BAG 7. Senat, Urteil vom 18.08.1982 - 7 AZR 437/80, 2. Instanz: LAG Nds.
Zum Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Bekl. mit Schreiben vom 12. 1. 1980 ausgesprochenen ordentl. Kündigung
Die Kl. war seit dem 15. 7. 1979 als Buchhalterin gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2200 DM bei der Bekl. beschäftigt. Am 27. 12. 1979 teilte der Personalsachbearbeiter dem Betriebsratsvorsitzenden mit, die Bekl. müsse sich wahrscheinl. wegen unzureichender Arbeitsleistungen von der Kl. trennen. Am 29. 12. 1979 annoncierte die Bekl. nach einer Ersatzkraft für die Kl. Am selben Tag rief die Kl. den Geschäftsführer der Bekl. an brachte ihre Verwunderung über die Anzeige zum Ausdruck. Dieser lehnte es ab, die Kl. am Telefon über die Kündigungsgründe zu unterrichten, erklärte sich aber zu einem persönl. Gespräch mit ihr bereit. Da die Kl. bis einschl. 7. 1. 1980 arbeitsunfähig erkrankt war und an den folgenden Tagen dringende geschäftl. Termine anstanden, wurde ein Gesprächstermin für den 14. 1. 1980 vereinbart. An diesem Tag erschien die Kl. aber nach der Mittagspause nicht mehr zur Arbeit, da sie erneut arbeitsunfähig erkrankt war, so daß das vereinbarte Gespräch nicht stattfinden konnte. Ebenfalls am 14. 1. 1980 legte der Personalsachbearbeiter dem Betriebsratsvorsitzenden ein an die Kl. gerichtetes Kündigungsschreiben vom 12. 1. 1980 zur Mitunterzeichnung vor. Nachdem dem Betriebsratsvorsitzenden die Kündigungsgründe nochmals erläutert worden waren, erklärte er, dies seien fachl. Gründe, gegen die er keine Einwendungen geltend machen könne. Anschließend unterzeichnete der Betriebsratsvorsitzende das Kündigungsschreiben und überbrachte es der Kl. Der Betriebsrat bei der Bekl. bestand damals aus 3 Mitgliedern: Dem Betriebsratsvorsitzenden B., dem als Ersatzmitglied nachgerückten Kraftfahrer M., der am 14. 1. 1980 für mindestens acht weitere Tage im Urlaub war, und dem Angestellten Z., der seit Dezember 1979 arbeitsunfähig erkrankt und am 14. 1. 1980 noch nicht im Betrieb war.
Mit ihrer Klage hat die Kl. die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und ausgeführt, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Es fehle auch an Kündigungsgründen i. S. des § 1 Abs. 2 KSchG. Sie könne sich auf das KSchG berufen, da die Bekl. ihr einen Tag vor Ablauf der Wartefrist gekündigt habe, um die Wirkungen des KSchG zu vereiteln. Die Kl. hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben vom 12. 1. 1980 ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst ist, sondern weiter fortbesteht. Die Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Betriebsrat sei schon am 27. 12. 1979 unter Angabe der einzelnen Kündigungsgründe über die von ihr beabsichtigte Kündigung der Kl. durch den Personalsachbearbeiter unterrichtet worden. Da der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist keine Stellung genommen habe, sei sie danach zum Ausspruch der Kündigung berechtigt gewesen. Sie habe sich wegen schlechter Arbeitsleistungen der Kl. schon kurz vor Weihnachten zur Kündigung entschlossen gehabt, so daß von einer treuwidrigen Vereitelung des Kündigungsschutzes nicht die Rede sein könne.
Das ArbG hat nach Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden als Zeugen die Klage abgewiesen. Berufung und Revision der Kl. blieben erfolglos.
Aus den Gründen:
Das LAG hat zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis der Kl. durch die ordentl. Kündigung vom 12. 1. 1980 am 31. 3. 1980 beendet worden ist.
I. Die ordentl. Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, denn der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung am 14. 1. 1980 ordnungsgemäß angehört worden.
1. Zutreffend ist das LAG davon ausgegangen, daß der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG auch anzuhören ist, wenn die beabsichtigte Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen werden soll und daß an diese Anhörung keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als an die Kündigung von Arbeitsverhältnissen, auf die das KSchG anwendbar ist.
2. Das LAG hat zu Recht verneint, daß die Bekl. bereits Ende Dezember 1979 die Anhörung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten Kündigung eingeleitet hat, denn nach den tatsächl. Feststellungen des LAG hat die Bekl. damals gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden ledigl. geäußert, sich wahrscheinl. von der Kl. trennen zu wollen, dabei aber einen genauen Beendigungszeitraum nicht angegeben .
