Wirksamkeit einer Betriebsratswahl; Aufführen der Kandidaten auf dem Stimmzettel als Voraussetzung für die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl

LAG Köln 5 TaBV 29/11 vom 5. März 2012

Leitsatz

1. Nach § 11 Abs. 2 WO sind die Vorschlagslisten (nur) unter Angabe der beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber aufzuführen.

2. § 11 Abs. 2 WO ist eine wesentliche und zwingende Wahlvorschrift.

3. Eine Betriebsratswahl ist anfechtbar, wenn auf dem Stimmzettel alle Kandidaten aufgeführt werden.

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 13.01.2011 - 8 BV 15/10 - abgeändert:

Die Betriebsratswahl vom 19.01.2010 wird für unwirksam erklärt.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Der Wahlvorstand hing das Wahlausschreiben für die Betriebsratswahl vom 19. Januar 2010 am 25. November 2009 aus. Für die Wahl kandidierten zwei Listen. Die Liste 1 bestand aus 13 Wahlbewerbern, die Liste 2 aus vier. Auf dem Stimmzettel für die Betriebsratswahl (Kopie Bl. 14 d. A.) wurden alle Kandidaten aufgeführt.

Die Auszählung der Stimmen erfolgte am 20. Januar 2010. Von den 70 als gültig angesehenen Stimmen entfielen ausweislich der Wahlbekanntmachung vom 26. Januar 2010 63 auf die Liste 1 und sieben auf die Liste 2.

Mit dem am 29. Januar 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 4) die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht, die sie auf unterschiedliche Anfechtungsgründe gestützt haben. Die anfechtenden Arbeitnehmer sind im Laufe des Verfahrens aus den Diensten der Beteiligten zu 6) ausgeschieden.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) haben die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Das Wahlausschreiben habe nicht bis zum Abschluss des Wahlverfahrens ausgehangen. Am 19. Januar 2010 habe der Gewerkschaftssekretär B um 21:30 Uhr festgestellt, dass der Aushang nicht mehr da gewesen sei. Zudem sei u. a. das Wahlausschreiben fehlerhaft, das Wahlgeheimnis sei verletzt worden, die Briefwahl sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Darüber hinaus sei durch die Ausgestaltung des Stimmzettels gegen § 11 Abs. 2 WO verstoßen worden.

Die Beteiligten zu 1) bis 3) haben beantragt,

festzustellen, dass die am 19.01.2010 im Betrieb der Fa. Media-Cologne Kommunikationsmedien GmbH durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam ist.

Der Beteiligte zu 5) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Wahl zum Betriebsrat sei wirksam. Die wesentlichen Wahlvorschriften seien beachtet worden. Jedenfalls hätten sich mögliche Wahlfehler nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt. In einem kleinen mittelständischen Betrieb habe auch der Umstand, dass auf dem Stimmzettel sämtliche Listenbewerber genannt worden seien, keinen Einfluss auf das Wahlergebnis. In dem Betrieb, in dem jeder jeden kenne, mache sich der Wähler ohnehin über die Wahlbekanntmachung mit sämtlichen Kandidaten der jeweiligen Liste vertraut und wähle aufgrund persönlicher Vertrauensbeziehungen. Aufgrund dieser persönlichen Nähe des Wählers zum Kandidaten spiele die Aufmachung der Listen keine Rolle.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 13. Januar 2011, auf den Bezug genommen wird, zurückgewiesen. Gegen den ihnen am 25. Februar 2011 zugestellten erstinstanzlichen Beschluss haben die Beteiligten zu 1) bis 4) am 24. März 2011 Beschwerde eingelegt und diese am 6. April 2011 begründet.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind nach wie vor der Auffassung, es sei bei der Wahl gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 13. Januar 2011 – 8 BV 15/10 – abzuändern und festzustellen, dass die am 19.01.2010 im Betrieb der Fa. M GmbH durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam ist.

Der Beteiligte zu 5) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags den angefochtenen Beschluss. Er bestreitet mit Nichtwissen, das die Gewerkschaft v im Betrieb vertreten ist.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen B . Wegen des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Kammersitzung vom 5. März 2012 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) ist zulässig. Sie ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der Antrag ist zulässig, weil die Beteiligte zu 4) im Betrieb der Beteiligten zu 6) vertreten ist. Dies steht nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung des Gerichts fest. Der Antrag ist auch begründet, weil durch die Ausgestaltung der Stimmzettel gegen § 11 Abs. 2 WO und damit gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Die notwendige Kausalität ist gegeben. Durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis beeinflusst worden sein. Auf die Frage, ob weitere Wahlverstöße vorliegen, kommt es nicht an.

a) Der Antrag ist zulässig, weil die Beteiligte zu 4) im Betrieb der Beteiligten zu 6) vertreten ist. Dies steht nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung des Gerichts fest.

aa) Zur Anfechtung einer Betriebsratswahl sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sowohl drei Wahlberechtigte als auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft berechtigt.

Wird eine Betriebsratswahl nur von wahlberechtigten Arbeitnehmern angefochten und scheiden alle Wahlanfechtenden während des Beschlussverfahrens aus ihren Arbeitsverhältnissen endgültig aus, so führt dies zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses und damit zur Unzulässigkeit des Wahlanfechtungsverfahrens (BAG 16. November 2005 – 7 ABR 9/05 – NZA 2006, 340; 15. Februar 1989 – 7 ABR 9/88 – NZA 1990, 115).

