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Überstunden und Mehrarbeit

Autor:
Cetin Soygüder
7 Minuten Lesezeit

Welche Regelungen bei Überstunden und Mehrarbeit gelten, erfahren Sie in diesem Artikel.

Überstunden und Mehrarbeit – was ist der Unterschied?

Definition Mehrarbeit und Überstunden

Es gibt keine gesetzliche Definition der „Mehrarbeit“ oder der „Überstunde“ insbesondere nicht im Arbeitszeitgesetz (ArbzG). Hinzu kommt, dass die gesetzliche Terminologie nicht einheitlich ist. So werden in § 4 Abs. 1a S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz und in § 11 Bundesurlaubsgesetz der Begriff „Überstunden“ in § 4 Mutterschutzgesetz oder § 21 Abs. 2 Jugendarbeitschutzgesetz hingegen der Begriff „Mehrarbeit“ verwendet.

Es gibt folgende Faustregel: Mehrarbeit bezieht sich auf die Überschreitung der tariflichen oder gesetzlichen Höchstarbeitszeit. Von Überstunden ist die Rede, wenn die arbeitsvertraglich geltenden Arbeitszeiten eines Mitarbeiters überschritten werden. Bei beiden Begriffen handelt es sich jedoch grundsätzlich um ein „Mehr“ an Arbeit.

Der Beschäftigte leistet daher ein „Mehr“ an Arbeit, wenn er über die für sein Arbeitsverhältnis vereinbarte Arbeitzeit hinaus arbeitet (BAG 08.11.1989 5 AZR 642/88). Damit ist also jede Arbeitszeit, die die aus dem Arbeitsverhältnis geschuldete Arbeitszeit überschreitet, dann ein „Mehr“ an Arbeit.

In Tarifverträgen hingegen werden oftmals die Begriffe „Mehrarbeit“ und „Überstunde“ gerade nicht gleichbedeutend (synonym) verwendet. Häufig ist danach eine Überstunde gegeben, wenn auf Anordnung des Arbeitgebers eine Arbeitsstunde geleistet wird, die über die planmäßige oder die tarifliche Wochenarbeitszeit hinausgeht. Es ist also für den BR wichtig in z.B. einer Betriebsvereinbarung genau festzuhalten, ob Überstunden oder Mehrarbeit unterschiedlich bezeichnet oder gleichbedeutend verwendet werden.

Nachfolgend, werden die Begriffe nicht unterschiedlich verwendet.

Anordnung von Überstunden bzw. Mehrarbeit

Darf der Arbeitgeber Überstunden/Mehrarbeit verlangen?

Die Rechtsgrundlage des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden/Mehrarbeit stellt in aller Regel der Arbeitsvertrag dar, der die Überstunde/Mehrarbeit regelmäßig als Ausnahme vorsieht und der Arbeitgeber von der Anordnung bei der Notwendigkeit Gebrauch machen kann.

Existiert hingegen keine ausdrückliche Vereinbarung( z.B. in einem Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung ), ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht zur Leistung von Überstunden verpflichtet. Bedeutung hat dies insbesondere in Betrieben, die keiner Tarifbindung unterliegen und die keinen Betriebsrat haben. Hier muss die Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden also ausdrücklich im Arbeitsvertrag geregelt sein. Andernfalls ist der Arbeitgeber nicht befugt, Überstunden anzuordnen. Ausnahmsweise kann sich aber aus Treu und Glauben eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden ergeben.

Es gibt zwei wichtige Ausnahmen:

Notfälle
In Notfällen darf Ihr Arbeitgeber Überstunden anordnen. Kein Notfall liegt vor, wenn noch schnell ein Auftrag abgearbeitet werden soll.

Einzelvereinbarungen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer können jederzeit auch befristetet Vereinbarungen zu Überstunden treffen. Das kann u.U auch eine mündliche Vereinbarung sein.

Beispiel: Ein Betrieb, der sich in oder knapp vor einer finanziellen Schieflage befindet, kann zusätzliche kurzfristige Aufträge erhalten, wenn sie umgehend abgearbeitet werden. Ist es dem Arbeitgeber aufgrund der wirtschaftlichen Lage im Übrigen nicht möglich, weitere Arbeitnehmer einzustellen, kann eine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden bestehen.

Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen

Oftmals enthalten Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Regelungen zur Ableistung von Überstunden/Mehrarbeit. Zu beachten ist aber, dass auch bei Auch diesen Regelungen grds. die gesetzlichen Regelungen (Normenpyramide) wie z.B. das Arbeitszeitgesetz (48-Stunden-Woche; vorübergehender 10-Stunden-Tag) zu beachten sind.

Verweigert der Arbeitnehmer unberechtigt Überstunden/Mehrarbeit, so kann dies zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen (von der Abmahnung bis hin zu außerordentlichen fristlosen Kündigung) führen.

Wichtig: Auch in diesen Fällen ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich!

Betriebe mit Betriebsrat und die Beteiligung des Betriebsrats

Die Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG

Die Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden unterliegt in vollem Umfang der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Dies gilt auch für Überstunden im Einzelfall sobald ein kollektiver Bezug erkennbar ist. Auch die „Freiwilligkeit” von Arbeitnehmern Überstunden zu leisten, schließt die Mitbestimmung nicht aus. Auf die freiwillige Übernahme von Überstunden/ Mehrarbeit durch den Arbeitnehmer kommt es also für die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht an! Bei der Anordnung und auch Duldung Überstunden/Mehrarbeit hat der Betriebsrat also mitzubestimmen. Es handelt sich um eine sog. erzwingbare Mitbestimmung. Das Mitbestimmungsrecht des BR besteht allerdings nicht, wenn der einzelne AN ohne Wissen und Wollen des AG die betriebsübliche ArbZ überschreitet. Das dürfte aber in der Praxis sehr selten sein, auch mit Blick auf die damit verbundene Vergütung oder den Ausgleich in Freizeit. Dabei bezieht sich das Mitbestimmungsrecht auf Umfang, Dauer und Lage der Mehrarbeitszeit Überstunden.

Auch die Verteilung der Mehrarbeitszeit/Überstunden auf die einzelnen Wochentage unterliegt der Mitbestimmung(BAG, 09.05.1984, 5 AZR 412/81).

Ebenso sind Überstundenzuschläge nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmt.

Ordnet der Arbeitgeber unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts Überstunden an, hat der Betriebsrat nach § 23 BetrVG einen Anspruch auf Unterlassung, den er auch gerichtlich geltend machen kann. Ggfls. kann auch die Einigungsstelle, § 87 Abs. 2, § 76 BetrVG, angerufen werden.

Muss bei Anordnung von Überstunden immer der Betriebsrat informiert werden?

Ja, denn es handelt sich um eine zwingende Mitbestimmung!

  • Das Mitbestimmungsrecht kann in jedem Einzelfall, in dem AN vorübergehend länger arbeiten sollen, ausgeübt werden. Auf die Anzahl der betroffenen AN kommt es nicht an!
  • Das Recht zur Mitbestimmung ist auch nicht durch Einfälle eingeschränkt. Diese können AG und BR aber im Voraus regeln, z.B. durch Rahmenvereinbarungen, Gleitregelungen.
  • Nur in Notfällen (Brand, Überschwemmungen, Explosionsgefahr) kann der AG einseitig Überstunden anordnen. Er muss dann aber unverzüglich die Zustimmung des BR nachholen (so BAG).

Überwachung durch den Betriebsrat

Der BR ist nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dazu verpflichtet, die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zu überwachen. Deshalb darf die Anordnung von Überstunden in keinem Fall gegen die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) verstoßen.

Hier finden Sie eine Übersicht über die wichtigsten drei Regelungen des ArbZG:

Arbeitnehmer dürfen nach § 3 ArbZG nicht länger als 8 Stunden pro Tag beschäftigt werden.

Die tägliche Arbeitszeit kann auf bis zu 10 Stunden verlängern werden, wenn der 8-Stunden-Tag innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen durchschnittlich wieder eingehalten wird.

Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist daher regelmäßig eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zu wahren.

Verweigerung der Zustimmung

Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, darf der Arbeitgeber die Überstunden nicht anordnen. Auch ein „freiwilliges Arbeiten“ ist dann nicht möglich.

