Entfernung einer Abmahnung - Betriebsratsschulung - Abmeldepflicht

BAG 7 AZR 348/89 vom 27. Juni 1990

Nicht amtlicher Leitsatz

Streit über die Berechtigung einer Abmahnung und über einen Lohnanspruch für die Zeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechtigung einer Abmahnung und über einen Lohnanspruch der Klägerin für die Zeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG.

Die Klägerin ist Arbeiterin in der Buchbinderei der Beklagten in U. Ihre monatliche Vergütung beträgt ca. DM 2.400,-- brutto. Seit April 1981 ist sie Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten und aus drei Personen bestehenden Betriebsrates und nahm am 17. März 1982 und am 4. Mai 1987 an zwei jeweils eintägigen Betriebsratsschulungen teil. Das Betriebsratsmitglied S besuchte in der Zeit vom 19. Oktober 1986 bis zum 23. Oktober 1986 eine Schulungsveranstaltung mit dem Thema: "Betriebsrätekursus A 1".

In seiner Sitzung vom 3. Juni 1987 beschloß der Betriebsrat die Entsendung der Klägerin und des seit 1987 dem Betriebsrat angehörenden Betriebsratsvorsitzenden W zu einer in der Zeit vom 11. bis 17. Oktober 1987 stattfindenden Betriebsratsschulung mit dem Thema "Betriebsrätekursus A 1". Diesen Beschluß teilte der Betriebsrat der Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 1987 mit. Am 19. Juni 1987 erhielt die Beklagte das Schulungsprogramm zur Einsicht. Mit Schreiben vom 21. Juli 1987 stimmte die Beklagte der Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden zu und lehnte die Teilnahme der Klägerin ab. Am 3. August 1987 teilte der Betriebsrat der Beklagten schriftlich mit, daß der Entsendungsbeschluß für die Schulung im Oktober wegen Überbelegung des Kurses aufgehoben wurde. Zugleich informierte der Betriebsrat die Beklagte, daß in der Sitzung vom 3. August 1987 beschlossen worden war, den Betriebsratsvorsitzenden und die Klägerin in der Zeit vom 10. Januar bis 16. Januar 1988, hilfsweise vom 24. Januar bis 30. Januar 1988 zur Schulung "Betriebsrätekursus A 1 - Die Betriebsverfassung in der praktischen Anwendung -" zu entsenden.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1987 an den Betriebsrat lehnte die Beklagte eine Teilnahme der Klägerin an der Schulung wiederum ab. Auf Bitten des Betriebsrates richtete die IG Druck und Papier am 14. Dezember 1987 ein Schreiben an die Beklagte, um die Erforderlichkeit der Teilnahme der Klägerin an der Schulung darzulegen. Mit Schreiben vom 29. Dezember 1987 an die IG Druck und Papier stellte die Beklagte erneut fest, daß die Teilnahme der Klägerin nicht erforderlich sei und abgelehnt werde. Am 15. Januar 1988 wurde dem Geschäftsführer der Beklagten eine Verdienstausfallbescheinigung der Klägerin und des Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit vom 25. Januar bis 29. Januar 1988 vorgelegt. Die Verdienstausfallbescheinigung der Klägerin wurde von der Beklagten nicht unterzeichnet. Die Klägerin nahm in der Zeit vom 24. bis 30. Januar 1988 an der Schulungsveranstaltung teil.

Am 1. Februar 1988 händigte die Beklagte der Klägerin eine durch Ausfüllen eines Formulars formulierte Abmahnung aus.

.....

Die Beklagte behielt die für die Zeit vom 25. Januar bis 29. Januar 1988 ausgezahlte Vergütung in Höhe von 555,60 DM brutto anläßlich der Februarabrechnung ein.