3. Ebenfalls zutreffend hat das LAG angenommen, daß die Bekl. am 14. 1. 1980 das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet hat und nach der von dem Betriebsratsvorsitzenden erklärten Zustimmung die Kündigung noch am selben Tage aussprechen durfte.
a) Nach den Feststellungen des LAG hat die Bekl. am 14. 1. 1980 dem Betriebsratsvorsitzenden die Gründe für ihre Kündigungsabsicht näher erläutert und durch Vorlage des Kündigungsschreibens auch den Beendigungszeitpunkt mitgeteilt. Mit diesen Angaben hat die Bekl. die ihr im Rahmen des Anhörungsverfahrens obliegenden Mitteilungspflichten erfüllt.
b) Das LAG hat zu Recht die Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden zu der beabsichtigten Kündigung der Kl. als abschließende Stellungnahme des Betriebsrates angesehen.
aa) Zur Begründung seiner Auffassung hat das LAG ausgeführt, der Betriebsrat sei am 14. 1. 1980 zwar nicht beschlußfähig gewesen, wenn man von der nach § 9 BetrVG gesetzl. vorgeschriebenen Zahl der Betriebsratsmitglieder ausgehe. Dies führe häufig dazu, daß trotz Anwesenheit eines Betriebsratsmitgliedes ein handlungsfähiger Betriebsrat nicht existiere. Da eine sinngemäße Anwendung des § 11 BetrVG allgemein für zulässig erachtet werde, wenn sich trotz einer hinreichenden Zahl wählbarer Arbeitnehmer nicht genügend Arbeitnehmer für ein Betriebsratsamt zur Verfügung stellen wollten, könne in weiterer entsprechender Anwendung des § 11 BetrVG, der auch der Schutzgedanke von § 102 Abs. 1, § 99 Abs. 1 BetrVG nicht entgegenstehe, angenommen werden, daß bei nicht nur kurzfristiger Verhinderung der übrigen Betriebsratsmitglieder, für die auch keine Ersatzmitglieder nachrücken könnten, eine wirksame Entscheidung des Betriebsrates auch von den verbliebenen Mitgliedern getroffen werden könne, ähnl. wie auch ein Restmandat des Betriebsrates nach Stillegung des Betriebs in der Rechtspr. bejaht werde. Diese Auffassung vermeide auch, daß der Arbeitgeber in dieser Situation so handeln könne, als ob kein Betriebsrat existiere. Hierin liege auch keine unzulässige Übertragung von Rechten auf den Betriebsratsvorsitzenden, sondern eine Verlagerung der Aufgaben des Betriebsrates auf ein Mitglied wegen längerer, wenn auch vorübergehender, Abwesenheit der übrigen Betriebsratsmitglieder.
bb) Der Ansicht des LAG ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Im einzelnen gilt folgendes: Die dem Arbeitgeber gemäß § 102 BetrVG obliegende Verpflichtung, den Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören, setzt das Vorhandensein eines Betriebsrates voraus. Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, eine Anhörung des Betriebsrates sei entbehrl., wenn er z. B. wegen urlaubsbedingter Abwesenheit funktionsunfähig sei. Entscheidend kommt es auf diese Frage im vorliegenden Fall nicht an: Funktionsunfähig ist der Betriebsrat insbesondere dann, wenn alle Betriebsrats- und Ersatzmitglieder nicht nur kurzfristig, d. h. nicht nur für wenige Tage, an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind. Der Betriebsrat wird allerdings noch nicht dadurch funktionsonfähig, daß ein Teil seiner Mitglieder ausgeschieden oder zeitweilig verhindert ist, da in diesem Fall gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein Ersatzmitglied nachrückt. Sind aber Ersatzmitglieder nicht mehr vorhanden, die für die ausgeschiedenen verhinderten Betriebsratsmitglieder in den Betriebsrat nachrücken können, so kann dies dazu führen, daß der Betriebsrat gemäß § 33 Abs. 2 BetrVG nicht mehr beschlußfähig ist, wenn nicht mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlußfassung teilnimmt.
Für diesen Fall ist § 22 BetrVG entsprechend anzuwenden. Diese Vorschrift sieht u. a. vor, daß der Rest-Betriebsrat die Geschäfte weiterführt, bis ein neuer Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder auch nach Eintreten sämtl. Ersatzmitglieder unter die nach §§ 9, 11 BetrVG vorgeschriebene Zahl gesunken ist. In diesem Fall ist für die Beschlußfähigkeit des Betriebsrates von der Zahl der noch vorhandenen Betriebsratsmitglieder auszugehen, und der Betriebsrat ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der noch vorhandenen Mitglieder an der Beschlußfassung teilnimmt.