Praxis-Tipp: Betriebsvereinbarung Überstunden

Betriebsrat und Arbeitgeber können eine "Betriebsvereinbarung" bzgl. Überstunden/Mehrarbeit treffen. Dies ist vor allem für nicht vorhersehbare Einfälle empfehlenswert. Zu beachten gilt es die Zeitspanne für die Betriebsvereinbarung. § 87 Abs. 1 Zif. 3 BetrVG spricht nämlich von einer "vorübergehenden" Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.

Auch nNach einem Urteil des EuGH, 08.02.2001 C-350/99 ist der Arbeitgeber verpflichtet, in einem Arbeitsvertrag die wesentlichen Vertragsbedingungen (geregelt im Nachweisgesetz) festzuhalten, hier: Ableisten von Überstunden. Fehlt eine derartige Vereinbarung, ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, Überstunden oder Mehrarbeit zu leisten (s.o).

Ratgeber
Grund­la­gen­wis­sen für BR

In diesem Ratgeber finden Sie grundlegendes Wissen für Ihren Arbeitsalltag wie Rechte, Pflichten und Mitbestimmungsrechte als Betriebsrat sowie wertvolle Praxis-Tipps für die Betriebsratsarbeit.

Ratgeber Grundlagenwissen

Vergütung von Überstunden/Mehrarbeit

Im Regelfall muss der Arbeitnehmer für seine geleisteten Überstunden bezahlt werden, da diese als eine quantitative Mehrleistung über die vertraglich geschuldete Leistung hinaus anzusehen sind. Dementsprechend wird hier § 612 Abs. 1 BGB angewendet. Darüber hinaus sind Regelungen zur Überstundenvergütung häufig in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zu finden. Es gibt jedoch keinen Rechtsgrundsatz dafür, dass Überstunden grundsätzlich zu vergüten sind. Eine Ausnahme hiervon bildet das Berufsbildungsgesetz (BBiG) bei Auszubildenden.

Stets zu unterscheiden ist auch zwischen der Grundvergütung für die geleistete Überstunde und einem besonderen Überstundenzuschlag. Sind die Überstunden zugleich auch Nachtarbeit im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbZG, besteht nach § 6 Abs. 5 ArbZG auch ein Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag. Aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts geht hervor, dass ein Zuschlag von 25 Prozent angemessen ist.

Freizeitgewährung statt Bezahlung

Eine Abgeltung von Überstunden in Freizeit oder die Aufnahme in ein Arbeitszeitkonto sind nur möglich, wenn eine entsprechende Vereinbarung vorliegt oder ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung diese Möglichkeit eröffnet. Andernfalls bleibt nur die Auszahlung.

Alternativen zu Überstunden

Durch Alternativen können eine Vielzahl von Überstunden vermieden werden. Das kann geschehen durch: Änderungen der Arbeitszeit, flexible Arbeitszeiten, eine neue Erfassung der Arbeitszeit, Vertrauensarbeitszeit, verwendungsbezogene Zeiterfassung, ein Zeitbudget, einen Zeitrahmen, Arbeitszeitkonten, Kurzzeitkonten, Langzeitkonten, Gleitzeit, Schichtarbeit, aus Teilzeit wird Vollzeit.

Wichtiger Tipp: Prüfen Sie auch, ob es zu wenige Arbeitnehmer in Ihrem Betrieb gibt. Dann helfen auf Dauer nur 2 Dinge:
Weniger Arbeit und/oder
Neueinstellungen

Geschieht beides nicht, sollte der Betriebsrat mit der Zustimmung bei Überstunden sehr zurückhaltend sein.

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Autor: Cetin Soygüder

Cetin Soygüder ist Mitbegründer einer überregional tätigen Kooperation von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mit Hauptsitz in Düsseldorf. Herr Soygüder ist auf dem gesamten Gebiet des Arbeitsrecht für Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebern tätig. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung als Referent im Arbeitsrecht aber auch u.a. für das imap-institut, für das er bundesweit Richter- und Richterinnen im Bereich der interkulturellen Kommunikation, insbesondere im Gerichtsaal, schult.
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