Einstweilige Verfügung gegen Betriebsratswahl

LAG Hamm 3 TaBV 137/94 vom 9. Sep. 1994

Leitsätze

Nur in besonderen Ausnahmefällen kann durch einstweilige Verfügung auch ein vorzeitiger Abbruch der Betriebsratswahl vorgesehen werden, dann nämlich, wenn der festgestellte Rechtsmangel nicht korrigierbar und die Weiterführung der Wahl mit Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung oder Nichtigkeit der Betriebsratswahl zur Folge hätte.

Gründe

A.

In dem beim Arbeitsgericht Herford am 01.09.1994 eingereichten Beschlussverfahren erstrebt die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung von dem Antragsgegner den Abbruch bzw. die Veränderung von Vorbereitungshandlungen zur Durchführung einer erstmaligen Betriebsratswahl.

Die Antragstellerin des Verfahrens (künftig: Arbeitgeberin) ist eine GmbH mit Sitz in B., die mit ca. 35 Arbeitnehmern Metallwaren, speziell Ladenbedarfsartikel, herstellt. Der Antragsgegner des Verfahrens ist der aus drei Mitgliedern bestehende und durch rechtskräftigen Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 26.05.1994 bestellte Wahlvorstand (künftig: WV: Mitglieder: Gewerkschaftssekretär D. S., Arbeitnehmer der Arbeitgeberin Schweißer G. S. technischer Angestellter der Arbeitgeberin R. H.) zur Durchführung einer erstmaligen Betriebsratswahl im Betriebe der Arbeitgeberin.

Der WV erließ am 01.08.1994 folgendes Wahlausschreiben:

- folgt Kopie des Wahlausschreiben für die Wahl des Betriebsrates - Gruppenwahl -

Der einzige überhaupt aufgrund des Wahlausschreibens eingereichte Wahlvorschlag wurde am 15.08.1994 von Herrn S. in der zu dieser Zeit stattfindenden Wahlvorstandssitzung vorgelegt, wie er wie folgt unter dem 09.09.1994 eidesstattlich selbst versichert hat:

Eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Landesarbeitsgericht Hamm

Im Verfahren

Firma D../. Wahlvorstand

In Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung versichere ich, D.S., S., H. an Eides Statt:

Die Wahlvorschlag der Industriegewerkschaft Metall-Verwaltungsstelle H.-, unterschrieben von den IGM-Beauftragten E.S. und D.S. ist mit (D.S. in meiner Funktion als Vorstand des Wahlvorstandes) am Freitag, den 12. August 1994 vor Arbeitsende in der Verwaltungsstelle (13.00 Uhr) überreicht worden.

Am Montag, den 15. August 1994 habe ich den Wahlvorschlag unverzüglich zur Wahlvorstandssitzung bei der Firma D. mitgenommen und dem Wahlvorstand vorgelegt (siehe Protokoll vom 15. August 1994, Wahlvorstandssitzung).

Diese konnte auch gar nicht anders sein, da der Kollege S. am Montag morgen um 7.00 Uhr einen Termin bei dem Betriebsrat der Firma K. wahrgenommen hat.

Dieses versichern wir an Eides statt.

H., den 9. September 1994

D.S.

- folgt Fotokopie des Wahlvorschlags -

Die Arbeitgeberin hat gemeint, die Wahlvorbereitungen seien abzubrechen bzw. zu verändern, da der eingereichte Wahlvorschlag nur zwei Bewerber für drei Betriebsratsmitglieder ausweise.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. der auf den 12. September 1994 bestimmte Termin zur Betriebsratswahl wird aufgehoben und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben;

2. der aus dem Antragsteller und den beiden Antragsgegnern bestehende Wahlvorstand wird verpflichtet, folgende Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Betriebsratswahl der Fa. D. neu festzustellen:

a) einen neuen Wahltermin bekanntzugeben,

b) eine neue Frist für die Einreichung von Vorschlagslisten (Wahlvorschläge für die Gruppe der Arbeiter einerseits und die Gruppe der Angestellten andererseits zu verlautbaren

c) hilfsweise: eine Nachfrist von einer Woche zu setzen, falls für eine der beiden Gruppen (Arbeiter oder Angestellte) kein gültiger Wahlvorschlag in der gesetzten Frist eingereicht wurde.