Ist ein Betriebsrat vorübergehend beschlußunfähig (vgl. § 33 Abs. 2 BetrVG), weil ein Teil der Betriebsratsmitglieder zeitweilig verhindert ist, kommt eine Neuwahl, die nur bei dauerndem Wegfall von Betriebsratsmitgliedern durchzuführen ist, nicht in Betracht. In entsprechender Anwendung des § 22 BetrVG sind aber die verbleibenden Mitglieder als befugt anzusehen, während der Zeit der Verhinderung die Geschäfte des Betriebsrates weiterzuführen. Demgemäß ist für die Beschlußfähigkeit des Betriebsrates von der Zahl der die Geschäfte weiterführenden Betriebsratsmitglieder auszugehen der Betriebsrat beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der verbleibenden Betriebsratsmitglieder an der Beschlußfassung teilnimmt .
Dieser analogen Anwendung des § 22 BetrVG steht nicht entgegen, daß es sich bei § 22 BetrVG um eine Ausnahmebestimmung handelt, denn in den Grenzen des Grundgedankens der Ausnahmevorschrift ist eine Analogie statthaft. Mit der Regelung des § 22 BetrVG soll gewährleistet werden, daß die Belegschaft auch dann durch den Betriebsrat vertreten bleibt und die dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben und Rechte, insbesondere die ihm eingeräumten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, wahrgenommen werden können, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder sich verringert hat. Diesem Grundgedanken entspricht nicht nur der gesetzl. geregelte Fall, bei dem die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtl. Ersatzmitglieder wegen Ausscheidens von Betriebsratsmitgliedern gesunken ist, er hat auch zu gelten, wenn der Betriebsrat zeitweilig beschlußunfähig ist, weil ein Teil der Betriebsratsmitglieder an der Amtsausübung zeitweilig verhindert ist keine Ersatzmitglieder mehr zur Verfügung stehen. Allerdings ist die Weiterführung der Betriebsratsgeschäfte durch die restl. Betriebsratsmitglieder im Bereich des § 102 BetrVG nur dann erforderl., wenn die Verhinderung der abwesenden Betriebsratsmitglieder bis nach Ablauf der Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG andauert.
cc) Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt, daß der Betriebsratsvorsitzende befugt war, für den Betriebsrat am 14. 1. 1980 zu der Kündigungsabsicht der Bekl. allein Stellung zu nehmen, denn nach den tatsächl. Feststellungen des LAG waren die beiden anderen Mitglieder des dreiköpfigen Betriebsrates wegen Krankheit von unbestimmter Dauer und Urlaubs über die Wochenfrist hinaus verhindert, an der Beschlußfassung über die Stellungnahme des Betriebsrates teilzunehmen. Die verhinderten Betriebsratsmitglieder konnten auch durch Ersatzmitglieder nicht vertreten werden; der Betriebsratsvorsitzende war bei der Durchführung des Anhörungsverfahrens das einzige Betriebsratsmitglied im Betrieb.
Wenn die Revision meint, die Bekl. hätte dem Betriebsratsvorsitzenden Gelegenheit geben müssen, binnen der Wochenfrist des § 102 BetrVG noch eine Entscheidung des ganzen Betriebsrates herbeizuführen, verkennt sie, daß nicht die Bekl., sondern der Betriebsratsvorsitzende als einziges im Betrieb bei Einleitung des Anhörungsverfahrens anwesendes Betriebsratsmitglied dar- über zu befinden hatte, ob er bereits vor Ablauf der Wochenfrist zu der Kündigungsabsicht für den Betriebsrat abschließend Stellung nehmen will.
c) Teilt der Betriebsrat vor Ablauf der Wochenfrist dem Arbeitgeber mit, er stimme der beabsichtigten Kündigung zu, so ist das Anhörungsverfahren abgeschlossen, und der Arbeitgeber kann die Kündigung aussprechen, ohne den Ablauf der Wochenfrist abwarten zu müssen. Die Bekl. konnte daher ohne Verletzung des § 102 BetrVG im Anschluß an die von dem Betriebsratsvorsitzenden erklärte Zustimmung zur Kündigung der Kl. die Kündigung aussprechen, denn der allein anwesende Betriebsratsvorsitzende war befugt, die Geschäfte des Betriebsrates während der Verhinderung der anderen Betriebsratsmitglieder weiterzuführen.