Die Klägerin hat am 9. Februar 1988 Klage eingereicht. Sie hat vorgetragen, daß sie sich vor der Schulungsveranstaltung ordnungsgemäß abgemeldet habe. Mit Schreiben des Betriebsrates vom 4. Juni 1987 und 3. August 1987 sowie mit Schreiben der IG Druck und Papier vom 14. Dezember 1987 sei die Beklagte davon in Kenntnis gesetzt worden, daß sie an der Schulungsveranstaltung teilnehmen werde. Der Beklagten sei auch eine für die Klägerin ausgestellte Verdienstausfallbescheinigung für die Dauer der Schulung vorgelegt worden. Der Betriebsratsvorsitzende habe den Betriebsleiter Noldt noch in der Woche vor Antritt des Lehrganges darüber informiert, daß sowohl er als auch die Klägerin am Lehrgang teilnehmen würden. Die Teilnahme an der Schulung sei auch erforderlich gewesen. Durch die beiden bisher besuchten eintägigen Seminare habe sie keine ausreichenden Grundkenntnisse im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht erhalten. Die Arbeit des Betriebsrates habe immer darunter gelitten, daß der Betriebsrat unzureichend geschult und aufgeklärt gewesen sei. Die praktische Betriebsratstätigkeit habe dies nicht ausgleichen können. Durch die geringe Größe des Betriebes habe auch kein umfangreiches Erfahrungswissen durch ständige Routinearbeiten erworben werden können.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Abmahnung vom 1. Februar 1988 ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 555,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß die Abmahnung gerechtfertigt sei. Die Klägerin habe sich am Freitag, dem 22. Januar 1988, persönlich weder bei der Geschäftsleitung noch bei ihrem direkten Vorgesetzten abgemeldet. Eine Abmeldung durch den Betriebsratsvorsitzenden bei dem Betriebsleiter habe in der Woche vor der Teilnahme an der Schulung nicht stattgefunden. Im übrigen sei die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß aus der Sicht der Beklagten eine Teilnahme an der Schulung nicht erforderlich sei. Sie habe deshalb davon ausgehen können, daß ihre Bedenken bei der Klägerin Gehör finden würden und die Klägerin von der Teilnahme an der Schulung Abstand nehme. Die Schulung sei auch tatsächlich nicht erforderlich gewesen. Die Klägerin verfüge aufgrund ihrer langjährigen Betriebsratstätigkeit und aufgrund des Besuches zweier eintägiger Seminare über genügend Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht. Grundkenntnisse würden in der Regel durch langjährige Betriebsratstätigkeit, sogenanntes Erfahrungswissen, erworben. Sollte dies im Einzelfall nicht zutreffen, habe das Betriebsratsmitglied Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergebe, warum ein solches Erfahrungswissen nicht vorhanden sei. Dies sei hier nicht erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 10. Mai 1989 - 7 AZN 63/89 - die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 1. Februar 1988 aus ihrer Personalakte. Hinsichtlich des Zahlungsantrags war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Die der Klägerin erteilte Abmahnung ist ungerechtfertigt und daher aus der Personalakte zu entfernen.

1. Zur Begründung seiner gegenteiligen Würdigung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt: Die Abmahnung sei unabhängig davon berechtigt, ob der Besuch der Schulungsveranstaltung durch die Klägerin gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich war bzw. von ihr für erforderlich gehalten werden durfte. Denn die Klägerin habe an der Schulungsveranstaltung teilgenommen, ohne sich ordnungsgemäß abgemeldet zu haben. Beim Besuch einer Schulungsveranstaltung durch ein Betriebsratsmitglied sei der Betriebsrat verpflichtet, dem Arbeitgeber die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds mitzuteilen. Daneben müsse sich das Betriebsratsmitglied selbst bei seinem Vorgesetzten am Arbeitsplatz abmelden. Diese persönliche Abmeldung durch die Klägerin sei nach ihrem eigenen Vorbringen nicht erfolgt.

2. Bei dieser Würdigung ist das Landesarbeitsgericht zwar zutreffend davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer die Entfernung einer unberechtigten Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen kann. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach kann der Arbeitnehmer die Rücknahme einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers verlangen, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Ist eine Abmahnung zu Unrecht erfolgt, so kann sie zu einer falschen Beurteilung des Arbeitnehmers und damit zu nicht gerechtfertigten Nachteilen bei seinem beruflichen Fortkommen und anderen seine Rechtsstellung beeinträchtigenden Maßnahmen führen. Der Arbeitnehmer kann daher die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen, wenn der erhobene Vorwurf objektiv nicht gerechtfertigt ist.

3. Dem Landesarbeitsgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, die vorliegende Abmahnung sei berechtigt gewesen.

a) Es kann dahinstehen, ob die Würdigung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, die Klägerin habe sich nicht ordnungsgemäß abgemeldet, oder ob im Entscheidungsfall der Zweck der Abmeldepflicht dadurch hinreichend erfüllt war, daß die Beklagte insbesondere aufgrund der Vorlage der Verdienstausfallbescheinigung endgültig von der Schulungsteilnahme der Klägerin ausgehen mußte und daher ihre betrieblichen Dispositionen treffen konnte. Denn auf diese Frage kommt es für den Streitfall nicht an. Nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungsinhalt der Abmahnung hat die Beklagte der Klägerin nicht nur eine Verletzung der Abmeldepflicht vorgeworfen, sondern im Abmahnungsschreiben überdies zum Ausdruck gebracht, die Klägerin habe ihren Arbeitsplatz ohne das Vorliegen einer - angeblich erforderlichen - Genehmigung der Beklagten verlassen. Jedenfalls dieser zweite Vorwurf ist ungerechtfertigt, so daß die Abmahnung vom 1. Februar 1988, die sich als einheitliche Erklärung der Beklagten darstellt, insgesamt aus der Personalakte zu entfernen ist.