Weiter hilfsweise: im letzteren Fall die Arbeitnehmerschaft bei Nachfristsetzung darauf hinzuweisen, dass bei Nichteinreichung einer ausreichenden Zahl von Wahlvorschlägen weniger als drei Betriebsräte gewählt werden können.

Der Antragsgegner hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Durch Beschluss vom 05.09.1994 hat das Arbeitsgericht die Anträge zurückgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen diesen Beschluss hat die Arbeitgeberin form- und fristgerecht einschließlich der Begründung Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt.

Die Arbeitgeberin meint weiterhin unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, die Wahlvorbereitungen seien zu korrigieren oder abzubrechen, da auch der einzige Wahlvorschlag verspätet am 15.08.1994 eingereicht worden sei, wie sich aus der eingereichten eidesstattlichen Versicherung des Wahlvorstandsmitgliedes H. vom 08.09.1994 ergebe.

Die Antragsteller beantragt,

1. der auf den 12. September 1994 bestimmte Termin zur Betriebsratswahl wird aufgehoben und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben;

2. der aus den drei Antragsgegnern bestehende Wahlvorstand wird verpflichtet, folgende Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Betriebsratswahl der Fa. D. neu festzustellen:

a) einen neuen Wahltermin bekanntzugeben,

b) eine neue Frist für die Einreichung von Vorschlagslisten (Wahlvorschläge) für die Gruppe der Arbeiter einerseits und die Gruppe der Angestellten andererseits zu verlautbaren,

c) hilfsweise: eine Nachfrist von einer Woche zu setzen, falls für eine der beiden Gruppen (Arbeiter oder Angestellte) kein gültiger Wahlvorschlag in der gesetzten Frist eingereicht wurde.

Weiter hilfsweise: im letzteren Falle die Arbeitnehmerschaft bei Nachfristsetzung darauf hinzuweisen, dass bei Nichteinreichung einer ausreichenden Zahl von Wahlvorschlägen weniger als drei Betriebsräte gewählt werden können.

Der Antragsgegner beantragt,

1. die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen,

2. der Antragstellerin eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher sie die Hauptsache anhängig zu machen hat.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.

B.

I.

Die nach §§ 89, 87, 66, 64Abs. 1, 516 ff. ZPO an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.

1. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig.

a. Gemäß §§ 2 a, 80, 85Abs. 1 ist das gewählte Beschlussverfahren für die begehrte einstweilige Verfügung die richtige Verfahrensart. Das Gericht soll regelnd in eine gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vom WV durchgeführte Wahlvorbereitung eingreifen, also eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit entscheiden.

b. Auch wenn die Arbeitgeberin mit der Eingriffsregelung in das Wahlverfahren eigentlich keine der in §§ 935, 940 ZPO vorgesehene einstweilige Regelung, sondern eine vorläufige tatsachenschaffende Regelung, also eine Leistungs- oder Befriedigungsverfügung begehrt, ist eine solche Leistungsverfügung als Eingriff in ein Wahlverfahren nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer (vgl. dazu zuletzt den Beschluss vom 01.03.1994 - 3 TaBV 20/94 -) nicht von vornherein, wie der Wahlvorstand meint, unzulässig (für die Zulässigkeit auch mit weiteren Nachweisen: Kreutz, GK-Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl., § 18 Rdn. 76 m.w.N.; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 17. Aufl., § 18 Rdn. 22 ff.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 4. Aufl., § 18 Rdn. 22; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 4. Aufl., § 19 Rdn. 18; Germelmann/Matthes/Prütting, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, 1990, § 85 Rdn. 38).

c. Das Rechtsschutzinteresse für die erstrebte Eingriffsregelung, der Verfügungsgrund, ergibt sich von selbst aus dem nahen Termin der Betriebsratswahl am 12.09.1994.

d. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis aller folgt aus §§81, 10, 83 Abs. 3 ArbGG.