Selbst wenn aber dem Betriebsratsvorsitzenden im vorliegenden Fall im Anhörungsverfahren Fehler unterlaufen sein sollten, so fielen derartige Fehler doch in den Verantwortungsbereich des Betriebsrates und nicht in den des Arbeitgebers, weil dem Arbeitgeber bekannt war, daß die 2 anderen Betriebsratsmitglieder infolge Erkrankung und Urlaubs verhindert waren. Dies folgt aus dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Bekl. im Schriftsatz vom 23. 7. 1980. Dieser Fall liegt daher anders als die Fälle, in denen der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden eines beschlußfähigen Betriebsrates eine beabsichtigte Kündigung mitteilt und spontan die Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden erhält. Dann kann und muß der Arbeitgeber erkennen, daß eine Beratung und Beschlußfassung des Betriebsrates nicht stattgefunden haben konnte.
d) Die Ansicht, daß während der Beschlußfähigkeit des Betriebsrates wegen Verhinderung seiner Mitglieder eine Kündigung nicht möglich sei, wird, soweit ersichtl., nicht vertreten. Der Senat hält, wie unter I 3b ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 22 BetrVG für angebracht.
II. Die ordentl. Kündigung der Bekl. ist auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam, denn das KSchG ist nicht anwendbar. Das Arbeitsverhältnis der Kl. hat am 15. 7. 1979 begonnen und hat bei Zugang der Kündigung am 14. 1. 1979 noch nicht länger als 6 Monate bestanden (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG). Der Nichteintritt des Kündigungsschutzes ist von der Bekl. auch nicht treuwidrig vereitelt worden.
1. Das LAG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutz nicht in jedem Fall auf die Erfüllung der 6monatigen Wartezeit ankommt, sondern ausnahmsweise in entsprechender Anwendung des § 162 BGB der Arbeitnehmer so zu behandeln ist, als wäre die Wartezeit bereits erfüllt, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur ausspricht, um entgegen dem Grundsatz von Treu
Glauben den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. Zu berücksichtigen bleibt aber, daß nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck der gesetzl. Regelung des § 1 Abs. 1 KschG der Arbeitgeber während der gesamten Wartefrist frei kündigen kann. Im Interesse der Rechtssicherheit muß eine gesetzl. festgelegte Frist genau beachtet werden. Nicht schon jede kurz vor Erfüllung der Wartezeit ausgesprochene Kündigung kann daher als treuwidrige Vereitelung des Eintritts des Kündigungsschutzes angesehen werden. Der Rechtsgedanke des § 162 BGB greift nicht schon dann ein, wenn der Arb-Geb. bereits während der Wartezeit kündigt, obwohl dies zur Wahrung der nach Ges. oder Vertrag zu beachtenden Kündigungsfrist nicht erforderl. gewesen wäre. Eine analoge Anwendung des § 162 BGB kommt erst dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur deshalb vor Ablauf der 6 monatigen Wartefrist erklärt, um den Eintritt des Kündigungsschutzes zu verhindern, und wenn dieses Vorgehen unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände gegen Treu und Glauben verstößt. Kündigt der Arbeitgeber kurz vor Ablauf der Wartefrist, um z. B. einen Rechtsstreit über die etwaige Sozialwidrigkeit der Kündigung zu vermeiden, so liegt hierin noch kein Verstoß gegen Treu und Glauben, der Arbeitgeber übt lediglich die ihm gemäß § 1 Abs. 1 KSchG eingeräumte Kündigungsfreiheit aus. Um eine kurz vor Ablauf der Wartefrist ausgesprochene Kündigung als treuwidrig erscheinen zu lassen, müssen daher weitere Umstände gegeben sein.
2. Zwar hat die Bekl. erst unmittelbar vor Ablauf der Wartezeit, und früher als zur Wahrung der Kündigungsfrist nötig, gekündigt. Dies allein reicht aber, wie bereits ausgeführt, für eine entsprechende Anwendung des § 162 BGB noch nicht aus. Wenn das LAG hier ein treuwidriges Verhalten der Bekl. deshalb verneint hat, weil sie bereits Ende Dezember 1979 eine Nachfolgerin für die Kl. gesucht habe
nicht ersichtlich sei, daß die erst kurz vor Ablauf der Wartefrist ausgesprochene Kündigung lediglich den Zweck verfolgt habe, das Inkrafttreten des Kündigungsschutzes zu vereiteln, so ist diese Würdigung nicht zu beanstanden. Eine treuwidrige Vereitelung des Kündigungsschutzes kann entgegen der Auffassung der Revision auch nicht darin gesehen werden, daß die Bekl. den Betriebsrat erst kurz vor Ablauf der Wartefrist gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG angehört hat. Wenn es nur von untergeordneter Bedeutung ist, wieviel Zeit vor Ablauf der Wartefrist die Kündigung ausgesprochen wird (vgl. BAG 31, 83 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972), kann für die Anhörung des Betriebsrates vor einer beabsichtigten Kündigung aus den gleichen Erwägungen nichts anderes gelten. Andere Umstände, die die Kündigung als treuwidrig erscheinen lassen könnten, sind hier aber weder vorgetragen noch ersichtl.