten eines neuen Gehalts- und Rahmentarifvertrages wurde dem Kläger am 14. Juli 1981 noch einmal eine Gehaltsmitteilung zugeleitet, aus der er ersehen konnte, daß die Beklagte diese Zulage weiterhin als freiwillige ansah. Denn als solche ist sie bezeichnet worden. Das Landesarbeitsgericht hat auch ohne Rechtsfehler angenommen, aus dieser Gehaltsmitteilung ergebe sich, ebenso wie aus der vom 16. März 1983, daß die Beklagte weiterhin sich die Anrechnung dieser Zulage vorbehalten hatte. Sie hat nämlich in beiden Gehaltsmitteilungen zwischen der "freiwilligen innerbetrieblichen Zulage" von 5 % des Tarifgehalts und einer "sonstigen anrechenbaren Zulage" unterschieden. Wenn hieraus das Landesarbeitsgericht entnimmt, auch die freiwillige innerbetriebliche Zulage habe anrechenbar sein sollen, so ist das nicht rechtsfehlerhaft. Die Revision hat in Wirklichkeit insoweit auch gar keinen Rechtsfehler gerügt, sondern nur auf die Möglichkeit hingewiesen, daß die Gehaltsmitteilungen auch anders ausgelegt werden könnten.

Der Kläger hat auch nichts dafür vorgetragen, daß die Zulage für eine besondere Leistung (Erschwernis) gewährt worden wäre, die im Tarifvertrag nicht abgegolten war. Dementsprechend hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, aus individualrechtlichen Gründen sei die Beklagte nicht gehindert gewesen, die Tariflohnerhöhung auf die Zulage anzurechnen.

II. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch entschieden, die Teilanrechnung der Tariflohnerhöhung auf die fragliche Zulage sei nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unzulässig.

Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat im Beschluß vom 3. Dezember 1991 entschieden, die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen unterliege dann nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gelte unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolge oder sich automatisch vollziehe. Der Große Senat hat auch ausgeführt, wann von einer Änderung der Verteilungsgrundsätze auszugehen sei. Rechnet der Arbeitgeber einen bestimmten Prozentsatz der Tariflohnerhöhung auf jede Zulage an, ändern sich die Verteilungsgrundsätze nur dann nicht, wenn die Zulagen in einem einheitlichen und gleichen Verhältnis zum jeweiligen Tariflohn stehen und die Tariflöhne um den gleichen Prozentsatz erhöht werden. Gerade um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend. Der Arbeitgeber hat allen Angestellten des Betriebes in Mannheim eine übertarifliche Zulage von 5 % des jeweiligen Tarifgehalts gewährt. Er hat dann von der Tarifgehaltserhöhung im Jahre 1986 1 % auf die jeweilige Zulage angerechnet. Dementsprechend haben nach der Anrechnung alle Angestellten noch eine freiwillige Zulage von 4 % des Tarifgehalts erhalten. Das Zulagenvolumen ist also durch die Anrechnung gekürzt worden, ohne daß sich an dem Verteilungsgrundsatz irgend etwas geändert hätte. Hat z.B. bisher das Tarifgehalt der Angestellten A, B und C 2.000,-- DM bzw. 3.000,-- DM bzw. 5.000,-- DM betragen, so hatten diese Angestellten bei einer 5 %igen Zulage eine Zulage von 100,-- DM, 150,-- DM bzw. 250,-- DM. Das entspricht einem Verhältnis von 2 : 3 : 5. Wird nun 1 % der Tariflohnerhöhung angerechnet, beträgt die Zulage bei A 80,-- DM, bei B 120,-- DM und bei C 200,-- DM, was wiederum einem Verhältnis von 2 : 3 : 5 entspricht. Hat sich aber das Verhältnis der Zulagen zueinander nicht verändert, sondern ist der Verteilungsgrundsatz gleich geblieben, hatte der Betriebsrat nicht mitzubestimmen, so daß auch hierauf die Klage nicht hat gestützt werden können.