2. Der Antrag ist auch in der durch das Beschwerdegericht gefassten Tenorierung begründet, wobei das Gericht berücksichtigt hat, dass es gem. § 938 Abs. 1 ZPO nicht an die Anträge der Beteiligten gebunden ist, sondern nach freiem Ermessen bestimmen darf, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind.

a. Da, wie aufgezeigt, die erstrebte Leistungsverfügung eine von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahmeverfügung ist, ist unter Anlegung eines strengen Maßstabes im Rahmen einer Gesamtabwägung das Für und das Wider zu prüfen. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann durch einstweilige Verfügung auch ein vorzeitiger Abbruch der Wahl vorgesehen werden, dann nämlich, wenn der festgestellte Rechtsmangel nicht korrigierbar und die Weiterführung der Wahl mit Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung oder Nichtigkeit der Betriebsratswahl zur Folge hätte (zum ganzen: Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 18 Rdn. 22 a; Kreutz, a.a.O., § 18 Rdn. 76, 77 und die oben unter 1 b zitierte Literatur und Rechtsprechung der Kammer mit weiteren Nachweisen).

b. Diese Voraussetzungen für die angestrebte Leistungsverfügung sind hier gegeben.

Die Durchführung der Wahl am 12.09.1994 war abzubrechen, da sie nichtig gewesen wäre, denn für sie lag kein gültiger Wahlvorschlag vor, was zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl führt (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 14 Rdn. 44).

aa. Der von Herrn S. am 15.08.1994 eingereichte Wahlvorschlag ist schon nicht fristgemäß entsprechend dem Wahlausschreiben bis zum 12.08.1994 bis 16.00 Uhr bei den Wahlvorstandsmitgliedern S. und H. eingereicht worden. Nach §§ 6 Abs. 1, 8 Abs. 1 der ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 16.01.1972 in der Fassung vom 28.09.1989 (künftig: WO 72)ist diese Einreichungsfrist eine Ausschlussfrist, deren Versäumung den Vorschlag ungültig macht (Fitting/Auffahrt/Kaiser/Heither, a.a.O., § 6 WO 72 Rdn. 3 m.w.N.). Abgabeort, -zeit und -Person waren Herrn S. hinreichend bekannt, denn er hatte selbst diese Fakten mit seiner Unterschrift unter das Wahlausschreiben aufgestellt.

Diese Ungültigkeit von verspätet eingereichten Vorschlägen dient der Wahlklarheit und der Verhinderung von Wahlmanipulationen. Wollte man es hinnehmen, dass jemand, der nach dem Wahlausschreiben nicht berechtigt ist, Wahlvorschläge entgegen zu nehmen und diese Annahme entsprechend zu bestätigen (§ 7 Abs. 1 WO 72), zu irgendeinem Zeitpunkte nach Fristablauf wirksam erklären könnte, er habe fristgemäß einen Wahlvorschlag erhalten, wäre der fristgemäße Eingang von Vorschlägen weder für die Wähler, noch den Wahlvorstand, noch ein nachprüfendes Gericht mehr feststellbar.

bb. Der von Herrn S. eingereichte Vorschlag entspricht ferner nicht der Formvorschrift von § 6 Abs. 4 WO 72. Er enthält keine Gruppenzugehörigkeit der aufgeführten Bewerber und nicht ihre Zustimmungserklärung. Er ist deshalb als ungültig vom WV zu beanstanden (§§ 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 WO 72). Diese Mängel sind nicht in der möglichen Dreitagesfrist (§ 8 Abs. 2 WO 72) behoben worden. Allerdings scheidet die Behebung dieser Mängel vorliegend aus, weil der Vorschlag schon gemäß § 8 Abs. 1 WO 72 endgültig ungültig wegen der nicht eingehaltenen Frist ist.

3. Auf den zweitinstanzlichen Antrag des WV auf Fristbestimmung für das Hauptsacheverfahren war nicht einzugehen, denn dieser Antrag kann erst gestellt werden, wie sich aus dem Wortlaut von § 926 Abs. 1 ZPO ergibt, wenn eine einstweilige Verfügung von der Gegenpartei erwirkt ist. Das ist Antragsvoraussetzung (so auch: Hartmann in Baumbach/Lauterbach, Kommentar zur ZPO, 52. Aufl., § 926 Rdn. 3 b). Davon abgesehen ist wegen der vorliegenden Leistungsverfügung der Hauptsacheantrag gleichlautend und dieser hat sich mit dem Ablauf des Wahltermintages vom 12.09.1994 erledigt, was ein Rechtsschutzinteresse an dem Antrage jedenfalls entfallen lässt.