b) Das Abmahnungsschreiben vom 1. Februar 1988 erweckt jedenfalls bei einem späteren Leser, der die Einzelheiten des Verhaltens der Klägerin nicht kennt, den Eindruck, die Klägerin habe sich in der Zeit vom 25. bis 29. Januar 1988 unberechtigt ihrer Arbeitspflicht entzogen, indem sie ohne ein erforderliches Einverständnis der Beklagten an einem Lehrgang teilgenommen habe.

aa) In dem zur Erteilung der Abmahnung verwendeten Formular ist die Rubrik "Verlassen des Arbeitsplatzes ohne Genehmigung" angekreuzt. Hieraus muß ein unbefangener Dritter auf das Vorliegen eines Sachverhalts schließen, bei dem der Arbeitnehmer zum Verlassen des Arbeitsplatzes das Einverständnis des Arbeitgebers benötigt hätte, aber trotz Fehlens dieses Einverständnisses seinen Arbeitsplatz verlassen hat.

bb) Die Ausführungen der Beklagten unter der Rubrik "Genaue Beschreibung der Pflichtverletzung" sind nicht geeignet, diesen Eindruck richtigzustellen. Das Vorliegen einer solchen Richtigstellung könnte zwar erwogen werden, wenn man nur den ersten Satz dieser Ausführungen betrachtet: "Sie haben den Betrieb vom 25. Januar bis 29. Januar 1988 verlassen, ohne sich abzumelden". Denn hierin könnte eine ausreichende Klarstellung liegen, daß der Klägerin lediglich ein Verstoß gegen eine Abmeldepflicht, nicht aber ein Verlassen des Arbeitsplatzes ohne eine erforderliche Genehmigung vorgeworfen wird. Indessen wird durch den zweiten Satz dieser Ausführungen "Die Teilnahme am Lehrgang in Sp wurde von uns .. abgelehnt, aus den ihnen bekannten Gründen" diese Richtigstellung sogleich wieder aufgegeben. Denn die Beklagte wiederholt hier ihren Vorwurf, die Klägerin habe wegen dieser Ablehnung - und damit wegen des fehlenden Einverständnisses der Beklagten - nicht am Lehrgang teilnehmen dürfen.

c) Diese Kennzeichnung des der Klägerin vorgeworfenen Fehlverhaltens als einer ohne das erforderliche Einverständnis, ja sogar entgegen eines von der Beklagten ausgesprochenen Verbots erfolgten Nichterfüllung der Arbeitspflicht ist unzutreffend. Denn eines Einverständnisses der Beklagten bedurfte die Klägerin, wovon die Beklagte übrigens im vorliegenden Rechtsstreit selbst ausgeht, zur Teilnahme an der Schulungsveranstaltung nicht. Selbst wenn die Klägerin ihre Abmeldepflicht verletzt haben sollte, durfte die Beklagte der Klägerin mithin nicht vorwerfen, ohne ein erforderliches Einverständnis und trotz der erfolgten Ablehnung ihren Arbeitsplatz verlassen zu haben, um an einem Lehrgang teilzunehmen. Die diesen Eindruck erweckende Abmahnung vom 1. Februar 1988 ist daher aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

II. Auch hinsichtlich des Zahlungsanspruchs kann sich der Senat der Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht anschließen. Insoweit war jedoch der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Denn die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht aus.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Zahlungsklage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe schon wegen des Fehlens einer ordnungsgemäßen Abmeldung keinen Anspruch auf Lohnzahlung für die Zeit ihrer Schulungsteilnahme. Zur Frage der Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG hat das Landesarbeitsgericht daher folgerichtig keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

2. Diese Würdigung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Bei der erforderlichen Abmeldung des Betriebsratsmitglieds handelt es sich nicht um eine Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 37 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 2 BetrVG, so daß auch für den vorliegenden Streitgegenstand unerheblich ist, ob sich die Klägerin ordnungsgemäß abgemeldet hat. Insoweit ist allein entscheidend, ob das Betriebsratsmitglied vom Betriebsrat zu Recht zu der Schulungsveranstaltung entsandt worden ist, insbesondere also, ob die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich war. Zu dieser zwischen den Parteien auch im Tatsächlichen umstrittenen Frage hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen, so daß der Rechtsstreit hinsichtlich des Zahlungsantrags an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen war.