Eine Gewerkschaft ist im Betrieb vertreten, wenn ihr mindestens ein Arbeitnehmer des Betriebs angehört, der nicht zu den leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG zählt. Die Gewerkschaft kann den erforderlichen Beweis auch durch mittelbare Beweismittel, z. B. durch notarielle Erklärungen führen, ohne den Namen ihres im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigten Mitglieds zu nennen. Ob diese Beweisführung ausreicht, ist eine Frage der freien Beweiswürdigung (BAG 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – NZA 1993, 134).

§ 2 Abs. 2 BetrVG setzt lediglich voraus, dass die Gewerkschaft mit irgendeinem Mitglied im Betrieb vertreten ist. Da der Name ihres Mitglieds keine rechtliche Bedeutung hat, ist der Sachvortrag bereits dann ausreichend substantiiert und einer Beweisaufnahme zugänglich, wenn er sich auf eine bestimmte Person bezieht und diese Person nach den dargelegten Tatsachen sowohl Mitglied der antragstellenden Gewerkschaft ist als auch im Betrieb der Arbeitgeberin als Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt wird (BAG 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – NZA 1993, 134).

bb) Danach ist der Antrag durch das Ausscheiden der Beteiligten zu 1) bis zu 3) aus den Diensten der Beteiligten zu 6) nicht unzulässig geworden. Denn die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Beteiligte zu 4) im Betrieb vertreten ist.

Das Gericht ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 ZPO) davon überzeugt, dass Mitglieder der Gewerkschaft v bei der Beteiligten zu 6) beschäftigt sind. Die Kammer hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass der Ausdruck, den der Zeuge B in der Kammerverhandlung vorgelegt hat, den tatsächlichen Mitgliederbestand von v bei der Beteiligten zu 6) wiedergibt. Dies hat er durch seine glaubhafte Aussage in der Kammerverhandlung bestätigt. Dafür, dass die Gewerkschaft v im Betrieb vertreten ist, spricht auch, dass dem Gewerkschaftssekretär B Zugang zum Betrieb gewährt worden ist. Das Zugangsrecht ist – soweit ersichtlich - von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt werden. Dieses ist – ebenso wie die Berechtigung zur Anfechtung der Betriebsratswahl – an die Voraussetzung geknüpft, dass die Gewerkschaft im Betrieb vertreten ist (§ 2 Abs. 2 BetrVG).

Der Zeuge war nicht gehalten, die Namen der Mitarbeiter der Beteiligten zu 6) zu nennen, die Mitglied bei v sind. Der Name des Mitglieds hat für die Frage, ob eine Gewerkschaft im Betrieb vertreten ist, keine rechtliche Bedeutung.

b) Der Antrag ist begründet, weil durch die Ausgestaltung der Stimmzettel gegen § 11 Abs. 2 WO und damit gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Die notwendige Kausalität ist gegeben.

aa) Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

Als wesentlich sind solche Normen anzusehen, die tragende Grundprinzipien des Wahlrechts enthalten. Hierzu zählen grundsätzlich die zwingenden Wahlvorschriften (BAG 14. September 1988 – 7 ABR 93/87 – NZA 1898, 360; LAG Schleswig-Holstein 15. September 2011 – 5 TaBV 3/11 – juris; Fitting § 19 BetrVG Rn. 10).

§ 11 Abs. 2 WO stellt eine zwingende Wahlvorschrift dar. Dies ergibt sich aus der Formulierung der Bestimmung. Danach "sind" auf den Stimmzetteln die Vorschlagslisten nach der Reihenfolge der Ordnungsnummern sowie unter Angabe der beiden an erster Stelle benannten Bewerber mit Familiennamen, Vorname und Art der Beschäftigung untereinander aufzuführen.

Werden Stimmzettel verwendet, bei denen die Wahl durch Ankreuzen eines Kreises zu erfolgen hat und ist einer der mehreren Kreise merklich stärker als die Anderen ausgedruckt, so stellt dies nach der Rechtsprechung des BAG einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Wahl dar. Dieser Verstoß ist deswegen gegeben, weil der Wähler unbewusst gerade diesen Kreis ankreuzen kann, aber auch, weil der Wähler entweder einer von ihm in den stärkeren Ausdrucken dieses Kreises erblickten Wahlbeeinflussung folgen oder im Gegenteil sich ihr widersetzen will. Es kommt nicht darauf an, ob der stärkere Ausdruck eines Kreises auf dem Wahlzettel beabsichtigt war und insbesondere der Wahlbeeinflussung dienen sollte (BAG 14. Januar 1969 – 1 ABR 14/68 – BAGE 21, 277).

Gleiches gilt, wenn alle Listenbewerber der Vorschlaglisten entgegen der Vorgabe des § 11 Abs. 2 WO auf den Stimmzetteln aufgeführt werden (LAG Schleswig-Holstein 15. September 2011 – 5 TaBV 3/11 – juris).

Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (BAG 21. Januar 2009 – 7 ABR 65/09 – AP § 19 BetrVG 1972 Nr. 61; 25. Mai 2005 – 7 ABR 39/04 – BAGE 115, 34).

bb) Danach erweist sich die Betriebsratswahl als unwirksam, weil mit der Gestaltung des Stimmzettels gegen die wesentliche Wahlvorschrift des § 11 Abs. 2 WO verstoßen worden ist, indem alle Wahlbewerber der jeweiligen Liste aufgeführt worden sind.

Die Betriebsratswahl muss wiederholt werden, weil sich nicht konkret feststellen lässt, dass bei Einhaltung der Wahlvorschriften ein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass Wahlberechtigte in einer relevanten Anzahl bei einer gesetzeskonformen Ausgestaltung des Stimmzettels anders abgestimmt hätten.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 92a ArbGG verwiesen.